Nämlich Details über die einigermaßen verrückte (Brief-) Freundschaft zwischen dem (einst enorm populären) jüdischen Dichter und linken Antifaschisten Erich Fried (1921 – 1988) und dem bekennenden Neonazi Michael Kühnen (1955 – 1991). Diese Liaison ist seit langem bekannt, wenigstens den speziell Interessierten.
Der Kultursoziologe Thomas Wagner (*1967) gilt aufgrund verschiedener Veröffentlichungen (etwa Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten, 2017) als Linker, der irgendwie »rechtsoffen« – sprich, diskursinteressiert – ist. Als Autor spürt Wagner hier dem Fall Fried/Kühnen nach. Kühnen war damals, Januar 1983, von der ARD-Talkshow III nach 9 kurzfristig ausgeladen worden. Es hatte um die »Gefahr eines neu aufflammenden Rechtsextremismus« gehen sollen. Die Moderatorin und Wannabe-Jüdin Lea Rosh war von Anfang an gegen die Einladung Kühnens gewesen. Fried, damals Diskussionsgast, fand es hingegen »falsch und kleinkariert«, Kühnen auszuladen. Vor dem TV-Studio gab es damals »antifaschistische« Kundgebungen gegen den Auftritt Kühnens. Auf einem der Schilder stand – heute anrührend – »Freundschaft mit Ausländern!«
Das ist aus heutiger Sicht eine doppelt verrückte Parole – zumal Kühnen in seinen (homo-) sexuellen Beziehungen ganz ausweislich ein »Ausländerfreund« war, und zwar nicht nur zum eigenen Vergnügen. Daß Kühnen sich vehement für ein Bleiberecht seines jungen thailändischen Freundes einsetzte, bleibt hier zwar unerwähnt, nicht aber das generelle sexuelle Begehren. Fried, knapp 35 Jahre älter als sein Brieffreund, bekennt sich zwar zu »ausgeprägter Polygamie«, Kühnen hingegen war einfach schwul, er starb an Aids. Die gegenseitige Anziehung dürfte außerkörperlich gewesen sein. Fried jedenfalls fand damals, daß man »natürlich« mit »Nazis« reden dürfe: »Auch sie würden lachen und weinen«.
Autor Wagner entspinnt uns nun, dem geplatzten Fernsehauftritt folgend, einen beiderseits sehr nahbaren, langjährigen Briefwechsel zwischen dem Dichter Fried und SA-Fan Kühnen. Sie entdecken Gemeinsamkeiten: Beide erklären sich als»antibürgerlich«, »antikapitalistisch« etc. 1985 läßt Fried den dann inhaftierten Neonazi wissen: »Du bedeutest mir viel, auch wenn ich Dich nie von etwas überzeugen konnte. Das ist so, wie wenn ich meinen Kindern sage: ›Das ist meine Meinung; tust Du aber das Gegenteil, so bedeutest Du mir noch genau so viel, und ich werde Dir immer noch zu helfen versuchen‹.« Ein Wunder – Wagner läßt die rezente Debatte und Fragestellung »Mit Rechten reden?« offen. Es gibt hier keinen Bezug zum Heute. Einerseits geht das völlig in Ordnung. Es gibt nämlich keine Fährte von Kühnens NS-Phantasien zu denen, die heute als »Neue Rechte« tituliert werden.
Die daueraktuelle Frage, ob man (= die linksliberalen Großmedien) »mit Rechten« reden solle, hat so gut wie nichts zu tun damit, ob man sich mit echten Neo-Nationalsozialisten auf Diskussionen einlassen solle. Wagner klammert auch die zigzehntausendfach angeklickten, gewissermaßen »geerdeten« Gespräche zwischen dem ghanaischen Entertainer Nana Domena und dem »Rechtsrocker« Frank Krämer (»Stahlgewitter«) aus, die vielleicht eine Parallele böten. Es geht hier ausschließlich um Fried, Kühnen und das damalige Umfeld. Das ist lesenswert – aber doch eine Orchidee im luftleeren Raum.
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Thomas Wagner: Der Dichter und der Neonazi. Erich Fried und Michael Kühnen. Eine deutsche Freundschaft, Stuttgart 2021. 172 S., 20 €
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