Macht und Propaganda

von Lothar Fritze -- PDF der Druckfassung aus Sezession 96/ Juni 2020

For­men der Machtausübung

Macht mißt sich an der Fähig­keit, beab­sich­tig­te Wir­kun­gen her­vor­zu­brin­gen. In gesell­schaft­li­chen Zusam­men­hän­gen frei­lich ist vor allem die Macht über ande­re Men­schen von Inter­es­se. Mit John Ken­neth Gal­braiths las­sen sich drei Macht­for­men unterscheiden.

1. REPRESSIVE MACHT beruht auf der Andro­hung von Straf­maß­nah­men oder ihrem tat­säch­li­chen Voll­zug. Ein Ein­zel­ner oder eine Grup­pe sol­len dazu gebracht wer­den, die Ver­fol­gung bestimm­ter Prä­fe­ren­zen oder Zie­le auf­zu­ge­ben. Sank­tio­nen kön­nen in ganz unter­schied­li­cher Form auf­tre­ten. Neben phy­si­schen Bestra­fun­gen kom­men auch psy­cho­lo­gi­sche Metho­den in Betracht, die mit der Andro­hung nega­ti­ver psy­chi­scher Fol­gen ver­bun­den sind. Zurück­wei­sung, Ableh­nung, Lächer­lich­ma­chung, mora­li­sche Kri­tik und der Ent­zug von Respekt sind nur eini­ge. Im Fal­le von Dif­fa­mie­rung und Stig­ma­ti­sie­rung geht es dar­um, Anse­hens­ver­lust oder Aus­gren­zung zu bewir­ken. Über repres­si­ve Macht ver­fügt, wer mit unan­ge­neh­men Fol­gen wir­kungs­voll dro­hen kann und die gewünsch­te Unter­wer­fung tat­säch­lich erreicht. Repres­si­ve Macht ver­setzt den Betrof­fe­nen in die Situa­ti­on, sich für eine der Optio­nen ent­schei­den zu müs­sen. Auch wenn der Betrof­fe­ne inso­fern eine freie Wahl trifft, hat er die­se Wahl doch nicht frei­wil­lig, son­dern in einer her­bei­ge­führ­ten Zwangs­si­tua­ti­on not­ge­drun­gen getrof­fen. Repres­si­ve Macht zielt auf ein gewünsch­tes (äuße­res) Ver­hal­ten, ohne daß der Sich-Ver­hal­ten­de mit dem Inhalt sei­nes Ver­hal­tens inner­lich über­ein­stim­men müßte.

Die Dif­fa­mie­rung bestimm­ter Ansich­ten und Stand­punk­te sowie die scho­nungs­lo­se Stig­ma­ti­sie­rung derer, die sich zu ihnen beken­nen, macht nicht nur jedem klar, was man lie­ber nicht sagt, son­dern was man sagen muß, um sei­ne per­sön­li­chen Zie­le unter der Herr­schaft des hege­mo­nia­len Ideen­sys­tems errei­chen zu kön­nen. Die Macht des kul­tu­rel­len Hege­mons äußert sich auf die­se Wei­se als kom­pen­sa­to­ri­sche Macht.

2. KOMPENSATORISCHE MACHT beruht auf der Inaus­sichts­tel­lung und Ver­tei­lung von Beloh­nun­gen. Die vom Macht­ha­ber gewünsch­te Unter­wer­fung in Gestalt von Wohl­ver­hal­ten wird durch eine aus­glei­chen­de Ver­gü­tung erzielt. Die­se Ver­gü­tung kann in vie­len For­men »bezahlt« wer­den: finan­zi­el­le Zuwen­dun­gen, Son­der­rech­te, Kar­rie­re­chan­cen, Ämter und Pos­ten, Auf­nah­me in eli­tä­re Zir­kel, loben­de Erwäh­nun­gen etc. Der Betrof­fe­ne wird dazu ver­lei­tet, sich in gewünsch­ter Wei­se zu ver­hal­ten. Wie auch repres­si­ve Macht, erzeugt kom­pen­sa­to­ri­sche Macht ledig­lich äuße­re Kon­for­mi­tät. Setzt der Macht­ha­ber sei­nen Wil­len durch, indem er für Gehor­sam Kom­pen­sa­tio­nen anbie­tet, ist der Ein­zel­ne genö­tigt, sich zwi­schen Kar­rie­re und Authen­ti­zi­tät zu ent­schei­den. Ent­schei­det er sich für die Kar­rie­re, bleibt nicht nur die Anstän­dig­keit auf der Stre­cke. Es ist ein Akt der frei­wil­li­gen und bewuß­ten Selbstunterwerfung.

Ein gewünsch­tes Ver­hal­ten läßt sich aber auch ohne die Andro­hung und den Voll­zug von Sank­tio­nen sowie die Ver­tei­lung von Gra­ti­fi­ka­tio­nen erzeu­gen. Dazu müs­sen die­Über­zeu­gun­gen und der Wil­le der Men­schen in geeig­ne­ter Wei­se beein­flußt und geformt wer­den. Hier­für kom­men ver­schie­de­ne Mit­tel und Metho­den in Betracht. Es han­delt sich hier­bei um Instru­men­te zur Erzeu­gung kon­di­tio­nier­ter Macht.

3. KONDITIONIERTE MACHT beruht auf der geziel­ten Len­kung bzw. Erzeu­gung von Gefüh­len, Wün­schen, Gedan­ken und Mei­nun­gen sowie der Aus­lö­sung ent­spre­chen­der Ver­hal­tens­wei­sen. Sie mani­fes­tiert sich in ver­än­der­ten Bewußt­seins- und Über­zeu­gungs­in­hal­ten. Kon­di­tio­nier­te Macht erzeugt Kon­for­mis­mus, inspi­riert gewünsch­te Ent­schei­dun­gen, lenkt das Ver­hal­ten in bestimm­te Rich­tun­gen und greift damit auf das Inne­re des Men­schen zu. Der kul­tu­rel­le Hege­mon gewinnt kon­di­tio­nier­te Macht, indem es ihm gelingt, mensch­li­che Ver­hal­tens­dis­po­si­tio­nen sei­nen Vor­stel­lun­gen ent­spre­chend zu akti­vie­ren oder sei­ne ideo­lo­gi­schen Inhal­te in die Über­zeu­gungs­be­stän­de mög­lichst vie­ler Herr­schafts­un­ter­wor­fe­ner zu über­füh­ren. Kon­di­tio­nier­te Macht hat, wer sub­ver­si­ves Den­ken zu durch­kreu­zen und wider­stän­di­ges Han­deln zu unter­bin­den vermag.

Kon­di­tio­nier­te Macht äußert sich in der Fähig­keit, den Wil­len ande­rer in einer Wei­se zu beein­flus­sen, daß sich die­se dem beein­flus­sen­den Wil­len, gleich ob bewußt oder unbe­wußt, frei­wil­lig unter­wer­fen. Es han­delt sich um eine Form der Abrich­tung. Die herr­schen­den Ideen sol­len dabei nicht nur for­mal ver­tre­ten, sie müs­sen inner­lich aner­kannt wer­den. Kon­di­tio­nier­te Macht gilt den Kon­di­tio­nier­ten als legi­ti­me Macht. Einem legi­ti­mier­ten Macht­ha­ber leis­tet man aus eige­nen Stü­cken und im (ver­meint­li­chen) Selbst­in­ter­es­se Gehor­sam. Der Kon­di­tio­nier­te sieht sei­ne Gehor­sams­leis­tung nicht als Unter­wer­fung. Sein Ver­hal­ten stimmt mit sei­nen eige­nen, vom Macht­ha­ber gezielt her­aus­ge­bil­de­ten Über­zeu­gun­gen überein.

Dog­ma­ti­sie­rung der poli­tisch-mora­li­schen Grundorientierung

Kul­tu­rel­le Hege­mo­nie gewinnt man durch die For­mung der öffent­li­chen Mei­nung. Dazu müs­sen die ent­spre­chen­den Ideen in die öffent­li­chen Debat­ten ein­ge­speist, in den Mas­sen­me­di­en per­ma­nent prä­sen­tiert und mög­lichst vie­le über­zeugt wer­den. Am erfolg­reichs­ten ist man, wenn es gelingt, sie als selbst­ver­ständ­li­ches Gedan­ken­gut eines ver­nünf­tig den­ken­den und mora­lisch anstän­di­gen Men­schen zu ver­kau­fen. Ideen müs­sen zudem Mul­ti­pli­ka­to­ren fin­den; sie müs­sen in Netz­wer­ken kur­sie­ren und pro­mi­nen­te, wir­kungs­vol­le Ver­tre­ter fin­den. Ideen wer­den mäch­tig, indem sie von Mäch­ti­gen pro­pa­giert werden.

Die der­zeit domi­nie­ren­de poli­tisch-media­le Eli­te legt es aber nicht nur dar­auf an, für ihre Ideen und Pro­blem­lö­sungs­vor­schlä­ge zu wer­ben; ihr geht es viel­mehr dar­um, ihre poli­tisch-mora­li­sche Grund­ori­en­tie­rung jeg­li­cher Infra­ge­stel­lung durch alter­na­ti­ve Denk­an­ge­bo­te zu ent­zie­hen. Das Haupt­mit­tel, die­se Ver­ab­so­lu­tie­rung durch­zu­set­zen, besteht dar­in, die gleich­be­rech­tig­te öffent­li­che Ver­tre­tung der kol­lek­ti­vis­ti­schen und mora­lisch-par­ti­ku­la­ris­ti­schen Grund­ori­en­tie­rung zu ver­hin­dern und die in gro­ßen Tei­len der Bevöl­ke­rung ver­brei­te­te Über­zeu­gung von der (par­ti­el­len) Berech­ti­gung die­ser Grund­ori­en­tie­rung mit Metho­den der Mani­pu­la­ti­on, der Ein­schüch­te­rung und der mora­li­schen Des­avou­ie­rung zu unter­mi­nie­ren. Die­se Eli­te kämpft nicht nur um die kul­tu­rel­le, son­dern die ideo­lo­gi­sche Hege­mo­nie; sie zielt dar­auf ab, das eige­ne Über­zeu­gungs­sys­tem als eine Ideo­lo­gie zu eta­blie­ren. Ihre Stel­lung als ideo­lo­gi­scher Hege­mon wird sie aller­dings nur dann sta­bi­li­sie­ren kön­nen, wenn es ihr gelingt, die­se kon­kur­rie­ren­de Grund­ori­en­tie­rung als mit »unse­ren Wer­ten« unver­träg­lich abzu­wei­sen. Dies gelingt am bes­ten, wenn sie in das Reich des Undenk­ba­ren, des Inhu­ma­nen, des Bösen ver­wie­sen wird.

Der Kampf um die ideo­lo­gi­sche Hege­mo­nie erlaubt kei­ne ergeb­nis­of­fe­ne, ratio­na­le Dis­kus­si­on. Denn in einer sol­chen Dis­kus­si­on wür­de deut­lich wer­den, daß man auch für Hand­lungs­op­tio­nen ratio­nal argu­men­tie­ren kann, die mit einer kol­lek­ti­vis­ti­schen und par­ti­ku­la­ris­ti­schen Grund­ori­en­tie­rung über­ein­stim­men. Des­halb gilt es fest­zu­hal­ten: Die kos­mo­po­li­ti­sche, indi­vi­dua­lis­ti­sche und mora­lisch-uni­ver­sa­lis­ti­sche Ein­stel­lung– die auf die umfas­sen­de Beach­tung der Men­schen­rech­te, die all­ge­mei­ne Aner­ken­nung west­li­cher Wer­te, die Über­win­dung grup­pen­so­li­da­ri­schen Ver­hal­tens, die Auf­lö­sung eth­nisch und kul­tu­rell homo­ge­ner Abstam­mungs­ge­sell­schaf­ten sowie die Über­tra­gung natio­na­ler Sou­ve­rä­ni­täts­rech­te an supra­na­tio­na­le Ein­hei­ten, Insti­tu­tio­nen und Orga­ni­sa­tio­nen zielt – ist nicht nur schlecht­hin zur poli­tisch-mora­li­schen Grund­ori­en­tie­rung der herr­schen­den Eli­te gewor­den; viel­mehr wird die­ses Ideen­sys­tem vom domi­nie­ren­den Teil der poli­ti­schen und media­len Eli­te – unter Nut­zung staat­li­cher Res­sour­cen – einer kri­ti­schen Infra­ge­stel­lung und Dis­kus­si­on ent­zo­gen und ist auf­grund der damit ver­bun­de­nen Dog­ma­ti­sie­rung zu einer Ideo­lo­gie verkommen.

Ideen­sys­te­me wer­den zu Ideo­lo­gien auf zwei Wegen: Ers­tens dadurch, dass ihre Ver­tre­ter sie in einem Modus der Unbe­dingt­heit und Aus­schließ­lich­keit pro­pa­gie­ren und für unan­greif­bar, kor­rek­tur­un­be­dürf­tig und revi­si­ons­re­sis­tent erklä­ren – also durch eine bestimm­te Ein­stel­lung, die ihre Prot­ago­nis­ten zu ihren eige­nen Über­zeu­gungs­in­hal­ten haben. Zwei­tens dadurch, daß sie durch die bestehen­den Macht­ver­hält­nis­se in der betref­fen­den Gesell­schaft der Kri­tik und einer mög­li­chen Revi­si­on ent­zo­gen wer­den oder jeden­falls ent­zo­gen wer­den sol­len – also durch eine bestimm­te Ein­stel­lung, die die­sen Ideen gegen­über inner­halb eines Herr­schafts­sys­tems vor­ge­schrie­ben oder von den Herr­schafts­un­ter­wor­fe­nen als ver­pflich­tend emp­fun­den wird. Ob einem Ideen­sys­tem die Qua­li­tät des Ideo­lo­gi­schen zuzu­schrei­ben ist, mißt sich nicht an sei­nem Inhalt, den Ideen selbst, son­dern der Art ihrer Vertretung.

Der Staat als Erzie­her und Propagandist

Wie alle Staa­ten set­zen auch Welt­an­schau­ungs­dik­ta­tu­ren auf repres­si­ve und kom­pen­sa­to­ri­sche Macht. Cha­rak­te­ris­tisch für Welt­an­schau­ungs­dik­ta­tu­ren ist jedoch, daß der Staat als Erzie­her und Pro­pa­gan­dist auf­tritt. Als ideo­lo­gie­ge­lei­te­te Sys­te­me set­zen sie zudem auf eine ideo­lo­gie­kon­for­me geis­ti­ge Beein­flus­sung der Herr­schafts­un­ter­wor­fe­nen, mit­hin auf kon­di­tio­nier­te Macht. Aller­dings steht die­se Herr­schafts­me­tho­de auch demo­kra­ti­schen Ver­fas­sungs­staa­ten offen.

Tat­säch­lich erle­ben wir der­zeit, wie die poli­tisch-media­le Eli­te des Lan­des ihre Macht­po­si­tio­nen in Poli­tik, Wirt­schaft und Gesell­schaft nutzt, um die Mei­nungs- und Über­zeu­gungs­bil­dung der Wäh­ler im Sin­ne ihrer poli­tisch-mora­li­schen Grund­ori­en­tie­rung zu beein­flus­sen. Trotz Fort­be­stehens der insti­tu­tio­nel­len Vor­aus­set­zun­gen einer frei­heit­li­chen Gesell­schaft ist der Bür­ger mit einer nahe­zu ein­heit­li­chen Pro­pa­gan­da kon­fron­tiert. Die­se Ver­hält­nis­se konn­ten sich eta­blie­ren, weil die poli­tisch-media­le Klas­se – trotz aller sons­ti­gen Mei­nungs­dif­fe­ren­zen – eine rela­tiv klar umris­se­ne Agen­da ver­folgt, sich also inso­fern »gleich­ge­schal­tet« hat, und auf dem Weg ist, sich zum ideo­lo­gi­schen Hege­mon auf­zu­schwin­gen. Das Ziel die­ser Bemü­hun­gen ist es, das eige­ne Ideen­sys­tem als herr­schen­de Ideo­lo­gie zu eta­blie­ren und eine ent­spre­chen­de Bewußt­seins­bil­dung der Mas­sen zu bewerk­stel­li­gen. Wider­spruch sowohl gegen die herr­schen­den Ideen als auch die ange­wen­de­ten Herr­schafts­me­tho­den wird sanktioniert.

Unter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen ist all dies in einem demo­kra­ti­schen Staat mög­lich? Es ist mög­lich, wenn Jour­na­lis­ten, Wis­sen­schaft­ler sowie auch Poli­ti­ker sich gegen­sei­tig beob­ach­ten und beein­flus­sen, Leit­fi­gu­ren fol­gen und sich oppor­tu­nis­tisch anpas­sen. Dies ist mitt­ler­wei­le bei vie­len The­men der Fall. Sie bil­den gleich­sam eine sich selbst bestär­ken­de Glau­bens­ge­mein­schaft, hal­ten aber, so Hans Mathi­as Kepp­lin­ger, trotz inten­si­ver Kol­le­gen­be­ob­ach­tung an der Illu­si­on fest, ihre Urtei­le auto­nom zu bil­den. Sie orga­ni­sie­ren Netz­wer­ke, um sich gegen­sei­tig zu decken und zu pro­mo­ten. Zur Her­aus­bil­dung eines engen Mei­nungs­spek­trums bedarf es jeden­falls kei­ner Zensur.

Die wich­tigs­ten deut­schen Medi­en bil­den einen ton­an­ge­ben­den media­len Haupt­strom, der hin­sicht­lich der Infor­ma­ti­ons­aus­wahl und der mei­nungs­bil­den­den Bewer­tun­gen mehr Gemein­sam­kei­ten als Unter­schie­de auf­weist. Dif­fe­ren­zen erwei­sen sich in der Haupt­sa­che als Mei­nungs­un­ter­schie­de inner­halb der­sel­ben poli­tisch-mora­li­schen Grund­ori­en­tie­rung. Um sich in Deutsch­land aus­ge­wo­gen zu infor­mie­ren, ist eine aus­schließ­li­che Inan­spruch­nah­me von »Main­stream­m­e­di­en« nicht mehr sinnvoll.

Die­se Main­stream­m­e­di­en »defi­nie­ren« allein durch die Aus­wahl der The­men und die Art und Wei­se ihrer Bericht­erstat­tung einen Mei­nungs­kor­ri­dor, der in den letz­ten Jah­ren erkenn­bar enger gewor­den ist. Die­sen Kor­ri­dor der gleich­sam »erlaub­ten« Mei­nun­gen zu ver­las­sen, wird mit Iso­la­ti­on und Stig­ma­ti­sie­rung bestraft. Die Straf­an­dro­hung erzeugt besag­ten Kon­for­mi­täts­druck. Kon­for­mi­täts­druck, und dies ist für das Ver­ständ­nis von Demo­kra­tien wesent­lich, kann nicht nur von einer gesell­schaft­li­chen Mehr­heit aus­ge­hen, son­dern eben­so von einer ideo­lo­gisch domi­nie­ren­den Min­der­heit, die über den nöti­gen Rück­halt in den Medi­en ver­fügt. Über Medi­en­macht kann repres­si­ve Macht aus­ge­übt werden.

Medi­en­macht kann aber eben­so in kon­di­tio­nier­te Macht umge­setzt wer­den. Denn auch unter demo­kra­ti­schen Ver­hält­nis­sen ist es mög­lich, den Wäh­ler zu kon­di­tio­nie­ren und in einer von der Eli­te gewünsch­ten Wei­se ideo­lo­gisch zu infil­trie­ren. Daher ist auch in Demo­kra­tien mit Ver­su­chen einer mehr oder weni­ger geziel­ten »Gehirn­wä­sche« zu rech­nen. Bei anders­den­ken­den Bür­gern wird sich dann das Gefühl ein­stel­len, unab­läs­sig belehrt und erzo­gen zu wer­den. In Welt­an­schau­ungs­dik­ta­tu­ren sind es die Staats­or­ga­ne selbst, die eine Pro­pa­gan­da im Geis­te der Sys­tem­ideo­lo­gie betrei­ben; unter demo­kra­ti­schen Ver­hält­nis­sen ist es das agi­ta­to­ri­sche Wir­ken einer poli­tisch-media­len Eli­te, das auf­grund einer ein­heit­li­chen ideo­lo­gi­schen Aus­rich­tung als Indok­tri­na­ti­on wahr­ge­nom­men wer­den kann.

Bei allen gro­ßen The­men der letz­ten Jah­re – Beur­tei­lung der EU-Erwei­te­rungs- und Inte­gra­ti­ons­po­li­tik, der Ener­gie­wen­de­po­li­tik, der Euro-Ret­tungs­po­li­tik, der Migra­ti­ons­po­li­tik, der »Klimarettungs«-Politik, des Brexit, des gegen­wär­ti­gen ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten und sei­nes Vor­gän­gers – war zu beob­ach­ten, wie sich ein ideo­lo­gi­scher Gleich­klang bei der Bericht­erstat­tung in den domi­nie­ren­den Medi­en her­aus­bil­de­te. Dies bedeu­tet nicht, daß alter­na­ti­ve Sicht­wei­sen nicht geäu­ßert wer­den durf­ten und über­haupt nicht auf­tauch­ten. Die Exis­tenz eines Main­streams ist in einer plu­ra­lis­ti­schen Medi­en­land­schaft durch­aus mit dem spo­ra­di­schen Vor­kom­men alter­na­ti­ver Mei­nun­gen ver­ein­bar. Ent­schei­dend ist, daß kri­ti­sche Per­spek­ti­ven, die die herr­schen­den Mei­nun­gen frag­lich wer­den las­sen könn­ten, mar­gi­na­li­siert und abwei­chen­de Posi­tio­nen ver­ächt­lich gemacht wer­den. Die oft zu hören­de Behaup­tung, auch abwei­chen­de Mei­nun­gen kämen in der Bericht­erstat­tung der Leit­me­di­en vor, ist in der Sache rich­tig, wird aber dem Phä­no­men der von einem poli­tisch-media­len Kom­plex prak­ti­zier­ten Pro­pa­gan­da nicht gerecht. Wenn näm­lich die wich­tigs­ten und die meis­ten Medi­en eines Lan­des die Poli­tik der Regie­rung unter­stüt­zen und die weni­gen oppo­si­tio­nel­len Stim­men per­ma­nent dis­kre­di­tie­ren, fin­det allein durch die kon­zer­tier­te mora­li­sche Her­ab­wür­di­gung regie­rungs­kri­ti­scher Auf­fas­sun­gen eine Mei­nungs­ma­ni­pu­la­ti­on statt.

Die öffent­lich-recht­li­chen Medi­en der Bun­des­re­pu­blik haben publi­zis­ti­sche Viel­falt und Aus­ge­wo­gen­heit zu garan­tie­ren. Die­sen For­de­run­gen ist nur dadurch nach­zu­kom­men, daß alle rele­van­ten legi­ti­men Posi­tio­nen glei­cher­ma­ßen Dar­stel­lung fin­den. Jour­na­lis­ten haben daher die Pflicht, neu­tral zu berich­ten, das heißt Nach­rich­ten über Äuße­run­gen und Hand­lun­gen nicht mit Wer­tun­gen zu ver­set­zen. Sobald Men­schen es aus Iso­la­ti­ons­furcht unter­las­sen, ihre Stand­punk­te öffent­lich zu ver­tre­ten, setzt jene, eine frei­heit­li­che Gesell­schaft zer­stö­ren­de, Dyna­mik ein, die Eli­sa­beth Noel­le-Neu­mann als »Schwei­ge­spi­ra­le« bezeich­net hat – die Her­aus­bil­dung einer »schwei­gen­den« Bevöl­ke­rungs­mehr­heit, deren Über­zeu­gun­gen durch die domi­nie­ren­den Medi­en dif­fa­miert werden.

Der geka­per­te Staat

Was ihre poli­tisch-mora­li­sche Grund­ori­en­tie­rung anlangt, schwim­men gro­ße Tei­le der Poli­tik und der Leit­me­di­en auf der­sel­ben Wel­le. Sie ver­fol­gen ähn­li­che Ziel­vor­stel­lun­gen und agie­ren sinn­gleich. Der Staat wur­de von ähn­lich den­ken­den Kräf­ten unter­wan­dert. Die­se Akteu­re sit­zen in den Insti­tu­tio­nen des Staa­tes, den Redak­tio­nen der Mas­sen­me­di­en, auf den Lehr­stüh­len der geis­tes- und gesell­schafts­wis­sen­schaft­li­chen Fakul­tä­ten und teil­wei­se sogar in den Vor­stän­den gro­ßer Kon­zer­ne. Dies recht­fer­tigt es, von einem »poli­tisch-media­len Kom­plex« zu spre­chen, der den Staat und den öffent­li­chen Mei­nungs­bil­dungs­pro­zeß fak­tisch kontrolliert.

Regie­rungs­kri­ti­ker haben kaum Mög­lich­kei­ten, sich in den Leit­me­di­en zu arti­ku­lie­ren; oppo­si­tio­nel­le Kräf­te kön­nen sich außer­halb des Par­la­ments nicht ange­mes­sen prä­sen­tie­ren; die Ent­schei­dungs­trä­ger müs­sen sich öffent­lich nicht ver­ant­wor­ten. Die Regie­rung hat nicht nur aus­rei­chend media­le Rücken­de­ckung, um eige­ne Fehl­leis­tun­gen zu bemän­teln und vor allem zu »beschwei­gen«, sie wird auch nicht zur Rechen­schaft gezo­gen. Je wir­kungs­vol­ler Kri­ti­ker mund­tot gemacht wer­den, um so häu­fi­ger kom­men die Ent­schei­dungs­trä­ger mit ihrem Ver­sa­gen ein­fach durch – eben weil es in den wich­ti­gen Medi­en nicht wirk­lich benannt, geschwei­ge denn ange­pran­gert wird. Die­se neh­men ihre Kon­troll­funk­ti­on selek­tiv wahr.

Daß die ein­zi­ge tat­säch­li­che Oppo­si­ti­ons­par­tei, eine Par­tei, mit deren Grund­an­lie­gen im Hin­blick auf die natio­na­le und kul­tu­rel­le Selbst­be­haup­tung ein beträcht­li­cher Teil des Vol­kes sym­pa­thi­sie­ren dürf­te, die AfD, von allen ande­ren im Par­la­ment ver­tre­te­nen Par­tei­en in einer Art »natio­na­ler Front« aus­ge­grenzt und zum inne­ren Feind erklärt wird, unter­gräbt sowohl das Ver­trau­en des Bür­gers in die demo­kra­ti­schen Insti­tu­tio­nen als auch die Insti­tu­ti­on der Oppo­si­ti­on selbst – eine in der Demo­kra­tie, neben dem Rechts­staat, ent­schei­den­de Siche­rung gegen Tyran­nei. Die Oppo­si­ti­on for­mu­liert den Wider­spruch gegen die Regie­rungs­po­li­tik und zer­stört die Illu­si­on der Alter­na­tiv­lo­sig­keit. Solan­ge eine Oppo­si­ti­on als Par­tei – abge­se­hen also von ver­ein­zel­ten Mit­glie­dern – auf dem Boden der Ver­fas­sung kämpft, ist ihre Aus­gren­zung, die zudem inner­par­tei­li­che Ten­den­zen zur Radi­ka­li­sie­rung ver­stär­ken kann, eine poli­ti­sche Tor­heit son­der­glei­chen. Zudem soll­te man nicht ver­ken­nen, daß die Stig­ma­ti­sie­rung einer Par­tei die Stig­ma­ti­sie­rung ihrer Wäh­ler impliziert.

Daß dar­über hin­aus die Ent­schei­dungs­pro­zes­se wich­ti­ger Wei­chen­stel­lun­gen im Dun­keln blei­ben, wird eben­falls nicht the­ma­ti­siert und von der poli­ti­schen Klas­se auch nicht als ein demo­kra­ti­sches Defi­zit wahr­ge­nom­men. Weit­rei­chen­de Ent­schlüs­se wer­den mit­un­ter kaum erläu­tert und nur not­dürf­tig begrün­det. Die­se Pra­xis unter­gräbt das in einer Demo­kra­tie not­wen­di­ge Ver­trau­en des Vol­kes in die Serio­si­tät und Gemein­wohl­ori­en­tiert­heit der poli­tisch Mäch­ti­gen. Schließ­lich wird von den Herr­schafts­un­ter­wor­fe­nen erwar­tet, daß sie die Geset­ze ein­hal­ten und auch Ent­schei­dun­gen akzep­tie­ren, die nicht ihren Wün­schen entsprechen.

Mit welch unzu­rei­chen­den Erklä­run­gen der Bür­ger abge­speist wird, war auch in der Coro­na-Kri­se zu beob­ach­ten. Poli­ti­sche Amts­trä­ger benah­men sich nicht wie Ver­tre­ter des Vol­kes, son­dern wie Vor­mün­der und Erzie­hungs­be­rech­tig­te. Die mas­si­ven Grund­rechts­ein­schrän­kun­gen, die Bun­des­re­gie­rung und Lan­des­re­gie­run­gen erlas­sen haben, hät­ten – gera­de auch wegen der pre­kä­ren Infor­ma­ti­ons­la­ge – detail­liert und nach­voll­zieh­bar begrün­det wer­den müs­sen. In einer sol­chen Begrün­dung hät­te die Fak­ten­ba­sis der Ent­schei­dung offen­ge­legt und eine Prü­fung der Taug­lich­keit, Erfor­der­lich­keit und Ver­hält­nis­mä­ßig­keit der Mit­tel vor­ge­legt wer­den müs­sen. Dar­über hin­aus wäre zu erwar­ten gewe­sen, daß man Fal­si­fi­ka­ti­ons­kri­te­ri­en nennt – also im vor­aus sagt, beim Ein­tritt wel­cher Ent­wick­lun­gen man das gewähl­te Vor­ge­hen für geschei­tert oder über­flüs­sig hiel­te. Selbst über offen­kun­di­ge Stra­te­gie­wech­sel wur­de nicht informiert.

Infor­ma­ti­ons­pflich­ten der Regie­rung resul­tie­ren zudem aus dem poli­ti­schen Mit­wir­kungs­recht, das jedem Bür­ger in der Demo­kra­tie zusteht. Denn Infor­ma­tio­nen sind eine Grund­la­ge für Ent­schei­dun­gen. Tat­säch­lich wer­den dem Bür­ger Infor­ma­tio­nen selek­tiv und dosiert zuge­teilt – und zwar so, daß er kei­ne nicht-gewünsch­ten Schluß­fol­ge­run­gen zieht. Dem Wahl­volk wird miß­traut, und Bür­ger wer­den nicht wie Erwach­se­ne behan­delt. Dies wird zu Recht als ein Angriff auf die eige­ne Wür­de emp­fun­den. Wür­de­ver­let­zun­gen aber rufen Reak­tio­nen des Zorns her­vor und soll­ten von Regie­run­gen tun­lichst ver­mie­den wer­den. Dem poli­tisch-ideo­lo­gi­schen Hege­mon jedoch schei­nen sol­che Über­le­gun­gen gänz­lich fremd zu sein. Er läßt kei­ne Gele­gen­heit unge­nutzt, die Grä­ben in der Gesell­schaft wei­ter zu vertiefen.

Alles dies ist mög­lich, weil es öffent­lich nicht auf Wider­spruch stößt. Und es kann auf kei­nen ver­nehm­ba­ren Wider­spruch sto­ßen, weil die ein­fluß­rei­chen Medi­en ent­we­der auf eine sub­ti­le Wei­se indi­rekt vom Staat oder von gro­ßen, zum Teil trans­na­tio­nal täti­gen, pri­va­ten Kon­zer­nen kon­trol­liert wer­den, die sich eben­falls der Agen­da der poli­ti­schen Eli­ten ver­schrie­ben haben. Die Tech­ni­ken der Mas­sen­be­ein­flus­sung sor­gen dafür, daß die­se Macht­ver­hält­nis­se nicht ins Bewußt­sein der Herr­schafts­un­ter­wor­fe­nen tre­ten und des­halb hin­ge­nom­men wer­den. Wah­len sind unter die­sen Bedin­gun­gen nicht mehr fair. Die Demo­kra­tie gerät zu einer Schein­ver­an­stal­tung, in der die jeweils domi­nie­ren­de Eli­te an den Schalt­he­beln des geka­per­ten Staa­tes sitzt.

Die poli­tisch-media­le Klas­se nutzt ein gan­zes Arse­nal ver­schie­de­ner Kampf­me­tho­den, nicht nur um ihre Macht zu sta­bi­li­sie­ren, son­dern um Wider­spruch gegen ihre Agen­da, ja selbst die blo­ße Infra­ge­stel­lung ihrer Illu­sio­nen zu unter­bin­den. Sie unter­gräbt bewußt und absicht­lich die Vor­aus­set­zun­gen einer gleich­be­rech­tig­ten demo­kra­ti­schen Mit­spra­che. Sie betreibt ein Infor­ma­ti­ons­ma­nage­ment und mani­pu­liert die öffent­li­chen Dis­kus­sio­nen. Sie erzeugt Unmut und Gegen­re­ak­tio­nen. Undif­fe­ren­zier­te und einer Prü­fung nicht stand­hal­ten­de Klas­si­fi­zie­run­gen poli­ti­scher Geg­ner als »Nazis« oder »Faschis­ten« wer­den selbst von höchs­ten Amts­trä­gern aggres­siv vor­ge­tra­gen. Die poli­ti­sche Klas­se hat mit ihren Fehl­ent­schei­dun­gen – spe­zi­ell im Zuge der Euro-Ein­füh­rung, der Euro-Ret­tungs­po­li­tik und der Migra­ti­ons­kri­se – sich selbst und das gan­ze Land in eine Lage manö­vriert, in der sie zu Mit­teln und Metho­den grei­fen zu müs­sen glaubt, die die Mise­re nur ver­schlim­mern können.

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