Ökologische Betrachtungen (4) – Stillstand

PDF der Druckfassung aus Sezession 95/ April 2020

Nor­ma­ler­wei­se ist die Luft im Nord­os­ten des chi­ne­si­schen Fest­lands außer­or­dent­lich stark mit dem Stick­stoff­di­oxid (NO2) belas­tet. Auf den Bil­dern der US-ame­ri­ka­ni­schen Raum­fahrt­be­hör­de NASA äußert sich das in einem brau­nen bis dun­kel­brau­nen Fleck, der die Men­ge der Ver­bin­dung in der Atmo­sphä­re indi­ziert. Die wirt­schaft­lich auf­stre­ben­de Volks­re­pu­blik stößt qua ihres erwach­ten Res­sour­cen­hun­gers und des dar­an gekop­pel­ten indus­tri­el­len Pro­duk­ti­ons­sek­tors Unmen­gen an Schad­stof­fen und Treib­hausgasen aus.

Doch Ende Febru­ar die­ses Jah­res beweg­te sich die Kon­zen­tra­ti­on des gif­ti­gen NO2 über Chi­na auf ein mini­ma­les Niveau zu. Laut der NASA-Spe­zia­lis­ten war die­ser Rück­gang zual­ler­erst im Raum Wuhan zu beob­ach­ten gewe­sen und brei­te­te sich danach über das gesam­te Land aus. Die For­scher sind sich sicher, daß die­ses Phä­no­men auf­grund der mit der Aus­brei­tung des neu­ar­ti­gen Coro­na­vi­rus »COVID-19« ver­bun­de­nen weit­rei­chen­den Qua­ran­tä­ne­maß­nah­men der chi­ne­si­schen Regie­rung auf­tritt. Denn auch nach den tra­di­tio­nel­len Fei­ern zum chi­ne­si­schen Neu­jahrs­fest – eine Zeit, in der die Fabri­ken und Pro­duk­ti­ons­bän­der für gewöhn­lich wei­test­ge­hend still­ste­hen – hat sich das Bild nicht ver­än­dert. Außer­dem lagen die NO2-Kon­zen­tra­tio­nen selbst wäh­rend des Neu­jahrs­fes­tes um zehn bis drei­ßig Pro­zent unter den Wer­ten, die gewöhn­lich für die­se Tage gemes­sen werden.

Das Virus hat Chi­nas Pro­duk­ti­on und Kon­sump­ti­on ein­ge­fro­ren. Die Chi­na Aca­de­my of Infor­ma­ti­on and Com­mu­ni­ca­ti­ons Tech­no­lo­gy mel­de­te bei­spiels­wei­se für den Febru­ar einen Rück­gang der Smart­phon­ever­käu­fe auf dem chi­ne­si­schen Bin­nen­markt um 56 Pro­zent im monat­li­chen Jahresvergleich.

Auf einem rest­los ver­netz­ten Glo­bus ist jedoch nicht nur die chi­ne­si­sche Wirt­schaft von die­sem Still­stand betrof­fen, son­dern die gesam­te Welt­öko­no­mie. Wäh­rend das Coro­na-Virus sich auch in Euro­pa rapi­de aus­brei­tet, reagie­ren die Akti­en­märk­te auf die Melan­ge aus bereits evi­den­ten und anti­zi­pier­ten öko­no­mi­schen Aus­wir­kun­gen einer dro­hen­den Pan­de­mie aus­ge­spro­chen ner­vös und mit frei fal­len­den Kur­sen. Die akut betrof­fe­nen Wirt­schafts­zwei­ge sind unter­des­sen die Tou­ris­mus- und die Ver­an­stal­tungs­bran­che, die die Fol­gen der Virus­aus­brei­tung unmit­tel­bar zu spü­ren bekommen.

Doch es wird sicher­lich nicht beim Tou­ris­mus, Kon­zer­ten und Mes­sen blei­ben; essen­ti­el­le Lie­fer­ket­ten sind unter­bro­chen und die Pro­duk­ti­on fährt in Chi­na nach den wegen des Virus ver­län­ger­ten Neu­jahrs­fe­ri­en nur unter erheb­li­chen Pro­ble­men wie­der hoch. Fer­ner gestal­tet sich die Ver­schif­fung von Pro­duk­ten aus Chi­na auf­grund neu­er Auf­la­gen extrem umständ­lich. Die US-ame­ri­ka­ni­sche Invest­ment­bank Mor­gan Stan­ley geht davon aus, daß in Chi­na in der zwei­ten Febru­ar­wo­che ledig­lich 30 bis 50 Pro­zent des­sen her­ge­stellt wor­den ist, was ansons­ten über die Pro­duk­ti­ons­bän­der läuft. Auch bei Volks­wa­gen läuft die Pro­duk­ti­on in sei­nen 33 Wer­ken in Chi­na nur sto­ckend an. Für die euro­päi­schen Volks­wirt­schaf­ten rächt es sich nun bit­ter, daß etli­che Pro­duk­ti­ons­zwei­ge in das Reich der Mit­te aus­ge­la­gert wur­den. Dar­über hin­aus betrifft das Ein­frie­ren öko­no­mi­scher Pro­zes­se mitt­ler­wei­le mehr Län­der als nur die Volks­re­pu­blik: In vom Virus stark betrof­fe­nen Staa­ten wie Süd­ko­rea und Ita­li­en setzt sich der rela­ti­ve Still­stand fort.

Für die Natur bedeu­tet die ein­set­zen­de Ver­lang­sa­mung der Wirt­schaft zwar eine Ent­span­nung, jedoch wird es nur bei einer kurz­wei­li­gen Ver­schnauf­pau­se blei­ben. Denn es kann nicht damit gerech­net wer­den, daß der kurz­fris­ti­ge, kri­sen­in­du­zier­te Abschwung sich zu einem lang­wie­ri­gen Trend ver­ste­ti­gen wird – ein grund­le­gen­des Umden­ken in Bezug auf die bedin­gungs­lo­se Wachs­tums­ori­en­tie­rung unse­rer Gesell­schaf­ten ist in Anbe­tracht der Coro­na­kri­se kei­nes­wegs zu erken­nen. Das ver­wun­dert kaum, inso­fern als das Virus die auf Bedarfs­we­ckung und raschen Ver­schleiß ange­leg­te Pro­duk­ti­ons­wei­se nicht direkt in Fra­ge stellt. Außer­dem lehrt die Geschich­te, daß ähn­li­che »Seu­chen­wel­len« den unbe­irrt vor­wärts­rol­len­den Fort­schritts­zug nie von sei­nem wesent­li­chen Kurs haben abbrin­gen kön­nen – die ver­gleichs­wei­se töd­li­che »Spa­ni­sche Grip­pe« hat ihn nicht auf­ge­hal­ten und die etwas »mil­de­ren« Grip­pe-Pan­de­mien der mit­ein­an­der ver­wand­ten »Asia­ti­schen Grip­pe« und »Hon­kong-Grip­pe« stopp­ten ihn in den 1950ern und den 1960ern genausowenig.

Den­noch: Abge­se­hen von der sich lich­ten­den NO2-Decke über Chi­na sind auch in Eu­ropa ers­te Ent­wick­lun­gen zu beob­ach­ten, die den Druck von bestimm­ten Öko­sys­te­men neh­men wer­den. Ein ent­schei­den­der Fak­tor für die Min­de­rung der anthro­po­ge­nen Umwelt­be­las­tun­gen ist unter ande­rem der ein­schnei­den­de Rück­gang des Tou­ris­mus. Wie stark die­ser letzt­end­lich aus­fal­len wird, ist nicht zuletzt davon abhän­gig, wie lan­ge Sperr­zo­nen (sie­he aktu­ell Ita­li­en) auf­recht­erhal­ten wer­den. Für den Flug­ver­kehr sind bereits jetzt signi­fi­kan­te Ein­bu­ßen zu ver­zeich­nen: Stand 5. März blei­ben bei der Luft­han­sa 150 Flie­ger am Boden, davon 25 Lang­stre­cken­flie­ger, die unter nor­ma­len Bedin­gun­gen in der Luft wären. Dazu paßt, daß die Nach­fra­ge nach Öl im Kel­ler liegt. Die Inter­na­tio­na­le Ener­gie Agen­tur (IEA) pro­gnos­ti­ziert unter den neu­en COVID-19 Rah­men­be­din­gun­gen für 2020 erst­mals seit der Finanz­kri­se 2008 kei­nen Anstieg der Nach­fra­ge, son­dern einen Schwund – im Jah­res­ver­gleich soll sie um 90 000 Bar­rel pro Tag schrump­fen. Gesetzt den Fall, daß sich die Nach­fra­ge im zwei­ten Halb­jahr nicht wie­der nor­ma­li­siert, rech­net die IEA sogar mit einem extre­men Rück­gang von 730 000 Bar­rel je Tag.

Die­ser Abschwung wird zwar haupt­säch­lich vom Ein­bruch im geschäft­li­chen Trans­port­sek­tor ange­trie­ben, die Bedro­hungs­la­ge für die seit eini­gen Jah­ren flo­rie­ren­de Kreuz­fahrt­bran­che fügt sich in die­sen Zusam­men­hang den­noch naht­los ein. Die Unmen­gen an umwelt­schäd­li­chem Schiff­treib­stoff, einem Gemisch aus Schwer­öl und Die­sel, ver­bren­nen­den Ver­gnü­gungs­parks auf hoher See wer­den in Zei­ten der Coro­na­kri­se zu prä­de­sti­nier­ten Qua­ran­tä­ne­zo­nen. Wenn die Fahr­ten nicht rest­los ein­ge­stellt wer­den soll­ten, so müß­te zumin­dest die Nach­fra­ge emp­find­lich ein­bre­chen. Spe­zi­ell das in den Som­mer­mo­na­ten rest­los über­las­te­te Öko­sys­tem »Mit­tel­meer« wird die mons­trö­sen Käh­ne kaum ver­mis­sen. Das­sel­be gilt für die über­lau­fe­nen Fjor­de in Skan­di­na­vi­en. Zu den beschrie­be­nen Fol­gen für den Tou­ris­mus wird sich dann mit gewis­ser Ver­zö­ge­rung das nied­ri­ge, welt­wei­te Wirt­schafts­wachs­tum hin­zu­ge­sel­len, das den end­gül­ti­gen Tritt auf die Brem­se des unge­zü­gel­ten Res­sour­cen­ver­brauchs bedeu­ten wird. Setzt sich das vira­le Gesche­hen fort wie bis­her, wird die Selbst­ge­wiß­heit der moder­nen Welt für eine bestimm­te Zeit aus den Fugen gera­ten und die indus­tria­li­sier­ten Gesell­schaf­ten wer­den von der mate­ri­el­len Über­hol­spur auf den Stand­strei­fen wechseln.

Unge­ach­tet des­sen, daß die Aus­brei­tung des Coro­na­vi­rus mit hoher Wahr­schein­lich­keit kei­ne nach­hal­ti­ge Ände­rung am vor­herr­schen­den Wirt­schafts­pa­ra­dig­ma nach sich zie­hen wird, stellt die sich anbah­nen­de und in Tei­len schon ein­ge­tre­ten öko­no­mi­sche Kri­se die Sta­bi­li­tät der als alter­na­tiv­los gel­ten­den Glo­ba­li­sie­rung zuneh­mend in Fra­ge. Jeder Tag, an dem die Wer­ke in Chi­na still­ste­hen oder ein­ge­schränkt pro­du­zie­ren, führt vor Augen, wel­che Vor­tei­le regio­na­le Wirt­schafts­kreis­läu­fe gegen­über einer über­kom­ple­xen Streu­ung von Pro­duk­ti­ons­stät­ten auf glo­ba­ler Ebe­ne haben. Bricht eine regio­na­le Ein­heit weg, führt das nicht zwangs­läu­fig dazu, daß eine Ket­ten­re­ak­ti­on los­ge­tre­ten wird, bei der wei­te­re nicht direkt vom kri­sen­in­du­zie­ren­den Fak­tor betrof­fe­ne Ein­hei­ten mit öko­no­mi­schen Schwie­rig­kei­ten zu kämp­fen haben. Fer­ner brin­gen regio­na­le Lie­fer­ket­ten den Vor­teil der öko­lo­gi­sche­ren Ver­träg­lich­keit mit sich, da sie lan­ge Trans­port­we­ge obso­let wer­den las­sen. Außer­dem erhöht eine regio­na­le Orga­ni­sa­ti­on der Öko­no­mie die Kon­trol­le über die Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen – Ent­loh­nung, Arbeits­zei­ten und öko­lo­gi­sche Stan­dards sind leich­ter zu regu­lie­ren, wenn sie imme­di­är im eige­nen Zugriffs­be­reich liegen.

Sosehr die durch das Coro­na­vi­rus aus­ge­lös­te Kri­se eine ernst­haf­te Bedro­hung dar­stellt, sosehr beinhal­tet sie die Chan­ce, öko­no­mi­sche Wei­chen zu stel­len, die der glo­ba­len Mono­kul­tu­ra­li­sie­rung ent­ge­gen­wir­ken. Mit ande­ren Wor­ten: Sie bie­tet die Mög­lich­keit, eine Deglo­ba­li­sie­rung einzuläuten. 

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