Tina Uebel: Dann sind wir Helden

Möglicherweise wäre ich nie auf die Schriftstellerin, Bergsteigerin und Weltreisende Tina Uebel aufmerksam geworden.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Sie ist eine der unüber­schau­bar vie­len Kul­tur­schaf­fen­den, die so durch die Gegend wuseln, Ver­an­stal­tun­gen orga­ni­sie­ren, mit­wer­keln, publi­zie­ren. Wenn da nicht Frau Uebels ful­mi­nan­ter, erschüt­tern­der Auf­satz in der Zeit vom 13. Juni 2018 gewe­sen wäre! Er titel­te: »Der gro­ße Ver­lust. Wie die poli­ti­sche Kor­rekt­heit mei­ne Arbeit als freie Schrift­stel­le­rin ein­schränkt.« Und der bot Tache­les, er nann­te näm­lich auch Roß und Reiter.

Frau Uebel zähl­te hier man­nig­fal­ti­ge Bei­spie­le auf, wo und inwie­fern sie und Kol­le­gen von Redak­tio­nen und Lek­to­ren dar­an gehin­dert wur­den, die bereis­te Welt so dar­zu­stel­len, wie sie sich eben dar­bot. Nein, bit­te nichts über Hah­nen­kampf in Kolum­bi­en, nichts über Wal­fang bei den Inu­it und bit­te nie­mals »schwar­zen Humor«! Bit­te nicht über die Welt berich­ten, wie sie ist, son­dern nur so, wie sie sein soll­te! Die­se Frau, die die­se Gemenge­la­ge so kon­ster­niert wie belus­ti­gend dar­stell­te, war mir grund­sym­pa­thisch. Ich las mich ein. Der Gleich­klang erwies sich als trag­fä­hig. Die­se Frau mit der wil­den blon­den Mäh­ne: was für eine Men­schen­ken­ne­rin! Eine wei­te­re heim­li­che Freundin!

Nun ihr neu­er Roman: In ihn stol­pert man ein wenig hin­ein, das Buch wirkt zunächst kon­fus. Wir haben hier a) Kath­rin, qua­si ent­sorg­te, also über­flüs­sig gewor­de­ne Mut­ter und Ehe­frau, die mit ihrem schüch­tern begon­ne­nen Video­ka­nal (»Auf mei­ner Veran­da«) voll durch­star­tet: gefüh­li­ges All­tags­ge­la­ber, aber mas­sen­kom­pa­ti­bel. Es hagelt Likes und Fol­lower. Dann haben wir b) Jero, einen Berg­füh­rer durch die Schwei­zer Alpen. Manch­mal beglei­tet er Fami­li­en, gele­gent­lich ehr­gei­zi­ge Sport­ler auf ihren Tou­ren. Jero weiß, daß die­se Gip­fel nicht »cool« sind und sel­fie­taug­lich. Sie sind im Grun­de: men­schen­feind­lich, wenigs­tens igno­rant, stum­me Herr­scher. Den­noch geht Jero wert­schät­zend mit sei­ner Kli­en­tel um. Er ist ein Pro­fi. Dann haben wir c) Jürg Bel­tra­ne, einen Moti­va­ti­ons­coach, der göt­ter­gleich ver­ehrt wird, eine Figur wie aus einem Juli-Zeh-Roman. Er spricht sei­ne Bot­schaf­ten hier zwi­schen­durch ein. Er tut es sehr authen­tisch. Es geht um Belan­ge wie »Mut«, »Risi­ko« oder »Freu­en«. Bel­tra­ne sorgt für Empower­ment: Du willst es? Du schaffst es! d) geht es um Ruth, im per­sön­li­chen Mit­tel­al­ter, kin­der­los. Sie war offen­kun­dig erfolg­rei­che Power­frau in Ham­burg. Jetzt zieht sie wan­dernd und stur »gen Osten«. Sie geht, nein klet­tert an ihre Gren­zen. Sie wird sie viel­fach über­schrei­ten. Sie ist nicht gewapp­net, sie ist nur zäh und opfer­wil­lig. Zuletzt haben wir e) Simon. Er ist der Sohn von a) Kath­rin. Noch-Schü­ler, hoch­be­gabt. Für Mama »der Klei­ne«, tat­säch­lich längst erfah­ren in man­cher Hin­sicht. Er wird anläß­lich der G 20-Pro­tes­te in Ham­burg zu gro­ßer Form auf­lau­fen. Er wird auf die Knie fal­len vor die­sem einen Mann, der inmit­ten des Cha­os vor einer Ampel ste­hen­bleibt und auf Grün war­tet. Denn in Wahr­heit ist der über­rei­fen­de Sinn und jeg­li­ches Kor­sett allen hier längst abhan­den gekommen.

Lose Fäden ver­bin­den unse­re fünf Prot­ago­nis­ten. Wir fin­den sieb­zig knap­pe Kapi­tel vor, in einem Buch, das letzt­lich zu einem Sog wird. Bei Jeros meist sport­li­chen Kli­en­ten geht es oft um Höhen­angst und um unter­schied­li­che Arten der Schwä­che: »Jero weiß, daß jen­seits der Angst die voll­kom­me­ne Frei­heit liegt, und nur dort.« Die­se Leu­te hier wagen den Schritt. Ihr Schei­tern ist, wenn, dann fast hero­isch. Ein gran­dio­ser Roman!

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Tina Uebel: Dann sind wir Hel­den. Roman, Mün­chen: C.H. Beck 2021. 269 S., 23 €

 

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Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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