Thomas Rohkrämer: Martin Heidegger

von Till Kinzel -- Thomas Rohkrämer: Martin Heidegger. Eine politische Biographie, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2020. 297 S., 39.90 €

Wen­det man sich Heid­eg­ger zu, gibt es heu­te grund­ver­schie­de­ne Ansät­ze:… Man kann ihn nach wie vor – um von lang­wei­li­ger Apo­lo­gie zu schwei­gen – als gro­ßen Phi­lo­so­phen lesen, man kann ihn wohl­feil poli­tisch denun­zie­ren oder psy­cho­lo­gisch patho­lo­gi­sie­ren, man kann ihn aber auch his­to­risch kontextualisieren.

Letz­te­res unter­nimmt cum gra­no salis der in Eng­land leh­ren­de His­to­ri­ker Tho­mas Roh­krä­mer, dem es empha­tisch nicht um Heid­eg­gers phi­lo­so­phi­sche Ori­gi­na­li­tät geht, son­dern um die Ein­ord­nung in die Kul­tur sei­ner Zeit. Nicht die Aus­nah­me­erschei­nung Heid­eg­ger steht daher im Vor­der­grund, son­dern der­je­ni­ge Heid­eg­ger, der in viel­fa­cher Ver­bin­dung zu Ten­den­zen sei­ner Zeit stand. Das Grund­pro­blem ist also, wie ein als Unzeit­ge­mä­ßer gehan­del­ter (und sich auch so insze­nie­ren­der) Den­ker zugleich doch eine so erstaun­li­che Reso­nanz fin­den konn­te – und zwar über poli­ti­sche Sys­te­me und Zeit­geist­wand­lun­gen hin­weg. Damit steht Roh­krä­mer auch gegen eine auf den Natio­nal­so­zia­lis­mus ver­eng­te Sicht­wei­se, die es oft genug unter­nimmt, Heid­eg­ger »von all­ge­mei­nen Prin­zi­pi­en oder der Gegen­wart her den Pro­zess zu machen«. Das hin­dert den Autor jedoch nicht dar­an, selbst zu erklä­ren, Heid­eg­gers Phi­lo­so­phie habe die­sen »nicht vor grund­sätz­lich fal­schen poli­ti­schen Posi­tio­nie­run­gen« geschützt, was ja nichts ande­res bedeu­tet, als Heid­eg­ger von all­ge­mei­nen Prin­zi­pi­en her zu kri­ti­sie­ren. Wie pro­ble­ma­tisch das ist, erhellt leicht dar­aus, daß es nicht schwer­fällt, zahl­rei­che Phi­lo­so­phen der Gegen­wart zu fin­den, die auch nicht durch ihre Phi­lo­so­phie vor »fal­schen Posi­tio­nie­run­gen« geschützt werden.

Für Roh­krä­mer besteht aber die ent­schei­den­de Her­aus­for­de­rung dar­in zu ver­ste­hen, »wie­so ein poli­tisch frag­wür­di­ger Phi­lo­soph zugleich gehalt­vol­le und pro­duk­ti­ve Gedan­ken ent­wi­ckeln konn­te«. Man könn­te aber genau­so gut und viel­leicht mit mehr Recht fra­gen, »wie­so nicht?« Seit wann hängt die Pro­duk­ti­vi­tät eines Den­kers von den zeit­be­ding­ten poli­ti­schen Mei­nun­gen ab, die er auch noch hat­te? Denn auch wenn die Ver­bin­dun­gen Heid­eg­gers zu einem moder­ni­täts­kri­ti­schen und kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­nä­ren Gedan­ken­gut evi­dent sind, erscheint der Kern sei­ner Zeit­kri­tik oft nur zufäl­lig mit einer »rech­ten« Opti­on ver­bun­den zu sein. Das gehalt­vol­le und pro­duk­ti­ve Den­ken Heid­eg­gers hat sein Gewicht des­halb, weil es sich sehr wohl auf rea­le Pro­ble­me bezieht, die zwar nicht vor­schnell, letzt­lich aber eben doch beant­wor­tet wer­den müs­sen. Wenn Heid­eg­ger die Mas­sen­ge­sell­schaft mit ihrem Kon­for­mis­mus ana­ly­siert, sieht Roh­krä­mer dar­in die »Atti­tü­de des eli­tä­ren und kul­tur­kri­ti­schen Man­darins«, obwohl er selbst erkennt, daß sich Ador­nos Kri­tik der mani­pu­la­ti­ven Kul­tur­in­dus­trie davon nicht signi­fi­kant unter­schei­det. Und ein Kon­text Heid­eg­gers ist hier weni­ger die zeit­ge­nös­si­sche, als viel­mehr die schon bei Kier­ke­gaard ent­fal­te­te Kulturkritik.

Roh­krä­mer skiz­ziert nun in gro­ben Zügen, ohne sich all­zu­sehr auf phi­lo­so­phi­sche Details ein­zu­las­sen oder gar neue Quel­len zu erschlie­ßen, die Ent­wick­lung Heid­eg­gers von einem stark im katho­li­schen Milieu ver­an­ker­ten Theo­lo­gen zum »heim­li­chen König« (Han­nah Are­ndt) der Phi­lo­so­phie, des­sen Sein und Zeit sich sehr wohl in die »Ver­hal­tens­leh­ren der Käl­te« im Sin­ne Lethens ein­ord­nen läßt.

Schließ­lich fei­er­te Heid­eg­ger nach dem zeit­wei­sen Enga­ge­ment zuguns­ten des Natio­nal­so­zia­lis­mus (den Roh­krä­mer als in sich durch­aus diver­sen »Glau­bens­raum« erkennt) sein phi­lo­so­phi­sches Come­back als Den­ker der Gelas­sen­heit und als Kri­ti­ker der Tech­nik. Hier aber war Heid­eg­ger auch kei­nes­wegs beson­ders zeit­ty­pisch, da er, wie Roh­krä­mer zeigt, sich deut­lich von den­je­ni­gen Kon­ser­va­ti­ven unter­schied, die wie Frey­er, Geh­len und Schelsky ihren Frie­den mit der Indus­trie­ge­sell­schaft gemacht hat­ten. Anders auch als Kla­ges oder Fried­rich Georg Jün­ger habe sich Heid­eg­ger gegen eine Dämo­ni­sie­rung der Tech­nik gestellt.

Roh­krä­mer hält es zurecht für »nicht sinn­voll, Ähn­lich­kei­ten und Unter­schie­de zwi­schen Heid­eg­ger und dem Natio­nal­so­zia­lis­mus zu bestim­men, indem man sich auf bestimm­te Begrif­fe und Kon­zep­te kon­zen­triert«, denn die­se Details der NS-Welt­an­schau­ung inter­es­sier­ten den Den­ker gar nicht. Ihm ging es viel­mehr um die »Dyna­mik, mit der die Bewe­gung eine neue his­to­ri­sche Situa­ti­on her­vor­brach­te.« An die­sem Punkt kommt auch die Dif­fe­renz Heid­eg­gers zu jedem Kon­ser­va­tis­mus zum Tra­gen, wenn er bei der Erör­te­rung von Feind­be­stim­mun­gen von dem Grund­er­for­der­nis spricht, den Feind nicht nur zu fin­den, son­dern »gar erst zu schaf­fen«. Auch Roh­krä­mer muß aber trotz eini­ger anti­se­mi­ti­scher Aus­sa­gen in den Schwar­zen Hef­ten vor allem um 1940 her­um kon­sta­tie­ren, daß Heideg­ger in sei­nen öffent­li­chen Äuße­run­gen kei­nen Anti­se­mi­tis­mus zum Aus­druck bringt. Auf­fäl­lig ist zudem, daß die meis­ten »Haß­ti­ra­den« Heid­eg­gers sich auf Chris­ten­tum und Katho­li­zis­mus bezo­gen, wes­halb er auch katho­li­sche Habi­li­tan­den wie Gus­tav Sie­werth und Max Mül­ler als welt­an­schau­li­che Fein­de ansah.

Roh­krä­mers Dar­stel­lung, die viel Bekann­tes resü­miert, ist dort am stärks­ten, wo sie auf die Ambi­va­len­zen in Heid­eg­gers Tex­ten auf­merk­sam macht, etwa im Ursprung des Kunst­werks; denn hier erzeugt der Phi­lo­soph eine »Sug­ges­ti­vi­tät gleich­sam poe­ti­scher Natur, die auch jene Anschluß­fä­hig­keit« begrün­det, die erst im Akti­vis­mus des NS und dann auch in der Gelas­sen­heits­rhe­to­rik der spä­te­ren Jah­re eine jeweils völ­lig ande­re Gestalt anneh­men konnte.

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