Was waren die Themen, die Schreiborte, die Protagonisten? Die Deutungselite, die Wahrnehmungsavantgarde? Ein kiloschweres Mammutwerk wurde uns bezüglich dieser Fragestellungen hinterlassen. Sein Autor, der westdeutsche Historiker Axel Schildt (1951 – 2019), starb vor dessen Vollendung.
Hätte er uns Lesern per final cut ein paar hundert Seiten erlassen, wenn es in seinem Ermessen gelegen hätte? Er hätte gut daran getan! Wir lesen: Er saß seit 2010 an diesem Buch. Nun finden wir Kraut und Rüben vor, und über 2700(!) schlechtsortierte Fußnoten. Schildt rezipierte schlichtweg »alles« (zwar einseitig, doch dazu gleich), und bis zu seinem Tod kam er mit der Sondierung kaum hinterher. Dazu kommt: Schildts Ausblick über die »Medienintellektuellen« endet in den späten sechziger Jahren. Er sollte eigentlich die Nachkriegszeit bis 1989 umfassen. Zwei von knapp viereinhalb Jahrzehnten fehlen also. Schildts Ehefrau Gabriele Kandzora und sein Kollege Detlef Siegfried haben die Edition notdürftig besorgt. Sie haben es allzu skrupulös getan. Sie haben weder (vielfältige) Redundanzen getilgt noch dort eingegriffen, wo es nötig gewesen wäre. Beide weisen übrigens darauf hin, daß sich Schildt auf jenem berüchtigten Historikertag in Münster 2018 noch einmal »klar gegen rechts« (sic) positioniert habe.
Trotz alledem stehen wir vor einem lesenswerten, immerhin elegant geschriebenen Sammelsurium. Zahlreiche bisher unbekannte Fundstücke inklusive: Wie verortete sich Ernst von Salomon gegenüber seinem Freund, dem Publizisten Alfred Kantorowicz, noch 1947? »Annoncieren Sie mich getrost als das, was ich wirklich bin, als einen Vertreter des Neuen Nationalismus der dreißiger Jahre. Ich habe keinen Grund, mich zu genieren. Heute bin ich ein Vertreter der fünften Zone, der deutschen Zone, der Deutschen, die in der Zerstreuung leben.«
Es gibt drei Großkapitel, wo es gut und gerne zehn hätten sein können. Sie lauten: I. Die Neuordnung des intellektuellen Medienensembles in der Nachkriegszeit, II. Einübung des Gesprächs – Intellektuelle in den Medien der frühen Bundesrepublik und III. Die Intellektuellen in der Transformation der »langen 60er Jahre«. Allein sämtliche dor tabgedruckten Passagen über den Linkskatholiken Walter Dirks würden eine eigene Monographie hergeben! Dirks firmiert hier– eher unversehens, da kaum erkenntnisleitend, zumal die »linkskatholische Wende« gar nicht aufgearbeitet wird – qua Quantität als Hauptfigur. Hochinteressant ist das Kapitel über das Radio als zentrales Medium der re-education.
Der elitär-konservative Wolfgang Frommel hatte bereits 1933/34 Radiosendungen bestritten. Doch richtig los im neuen Medium ging es erst ab 1947 mit dem vielgehörten intellektuellen »Nachtprogramm« des staatlich subventionierten Rundfunks. Im Bayerischen Rundfunk wurde es das »Problemstudio« genannt. Im NWDR, dem Nordwestdeutschen Rundfunk, –das schildert Schildt schön – entbrannte bald ein jahrelanger Lagerkampf. Konservative wie Otto Strasser und Klaus Mehnert empfanden den Sender (»Kommune, Spanienkämpfer, Soldatensender Calais, pornographische Abteilung«) als »kommunistisch durchsetzt«. Übrigens brachten die Sender entgegen der Legende vom »großen Schweigen« bereits 1950 umfangreiche Sendungen zum Thema Antisemitismus.
Interessant auch dieser Befund: wie die Bedeutung der Professoren gegenüber den »Schriftstellerintellektuellen« Jahr für Jahr abnahm. Oder dies: der »Dualismus von Geist [Frankfurt] und Macht [Bonn]«. Das relevante Thema der »Deutungselite« entgleitet Schildt jedoch regelmäßig. Er kommt nicht zum Punkt. Er sammelt nur an und trifft teils ziellose Abwägungen, die oft mehr Unterstellungen sind. Carl Schmitt ein »NS-Aktivist«? Der »reaktionäre Katholik« Gerd-Klaus Kaltenbrunner als einflußreicher Herausgeber der Herderbücherei Initiative firmiert hier als »Klaus-Peter«. Das Buch des rechtskonservativen Hans Zehrer, Der Mensch in dieser Welt (1948), wurde 55000 mal verkauft – laut Schildt vermochte dieses Werk aber wegen »unerträglicher Verquastheit« nicht zu »reüssieren«. Einmal gilt der Spiegel Schildt für »wenig intellektuell«, wenige Zeilen später dessen Lektüre aber als Ausweis von Intellektualität. Der Autor hantiert durchweg mit eigenartigen Maßstäben.
Ohnehin wird anhand Schildts Diktion deutlich: Wo Rechte sich zu Wort melden, wird »schwadroniert«, »fabuliert«, »lamentiert« oder »sich inszeniert«. Linke Vordenker hingegen »geben zu bedenken« oder »schalten sich ein«. Als »geistiger Mentor« von Schildt firmiert übrigens der marxistische Politologe Wolfgang Abendroth. Insofern wundert hier manches nicht: Arnold Gehlen findet sich in diesem Überblick über Medienintellektuelle mit einem einzigen Werk, Linke wie Kurt Sontheimer, Peter Brückner oder Richard Faber hingegen dutzendfach. Ein definitiv wirksamer »Medienintellektueller« wie Gerhard Löwenthal kommt gar nicht vor – wohl aber, und zwar in der Rolle des Dissidenten, ausgerechnet Karl-Eduard von Schnitzler! Frauen, so bemerkt Schildt zu Recht, hatten mit Ausnahme von Marion Gräfin Dönhoff damals nichts zu vermelden.
In der Jüdischen Allgemeinen vom 7. Januar 2021 wurde vermerkt, daß Schildt hier die »bemerkenswerte Radio- und Zeitschriftenpräsenz jüdischer Intellektueller« sichtbar gemacht habe, ohne sie explizit hervorgehoben zu haben. Es wäre eine irrwitzige Aufgabe, danach zu gewichten.
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Axel Schildt: Medienintellektuelle in der Bundesrepublik, Wallstein 2021. 896 S., 46 €
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