Verhaltenslehren – ein kleines Lexikon

PDF der Druckfassung aus Sezession 96/ Juni 2020

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Ver­hal­tens­leh­ren – ein klei­nes Lexi­kon von Bene­dikt Kai­ser (BK), Götz Kubit­schek (GK) und Erik Leh­nert (EL)

Der Begriff VERHALTENSLEHREN ist im Ver­lauf der Dis­kus­sio­nen um die Aus­rich­tung der Alter­na­ti­ve für Deutsch­land (AfD) zu einer Renais­sance gelangt. Er ist dem zur Rede­wen­dung gewor­de­nen Titel einer ger­ma­nis­ti­schen Stu­die ent­lehnt: Hel­mut Lethens bahn­bre­chen­de Arbeit über die Ver­hal­tens­leh­ren der Käl­te ver­wies auf Lebens­ver­su­che zwi­schen den Krie­gen, die nach dem Schock der Mate­ri­al­schlacht und der Hin­schlach­tung einer hal­ben Gene­ra­ti­on auf gro­be Schnit­te, Neu­ent­wür­fe, Mobil­ma­chung und rei­ni­gen­de Rück­sichts­lo­sig­keit aus­ge­rich­tet waren. All die­sen Ent­wür­fen wohn­te eine Art Nach­ah­mungs­ver­bot inne: Weg­kom­men von dem, was in die Kata­stro­phe geführt hat­te, her­an­tas­ten an das, was neu und trag­fä­hig sein würde.

Wenn wir nun von der AfD als einem Gegen­ent­wurf zur Beu­te­ge­mein­schaft aus Alt­par­tei­en, Zivil­ge­sell­schaft und geka­per­ten Behör­den spre­chen, klingt dar­aus die For­de­rung nach einer Ver­hal­tens­än­de­rung auf allen Fel­dern: Wer sich nicht betei­li­gen will an den Saue­rei­en der­je­ni­gen, die ihre Beu­te- und Zer­stö­rungs­po­li­tik für alter­na­tiv­los erklä­ren, muß sich tat­säch­lich ein Nach­ah­mungs­ver­bot auf­er­le­gen und über­all dort, wo sich die Ver­fil­zung und der poli­ti­sche Zynis­mus aus­ge­brei­tet haben, alter­na­ti­ve Ver­hal­tens­leh­ren for­mu­lie­ren und sie befol­gen. Daß dies in beson­de­rem Maße und weit über eine Par­tei hin­aus für die­je­ni­gen gilt, die sich nicht mehr betei­li­gen wol­len, ver­steht sich von selbst. (GK)

 

Die METAPOLITIK hat es mit den Phä­no­me­nen zu tun, die hin­ter den unmit­tel­bar das Gemein­we­sen und sei­ne Orga­ni­sa­ti­on betref­fen­den Din­gen lie­gen. Es geht um den Hin­ter­grund, vor dem sich die poli­ti­schen Akteu­re bewe­gen. Die Begriffs­bil­dung hat einen reak­tio­nä­ren Ursprung, der sich auf den Umsturz der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on bezog, der die Vor­aus­set­zun­gen der Poli­tik voll­stän­dig geän­dert hat­te. Die­sem welt­ge­schicht­li­chen Ereig­nis ging die Wühl­ar­beit der Auf­klä­rer und der Geschichts­phi­lo­so­phen vor­aus, die ein Kli­ma geschaf­fen hat­te, in dem die Unzu­frie­den­heit mit dem Abso­lu­tis­mus nicht Ein­zel­mei­nung blieb, son­dern Zeit­geist wur­de. Eine Renais­sance hat der Begriff als Reak­ti­on auf die 68er Revol­te erlebt, die in ähn­li­cher Wei­se gesell­schafts­po­li­ti­sche Wei­chen­stel­lun­gen voll­zo­gen hat. Die 68er die­nen heu­te nicht zuletzt des­halb als meta­po­li­ti­sche Blau­pau­se, weil die ver­gleich­ba­re Macht­er­grei­fung der 1933er auf weni­ger wei­che Metho­den setz­te. Meta­po­li­tik geht es um den Zeit­geist, da ein poli­ti­scher Angriff nur erfolg­reich sein kann, wenn der Zeit­geist von der Not­wen­dig­keit des Wan­dels über­zeugt ist. Die Erfol­ge der AfD sind ein Bei­spiel für eine Macht­op­ti­on, die meta­po­li­tisch in der Luft hängt. Das ein­sei­ti­ge Set­zen auf die par­la­men­ta­ri­sche Par­ti­zi­pa­ti­on führt zwangs­läu­fig dazu, daß an den Grund­fra­gen nicht gerührt wird. Der Ein­fluß der AfD auf die Zivil­ge­sell­schaft ist gering, so daß die­se gemein­sam mit dem polit­me­dia­len Kom­plex die AfD in die Zan­ge neh­men kann. Der ein­zi­ge Aus­weg aus die­sem Dilem­ma ist die meta­po­li­ti­sche Offen­si­ve, die schein­ba­re Gewiß­hei­ten in Fra­ge stellt. Das größ­te Hin­der­nis für eine meta­po­li­ti­sche Wen­de ist die Über­zeu­gung, daß die Geschich­te zu Ende ist, daß wir uns einem Opti­mum ange­nä­hert haben, das, abge­se­hen von Kor­rek­tu­ren und Ver­bes­se­run­gen, für immer Bestand haben wird. Es ist die Alter­na­tiv­lo­sig­keit, die Fra­gen ver­bie­tet, Ideen tabui­siert und dabei auf die unaus­ge­spro­che­ne Zustim­mung der Zivil­ge­sell­schaft set­zen kann. Eine Alter­na­ti­ve muß die gro­ßen meta­po­li­ti­schen Fra­gen nach der Lebens­wei­se und der Form der Par­ti­zi­pa­ti­on stel­len. (EL)

 

Unter dem Begriff REALPOLITIK ver­steht man gemein­hin zweck­be­zo­ge­nes poli­ti­sches Han­deln. Real­po­li­tik rech­net mit den Din­gen, wie sie sind und trach­tet nicht danach, die Din­ge selbst zu ändern, son­dern ver­sucht unter den Gege­ben­hei­ten, ein best­mög­li­ches Ergeb­nis zu errei­chen. Es geht in der Real­po­li­tik um eine gute Ver­wal­tung des Zustan­des und das Ver­mei­den von Risi­ken, weil man weiß, daß es kei­nen Ide­al­zu­stand geben kann. Die Idee der Real­po­li­tik ist das Gleich­ge­wicht, das gehal­ten wer­den muß, um zu ver­hin­dern, daß jemand zu mäch­tig wird und dar­aus den Ver­such ablei­tet, das Sys­tem zu zer­stö­ren. Real­po­li­tik erkennt damit an, daß es in der Poli­tik um Macht geht, die einen in den Stand ver­setzt, Ein­fluß auf die Din­ge zu neh­men, um nicht Objekt der ande­ren zu wer­den. Real­po­li­tik ist ursprüng­lich ein natio­nal­li­be­ra­ler Kampf­be­griff gegen den mon­ar­chis­ti­schen Legi­ti­mis­mus gewe­sen, des­sen Poli­tik man ein Ver­haf­tet­sein an Tra­di­tio­nen vor­warf, die mit den Bedürf­nis­sen der Völ­ker nicht in Ein­klang zu brin­gen waren. Real­po­li­tik ist prin­zi­pi­en­los, weil sie sich nach Oppor­tu­ni­tä­ten rich­tet. Im Zeit­al­ter der Natio­nal­staa­ten war dies unpro­ble­ma­tisch, weil Real­po­li­tik rück­ge­bun­den an das Wohl der eige­nen Nati­on war, dem alles unter­ge­ord­net wur­de. Die­se Rück­bin­dung sorg­te dafür, daß man nie­mals alles auf eine Kar­te setz­te, gleich­zei­tig die Din­ge aber auch nicht lau­fen ließ. Die Frie­dens­epo­che von 1871 bis 1914 war in die­ser Hal­tung begrün­det. Das Zeit­al­ter der Mas­sen hat die Vor­aus­set­zun­gen geän­dert. Demo­kra­tie und Real­po­li­tik ste­hen in einem Span­nungs­ver­hält­nis zuein­an­der, da Inter­es­sen­grup­pen ihr eige­nes Wohl in den Vor­der­grund stel­len und real­po­li­tisch geson­ne­ne Poli­ti­ker nicht sel­ten an den Wahl­ur­nen abge­straft wer­den, weil sie ihre eige­nen Ver­spre­chen, die sie gaben, um über­haupt gewählt zu wer­den, nicht hal­ten kön­nen. Aus die­sem Dilem­ma führt nur eine erneu­te Rück­bin­dung der Real­po­li­tik. (EL)

 

Das Wort STAATSPOLITIK pro­vo­ziert Miß­ver­ständ­nis­se, da es zum einen die Selbst­ver­ständ­lich­keit der Staats­be­zo­gen­heit von Poli­tik zum Aus­druck bringt, zum ande­ren einen heu­te eher unge­wöhn­li­chen Anspruch for­mu­liert, der in einem schar­fen Gegen­satz zum gegen­wär­ti­gen Poli­tik­ge­ba­ren steht. Es macht deut­lich, daß das Gemein­we­sen, in dem Poli­tik gemacht wird, kein Clan oder Orden, son­dern ein Staat ist, mit­hin eine Insti­tu­ti­on, die sich aus Staats­volk, Staats­ge­biet und Staats­macht kon­sti­tu­iert. Da alle drei Bestand­tei­le in Auf­lö­sung begrif­fen sind, durch Migra­ti­on, Glo­ba­li­sie­rung und Frag­men­tie­rung, ist eine Rück­be­sin­nung als Auf­trag an die Poli­tik zu ver­ste­hen. Man kann der Staats­po­li­tik ande­re Poli­tik­fel­der wie Wirt­schafts­po­li­tik oder Kul­tur­po­li­tik gegen­über­stel­len und wird dabei zwangs­läu­fig zu einer Hier­ar­chi­sie­rung kom­men müs­sen. Die Domi­nanz von Wirt­schafts- und Sozi­al­fra­gen in der Poli­tik hat zu einer Schief­la­ge geführt, die die Grund­la­gen und damit das Gan­ze gefähr­det. Wer der Wirt­schaft den ers­ten Rang ein­räumt, wird nicht umhin kom­men, zahl­rei­che Ein­rich­tun­gen, wie Gren­zen oder Steu­ern für ent­behr­lich zu hal­ten, weil sie der wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung ent­ge­gen­ste­hen. Ähn­lich ver­hält es sich mit dem Volk, das nur als Staats­volk gel­ten kann, wenn es in der Lage ist, grund­sätz­lich Einig­keit über die Not­wen­dig­keit des Fort­be­stands des eige­nen Gemein­we­sens her­zu­stel­len. Die Staats­macht stellt die eigent­li­che Auf­ga­be des Staa­tes dar, der in ers­ter Linie den Bestand und die Sicher­heit sei­ner Bewoh­ner nach innen und außen zu gewähr­leis­ten hat. Auch hier bedarf es regel­mä­ßi­ger Anstren­gun­gen, um nicht in die Wohl­fühl­fal­le zu tap­pen und die eige­ne Exis­tenz für eine Selbst­ver­ständ­lich­keit zu hal­ten. (EL)

KULTURREVOLUTION von rechts gehört zu den unver­meid­ba­ren Schlag­wor­ten, wenn es um die Meta­po­li­tik der Neu­en Rech­ten geht: »Geis­ti­ge Vor­herr­schaft«, »kul­tu­rel­le Hege­mo­nie«, »Gramsci­is­mus von rechts«, vor allem aber »Kul­tur­re­vo­lu­ti­on«. Popu­la­ri­siert wur­de der Ter­mi­nus durch die Antho­lo­gie Kul­tur­re­vo­lu­ti­on von rechts (Kre­feld 1985 / Dres­den 2017) Alain de Benoists. »Die alte Rech­te ist tot. Sie hat es wohl­ver­dient«, hieß es. Ihre geis­ti­ge Immo­bi­li­tät und ihr feh­len­des Ver­ständ­nis für viel­schich­ti­ge poli­ti­sche Theo­rie und Pra­xis sei­en ver­ant­wort­lich für kon­stan­te Nie­der­la­gen. Mit Anto­nio Gramsci erklärt Benoist, daß Hege­mo­nie als der Ori­en­tie­rung ver­mit­teln­de und die Rich­tung wei­sen­de Pro­zeß zu erlan­gen ist, wenn eine poli­ti­sche Bewe­gung ihre eige­nen Ideen im kul­tu­rel­len und im vor­po­li­ti­schen Raum als füh­rend zu set­zen ver­mag, was wie­der­um einen lang­wie­ri­gen »Stel­lungs­krieg« erfor­dern kön­ne. Mit die­ser Rede­wen­dung spiel­te Gramsci auf die ver­zweig­ten Schüt­zen­gra­ben­sys­te­me des Gro­ßen Krie­ges an. Wie die­se besteht eine moder­ne west­li­che Zivil­ge­sell­schaft aus Stel­lun­gen, um deren Beset­zung und Deu­tung gerun­gen wer­de: Es geht dabei um die Umwer­tung der bestehen­den Wer­te, Set­zun­gen und Begriffs­ver­ständ­nis­se. Die­ser Kul­tur­kampf ist eine viel­schich­ti­ge Ange­le­gen­heit, wobei kein Gewinn zu gering ist, denn jede erober­te Stel­lung zwingt den Geg­ner dazu, Ver­la­ge­run­gen vor­zu­neh­men. Nie­mand kann vor­aus­sa­gen, wo Ver­schie­bun­gen zu Bruch­stel­len füh­ren: Meta­po­li­tik ist eine zähe Sache.

Der Ziel­punkt ist klar: Ver­fügt man über kul­tu­rel­le Hege­mo­nie in einer Gesell­schaft und kommt so der Kul­tur­re­vo­lu­ti­on näher, kann dar­aus (real)politische Gestal­tungs­ho­heit wer­den. Eine sol­che Her­an­ge­hens­wei­se rich­tet sich auch gegen jene par­la­men­ta­ri­schen Ansät­ze, denen gemäß ein Wahl­er­folg bereits zu einer Ten­denz­wen­de füh­re. Alles nicht viel wert, so Benoist, wenn nicht die gesell­schaft­li­che Stim­mung über den All­tags­ver­stand der Men­schen in eine ande­re Bahn gelenkt wer­de. Das erfor­de­re lang­fris­ti­ge Pla­nung und Geduld. »Alle gro­ßen Revo­lu­tio­nen der Geschich­te«, so schreibt es Benoist, »haben nichts ande­res getan, als eine Ent­wick­lung in die Tat umzu­set­zen, die sich zuvor schon unter­schwel­lig in den Geis­tern voll­zo­gen hat­te.« Ohne revo­lu­tio­nä­re Theo­rie kei­ne revo­lu­tio­nä­re Pra­xis, hieß es bei Lenin und, auf ihn auf­bau­end, bei Benoists Weg­ge­fähr­ten Domi­ni­que Ven­ner. Alain de Benoist unter­streicht, daß dies die »Rache der Theo­re­ti­ker« sei.

Gewiß: 1985 ist lan­ge Jah­re her, die Ver­hält­nis­se haben sich geän­dert. Eine Kul­tur­re­vo­lu­ti­on, meint Benoist heu­te, sei ein Bau­stein, aber ange­sichts der glo­bal zu beob­ach­ten­den Kon­tras­tie­rung Volk ver­sus Eli­te und mul­ti­pler Netz­werk­for­men der Macht nicht (mehr) der ent­schei­den­de. (BK)

 

Der ita­lie­ni­sche Mar­xist ANTONIO GRAMSCI (1891 – 1937) wird heu­te links wie rechts der »Mit­te« als Den­ker der »kul­tu­rel­len Macht«, der »Hege­mo­nie« und der »Kul­tur­re­vo­lu­ti­on« rezi­piert. Der Sar­de ver­ließ sei­ne Insel mit zwan­zig Jah­ren und zog nach Turin, wo er 1913 Mit­glied der Sozia­lis­ti­schen Par­tei wur­de. Nach der Spal­tung der radi­ka­len Lin­ken und der Grün­dung der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei (KPI) 1921 stieg er rasch zu einem Füh­rungs­ka­der auf –auf Lan­des­ebe­ne, aber auch als Mit­glied des Exe­ku­tiv­ko­mi­tees der Kom­mu­nis­ti­schen Inter­na­tio­na­len (Kom­in­tern). 1924, zwei Jah­re nach der faschis­ti­schen Revo­lu­ti­on, konn­te Gramsci lega­ler Abge­ord­ne­ter sei­ner Par­tei wer­den und wur­de 1926 sogar Gene­ral­se­kre­tär der KPI, die aller­dings auf­grund anti­fa­schis­ti­scher Aggres­sio­nen ver­bo­ten wur­de. Mus­so­li­ni ließ Gramsci inhaf­tie­ren und auf die Insel Usti­ca nahe Sizi­li­en brin­gen. Dort wur­de Gramsci zu dem poli­ti­schen Phi­lo­so­phen, als der er heu­te popu­lär ist. In sei­nen 33 Gefäng­nis­hef­ten, die er trotz faschis­ti­scher Herr­schaft for­mu­lie­ren konn­te, reflek­tiert er u. a. das Schei­tern des Sozia­lis­mus und Kom­mu­nis­mus in Ita­li­en und ana­ly­siert Gesell­schafts­ver­hält­nis­se, unter denen eine Min­der­heit in Schlüs­sel­po­si­tio­nen in Medi­en, Kul­tur und Wirt­schaft eine abso­lu­te Bevöl­ke­rungs­mehr­heit ohne grö­ße­re Zwangs­an­wen­dung regie­ren kann. In die­sen Insel­jah­ren nimmt Gramsci auch die blei­ben­de Unter­schei­dung zwi­schen »bür­ger­li­cher« und »poli­ti­scher« Gesell­schaft vor, wobei er mit ers­te­rer den vor­po­li­ti­schen Raum– Medi­en, Moral, Reli­gi­on, Kul­tur – meint, wäh­rend die poli­ti­sche Gesell­schaft staat­li­che Appa­ra­te ein­schließt, auf die sich Kom­mu­nis­ten zu stark fixiert hät­ten. Der Staat herr­sche aber nie »nur« repres­siv, son­dern kann auf Kon­sens­si­tua­tio­nen zurück­grei­fen, die auf impli­zi­ten und expli­zi­ten Ideo­lo­gien beru­hen, auf Wer­ten, die von rele­van­ten Tei­len des Vol­kes aner­kannt oder geteilt wer­den, weil sie dem All­tags­ver­stand inne­woh­nen. Gramsci geht weit über Marx hin­aus, öko­no­mis­ti­scher Reduk­tio­nis­mus ist ihm fremd. Lenins Bol­sche­wi­ki hät­ten auf die Macht­fra­ge set­zen kön­nen, weil die bür­ger­li­che Gesell­schaft in Ruß­land nicht aus­ge­reift war; so war ein rei­ner Schlag gegen die poli­ti­sche Gesell­schaft –den Staats­ap­pa­rat –mach­bar. In West­eu­ro­pa hin­ge­gen sei dies kein Kon­zept; dort müß­ten Men­ta­li­tät und Zeit­geist der ent­wi­ckel­ten, viel­schich­ti­gen bür­ger­li­chen Gesell­schaft geän­dert wer­den, als lang­fris­ti­ge Trans­for­ma­ti­on der Geis­ter – durch den Kampf um kul­tu­rel­le Hege­mo­nie, durch die Über­nah­me kul­tu­rel­ler Macht: »Eine sozia­le Grup­pe kann und muss sogar füh­rend sein, noch bevor sie die Regie­rungs­ge­walt erobert: Dies ist eine der essen­ti­el­len Bedin­gun­gen für die Erobe­rung der Macht selbst.« Eine zen­tra­le Rol­le weist Gramsci den »orga­ni­schen Intel­lek­tu­el­len« zu, also Den­kern, die aus ihrem Milieu her­aus und für die­ses agie­ren, Über­zeu­gungs­ar­beit leis­ten, auf das Volks­emp­fin­den und die Umwer­tung der herr­schen­den Wer­te ein­wir­ken sowie Gesang, Lyrik, Bil­dung, Schu­lung etc. der eige­nen Rei­hen fördern.

Die Gramsci-Rezep­ti­on der Neu­en Rech­ten (und zahl­lo­ser lin­ker Grup­pen) ver­lief indes inso­fern häu­fig ein­sei­tig, als ver­nach­läs­sigt wur­de, daß Gramsci bei aller Beto­nung des intel­lek­tu­el­len meta­po­li­ti­schen Rin­gens nie unter­schlug, daß dies nicht iso­liert von Kader­ar­beit und Mas­sen­agi­ta­ti­on im Rah­men einer welt­an­schau­lich aus­ge­rich­te­ten Par­tei von­stat­ten gehen dür­fe. Der Kampf um kul­tu­rel­le Hege­mo­nie als Kampf der Ideen war für Gramsci ein Teil der Arbeit – doch nicht der ein­zi­ge. (BK)

 

Den Begriff TRADITIONSKOMPANIE hat Karl­heinz Weiß­mann mit sei­nem Text »Bibli­sche Lek­tio­nen« (Sezes­si­on 13) in die Dis­kus­si­on gebracht. Er stammt von Erich Bräun­lich, der als Ori­en­ta­list und Pri­vat­do­zent in Leip­zig lehr­te (gestor­ben 1945). Bräun­lich bezeich­ne­te mit dem Begriff »Tra­di­ti­ons­kom­pa­nie« eine – oft­mals auch nur klei­ne – Grup­pe, die in der Lage ist, das Selbst­be­wußt­sein eines Volks zu wah­ren und zu ver­brei­ten, und zwar in der beson­de­ren Situa­ti­on einer räum­li­chen Dia­spo­ra, im spe­zi­el­len Fall: der Israe­li­ten in Ägyp­ten. Die geist­li­che und geis­ti­ge Eli­te stell­te damals letzt­end­lich nichts ande­res als Ver­hal­tens­re­geln auf, die den Kern der Iden­ti­tät zu schüt­zen ver­moch­ten. Wir ver­wen­den den Begriff inten­tio­nal: Die Situa­ti­on des Deut­schen ist die einer geis­ti­gen Dia­spo­ra. Die Kon­se­quenz lau­tet: Es gilt den Kern der Iden­ti­tät zu wah­ren und zu gege­be­ner Zeit frucht­bar zu machen.

Wer ehr­lich ist, muß zuge­ben, daß die Aus­sicht auf Erfolg gering ist. Die Tra­di­ti­ons­kom­pa­nie, die wir sam­meln kön­nen, ist kei­nes­falls die unan­ge­foch­te­ne geis­ti­ge Eli­te, von der oben die Rede war: Sie ist viel­mehr eine wider­bors­ti­ge Ansamm­lung Gut­wil­li­ger, die von der Unver­wech­sel­bar­keit deut­schen Lebens nicht las­sen will. Sie spricht der poli­ti­schen und geis­ti­gen Füh­rung Deutsch­lands die­sen guten Wil­len ab und sieht ihre Auf­ga­be in der Kri­tik an den herr­schen­den Ver­hält­nis­sen und im Auf­bau von Gegen­öf­fent­lich­keit, kri­sen­fes­ten Struk­tu­ren und geis­ti­gen Orten. Der Not­wen­dig­keit, die Iden­ti­tät zu wah­ren, steht der zer­set­zen­de Zug unse­rer Zeit ent­ge­gen. Er ist über­mäch­tig. Das Kon­zept der Tra­di­ti­ons­kom­pa­nie ist daher der auf den ers­ten Blick hilf­lo­se, auf den zwei­ten aber sehr kon­kre­te und kon­struk­ti­ve Ver­such der Iden­ti­täts­wah­rung durch die Samm­lung der rich­ti­gen Leu­te im rich­ti­gen Geist. Es ist ein Kon­zept für Weni­ge. (GK)

 

CRITICÓN? Die jün­ge­ren unter  unse­ren Lesern kön­nen über die­se Zeit­schrift nichts mehr wis­sen. Sie war die publi­zis­ti­sche Reak­ti­on unse­rer Leu­te auf die 68er-Bewe­gung. Im Lau­fe der 1960er Jah­re hat­te sich das gesell­schaft­li­chen Kli­ma der Bun­des­re­pu­blik näm­lich gewan­delt. Es fiel der kon­ser­va­ti­ven Intel­li­genz zuneh­mend schwer, Publi­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten zu wah­ren. Die Not­wen­dig­keit, neue Ver­öf­fent­li­chungs­räu­me zu erschlie­ßen, führ­te zur »Renais­sance der kon­ser­va­ti­ven Zeit­schrift« (Karl­heinz Weiß­mann): 1969 und in den Fol­ge­jah­ren wur­den das CDU-ori­en­tier­te Deutsch­land-Maga­zin, das pro­tes­tan­tisch aus­ge­rich­te­te Kon­ser­va­tiv heu­te und die katho­lisch fun­dier­te Epo­che gegrün­det, eben­so Wil­liam S. Schlamms Zeit­büh­ne. Nach­hal­ti­gen Ein­druck hin­ter­ließ indes allein das von Cas­par von Schrenck-Not­zing ursprüng­lich als Rezen­si­ons­or­gan kon­zi­pier­te Cri­ticón (ange­lehnt an den Roman El Cri­ticón des spa­ni­schen Phi­lo­so­phen Bal­ta­sar Gra­cián), des­sen Debüt­heft – ein Arnold Geh­len-Pan­ora­ma – vor exakt 50 Jah­ren erschien. Schrenck-Not­zing ließ sie alle zu Wort kom­men, »von den katho­li­schen Tra­di­tio­na­lis­ten über die Ade­nau­er-Frak­ti­on und die Klas­sisch-Libe­ra­len bis zu den Nomi­na­lis­ten und Natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­ren« (Weiß­mann). Zu den regel­mä­ßi­gen Autoren zähl­ten – neben Schrenck-Not­zing –Erik von Kueh­nelt-Led­dihn, Gerd-Klaus Kal­ten­brun­ner, Robert Hepp, Hans-Diet­rich San­der, Gün­ter Maschke, aber auch Tho­mas Mol­nar, Alain de Benoist und zahl­rei­che wei­te­re inter­na­tio­na­le Bei­trä­ger. Zen­tral war die Rol­le Armin Moh­lers, der in jedem Heft mit meh­re­ren Bei­trä­gen ver­tre­ten war und über­dies die Bücher­sei­te »Scri­bi­fax las für Sie« bespiel­te. Schrenck-Not­zing faß­te die inhalt­li­che Streu­ung retro­spek­tiv so zusam­men: »Schwer­punk­te von Cri­ticón waren das rus­si­sche Dis­si­den­ten­tum (vor dem Nobel­preis für Sol­sche­ni­zyn), der ame­ri­ka­ni­sche Kon­ser­va­tis­mus (vor der Wahl Rea­gans), der bri­ti­sche Kon­ser­va­tis­mus (vor der Wahl von Mrs. That­cher), die Emi­gra­tio­nen der Ost­block­staa­ten (vor deren Zusam­men­bruch), die deut­sche Iden­ti­tät (vor der Wie­der­ver­ei­ni­gung), Par­tei­en und Medi­en (vor dem Aus­ufern des Par­tei­en- und Medi­en­staa­tes).« Imple­men­tiert durch Schrenck-Not­zing und Moh­ler wur­de auch die Rei­he der fun­dier­ten Autoren­por­träts. Es ist nicht die ein­zi­ge Tra­di­ti­on Cri­ticóns, die in der Sezes­si­on fort­ge­führt wird, das die wür­di­ge Nach­fol­ge anzu­tre­ten hat­te, als unter Gun­nar Sohn und Ans­gar Lan­ge, den medio­kren Nach­fol­gern Schrenck-Not­zings, aus der intel­lek­tu­ell reiz­vol­len »Sam­mel­stel­le in der Sturz­flut des Gedruck­ten«, wie der Grün­der sein Pro­jekt im Früh­jahr 1970 ankün­dig­te, ab der Jahr­tau­send­wen­de ein liber­tä­res Weg­werf­pro­dukt wur­de, das 2005 ein­ge­stellt wer­den muß­te. Doch noch heu­te ist das ori­gi­nä­re Cri­ticón (1970 – 1999) als inspi­rie­ren­des »Blatt der rech­ten Intel­li­genz« (Claus Leg­ge­wie) eine Fund­gru­be non­kon­for­mer Meta­po­li­tik. (BK)

 

Unter einer MOSAIK-RECHTEN ver­ste­hen wir das arbeits­tei­li­ge, hei­mat­ori­en­tier­te, poli­ti­sche Feld aus Par­tei, Vor­feld, Ver­la­gen, Bür­ger­be­we­gun­gen, Orten und Initia­ti­ven. Der »Koope­ra­ti­ons­ver­bund kri­ti­scher Kräf­te« (Hans-Jörg Urban) aus Peri­odi­ka, Jugend­grup­pen, Par­tei­glie­de­run­gen und Außer­par­la­men­ta­ri­ern stell­te von Anbe­ginn an eine hete­ro­ge­ne Alli­anz dar. Das liegt nicht zuletzt an der Not­wen­dig­keit der brei­test­mög­li­chen Kräf­te­samm­lung des »patrio­ti­schen Lagers« und dem damit ver­bun­de­nen Struk­tur­auf­bau, der durch den mode­ra­ten Rechts­ruck der Jah­re 2015 ff. nötig wur­de. Die Mosa­ik-Rech­te kennt dabei zwei Linien:

Es gibt – ers­tens –eine hand­lungs­ori­en­tier­te Ebe­ne, wel­che die Struk­tur, For­ma­li­tä­ten und Orga­ni­sa­to­ri­sches umfaßt. Ein Mosa­ik muß getra­gen sein von der Über­zeu­gung, daß par­la­men­ta­ri­sche und außer­par­la­men­ta­ri­sche Akteu­re mit nicht hin­ter­geh­ba­rem Bezug auf ein inhalt­lich Einen­des bau­stein­ar­tig ein Gesamt­mi­lieu abbil­de­ten, bei dem jeder in sei­nem Beritt mit den dort typi­schen Ver­hal­tens- und Akti­ons­wei­sen agier­te, die orga­ni­sa­ti­ons­kul­tu­rel­le Auto­no­mie des Bünd­nis­part­ners aber akzep­tier­te. Es gilt anzu­er­ken­nen, daß Par­la­ment und Bewe­gung sich wie »Stand­bein und Spiel­bein« (Rosa Luxem­burg) ergän­zen, daß sich –in Abwand­lung eines Dik­tums Anto­nio Negris – eine »kämp­fen­de« und eine (künf­tig) »regie­ren­de« poli­ti­sche Rech­te als dia­lek­ti­sches Paar ergän­zen, gegen­sei­tig stra­te­gisch vor­an­trei­ben und zugleich korrigieren.

Hin­zu tritt – zwei­tens – die Ebe­ne der Arbeits­fä­hig­keit, für die es nötig ist, in Rich­tung einer brei­te­ren Bewe­gung zu wir­ken, die auf­grund ihrer orga­ni­sa­to­ri­schen Viel­falt – vie­le auf­ein­an­der ange­leg­te Stei­ne erzeu­gen erst das gan­ze Bild–als Mosa­ik-Rech­te zu bezeich­nen ist. Als Teil­chen­struk­tur muß sie ein Netz­werk der effek­ti­ven, soli­da­ri­schen Arbeits­tei­lung darstellen.

Mit der flä­chen­de­cken­den par­la­men­ta­ri­schen Prä­senz einer Wahl­par­tei des rech­ten Lagers, der AfD, wur­de die­se Aus­ar­bei­tung nötig, da die his­to­ri­schen Leh­ren aller Rechts­par­tei­en im deutsch­spra­chi­gen Raum – die FPÖ bie­tet das schau­rigs­te aller Bei­spie­le – zei­gen, daß vie­le Ver­tre­ter die­ser Par­tei­en par­la­ments­gläu­big auf­tre­ten und ein außer­par­la­men­ta­ri­sches Umfeld für über­flüs­sig hal­ten. War die Mosa­ik-Meta­pher dafür gedacht, dem par­tei­po­li­ti­schen Feld ein poli­tik­theo­re­ti­sches und ‑stra­te­gi­sches Upgrade zu ver­pas­sen, so hat­te sie auch eine inhalt­li­che, mit­hin dia­lek­ti­sche Kom­po­nen­te. Es gilt nach wie vor eine Rech­te zu schaf­fen, in der vie­le Rech­te Platz haben: ein­an­der ent­ge­gen­ge­setzt, ein­an­der ergän­zend. Das ist eine Chif­fre für Arbeits­tei­lung – Wir­kungs­feld 1 des Mosa­iks – und inhalt­li­che Hete­ro­ge­ni­tät – Feld 2 – zugleich. Die mosa­ik­rech­te Struk­tur ist ein Kind die­ser Zeit, das man arg­wöh­nisch beäu­gen darf. Doch ange­sichts der Zustän­de, die uns umge­ben, wäre das Ver­säu­men des Ver­suchs unver­ant­wort­lich. (BK)

 

Die MIMIKRY hat ihren Platz in der Bio­lo­gie und bedeu­tet soviel wie »Nach­ah­mung«. Die ver­schie­de­nen Arten unter­schei­den sich vor allem im Zweck der Nach­ah­mung. Man kann sich der Umwelt anpas­sen, um Freß­fein­den das Auf­spü­ren zu erschwe­ren, man kann sich ein mar­tia­li­sches Äuße­res geben, um unbe­hel­ligt zu blei­ben, oder so tun, als sei man harm­los. Letz­te­res ist gemeint, wenn von »poli­ti­scher Mimi­kry« die Rede ist. Bezo­gen wird sie aus­schließ­lich auf die rech­ten Ver­tre­ter des poli­ti­schen Spek­trums, nie auf die lin­ken. Dabei ist die Erfolgs­ge­schich­te der grü­nen Eman­zi­pa­ti­ons­ideo­lo­gie das bes­te Bei­spiel für eine erfolg­rei­che Anwen­dung der poli­ti­schen Mimi­kry. In den 1980er Jah­ren waren die Grü­nen viel zu schwach, um zum offe­nen Angriff auf die Insti­tu­tio­nen und Tra­di­tio­nen über­zu­ge­hen, so daß sie gezwun­gen waren, gesell­schaft­lich viru­len­te The­men wie Frau­en­eman­zi­pa­ti­on zu nut­zen und zu beför­dern, um am Ende bei der Infra­ge­stel­lung der Geschlech­ter zu lan­den. Der gleich­zei­ti­ge Ver­such, auf die­sem Weg die Pädo­se­xua­li­tät zu ent­kri­mi­na­li­sie­ren, ist gescheitert.

Die Anwen­dung des Begriffs »Mimi­kry« auf die Rech­te dient nicht der Beschrei­bung eines Sach­ver­halts, son­dern der Dämo­ni­sie­rung. Der Nor­mal­bür­ger kann in der Regel viel mehr Über­ein­stim­mung mit der rech­ten Zustands­be­schrei­bung und der Wirk­lich­keit fest­stel­len als mit der lin­ken. Um die­se intui­ti­ve Sicher­heit zu zer­stö­ren, wird sug­ge­riert, daß die­se Ana­ly­se und damit deren Rich­tig­keit nur Tar­nung ist, hin­ter der sich in Wirk­lich­keit eine men­schen­ver­ach­ten­de Ideo­lo­gie ver­steckt. Es ist nicht schwer ein­zu­se­hen, daß die­ses Vor­ge­hen Teil der Mimi­kry der Lin­ken ist, die sich als Auf­klä­rer tar­nen, um die Men­schen im Zustand geis­ti­ger Unmün­dig­keit zu hal­ten. (EL)

 

Der Begriff SELBSTVERHARMLOSUNG ist in den bei­den ver­gan­ge­nen Jah­ren als ver­meint­li­che Hand­lungs­an­wei­sung für die AfD zu selt­sa­mer Berühmt­heit gelangt. Die­se Berühmt­heit beruht jedoch auf einem Miß­ver­ständ­nis: Der gleich­na­mi­ge Arti­kel aus mei­ner Feder (Sezes­si­on 76, Febru­ar 2017) war als War­nung vor inhalt­li­cher Selbst­ver­zwer­gung gemeint, nicht als Vor­schlag, Mimi­kry zu betrei­ben und den poli­ti­schen Geg­ner über die Här­ten und Kom­pro­miß­lo­sig­kei­ten des eige­nen Pro­gramms zu täu­schen. So aber hat ihn die­ser Geg­ner miß­braucht und umge­dreht: Hier sei die Emp­feh­lung aus­ge­spro­chen, den Wolf im Schafs­pelz zu geben.

Die eigent­li­che Gefahr der Selbst­ver­harm­lo­sung besteht dar­in, ab einem bestimm­ten Zeit­punkt vom Bet­teln um Ver­ständ­nis für das eige­ne, ganz harm­lo­se Pro­gramm nicht mehr las­sen zu kön­nen, also Gelän­de geräumt zu haben in der Hoff­nung, der Geg­ner wür­de das Feu­er ein­stel­len. So kommt es aber nie, und das ist der Grund, war­um man der Hoff­nung auf Anschluß­fä­hig­keit die eige­ne Agen­da nicht opfern soll­te: Irgend­wie wird man am Ende doch an ihr gemes­sen. (GK)

 

Sind VIRTUELLE NETZWERKE ein Wir­kungs­feld für rech­te Par­ti­sa­nen? Die Digi­ta­li­sie­rung aller Lebens­be­rei­che trifft ja natur­ge­mäß auch den meta­po­li­ti­schen Raum. Außer­dem kön­nen Anony­mi­tät und vira­le Zusam­men­kunft ein Segen sein: Memes, »Shit­pos­ting«, Schwarm­an­grif­fe und kon­zer­tier­te Aktio­nen (für oder gegen etwas) online ver­netz­ter, meist anony­mer Akteu­re in sozia­len Medi­en, die sich gegen­sei­tig ver­stär­ken und mit­un­ter dyna­mi­sche Ent­wick­lun­gen aus­lö­sen, die nicht zu len­ken sind, mar­kie­ren eine Sei­te. Die­se wird von anti­fa­schis­ti­schen Ein­fluß­grup­pen wie der Ama­deu Anto­nio Stif­tung des­halb so hys­te­risch mar­kiert, weil man Par­al­lel­wel­ten wie in rech­ten US-Online­räu­men fürch­tet, in denen sich unter Ver­wen­dung von bei­ßen­dem Sar­kas­mus, bewuß­ter Über­spit­zung und spott­süch­ti­ger Selbstra­di­ka­li­sie­rung meist jugend­li­che Akteu­re ver­selb­stän­di­gen und dem polit­päd­ago­gi­schen Zugriff der Anti­fa-nahen »Zivil­ge­sell­schaft« nicht nur ver­wei­gern, son­dern ihn zum Teil extrem ver­höh­nen und attackieren.

Orga­ni­sier­te Online­kam­pa­gnen von meta­po­li­ti­schen Netz­wer­ken und Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen (NGOs), die auch im rea­len Leben tätig sind, mar­kie­ren eine ande­re Sei­te. Hier­für bei­spiel­haft ist die Kam­pa­gne gegen die Unter­zeich­nung des UN-Migra­ti­ons­pak­tes in Öster­reich und Deutsch­land. Mar­tin Sell­ner initi­ier­te die Akti­on »Migra­ti­ons­pakt stop­pen!« im Herbst 2018, weil er das Abkom­men der Eli­ten als wei­te­ren Schritt in Rich­tung einer glo­bal­ka­pi­ta­lis­ti­schen, völ­ker- und gren­zen­lo­sen Welt begriff. Auch wenn er nicht bin­dend sei, war der Pakt als Wil­lens­er­klä­rung kon­zi­piert, die spä­ter zu natio­na­lem Recht wer­den soll. Sell­ner ver­zich­te­te bewußt auf das Cor­po­ra­te Iden­ti­ty sei­ner Iden­ti­tä­ren, und konn­te des­halb eine spek­tren­über­grei­fen­de Reso­nanz her­stel­len, die im Inter­net über Gra­phi­ken, Slo­gans und Memes eine erheb­li­che Eigen­dy­na­mik her­stell­te; sei­ne ent­spre­chen­den You­Tube-Vide­os wur­den hun­dert­tau­send­fach abge­ru­fen. Aber die Agi­ta­ti­on ver­lief nicht allein im Raum der sozia­len Medi­en, son­dern wur­de, um den Men­schen kon­kre­te­re Mög­lich­kei­ten anzu­bie­ten, um eine Online-Peti­ti­on gegen die Unter­zeich­nung erwei­tert. Dank der Syn­er­gie­ef­fek­te ein­an­der über­wie­gend unbe­kann­ter Net­zu­ser konn­te das ursprüng­li­che Ziel von 30 000 Unter­schrif­ten inner­halb von zwei Wochen erreicht wer­den. Die mehr­glied­ri­ge Stra­te­gie sorg­te für ein sor­gen­vol­les Rau­schen im deutsch­spra­chi­gen Blät­ter­wald; vie­le Tau­send Men­schen gin­gen nach vir­tu­el­ler Erst­mo­bi­li­sie­rung phy­sisch auf die Stra­ße, ver­teil­ten sach­be­zo­ge­ne Flug­blät­ter und mach­ten so den Pakt über­haupt einer nen­nens­wer­ten Zahl von Bür­gern bekannt; sie zwan­gen die Herr­schen­den zu media­len State­ments und weit­schwei­fi­gen Recht­fer­ti­gun­gen. Das Fall­bei­spiel Migra­ti­ons­pakt zeigt, wie vir­tu­el­ler Akti­vis­mus trotz Netz­werk­durch­set­zungs­ge­setz und ande­ren Ein­schrän­kun­gen immer­hin zur Ver­net­zung und Akti­vie­rung oppo­si­tio­nel­len Poten­ti­als bei­tra­gen kann. Wer die Peti­ti­on unter­schrieb, »hat­te nicht sei­ne Schul­dig­keit getan«, wie Sell­ner for­mu­lier­te, son­dern wur­de aktiv auf­ge­for­dert, sich wei­ter zu enga­gie­ren. Vir­tu­el­le Netz­wer­ke, rea­le Über­tra­gun­gen, kon­kre­te Ergeb­nis­se –im frü­hen 21. Jahr­hun­dert ein umkämpf­ter Schwer­punkt meta­po­li­ti­scher Bemü­hun­gen und des­halb zuneh­mend im Fokus staat­li­cher wie zivil­ge­sell­schaft­li­cher Repres­si­ons­ap­pa­ra­te. (BK)

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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