Unterlegenheit und Widerstand

von Stephan Siber --PDF der Druckfassung aus Sezession 96/ Juni 2020

Der Mensch, der sich in einer Situa­ti­on gezwun­gen sieht, Wider­stand zu leis­ten, ist jenen Kräf­ten, die sich ihm in den Weg stel­len, zunächst immer unter­le­gen. Unter­le­gen­heit ist die Aus­gangs­si­tua­ti­on des Wider­stands­kämp­fers – Wider­stand setzt Unter­le­gen­heit vor­aus. Oder anders gesagt: Der­je­ni­ge, der in die Lage gerät, Wider­stand leis­ten zu müs­sen, ist zunächst gar nicht in der Lage, Wider­stand zu leis­ten, und er ist es um so weni­ger, je mehr er sich durch sei­nen erzwun­ge­nen Auf­ent­halt im Zen­trum der Zir­kum­val­la­ti­on – auch den rings­um auf­ge­stell­ten Trup­pen­kranz einer Umschan­zung nennt man im Latei­ni­schen coro­na –, aus der es kein Ent­kom­men zu geben scheint, dazu auf­ge­ru­fen fühlt.

Ist dann aber, wenn Wider­stand Unter­le­gen­heit vor­aus­setzt, nicht jeder Wider­stand zweck­los? Nein, ganz im Gegen­teil: Gera­de hier­durch wird sein Zweck über­haupt erst gesetzt. Kraft und Wider­stand, Ago­nist und Ant­ago­nist sind Kor­re­lat­be­grif­fe. Das eine kann ohne das ande­re nicht sein, bei­de set­zen ein­an­der im wech­sel­sei­ti­gem Ergän­zungs­ver­hält­nis jeweils vor­aus und bedür­fen ein­an­der, um über­haupt erst so etwas wie Ent­wick­lung ermög­li­chen zu kön­nen. Ex nega­tivo hilft hier der phi­lo­so­phi­sche Begriff der Kon­tin­genz wei­ter, wel­cher das »Nicht­not­wen­di­ge und zugleich Nicht­un­mög­li­che« bezeich­net, inso­fern es hier dar­um geht, das Mög­li­che zu voll­brin­gen, damit das Not­wen­di­ge und zugleich Unmög­li­che erreicht wer­den kann. Gera­de dar­in besteht der Auf­trag des auf­grund sei­ner Unter­le­gen­heit zum Wider­stand Auf­ge­ru­fe­nen: Das­je­ni­ge zu tun, was unmög­lich ist, aber gera­de des­halb ver­sucht wer­den muß, weil es not­wen­dig ist. Gera­de Immi­nenz – das dro­hen­de Her­an­na­hen einer erkann­ten Gefahr – kann hier zu Emer­genz füh­ren, den Blick auf unbe­kann­te Poten­tia­le frei­le­gen und das Iner­schei­nung­tre­ten nicht nur unver­füg­ba­rer, son­dern für unmög­lich gehal­te­ner Fähig­kei­ten ermög­li­chen. Der Unter­le­ge­ne darf also gera­de hier nicht deser­tie­ren. Er muß den unauf­lös­li­chen Wider­spruch die­ses zu sei­nen eige­nen Unguns­ten dis­pa­ra­ten Kräf­te­ver­hält­nis­ses hin­neh­men und aus­hal­ten – aus­hal­ten ler­nen: nicht weil er dies an sich müß­te, son­dern weil er ansons­ten nicht mehr viel mit jenem Typus Mensch zu tun hät­te, um den es hier geht.

Das Ertra­gen­kön­nen der Span­nung ist neben der Unter­le­gen­heit eine wei­te­re Vor­aus­set­zung sei­ner Fähig­keit zum Wider­stand. Aber nicht thymós im Sin­ne von »Trieb, Gemüts­wal­lung, Zorn« oder gar óxy­thymía (Jäh­zorn) soll­te dabei im Vor­der­grund ste­hen (hier wäre die Gefahr zu groß, auf sich anbie­ten­de Köder her­ein­zu­fal­len), son­dern viel­mehr makro­thymía – Lang­mut, die hier als Hilfs­tu­gend des Stark­muts (for­ti­tu­do) von ent­schei­den­der Bedeu­tung ist. Eine beson­ders prä­zi­se und knap­pe Defi­ni­ti­on die­ser Kar­di­nal­tu­gend der Tap­fer­keit fin­det sich im Cham­bers Dic­tion­a­ry: »for­ti­tu­de: cou­ra­ge in endu­rance«, »Mut in Aus­dau­er« – eine affekt­be­frei­te Tap­fer­keit also, die ihre Wider­stands­kraft aus lang­mü­ti­gem, beherrsch­tem Ertra­gen­kön­nen schöpft.

Das unglei­che Kräf­te­ver­hält­nis, aus dem die­se kraft »Muts in Aus­dau­er« zu ertra­gen­de Span­nung resul­tiert, läßt sich auf meh­re­ren Ebe­nen betrach­ten, wenn man das grie­chi­sche Wort ánantagó­nis­tos zur Hil­fe nimmt, wel­ches einer­seits »ohne Geg­ner, ohne Wider­stand (zu erfah­ren)«, ande­rer­seits aber »kei­nen Wider­stand leis­ten kön­nend, ohne Wider­stands­kraft« bedeu­tet. So ist also einer­seits der Über­le­ge­ne ein ánthrō­pos ánantagó­nis­tos, inso­fern er kei­nen Geg­ner hat, der Wider­stand leis­ten könn­te, aber ande­rer­seits auch der Unter­le­ge­ne, inso­fern er kei­ne (aus­rei­chen­de) Wider­stands­kraft hat. Der Unter­le­ge­ne ist aber auch noch aus einem ande­ren Grund ánantagó­nis­tos: Er könn­te näm­lich auch des­halb außer­stan­de sein, Wider­stand zu leis­ten, weil er meint, kei­nen Geg­ner zu haben, weil er sei­nen Geg­ner nicht loka­li­sie­ren kann oder weil er den Fal­schen für sei­nen Geg­ner hält und sei­ne gesam­te Ener­gie ver­braucht, indem er sich dem­je­ni­gen ent­ge­gen­stellt, der gar nicht sein wirk­li­cher Geg­ner ist. Und schließ­lich könn­te er auch des­halb ánantagó­nis­tos sein, weil er eine bestimm­te Form der Akti­on für Wider­stand hält, die zwar viel­leicht nach Wider­stand aus­sieht, aber gar kein Wider­stand ist. Und genau des­halb ist auch der Über­le­ge­ne wie­der­um ánantagó­nis­tos, weil er dadurch, daß ihn sein Geg­ner auf dem gesam­ten Spek­trum mög­li­cher Wider­stands­punk­te ver­fehlt, eben selbst kei­nen Geg­ner hat, der in der Lage wäre, sich ihm zu wider­set­zen. So ste­hen sich also zunächst zwei Geg­ner gegen­über, die – in einem gewis­sen Sin­ne – jeweils gar kei­nen Geg­ner haben. Der eine kann, der ande­re muß kei­ne Wider­stands­kraft auf­wen­den– ein Umstand, der im übri­gen die Mög­lich­keit eröff­net, die dar­aus resul­tie­ren­de Vakanz mit qua Com­pu­ter­da­ten­mo­del­lie­rung iden­ti­fi­zier­ten glo­ba­len Fein­den zu beset­zen, um alle »ver­ein­ten Kräf­te« erneut von dem, woge­gen eigent­lich Wider­stand ange­bracht wäre, abzulenken.

Es war der chi­ne­si­sche Mili­tär­phi­lo­soph Sun Tsu aus dem Staa­te Wu, eine Art Erfin­der der psy­cho­lo­gi­schen Kriegs­füh­rung avant la lett­re, der vor rund 2500 Jah­ren in sei­ner Abhand­lung Die Kunst des Krie­ges fest­stell­te: »Die größ­te Leis­tung besteht dar­in, den Wider­stand des Fein­des ohne einen Kampf zu bre­chen. […] Der Inbe­griff des Kön­nens ist, den Feind ohne Gefecht zu unter­wer­fen«, was natür­lich vor­aus­setzt, daß man sei­nen Geg­ner über­haupt erst ein­mal iden­ti­fi­ziert hat: »Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Aus­gang von hun­dert Schlach­ten nicht zu fürch­ten.« Wer sei­nen Geg­ner aber nicht nur schlecht, son­dern gar nicht kennt, hat den Kampf bereits ver­lo­ren, bevor er begon­nen hat, oder bes­ser gesagt: bevor er auch nur ansatz­wei­se rea­li­siert hat, pas­si­ver Kom­bat­tant einer anti­zi­pier­ten­Aus­ein­an­der­set­zung gewe­sen zu sein, deren Beginn und Ver­lauf er ver­schla­fen hat. Der in den Küns­ten der Kriegs­füh­rung bewan­der­te Stra­te­ge ist dem ago­nis­tisch Unter­le­ge­nen gewöhn­lich immer so weit vor­aus, daß letz­te­rer den Kon­flikt erst rea­li­siert, wenn die­ser bereits zu sei­nen Unguns­ten ent­schie­den ist, wobei die Dau­er sei­nes Schlaf­zu­stan­des der Inku­ba­ti­ons­zeit sei­ner Schach­matt­set­zung ent­spricht, also der Zeit­span­ne vom Beginn des Kamp­fes bis zum Auf­tre­ten jener Sym­pto­me, die sei­ne Nie­der­la­ge besie­geln. Das Bewußt­sein, Wider­stand leis­ten zu müs­sen, erwacht also zumeist erst an einem Punkt, wo der Unter­le­ge­ne nicht mehr bloß unter­le­gen, son­dern bereits besiegt ist.

Damit Wider­stand mög­lich ist, müß­te die Ent­fer­nung der zwei Punk­te auf der Zeit­ach­se suk­zes­si­ve ver­rin­gert, das heißt die Latenz­zeit dras­tisch ver­kürzt wer­den. Gelingt dies aber nicht und dau­ert der Däm­mer­zu­stand zu lan­ge an, befin­det sich der Mensch in dem Moment, wo er auf­wacht und zwar noch nicht unmit­tel­bar zu sich, aber immer­hin zwangs­läu­fig auf die Idee kommt, jetzt sofort Wider­stand leis­ten zu müs­sen, gewis­ser­ma­ßen im Auf­wach­raum für Kas­sen­pa­ti­en­ten, an denen unter Ver­ab­rei­chung eines Cock­tails aus süß­lich-betö­ren­den frei­heit­lich-demo­kra­ti­schen Voll­nar­ko­ti­ka über län­ge­re Zeit­räu­me hin­durch psy­cho­lo­gi­sche Ope­ra­tio­nen durch­ge­führt wur­den. Und mit Blick auf gera­de ein sol­ches kli­ni­sches Post­an­äs­the­sie-Obser­va­to­ri­um könn­te gera­de aktu­ell wie­der beob­ach­tet wer­den, wie sich das auf­wa­chen­de Volk im Panik­mo­dus ver­hält, ob es etwa erwar­tungs­ge­mäß zu Demons­tra­tio­nen auf­ruft und, in dem fes­ten Glau­ben, mit die­sem Zau­ber­spruch auf magi­sche Wei­se eine Ver­bes­se­rung sei­ner pre­kä­ren Lage bewir­ken zu kön­nen, »Wir sind das Volk« zu skan­die­ren beginnt, ob es auf die Idee kommt, aller­lei hash­tag-Kam­pa­gnen und Online-Peti­tio­nen zu star­ten oder gar ins Kal­kül zieht, eine neue Par­tei zu gründen.

Denn über­all hier müß­te zunächst die Fra­ge geklärt wer­den, ob es sich dabei über­haupt um authen­ti­schen, sou­ve­rä­nen Wider­stand han­deln kann oder nicht viel­mehr davon aus­ge­gan­gen wer­den muß, daß einer auf sofor­ti­ge Pro­blem­lö­sung drän­gen­den Unge­duld als Resul­tat einer viel zu spät erfol­gen­den, einer Mischung aus Ohn­macht und Trotz ent­sprin­gen­den Reak­ti­on die Ten­denz inne­wohnt, immer wie­der zu den glei­chen ste­reo­ty­pen For­men ritua­li­sier­ter Wider­stands­sur­ro­ga­te zu grei­fen, die dem über­le­ge­nen Geg­ner erst recht stets aufs neue dazu die­nen, die Neu­tra­li­sie­rung von Wider­stands­po­ten­ti­al bewerk­stel­li­gen zu kön­nen. Denn aus­ge­schlos­sen wer­den kann es nicht, daß Rebel­lio­nen, die sich bis­her sol­cher strom­li­ni­en­för­mi­gen Ste­reo­ty­pe bedien­ten und schein­bar Erfolg hat­ten, nur des­halb Erfolg hat­ten, weil sie Erfolg haben soll­ten – weil ein über­ge­ord­ne­tes Inter­es­se bestand, den Ein­druck einer erfolg­rei­chen Wider­stands­be­we­gung ent­ste­hen zu las­sen, mit dem Neben­ef­fekt, daß die hier­bei ein­ge­setz­ten Mit­tel fort­an als vali­de For­men erfolgs­ver­spre­chen­der Auf­leh­nung gel­ten konn­ten. Doch immer wie­der gilt es zu beach­ten: cum hoc non est prop­ter hoc (»Mit die­sem ist nicht deswegen«).

An die­ser Stel­le liegt es nahe, auf den gern in Manage­ment­se­mi­na­ren kol­por­tier­ten Mythos des Fro­sches zu ver­wei­sen, der sich nicht recht­zei­tig ret­ten kann, wenn das Was­ser, in dem er schwimmt, lang­sam erhitzt wird, bis es schließ­lich kocht und der Frosch stirbt, weil er den Zeit­punkt ver­paßt, zu wel­chem er sprin­gen hät­te müs­sen. Tat­säch­lich reagiert der Frosch näm­lich sehr wohl recht­zei­tig und hat zum Zeit­punkt, an dem sein »kri­ti­sches ther­ma­les Maxi­mum« erreicht ist, bereits längst alle Anstren­gun­gen unter­nom­men, um dem dro­hen­den Infer­no zu ent­kom­men. Beim Men­schen sieht dies jedoch des­halb anders aus, weil die gegen ihn gerich­te­ten Angrif­fe kraft anäs­the­sie­rend und immun­sup­pres­siv wir­ken­der Adju­van­ti­en sei­ne Feind­or­tungs­sys­te­me lahm­le­gen. Aus­ge­feil­te soft-power-Tech­ni­ken, also unsicht­ba­re Tech­ni­ken zur Durch­set­zung von Macht­in­ter­es­sen, die ohne Ein­satz phy­si­scher Gewalt aus­kom­men, wer­den des­halb nicht wahr­ge­nom­men, weil sie wie psy­cho­in­va­si­ve Viren wir­ken, die im Tarn­kap­pen­mo­dus die Bewußt­seins­schwel­le unter­lau­fen, auf dem Radar unse­res psy­cho­men­ta­len Immun­sys­tems daher nicht auf­schei­nen und wirk­sa­me Abwehr­re­ak­tio­nen des­halb ausbleiben.

Wäh­rend der Frosch recht­zei­tig springt und ent­wischt, bevor sein kri­ti­sches ther­ma­les Maxi­mum erreicht ist, sonnt sich der Mensch so lan­ge in Illu­sio­nen, bis sein kri­ti­sches libe­ra­les Mini­mum unter­schrit­ten ist. Da hat es der Frosch natür­lich wesent­lich leich­ter, denn anders als der Mensch läßt er sich eben nicht so ein­fach mit dem Argu­ment, es hand­le sich hier wohl um eine »Ver­schwö­rungs­theo­rie«, von sei­nem untrüg­li­chen Gefühl einer real exis­tie­ren­den Gefahr abbringen.

Geht man davon aus, daß hin­ter der Fas­sa­de der Demo­kra­tie ein demo­kra­tisch nicht legi­ti­mier­ter Macht­ap­pa­rat exis­tiert, ein »tie­fer Staat«, eine »unsicht­ba­re Regie­rung«, eine von Legis­la­tur­pe­ri­oden und ande­ren rechts­staat­li­chen Errun­gen­schaf­ten weit­ge­hend unab­hän­gig ope­rie­ren­de »per­ma­nen­te Regie­rung«, ein Appa­rat, der per­ma­nen­ten Wider­stand gegen die Staats­ge­walt aus­übt, aber von oben, dann liegt es nicht nur auf der Hand, daß man einen fal­schen Geg­ner vor sich hat, wenn man »auf die Stra­ße geht«, um sich der Will­kür der eige­nen Regie­rung zu wider­set­zen (und dies noch dazu unter Beru­fung auf ein Ver­fas­sungs­recht, das einem ein­räumt, ein Recht zu haben, sich jenem Regime zu wider­set­zen, von des­sen Rechts­aus­le­gung es abhängt, ob der Anwen­dungs­fall die­ses Wider­stands­rechts im Fall sei­ner Anwen­dung über­haupt gege­ben ist), son­dern auch, daß die dahin­ter­ste­hen­den Kräf­te zwecks Sta­bi­li­sie­rung und Expan­si­on ihrer Macht stets bestrebt sein müs­sen, einer­seits eine gene­rel­le Schwä­chung der Wider­stands­kraft ihrer Unter­ge­be­nen und ande­rer­seits eine Neu­tra­li­sie­rung den­noch vor­han­de­nen Wider­stands­po­ten­ti­als zu bewerk­stel­li­gen. Und wenn man, die­se Annah­me im Hin­ter­kopf, den Erfolgs­kurs der (ange­wand­ten) Psy­cho­lo­gie und Sozio­lo­gie im 20. Jahr­hun­dert, ins­be­son­de­re des Beha­vio­ris­mus und des­sen selbst­er­klär­tes For­schungs­ziel berück­sich­tigt, näm­lich »die Vor­her­sa­ge und Kon­trol­le von Ver­hal­ten«, wie es in der 1913 publi­zier­ten Pro­gramm­schrift des dama­li­gen Tier­psy­cho­lo­gen und Funk­tio­na­lis­ten J. B. Wat­son wört­lich heißt, dann läßt sich hier­zu mit hin­läng­lich evi­denz­ba­sier­ter Berech­ti­gung ergän­zen, daß theo­re­ti­schen Erkennt­nis­sen immer auch die Ten­denz inne­wohnt, in die Pra­xis umge­setzt zu wer­den, sofern sie sich als nütz­lich erwei­sen könn­ten, um eige­ne Inter­es­sen durch­zu­set­zen. Inso­fern mit der fak­ti­schen Mög­lich­keit der Ver­hal­tens­kon­trol­le gleich­zei­tig auch Wirk­kräf­te ent­fes­selt wer­den, die per­ma­nent auf ihre Schöp­fer zurück­wir­ken, so daß gera­de deren eige­nes – von die­sen Kräf­ten kon­trol­lier­tes und folg­lich von Macht­stre­ben gelei­te­tes – Ver­hal­ten vor­her­sag­bar wird, tritt hier das Sche­ma einer Funk­ti­ons­um­kehr zu Tage, das sich auch auf ande­re Berei­che aus­wei­ten lie­ße. Aus­ge­hend vom Wis­sen um die mensch­li­che Schwä­che, den Ver­su­chun­gen der Macht nicht wider­ste­hen zu kön­nen, erscheint es jeden­falls als unver­nünf­tig, den Prot­ago­nis­ten der macht­eli­tä­ren Glo­bal­phil­an­thro­pie sowie all jenen, die auf ihrer Gehalts­lis­te ste­hen, zu unter­stel­len, gera­de sie, die die­sen Ver­su­chun­gen beson­ders stark aus­ge­setzt sind, wären auch in beson­de­rem Maße in der Lage, ihnen standzuhalten.

Wirk­sa­mer Wider­stand könn­te heu­te in einer Neu­tra­li­sie­rung des Eli­ten­be­ha­vio­ris­mus in Form einer dis­rup­ti­ven psy­cho­lo­gi­schen Tech­nik bestehen, die jedoch nur von unten und nur indi­vi­du­ell ent­wi­ckelt und ange­wen­det wer­den kann. »Dis­rup­tiv« des­halb, weil es dabei dar­um gin­ge, die Ein­falls­to­re für ver­hal­tens­kon­trol­lie­ren­de dis­rup­ti­ve Tech­no­lo­gien, die den Men­schen von dem tren­nen, was ihn wirk­lich aus­macht, zu schlie­ßen und bestehen­de Lei­tun­gen zu kap­pen, die ihnen als Trans­mit­ter die­nen. Eine sol­che Dis­rup­ti­on der Dis­rup­ti­on wür­de frei­lich die indi­vi­du­el­le Bereit­schaft zum Erlan­gen von Fähig­kei­ten vor­aus­set­zen, durch Kon­di­tio­nie­rung und Bequem­lich­keit erwor­be­ne Ver­hal­tens­mus­ter abzu­le­gen und Betä­ti­gun­gen mög­lichst zu unter­las­sen, die Ver­hal­tens­da­ten pro­du­zie­ren, um Algo­rith­men zu füt­tern, die wie­der­um der Ver­hal­tens­kon­trol­le die­nen. Auch was die­sen Daten­strom betrifft, müß­te der ánthrō­pos anta­gó­nis­tos – also der wider­stands­fä­hi­ge Mensch – ler­nen, gegen den Strom zu schwim­men. Das Wort »Kom­fort« kommt von lat. con­fort­are, was soviel bedeu­tet wie »(kräf­tig) stär­ken«. Auf jeden Kom­fort zu ver­zich­ten, der die­ser ursprüng­li­chen Bedeu­tung wider­spricht, wür­de auf Aske­se und in wei­te­rer Fol­ge auf die For­mel hin­aus­lau­fen: Wider­stand = Aske­se. Aske­se z. B. in Hin­blick auf digi­ta­le End­ge­rä­te, die im Eng­li­schen ter­mi­nal devices hei­ßen. Ter­mi­nal bedeu­tet auch »unheil­bar, im End­sta­di­um befind­lich« oder »hoff­nungs­los, unlös­bar«. Und das eng­li­sche device stammt vom Par­ti­zip-Per­fekt-Stamm des latei­ni­schen Verbs divi­de­re ab und bedeu­tet »geteilt, gespal­ten, getrennt«. Die Spra­che ist eben oft verräterisch.

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