Es geht um eine Grenzziehung. Vor mir liefen gestern drei etwa Fünfzehnjährige. Sagt einer zum andern, überlegener Tonfall: “Ey, was du grad gesagt hast, das ist voll die Verschwörungstheorie!” Ich weiß nicht, was der andere gesagt hatte. Ich nahm aber wahr: Der Begriff hat die Funktion einer Schmähvokabel, mit der sich trefflich wissenschaftsprahlen läßt. Wissenschaftsprahlerei ist die neue Tugendprahlerei.
Das Wort “Verschwörungstheorie” hat sprachpragmatisch eine einzige Funktion, nämlich, Sprachpolizei und Gedankenpolizei spielen zu können, um Leute abzuqualifizieren als “jenseits unseres Wahrheitsdiskurses”. “Verschwörungstheoretiker” sind die neuen “Rechtsextremisten”.
Allerletzter Schrei: nicht mehr “Verschwörungstheorien” sondern “Verschwörungserzählungen” zu sagen, denn “Theorie” ist ja Wissenschaft, wer dazugehören will zu den Guten, der sagt: #trust the science.
Im Podcast geht es zunächst darum, daß manche Leute spinnen. Und zwar dergestalt, daß sie wilde Hintergrundmachenschaften frei assoziieren und sich die Puzzlestückchen zusammenkleben zu einem Durchblicker-Weltbild. Daß solche Leute einem gehörig auf den Senkel gehen können in Diskussionen, durch Zutexten mit Linksammlungs-Mails oder gar durch eingereichte Manuskripte, liegt nahe. Doch was passiert dann?
Im Podcast verfällt die Runde in einvernehmliche Abgrenzung und Ablehnung von “Verschwörungstheoretikern”. Da horchte ich auf und dachte mir: nein, hier sollte die Grenze nicht verlaufen. Ich will erklären, warum.
1. Ich schrieb einmal (Klonovsky tat mir die Ehre an, das auch zu zitieren): wenn ich ein potenter Elitenheini wäre, würd ich solche nervtötenden Leute geradezu züchten. Denn auf die läßt sich trefflich mit dem Finger zeigen und ausrufen: “Seht, die Verschwörungs-Spinner!” und – schwuppdiwupp – sind sie diskreditiert. Das, was an ihren Thesen womöglich wahr ist, ist weg vom Tisch, es ist fürderhin einfach indiskutabel. So funktioniert das. Und der Elitenheini kann weitermachen mit seiner Agenda: denn wer ihm auf die Schliche kommt, kann seine Beobachtungen nicht mehr öffentlich äußern, weil man über ihn lacht oder Aufklärungshefte der Bundeszentrale für politische Bildung über ihn verfaßt.
2. Unter den sogenannten “Verschwörungstheorien” sind mithin durchaus auch welche im Umlauf, die ihrerseits “gemacht” sind, damit Leute darauf reinfallen und alle anderen mit diskreditieren. Diese Köder zu erkennen ist oft schwierig, dazu unten mehr.
3. Der Begriff “Verschwörungstheorien” ist deshalb perfide, weil er eigentlich bedeutet, daß Mächtige im Falle ihres merklichen Machtverlusts kleine Gruppen von vermeintlichen “Verschwörern” gegen sie für ihr Versagen verantwortlich machen (vgl. Heartfiel/Hillmann: Wörterbuch der Soziologie). Es ist also nichts anderes als ein ein Eliten-Kampfbegriff gegen uns. Verwenden wir ihn nur in Anführungszeichen. Paul Schreyer hat den Vorschlag gemacht, diejenigen, die anderen “Verschwörungstheorien” nachsagen, selber “Zufallstheoretiker” zu nennen, denn anscheinend glauben diese, daß selbst offensichtliche Zusammenhänge reiner Zufall sind.
Das also, was der Mainstream “Verschwörungstheorien” nennt, funktioniert nur im karikaturhaft simpelsten Fall so, daß jemand ernsthaft glaubt, in einem Hinterzimmer hätten ein paar Finsterlinge einen kompletten Plan ausgeheckt. Es ist also Strohmanndresche, einer solchen unterstellten Annahme stets zu entgegnen, daß es doch viel zu schwierig wäre, alle nötigen Handlanger einzuweihen und zum Dichthalten zu zwingen, um z.B. die geheime Migrationsagenda, den Great Reset oder die genetische Umprogrammierung der Menschheit zu wuppen.
So läuft das nie! In der Sezession 99 hatte ich unter der Überschrift “Sind wir Teil des Plans?” einige Überlegungen dazu angestellt. Es ist das Need-to-know-Prinzip, das hier greift. Jede Firma, jede Armee, jeder hierarchisch organisierte Betrieb funktioniert nach diesem Prinzip. Die unteren Chargen wissen nur, was für sie zu wissen nötig ist, damit sie ihren konkreten Job machen können.
“Pläne” erfüllen sich aus zwei zusammenkommenden Richtungen: top down und bottom up. Von oben herab bieten die einen das große Einverstandensein an, von unten betteln die anderen darum, einverstanden sein zu dürfen. Internetgiganten und Werbeagenturen erfinden z.B. so etwas wie Black-Lives-Matter-, Impf- oder Regenbogen-Kampagnen – und die von ganz unten und wollen auch in ihrem Schuhgeschäft in Wanne-Eickel oder ihrer Schulklasse in Sankt Pölten nicht zurückstehen und machen mit.
Hat da eine Verschwörerbande nun die Lehrer und Verkäufer alle im Sack? Mitnichten. Daß es Pläne gibt, heißt noch lange nicht, daß diese auch glatt aufgehen – doch sind der Programmierfehler oder der Sand im Getriebe kein Argument gegen die Herrschaftsmaschine selbst.
Daß bei so großen weltumspannenden Nummern wie dem Great Reset viele Teilstückchen zusammenpassen und zusammenkommen, liegt nicht am Irrsinnigwerden der Spinner, die plötzlich in ihrem Beziehungswahn alles für zusammenpassend und “von denen so gewollt” halten. Sondern es liegt an diesen großen Nummern selber: Totalitarismus heißt nichts anderes, als daß alle Bereiche des Lebens mit derselben ekligen Klebeschicht zugekleistert werden.
Dies ist auch der Grund, wieso “Verschwörungstheorien” meist in Clustern auftreten. Sehr ähnlich wie Lichtmesz und ich dies in Mit Linken leben herauspräpariert hatten, steht wer z.B. die Klimawandelpolitik anzweifelt, auch der Gender‑, der “Antifaschismus”- und Einwanderungsideologie kritisch gegenüber. Genauso verhält es sich bei Kritik an Schulmedizin, Geldsystem, BRD-GmbH, der offiziösen 9/11-Version, Gen- und Nanotechnologie und Depopulationsplänen. Gemeinsam ist beiden Clustern, daß sie exakt entlang der von uns beschriebenen Bruchlinie “Vertrauen oder Mißtrauen in die Massenmedien” gebildet werden.
Daß wir tatsächlich kontrolliert, digitalisiert, genmanipuliert und transhumanistisch überholt werden, darf in meinen Augen als Tatsache gelten. Dagegen zu behaupten: “Och, das ist aber übertrieben, sowas sagen nur Verschwörungstheoretiker” unterbietet unsere Beobachtungsmöglichkeiten.
Wir Leute “jenseits der Gesellschaft” sind doch deshalb die selbsternannte Wahrnehmungselite, weil wir nicht dazugehören. Eben weil wir jenseits der Gesellschaft stehen, können wir seismographisch das Erdbeben als erste mitkriegen und seinen Verlauf protokollieren.Dazu müssen wir aber die Antennen auf “sehr sensibel” einstellen, sonst überhören wir das leise Knacken. Daß wir dabei auch Störgeräusche einfangen, uns Wahrnehmungen einbilden, und unserseits für gestört gehalten werden, gehört dazu.
Wahrnehmungselite sein heißt also auch, eine Reflexionsschleife extra eingebaut zu haben. Wir dürfen also die ersten Wahrnehmungen und all das, was uns medial so zugetragen wird, nicht sofort in ein bereits in unserem Kopf fixfertiges Szenario übernehmen. Unsere Aufgabe ist es nicht, das womöglich drohende Horrorszenario durch fleißiges Teilen von Links und Videos mitzubeschwören, sondern herauszuarbeiten:
Wie hält die Digitalisierung wo Einzug? Was kann die Nanotechnologie? Wie schauen die gewünschten Szenarien der Mächtigen eigentlich aus? Wohin werden insbesonders Kinder und Jugendliche genudgt (“neue Normalität”, smartwatches und -meter, elektronische Zweitidentität, Leuchttattoos mit RFID-Chip usw.)? Was ist daran ein völlig falsches Menschenbild? Was ist das Böse und wie wirkt es unsichtbar und sichtbar?
Der Unterschied zwischen populistischen, reißerischen Aufmachungen einerseits, und vorsichtigem Nachdenken und Für-möglich-Halten andererseits ist ein guter Indikator. Je suggestiver (sei es in Hinblick auf die totale black pill oder auf Erlösungshoffnungen), desto wahrscheinlicher ist es, daß die besagte “Verschwörungstherie” ihrerseits eine übergeordnete und womöglich maligne Funktion hat: Leute zu Aktionen hinzureißen, psychisch abdrehen zu lassen in eine Paranoia, oder sie gänzlich zu lähmen in der Erwartung des “Sturms” usw.
Noch eine letzte Anmerkung zur Logik des Verdachts, zum überall vermuteten doppelten Boden. Vertrauen kommt zustande, wenn man nichts über denjenigen weiß, dem man vertraut (vgl. Niklas Luhmann, Vertrauen). Es hilft über eine Lücke hinweg, es verbindet einen z.B. mit medialen Protagonisten, einer Partei, dem Staat oder bestimmten Experten. Man will ihnen Vertrauen schenken, weil man deren Ideale teilt. Kommt nun ein “Verschwörungstheoretiker” daher und untergräbt das Vertrauen, legt er den Finger in die klaffende Lücke: diesen Typen ist nicht zu trauen, ihre Motive sind andere, als sie darstellen, dahinter steht xyz. Der Witz ist, daß der Mißtrauische mehr weiß über das Objekt des Vertrauens als der Vertrauensselige.
Woher weiß der Mißtrauische das aber? Können wir ihm überhaupt vertrauen? Je komplexer Zusammenhänge sind, desto stärker sind wir auf persönliches Vertrauen angewiesen. Es gilt, die Wahrnehmung zu schulen, die eigene Menschenkenntnis: wem räume ich gegebenenfalls das Vorrecht ein, mich desillusionieren zu dürfen? Und wessen Verdacht weise ich von mir? Was bin ich bereit als “wissenschaftliche Fakten” zu akzeptieren?
Diese Frage betrifft letztlich “Wissenschaftsgläubige” und “Verschwörungstheoretiker” gleichermaßen. Der von Lichtmesz so gern zitierte Wiener Psychiater Raphael Bonelli brachte unlängst ein Video heraus mit dem Titel: “Komm mir nicht mit Fakten, ich habe mir meine Meinung schon gebildet”.
Summa summarum: “Verschwörungstheoretiker” sind meines Erachtens nicht unser Feindbild, das sollten wir der ZEIT, den Amadeu-Antonios und der Bundesregierung überlassen, eben dem “Sprachregime”, das seine Keile gezielt zu setzen versteht. Mit diesem schon fast im Off verklingenden Gedanken endet auch der Podcast.
Rheinlaender
Zu den wirkmächtigsten Verschwörungstheorien der Gegenwart dürfte die zählen, dass "alte weiße Männer" die Welt zum Nachteil aller Frauen und Nichtweißen kontrollieren und sich dabei eines subtil wirkenden, nicht exakt nachweisbaren aber doch für real gehaltenen "strukturellen Rassismus" als Herrschaftsmittels bedienen.
Eine klassische Verschwörungstheorie stellt auch die Vermutung dar, dass Polizei und Bundeswehr von rechtsextremen Netzwerken durchsetzt seien. Beweise gibt es dafür keine, aber der Glaube daran, dass es einfach so sein muss, ist bei linken Journalisten stark, was vor allem beim Thema NSU 2.0 deutlich sichtbar wurde.
Davon abgesehen ist die Geschichte voll von Verschwörungen, d.h. zunächst verdeckt betriebenen Unternehmungen von Akteuren gegen andere. Zugleich gibt es eine paranoide Tendenz im Menschen, organisierte Anstrengungen bzw. zentrale Planung auch dort zu vermuten, wo es sich um ungeplant verlaufende Vorgänge handelt. Außerdem gibt es einen Wunsch nach Feindbildern, die das eigene politische Handeln vereinfachen, wie etwa im Fall der oben beschriebenen, äußerst erfolgreichen linken Verschwörungstheorien.