»Welche Zeit fändest Du eigentlich am schönsten?«, fragte mich eine Tochter jüngst. Sie hatte gerade eine komplizierte und (so läuft es heute) »persönliche« Frage zum Thema Absolutismus zu beantworten. Wir leben in erzwungenen Heimbeschulungszeiten. Ich habe »Geschichte auf Lehramt« studiert, aber beizeiten– nach dem ersten Staatsexamen – erkannt, daß meine pädagogische Ader nicht auf Masse geht. Ich bin daher keine Lehrerin geworden. Gerade muß ich es sein.
Was wäre meine »Traumzeit« im historischen Bogen? Schwierig. Ich glaube, daß mich jede Zeit eines Backlashes besonders interessiert: sei es der Wiener Kongreß, sei es das Biedermeier oder die Konservative Revolution, um nur die Neuzeit zu beleuchten. Es fasziniert mich, wenn die Geschichte einen Rückwärtssalto macht. Vermutlich muß man ein gewisses Temperament oder einen besonderen Trotz in sich haben, um diese Gedankenfigur nachzuvollziehen. Es ist die Figur des Katechon, des Großen Aufhalters, die hier wirksam ist.
Diese Figur begibt sich durch das Bild mit den beiden Frauen gewissermaßen in Niederungen. Die Niederung, also die triviale Gestalt, ist in diesem Fall ein sogenanntes Meme. Ein Meme ist die bildliche und internetförmige Manifestation eines Kulturphänomens. Es geht dabei nicht um Zwischentöne, sondern um »das Eigentliche«, das in zugespitzter Verdichtung dargebracht wird.
Hier geht es um die plakative Gegenüberstellung zweier weiblicher, zeitgenössischer Typen. Auf der einen Seite haben wir die »befreite« Feministin. Auf der anderen die sogenannte Tradwife. Das ist die junge Frau, die gemäß überkommener traditioneller Prinzipien und Gültigkeiten lebt. Für Schattierungen und Nuancen (ohne die es eigentlich langweilig ist) ist in einer solchen Gegenüberstellung kein Platz. Warum nicht? Erstens funktionieren Memes nun mal so. Sie polarisieren. Zweitens: Hier geht es wirklich ums »Ganze«. Die »Frauenrolle« ist kein »Gedöns« (Gerhard Schröder). Sie ist essentiell. Entwicklungspsychologisch, bindungstheoretisch, gesamtgesellschaftlich. Sie ist die Hefe jeglichen Wachstums – kulturübergreifend. Nun: Haben wir denn echtmenschliche Vorbilder für unsere »befreite Feministin«, wie sie hier (nicht neutral, sondern genrebedingt abschreckend) dargestellt ist? Oh ja, und wie: massenhaft! Sie sind nicht immer tätowiert und haben nicht ausschließlich schwarze Liebhaber – aber der Tendenz nach paßt es. Die Zeichnung trifft. Jeder, der in Universitätsstädten zugange war oder auch nur Massenmedien konsumiert, kennt diesen Typus. Die »befreite Feministin« mit all ihren dressierten Vorlieben und Gemengelagen ist omnipräsent.
Die Tradwife hingegen bewegt sich ein wenig unter dem Radar. Früher hat man sie mit den Tätigkeitsbereichen »Kinder-Küche-Kirche« zu brandmarken versucht. Das klappt heute nicht mehr so gut. Frauen, die brotbackend und Kleinkinder-auf-dem Rücken-tragend ein souveränes, kümmerndes Leben führen, sind heute in »alternativen« Kreisen und darüber hinaus hoch angesehen. Die Mischung aus »cool« und »oldschool« ist dabei wahrhaft prickelnd.
Die Bezeichnung und das Phänomen Tradwife war bereits in der Vor-Corona-Ära aktuell. In den Nullerjahren reüssierte die Kalifornierin Laura Doyle mit diversen erfolgreichen Buchtiteln, deren bekanntester The Surrendered Wife (dt. ebenfalls 2001, Einfach schlau sein, einfach Frau sein) lautete. Doyle, die jahrelang unter scharfem Beschuß durch Feministinnen stand, forderte Frauen beispielsweise auf, »unnötige Kontrolle über den Ehemann« fahrenzulassen, dem Mann »in jedem Aspekt der Ehe zu trauen – finanziell wie sexuell«, und letztlich die »Goldene Regel«:»Lobe deinen Mann – und sage ihm, wenn du glücklich bist.« Das klang damals wie heute deutlich aus der Zeit gefallen, eine wahrhaft tolle Provokation.
Derzeit reklamiert die »Tradi-Frau« neue Relevanz für sich. »Trying to be a man is a waste of a woman«, heißt er derzeit auf Tradwife-Kanälen: »Wenn du versuchst, wie ein Mann zu sein, verschwendest du deine Weiblichkeit!« Ich habe bei Google »Corona Frau traditionell« eingegeben und über drei Millionen Treffer erhalten. Die meisten Fundstücke sehen die angestammte und angeblich wiederauferstandene »Frauenrolle« kritisch und laufen auf zwei Argumentationsstränge hinaus:
Erstens: Die armen Frauen seien es, die die derzeitige Krise bewältigten. Die Schlagzeile »Knapp 90 Prozent der systemrelevanten Berufe werden von Frauen ausgeübt« machte die Runde durch die Systemmedien. Zweitens: Frauen würden durch die Pandemie in alte Rollenmuster zurückgeführt. Leider!
Erstens ist Quatsch. Ja, über 80 Prozent der Supermarktkassiererinnen sind weiblich. Sie kassierten vor, kassieren während und werden nach der Coronazeit kassieren. Das ist löblich, aber doch am Ende, pardon, kaum der Rede wert. Es ist nicht so, daß irgendein weiblicher Genius zum Kassieren oder Regaleeinräumen vonnöten sei. Man kann das alles recht schnell lernen. Ja: auch »mann« wäre hier einfach einzuweisen. Und ja, die überdeutliche Mehrzahl der Pflegekräfte ist weiblich. Sie verdienen nicht besonders gut. Das ist schlecht. Durch die Freihaltung zahlreicher Betten für etwaige Corona-Patienten, die dann nicht eintrafen, hatten sie gerade in Deutschland derzeit eher wenig zu tun. Man darf sich dazu gern im Bekanntenkreis erkundigen, in Ost wie West.
Was heißt also »systemrelevant«? Ist, wer das berühmte Konglomerat »Gas-Wasser-Scheiße« reguliert, nicht systemrelevant? Wer die Kraftwerke am Laufen hält? Wer die Serverleistungen reguliert? Wer auch »in diesen Zeiten« Autos richtet, das Handy repariert, den Wasserschaden am Haus begrenzt und den Müll abholt? Leute, Ihr habt Euch verrechnet. Das sind fast alles Tätigkeitsfelder dieser dumm gescholtenen Spezies namens Mann. Alle Brücken, die Ihr nutzt, alle Fernseh- und Netzwerktechniken, die Ihr konsumiert, alle Brummifahrer, die Euch Tomaten, Hygieneartikel und Joghurt liefern: grosso modo komplett Männerwerk. Laßt es 95 Prozent sein.
Nun wird auch, ad zweitens, vielfach beklagt, daß Frauen angesichts der Krise in »alte Rollenmuster« zurückfielen. Es seien die Frauen, denen nun das traurige Los der Kinderbetreuung und ‑unterrichtung zufiele. Daneben sei leider zu beobachten daß »es kaum weibliche Expertinnen gibt, die über Virus, Ansteckung und das Hochfahren der Wirtschaft sprechen«. Ein fieser Trick des Patriarchats? Eine aktuelle Studie der University of California stellte gar fest, daß »die Bedrohung durch das Sars-CoV-2-Virus sowie die damit verbundenen Maßnahmen in den Befragten die Zustimmung zu traditionellen Geschlechterrollen und ‑stereotypen verstärkten, zumindest in geringem Ausmaß.« Schock! Soll das heißen, daß wir gerade auf »Normalmaß« zurückzufallen drohen?
Die Publizistin Laila Mirzo hatte diese »Neue-Feminismus-Debatte« in einer Ende-Mai-Ausgabe der Jungen Freiheit aufs Korn genommen. Sie kritisierte zurecht, daß sich nun maßgebliche Grünen-Politiker wie Robert Habeck anläßlich der »Krise« einer Verschwörungstheorie gegen die Frauenemanzipation befleißigten. Habeck, klagend: »Die Frauen bleiben mal schön zu Hause. Das war doch die unausgesprochene Voraussetzung für den Shutdown.« Mirzo unkt, daß im Gegenteil die »Corona-Krise sogar als Sternstunde der Frauen« gelten dürfe. Für sie sind »Verkäuferinnen, Krankenschwestern oder Altenpflegerinnen und alle Mütter« die »modernen Trümmerfrauen, die unser Land am Laufen halten«.
Gut gemeint. Nur, Fakt: Frauen in diesen zu großen Teilen anlernbaren Berufen sind recht leicht austauschbar. Bleibt die Mutter. Neudeutsch die Tradwife. Sie klagt nicht. Sie ist einfach da. Unverrückbar. Ich liebe Retro-Zeiten.