Felix Dirsch: Rechtskatholizismus – ein typologischer Überblick

von Sophie Liebnitz -- Der Philosoph, Politikwissenschaftler und Theologe Felix Dirsch ist ein ausgewiesener Kenner der katholischen Sozialphilosophie.

Mit dem vor­lie­gen­den schma­len, aber außer­or­dent­lich inhalts­rei­chen Band legt er einen Über­blick über das Titel­the­ma vor, der dem Leser his­to­ri­sche und sys­te­ma­ti­sche Ori­en­tie­rung bie­tet. Zunächst über­rascht sei­ne Erläu­te­rung des Katho­li­zis­mus-Begriffs: Wäh­rend im all­täg­li­chen Sprach­ge­brauch kaum zwi­schen »katho­li­scher Kir­che« und K. unter­schie­den wird, bestimmt er letz­te­ren als his­to­ri­sche Reak­ti­on auf den Umbruch der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on, also als ver­gleichs­wei­se jun­ges Phänomen.

Erst aus der fol­gen­den »Aus­dif­fe­ren­zie­rung in ver­schie­de­ne Teil­sys­te­me« ent­steht eine »Span­nung, die eine Inter­es­sen­ver­tre­tung für Katho­li­ken nötig macht.« Die­se ist nicht iden­tisch mit der Amts­kir­che, die den Auto­no­mie­be­stre­bun­gen von Lai­en oft­mals kri­tisch gegen­über­steht. Dirsch betont, daß die Kir­che sich auf­grund ihrer Fähig­keit zur »Com­ple­xio Oppo­si­torum« (Carl Schmitt) grund­sätz­lich sowohl mit lin­ken als auch mit rech­ten Strö­mun­gen ver­bin­den kann. Vor­aus­set­zung ist aller­dings, daß die­se sich »nicht aus­schließ­lich auf äußer­lich-hier­ar­chi­sche Struk­tu­ren« kapri­zie­ren und dabei wesent­li­che Glau­bens­in­hal­te ver­nach­läs­si­gen. Letz­te­res führ­te 1926 zur Zurück­wei­sung von Charles Maur­ras’ Action fran­çai­se durch Papst PiusXI.

Dirsch arbei­tet die natür­li­che Nähe zwi­schen kon­ser­va­ti­vem Den­ken und Katho­li­zis­mus beson­ders in Hin­blick auf die katho­li­sche Sozi­al­leh­re und die gemein­sa­me kri­ti­sche Anthro­po­lo­gie her­aus, die stets auf die Fehl­bar­keit und die »Ergän­zungs­be­dürf­tig­keit« des Men­schen abhebt. Er hebt her­vor, daß die anthro­po­lo­gi­sche Aus­rich­tung der katho­li­schen Sozi­al­leh­re auf Gemein­wohl und »wech­sel­sei­ti­ge Unter­stüt­zungs­be­dürf­tig­keit« der Men­schen dem uni­ver­sa­lis­ti­schen Huma­nis­mus den Boden ent­zieht. Das ist, im Augen­blick von des­sen schein­bar end­gül­ti­gem Tri­umph, ein gutes Argu­ment für eine ein­ge­hen­de­re Beschäf­ti­gung mit die­sem Lehr­ge­bäu­de. Ein auf die­se Klä­rung fol­gen­der his­to­risch-typo­lo­gi­scher Teil stellt vier Typen von Rechts­ka­tho­li­zis­mus vor, die ers­ten drei anhand ihrer bedeu­ten­den Ver­tre­ter, den letz­ten unter der Über­schrift »demo­kra­ti­scher Rechts­ka­tho­li­zis­mus der Gegen­wart«. Es ist trau­rig und bezeich­nend, daß die­sem kein gro­ßer Name zuge­ord­net wer­den kann.

His­to­risch mar­kiert ein ord­nungs­po­li­tisch ori­en­tier­ter K. den Beginn, für den die Zeit­ge­nos­sen der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on, Joseph de Maist­re und Lou­is de Bonald, ste­hen. Die Ideen von de Mai­s­tres von der Kir­che zunächst unge­lieb­tem Trak­tat Du Pape (1819) gin­gen spä­ter in das Ers­te Vati­ka­num ein. Dirsch beschreibt Bonald inter­es­san­ter­wei­se als frü­hen Ver­tre­ter eines sozia­len Funk­tio­na­lis­mus (hier ver­lau­fen mög­li­cher­wei­se Ver­bin­dungs­li­ni­en zu einem nicht reli­gi­ös argu­men­tie­ren­den Den­ker wie Luh­mann). Der zwei­te Abschnitt wid­met sich nach einem gro­ßen his­to­ri­schen Sprung dem spa­ni­schen Diplo­ma­ten Juan Dono­so Cor­tés und Carl Schmitt. Ers­te­ren cha­rak­te­ri­siert Dirsch als den »Den­ker des exis­ten­ti­ell-dezi­sio­nis­tisch ein­ge­färb­ten K. des 19. Jahr­hun­derts par excel­lence.« (Hier drängt sich ein Ver­gleich mit Kier­ke­gaard auf.) Hell­sich­tig ist die Libe­ra­lis­mus­kri­tik des Spa­ni­ers, die sich an des­sen Unfä­hig­keit zu exis­ten­ti­el­len Ent­schei­dun­gen sowie am Über­hang des Dis­kur­si­ven fest­macht (Dirsch weist zu Recht dar­auf hin, daß die­ser Punkt unter ver­schie­de­nen Vor­zei­chen bei Haber­mas und Schmitt wiederkehrt).

Einen ganz ande­ren Aspekt wie­der­um ver­kör­pert der öster­rei­chi­sche Staats­theo­re­ti­ker und Volks­wirt­schaft­ler Oth­mar Spann, des­sen Den­ken in fas­zi­nie­ren­der Wei­se die orga­ni­zis­ti­schen Anschau­un­gen der Roman­tik wie­der­be­lebt. Dirsch ord­net ihn unter »rechts­ka­tho­li­scher Uni­ver­sa­lis­mus und die Suche nach der ver­lo­re­nen Ganz­heit­lich­keit« ein. Spann ist damit, unge­ach­tet sei­ner katho­li­schen Posi­tio­nie­rung, ein typisch moder­ner Den­ker, denn die Moder­ne ist wesent­lich gekenn­zeich­net durch die rast­lo­se Suche nach einer real oder ver­meint­lich ver­lo­re­nen Tota­li­tät, ein Motiv, das in der Roman­tik sei­nen Ein­stand gibt und danach bis heu­te nie wie­der abge­tre­ten ist. Den Rechts­ka­tho­li­zis­mus der Gegen­wart beschreibt Dirsch in Hin­blick auf sei­nen demo­kra­ti­schen Cha­rak­ter und den fast ver­zwei­fel­ten Wider­stand gegen den »Ver­fall basa­ler Ord­nungs­struk­tu­ren«. Sein Über­blick ist dabei so gehalt­voll wie depri­mie­rend und lei­tet zum abschlie­ßen­den Aus­blick auf die heu­te anste­hen­den »pri­mä­ren Auf­ga­ben« über.

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Felix Dirsch: Rechts­ka­tho­li­zis­mus. Ver­tre­ter und geschicht­li­che Grund­li­ni­en – ein typo­lo­gi­scher Über­blick, 2020. 112 S., 17,95 €

 

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