»Die Geschichte Europas in den ersten Nachkriegsjahren«, so formulierte es der britische Historiker Keith Lowe in seiner Studie Der wilde Kontinent (Stuttgart 2014), »war nicht in erster Linie eine Geschichte des Wiederaufbaus. Zunächst war es eine Geschichte des Abstiegs in die Anarchie«. Anarchie, gekennzeichnet durch die Abwesenheit von Recht, Ordnung und Sicherheit, paarte sich in vielen Ländern mit antifaschistischem Vergeltungsrausch und niederträchtigsten Verhaltensweisen: »Rache war ein elementarer Bestandteil des Fundaments, auf dem das Nachkriegseuropa errichtet wurde.« Heute wird die Bedeutung dieses Fazits von Keith Lowe in der Regel unterschlagen.
Erik Lehnert (EL), Benedikt Kaiser (BK) und Götz Kubitschek (GK) haben daher einen kursorischen Überblick angefertigt, der nahelegt, daß der Krieg in Europa am 8. Mai 1945 nicht zu Ende war. Vertreibung, Vergeltung, Verschleppung und Mord trafen nicht nur die unterlegenen Deutschen, sondern in vielen Ländern Kollaborateure, Minderheiten, politische Gegner, sogar Kinder. In einigen Ländern regte sich indes auch der Widerstand gegen die Rachesysteme der Sieger.
Frankreich
Mit der libération Frankreichs durch die Westalliierten unmittelbar einher ging die épuration, die Säuberung. Sie ist als eine zweigliedrige Übergangsphase von 1944 bis 1946 anzusehen, die zunächst, während der Endphase des Zweiten Weltkriegs, den Charakter einer anhaltenden Vergeltungsaktion durch die vielschichtige Résistance und ihr Umfeld trug: Zwischen 7000 und 105 000 Ermordeten in der Phase von Sondergerichten und »außergerichtlichen« Abrechnungen schwanken die Schätzungen; in der Regel hingen und hängen sie vom politischen Standpunkt des Historikers ab. Die korrekte Zahl dürfte in der Mitte liegen.
Nach dem 8. Mai 1945 und der finalen Restauration französischer Staatsgewalt und Autorität wurden die wilden Säuberungen mit ihren Morden, Vergewaltigungen und offiziellen Hinrichtungen (darunter am 6. Februar der populäre Romancier Robert Brasillach) ersetzt durch eine institutionalisierte, »justitielle« Säuberung in Behörden, Betrieben, Redaktionen und so weiter von jenen, die verdächtigt wurden, entweder mit der deutschen Besatzungsmacht kollaboriert und / oder sich dem Vichy-Staat angeschlossen zu haben. Gleichwohl waren auch die – formal korrekten –Prozesse gegen Maréchal Pétain oder verantwortliche Politiker wie Pierre Laval von einer Stimmung des Hasses und der Rachesehnsucht geprägt, so daß auch die institutionalisierte épuration ihre wilden Momente kannte.
Zwischen diesen beiden – groben –Phasen anzusiedeln ist die herabwürdigende Massenaktion gegen deutschfreundliche Frauen um das offizielle Kriegsende herum –eine abscheuliche Erscheinung, die etwa auch in Belgien grassierte. Vor allem linksorientierte Männer rächten sich am vermeintlichen oder tatsächlichen Verrat »ihrer« Frauen durch entmenschlichende Rituale in der Öffentlichkeit. Tausenden Frauen wurden in den Straßen von Paris der Kopf geschoren, wobei sie dabei unter Beobachtung des Pöbels wie auch höherer Gesellschaftsschichten bespuckt und verhöhnt sowie zur nachhaltigen Demütigung zum Teil wie Gefangene durch die Straßen getrieben wurden.
Die Atmosphäre des Hasses gegen jene Kreise, die 1940 bis 1944 verständigungs- und deutschfreundlich agierten, wurde –neben den gewöhnlichen Umständen Zeit und Verdrängen– durch zwei Faktoren »beendet«: Zum einen favorisierte Präsident Charles de Gaulle Amnestiegesetze, die von 1947 bis 1953 erlassen und durchgesetzt wurden, um die erforderliche Ruhe für den Aufbau des neuen Staates, der Vierten Republik, zu gewinnen. Zum anderen benötigte man die Kampfkraft ehemaliger französischer Waffen-SS-Freiwilliger, Vichy-Parteigänger und rechter Milizionäre für die eskalierenden Kolonialkämpfe in Asien und Nordafrika. Viele derer, die die Rache der Sieger überlebten, verbluteten für diese im Viet Bac oder in Dien Bien Phu. Andere formierten sich trotz Repressionen neu und wirkten in der politischen Fundamentalopposition zum Gaullismus, aus der wiederum Jahre später der Front National hervorging. (BK)
Norwegen
Anders als im Fall der Nationen Osteuropas und Frankreichs verbindet man mit Norwegen heutzutage nicht zwingend politische Gewalt und Rachewellen am Ende des Zweiten Weltkriegs. Dabei sind drei markante Erscheinungen in diesem Kontext anzuführen.
Erstens ist die systematische Diskriminierung und Entmenschlichung von etwa 12 000 deutsch-norwegischen Kindern zu nennen, die zum Teil von NS-Rassenideologen gezielt gezeugt, zum überwiegenden Teil aber aus klassischen Liebesbeziehungen zwischen Norwegerinnen und deutschen Soldaten hervorgingen. Als Tyskerbarna (»Deutschenkinder«) von Tyskertøs (»deutsche Flittchen«) gingen sie nach 1945 schweren Zeiten entgegen. Man erwog sogar ihre Vertreibung nach Australien, da diese Kinder »minderwertiger« und »geisteskranker« Konstitution wären. Der kollektiven Ausschiffung entgingen die Heranwachsenden zwar, nicht aber systematischer sexueller Gewalt, erzwungenen Adoptionen und Mißhandlungen, ferner medizinischen Experimenten und zwangsverordnetem Drogenkonsum. Die bundesdeutsche Antwort auf diese institutionalisierte Schändung deutschstämmigerMinderjähriger fiel in Form von 50 Millionen Mark aus –an den norwegischen Staat. Dieser sollte »entschädigt« werden für die Kosten, die er aufgrund der Besatzungskinder erlitten habe.
Zweitens ist auf der politischen Ebene die anhaltende Vergeltungspolitik gegen rechte und NS-affine Kräfte anzuführen, ob gegen Tausende Kriegsfreiwillige oder gegen Zehntausende politisch Aktive. Die nationalistische Sammlungsbewegung Nasjonal Samling (dt.: Nationale Vereinigung) des Kollaborateurs Vidkun Quisling wurde beispielsweise konzentriert zerschlagen, Quisling selbst am 24. Oktober 1945 neben zwei seiner Führungskader hingerichtet. Die juristischen Voraussetzungen hierfür wurden von der Exilregierung bereits während des Krieges geschaffen, weshalb deren Legalität in praxi höchst umstritten war. Gleichwohl erfaßte ab Mai 1945 eine Welle von Verhaftungen das Land. Die bloß vermutete Mitgliedschaft im Nasjonal Samling – bis zur Besetzung Norwegens 1940 eine unter vielen weiteren legalen Parteien – reichte aus. In einem einwohnerzahlschwachen Land wie Norwegen kam man auf über 100 000 zeitweise oder langfristig Internierte; 37 150 von ihnen wurden freigesprochen. Das Schandzeichen des »Quislings«, des Landesverräters, blieb. Zehntausende ehemalige Sympathisanten des Nasjonal Samling wurden zeitlebens diskriminiert – schulisch, beruflich, gesellschaftlich. Das wirkte nach und schweißte zusammen. Eine Erhebung von 1973 (!) unter ehemaligen Betroffenen der Säuberungen ergab, daß 89 Prozent der Befragten ihre einstige Mitgliedschaft trotz der Repressionen nach Kriegsende nicht bedauerten.
Drittens anzuführen ist der Fall des Literaturnobelpreisträgers Knut Hamsun (1859 – 1952). Als Landesverräter und Kollaborateur der Deutschen wurde er noch mit 86 Jahren unter Hausarrest gestellt und für vier Monate in eine psychiatrische Klinik in Oslo eingewiesen (»Ich war ein gesunder Mensch, ich wurde Gelee.«). Den Versuch, ihn als psychisch krank zu stigmatisieren und strafrechtlich somit zu »entlasten«, parierte Hamsun. Doch der Prozeß, der bis 1948 andauerte, zerstörte die materielle und bürgerliche Existenz der Hamsuns. In Auf überwachsenen Pfaden (1949) legte der Schriftsteller Zeugnis der bitteren Jahre von 1945 bis 1948 ab. (BK)
Italien
Die epurazione, die italienische Variante der Säuberung, ist im Rückblick von großer Ambivalenz gekennzeichnet. Einerseits wurden Faschisten und ihre Kooperationspartner brutal verfolgt, zum Teil in zügellosen Gewalttaten mißhandelt oder getötet. Andererseits ging dies vielen Antifaschisten nicht weit genug; sie sprachen trotz der real existierenden Abrechnungswelle von einer epurazione mancata, einer ausgebliebenen Säuberung. In der Tat konnte von einer vollständigen Säuberung keine Rede sein, wenn man bedenkt, daß Italien über 20 Jahre lang faschistisch regiert wurde, weswegen ein Gros des Volkes naturgemäß direkt oder indirekt mit faschistischen Stellen interagierte. Die offiziösen Säuberungswellen fielen daher ab 1944 vorsichtiger und, wenn man so will, umsichtiger aus als beispielsweise in Deutschland, wo auch die Alliierten als Faktor stärker auf harte Bestrafungen setzten und kollektive Schuld vermuteten, während in Italien das Hauptaugenmerk den erwiesenen Faschisten und deren Umfeldern galt, die bis zuletzt auf Seite der Italienischen Sozialrepublik Benito Mussolinis kämpften. Diesen wurde kein Pardon gewährt, die Liste der conti aperti (offene Rechnungen) war lang; man geht –spektrenübergreifend – von 15 000 überwiegend »wilden«, also außergerichtlichen Hinrichtungen aus, während ordentliche Gerichte 500 bis 1000 Italiener zum Tode verurteilten. Rechts der Mitte werden vereinzelt nach wie vor deutlich höhere Zahlen angeführt. Entscheidend ist, daß viele der Ermordungen keineswegs so politisch motiviert gewesen sind, wie Kommunisten und andere Antifaschisten vorgaben. Oftmals ging es um persönlichen Besitz, Eifersüchteleien und reine Mordlust.
Am 22. Juni 1946 wurde dem Treiben ein Ende gesetzt; ein Amnestiegesetz trat in Kraft. Zwar leerten sich Gefängnisse und Lager, doch die Eindrücke und Erlebnisse blieben in vielen Köpfen haften. Die Prägekraft auf die Opfer und deren Verwandte durch die erbarmungslosen Vergeltungsaktionen antifaschistischer Linke ist nicht zu unterschätzen. Denn auch dieser Umstand trug dazu bei, daß sich neufaschistische Strukturen nach 1946 festigten und wieder zu einem fundamentaloppositionellen Lager entwickelten. Das gemeinsam erfahrene Leid des unmittelbaren Nachkriegs schweißte die heterogene Rechte vorübergehend zusammen und schuf langlebige Unversöhnlichkeit gegenüber dem politischen Gegner. (BK)
Ukraine
Die Ukraine gehörte territorial zu den großen Gewinnern des Zweiten Weltkriegs, da erstmals alle als ukrainisch angesehenen Gebiete zu einem Staat, der allerdings als Sowjetrepublik nur über eine Scheinselbständigkeit verfügte (die sie immerhin zu einem Gründungsmitglied der UNO machte), vereint waren. Damit wurden die in der Folge des Ersten Weltkriegs gezogenen Grenzen nach 1939 zum zweiten und letzten Mal revidiert. Aus der Vereinigung von Ostgalizien und Wolhynien, Nordbukowina und Südbessarabien und schließlich der Karpaten-Ukraine mit der Ukrainischen Sowjetrepublik folgte der Dualismus zwischen West- und Ostukraine. In den westukrainischen Gebieten, die größtenteils 1939 / 40 überhaupt erst sowjetisch geworden waren, wurden die deutschen Truppen zunächst als Befreier begrüßt, aber auch in der Restukraine war die Bereitschaft zur Kollaboration mit den Deutschen, aufgrund der Erfahrung des Holodomor, des millionenfachen Hungertodes, stärker als in anderen Gebieten.
Daher ging mit der Wiedererrichtung der sowjetischen Partei- und Verwaltungsstrukturen seit Herbst 1944 eine neue Welle des Stalinistischen Terrors einher. Besonders zu leiden hatten repatriierte Ostarbeiter und aus der deutschen Gefangenschaft entlassene Rotarmisten, die pauschal im Verdacht standen, Vaterlandsverräter zu sein. Hinzu kamen der Kampf gegen die Kirchen und die Vertreibung der nationalen Minderheiten aus der Westukraine. In den bereits vor dem Krieg sowjetischen Gebieten verlief die Resowjetisierung reibungslos, während es in der Westukraine eine starke nationale Widerstandsbewegung gab, die vor allem von der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA) getragen wurde. Diese konnte sich weitgehend ohne ausländische Hilfe bis in die 1950er Jahre gegen die Sowjetmacht behaupten. Die ideologisch und personell auf nationalistische Kreise der Zwischenkriegszeit zurückgehende UPA wurde 1943 gegründet, um die Gunst des deutsch-sowjetischen Krieges für den Aufbau eines eigenen Staates zu nutzen. Nach Ende der deutschen Besatzung zählte sie ca. 40 000 Mann. Die sogenannte Bandenbekämpfung gestaltete sich für die Sowjetmacht schwierig. Auch wenn die Propaganda Wirkung zeigte und es im Laufe der Jahre viele Überläufer gab, gingen zwischen 1944 und 1955 14 500 Anschläge und Terrorakte auf das Konto der UPA, bei denen 30 000 Personen getötet wurden. Die Sowjetmacht verhaftete, tötete und deportierte im gleichen Zeitraum in der Westukraine ca. eine halbe Million Menschen, ohne daß der Widerstand völlig verstummte. (EL)
Baltikum
Die drei baltischen Staaten verbindet, obwohl sprachlich und ethnisch nicht zusammengehörig, ein gemeinsames Schicksal, das ihnen im 20. Jahrhundert zweimal die Unabhängigkeit von Rußland bzw. der Sowjetunion bescherte: 1918 und, nachdem die Länder 1940 in die Sowjetunion eingegliedert worden waren, 1991. Da die Sowjets kurz vor dem Ausbruch des Deutsch-Sowjetischen Krieges am 22. Juni 1941 mehr als 40 000 Menschen aus den Ländern nach Sibirien deportiert hatten, wurden die deutschen Truppen zunächst als Retter vor dem sowjetischen Terror begrüßt. Entsprechend hoch war die Bereitschaft, in den europäischen Divisionen der Waffen-SS zu dienen, was rund 50 000 Esten und 100 000 Letten taten, wohingegen die Litauer entsprechende Aufrufe und Rekrutierungen boykottierten. Die Litauer kämpften allerdings bereits im Juli 1944 gegen die polnische Heimatarmee, die Wilna für Polen beanspruchte. Die Rückkehr der Roten Armee 1944 wurde von den meisten Balten aufgrund der vorhergehenden Erfahrungen nicht als Befreiung empfunden. Jeder Balte, der nicht geflohen war, stand daher bei den Sowjets im Verdacht, mit den Deutschen kooperiert zu haben. Alle drei Staaten mußten Gebiete an die Belarussische SSR abtreten, Litauen bekam das Memelland und Wilna, das in der Zwischenkriegszeit von Polen annektiert worden war. Die Hoffnungen der Balten, daß der Westen Stalin das Baltikum nicht überlassen würde, erfüllten sich nicht. Aber auch die Besitznahme durch die Kommunisten verlief nicht reibungslos: Im ganzen Baltikum bildeten die »Waldbrüder« eine Widerstandsbewegung, die sich vor allem in Litauen, wo sich rund 50 000 Menschen aktiv daran beteiligten, lange halten konnte. Erst die Kollektivierung der Landwirtschaft (1947 – 1952) zerstörte auch hier die Versorgungsstrukturen, einzelne Waldbrüder sollen erst in den 1970er Jahren aufgespürt worden sein. In Litauen reagierte die Sowjetmacht daher bereits im Mai 1948 mit einer Deportation von 40 000 Menschen, der Ende März 1949 eine Massendeportation von fast 100 000 Personen aus allen drei Ländern folgte.(EL)
Polen
Die »Westverschiebung« Polens war bereits auf der Konferenz in Teheran 1943 beschlossen worden. Die Sowjetunion war nicht bereit, die bis 1939 ostpolnischen Gebiete wieder abzutreten, sondern bestand auf der sogenannten Curzon-Linie, der auch der heutige Grenzverlauf zwischen Ukraine und Polen annähernd folgt. Auf der Potsdamer Konferenz wurde die Westgrenze Polens konkretisiert, indem man sich auf die von Stalin favorisierte Oder-Neiße-Linie einigte. Polen verkleinerte sich damit um ca. 77 000 Quadratkilometer und bestand jetzt vor allem aus ehemals preußischen Gebieten. Die ostdeutschen Gebiete waren stark zerstört und von den sowjetischen Truppen ausgeplündert worden. Da diese neuen Gebiete trotzdem wirtschaftlich wesentlich höher zu bewerten waren als die verlorenen Gebiete im Osten, mußten die Polen jährlich acht bis 13 Millionen Tonnen schlesische Kohle an die Sowjetunion zu einem Bruchteil des Marktpreises liefern. Spätestens seitdem die Rote Armee im Januar 1944 die alte polnisch-sowjetische Grenze überschritten hatte, geriet sie in den Bereich der polnischen Heimatarmee, die im Untergrund kämpfte und seit der Aufdeckung des sowjetischen Massenmords in Katyn wenig Sympathien für die Kommunisten hatte. Trotz punktueller Kooperation betrachtete die Sowjetunion die Heimatarmee als Konkurrenz um die Vorherrschaft in Polen und verfolgte ihre Angehörigen gnadenlos, wenn sie nicht bereit waren, sich den polnisch-kommunistischen Truppen anzuschließen. Als am 31. Juli 1944 der Warschauer Aufstand begann, unternahm die östlich Warschaus stehende Rote Armee nichts, um den Aufstand zu unterstützen und verbot den Westalliierten jede Unterstützung. Die anschließende sowjetische Besetzung Polens bedeutete den Wechsel von einer Okkupation zur anderen. Viele Angehörige der Heimatarmee blieben im Untergrund und glaubten lange nicht, daß sie von den Westalliierten an Stalin ausgeliefert worden waren. Die Herstellung eines völkisch homogenen polnischen Staates erfolgte zwischen 1944 und 1947, indem Millionen Deutsche, Ukrainer, Weißrussen, Juden und Polen ermordet, vertrieben und umgesiedelt wurden. Bereits im Herbst 1944 erfolgte die Aussiedlung der im zukünftigen polnischen Staatsgebiet verbliebenen Ukrainer und Weißrussen in die Sowjetunion (ca. 500 000), die Reste wurden im Rahmen der »Aktion Weichsel« 1947 von den Polen in das neue Westpolen umgesiedelt (ca. 150 000) und ihre Dörfer dem Erdboden gleichgemacht, um der hier gegen die Polen operierenden UPA keinerlei Rückzugsraum zu lassen. Die Vertreibung aus den Sowjetrepubliken betraf mehr als eine Million Polen. Die allgemeine Verwahrlosung der Gesellschaft zeigte sich nicht nur bei den Vertreibungen, sondern auch bei antijüdischen Pogromen. Die kommunistische Gleichschaltung war 1949 abgeschlossen. (EL)
Rußland
Den Sieg im »Großen Vaterländischen Krieg« hatte das Sowjetvolk unter Führung der Russen errungen. So lautete die integrative Botschaft, mit der Stalin 1945 die Nationalitätenfrage in der Sowjetunion beantwortete. Der Krieg diente der Sinnstiftung und stabilisierte die sozioökonomische Ordnung, die durch die Erfahrungen der Roten Armee in den besetzten Ländern gefährdet schien. Insbesondere das hohe Lebensniveau in den nichtkommunistischen Ländern war für die Soldaten schockierend, da die sowjetische Propaganda das Gegenteil behauptet hatte. Das führte zu Hoffnungen auf Besserungen nach dem Sieg, die bitter enttäuscht wurden. Neben Wohnungsnot prägten Verwahrlosung, Waisenkinder, Hunger und Gewalt das Leben. Die Dürre-Katastrophe von 1946, die durch die Erfüllung von Lieferverträgen mit dem Ausland verschärft wurde und ca. 1,5 Millionen Todesopfer forderte, gab Anlaß für den »Stalin-Plan zur Umgestaltung der Natur«, mit der solche Naturkatastrophen in Zukunft ausgeschlossen werden sollten. Das Gulag-System, das die notwendigen Arbeitskräfte lieferte, erreichte nach dem Krieg einen neuen Höhepunkt. Obwohl im Juli 1946 600 000 Häftlinge im Rahmen einer Amnestie entlassen wurden, verdoppelte sich die Häftlingszahl in den nächsten Jahren und betrug 1950 ca. 2,5 Millionen. Allein am Bau des Wolga-Don-Kanals waren von 1948 bis 1953 mehr als 236 000 Gulag-Häftlinge eingesetzt. Die Kriegsgefangenen und Ostarbeiter, die aus Deutschland heimkehrten, galten als Verräter und wurden entsprechend behandelt. 2,7 Millionen Zivilisten und 1,5 Millionen Kriegsgefangene wurden bis März 1946 repatriiert, teilweise gegen ihren Willen von den Westalliierten ausgeliefert. Sie durchliefen sogenannte Filtrierlager, wo sie nach Gefährlichkeit in Gruppen eingeteilt wurden. 608 000 Repatriierte kamen in Arbeitsbataillone, 273 000 mußten in Lagern des NKWD Zwangsarbeit leisten, darunter alle Offiziere, die in deutscher Gefangenschaft gewesen waren. Von 57 kriegsgefangenen Generälen wurden 23 erschossen, die ehemaligen Wlassow-Soldaten mußten bis Mitte der 1950er Jahre in Sondersiedlungen leben, die Offiziere wurde als Verbrecher betrachtet, General Wlassow und einige Offiziere wurden hingerichtet. Der beginnende Kalte Krieg sorgte dafür, daß die Repatriierten noch lange als Menschen zweiter Klasse betrachtet wurden. (EL)
Jugoslawien
Die enthemmte Rache der Sieger verlief nach dem formalen Kriegsende vom 8. / 9. Mai 1945 nirgends blutiger als auf dem Gebiete Jugoslawiens –und zwar weit über das Kriegsende hinaus. Stärker als bei anderen Ländern muß die Vorgeschichte gewichtet werden, die aus einem Panorama entfesselter Gewalt bestand, aus einer Verschränkung von ungezähmtem Nationalitätenhaß und ideologischem Bürgerkrieg.
War beispielsweise das Streben der Kroaten nach ihrem eigenen Nationalstaat historisch verständlich und von breiten Volksschichten getragen, sorgten doch die Untaten der »wilden Ustasche« ab Mai 1941 dafür, daß auch patriotische Kroaten auf Abstand gingen. Das maßlose Vorgehen gegen Serben und andere sorgte für ebenso enthemmte Widerstandstätigkeit und ein Anwachsen der kommunistisch dominierten, gesamtjugoslawischen Partisanenbewegung unter Josip »Tito« Broz. Vergleichbare Greueltaten aller (bürger)kriegsbeteiligten Seiten vollzogen sich in den meisten weiteren Landesteilen Jugoslawiens, so daß 1945 keine Zäsur darstellte, sondern den Höhepunkt einer grausigen Entwicklung wechselseitigen Ausmordens: Bis zum offiziellen Kriegsende starben in Jugoslawien eine Million Menschen aller ansässigen Nationalitäten.
Besagter Höhepunkt der Entwicklung wurde schließlich erreicht, als im Mai 1945, im österreichischen Bleiburg (50 Kilometer von der slowenischen Grenze entfernt) britische Generäle zusahen, wie wenige Tage nach Kriegsende Hunderttausende Kriegsverlierer – kroatische Ustasche, slowenische Weißgardisten, serbische Tschetniks, bosniakische und albanische Freiwillige, montenegrinische Nationalisten und Reste der Heeresgruppe E der Wehrmacht sowie bis zu 100 000 (!) Zivilisten – in die Hände antifaschistischer Häscher fielen. Zehntausende Menschen, Waffenträger wie Zivile, wurden kaltblütig abgeschlachtet: »Die Gefangenen wurden massenweise ermordet. Es war eine Orgie rachsüchtigen Zorns«, wie der Historiker Slavko Goldstein resümiert. Kategorisch formuliert der Autor, daß »Bleiburg« ein Kriegsverbrechen war, »das jeder moralischen, politischen oder juristischen Rechtfertigung entbehrt«– und das auch nicht dadurch entschärft werden kann, daß der Partisanenführer Tito Mitte Mai das Einstellen des Massenmords anordnete. Ohnehin entsprach dies lediglich einer scheinhumanen Formalität für die Weltpolitik und deren Medien. Ob in Maribor oder bei Celje, ob auf den Inseln der Kvarner Bucht oder im Gebiet der Gottschee– eine Kette von Vernichtungsstätten durchzieht Slowenien und Nordkroatien, allgemeiner: ganz Nordjugoslawien, mit Ausläufern bis in den Westbanat.
Todesmärsche, Massenerschießungen und Folter kennzeichneten den unmittelbaren Nachkrieg. Deutlich mehr als 100 000 Volksdeutsche, Slowenen, Kroaten und Bosniaken, aber auch politisch »unzuverlässige« (also: monarchistische, nationalistische etc.) Serben und Montenegriner fanden zwischen Mai 1945 und Ende 1946 den Tod, und zwar nicht aufgrund von Verbrechen einzelner Antifaschisten, wie Keith Lowe hervorhob, sondern in »gut« und »zentral organisierten« Massakern. Als besonders schrecklich erwies sich jene antifaschistische Besonderheit, Hunderte Menschen, oft Zivilisten, in Karsthöhlen zu pferchen, um diese dann auf engstem Raum durch Sprengungen zu töten. Danach wurden die schluchtartigen Spalten im Karst verschlossen: Noch in den 1990er Jahren fand man Tausende Schädel und Knochen in entsprechenden Höhlen. Wer derartige Greueltaten überlebte und im nunmehr kommunistisch regierten Land verblieb, war für viele Jahrzehnte im gesellschaftlichen Alltag »markiert«.(BK)
Rumänien
Rumänische Truppen kämpften mit Beginn des Präventivschlags gegen die Sowjetunion auf deutscher Seite. Als sich das Blatt wendete, versuchte der im Exil lebende König Michael I. die Besetzung Rumäniens durch die Rote Armee dadurch abzuwenden, daß er nach seinem geglückten Putsch im August 1944 Deutschland den Krieg erklärte. Seine Rechnung ging allerdings nicht auf: Rumänien war bereits zum Zeitpunkt des Friedensvertrags mit der Sowjetunion am 12. September vollständig besetzt. Michael I. stand der Machtübernahme durch die Kommunistische Partei Rumäniens letztlich machtlos gegenüber. Er selbst mußte 1947 abdanken und das Land verlassen.
In seine Regierungszeit fällt die schwere und in ihrer Drastik eindrückliche Kollektivbestrafung der deutschen Volksgruppen in Rumänien: Rund 75 000 Siebenbürger Sachsen, Banater und Sathmarer Schwaben wurden im Januar 1945 ausgehoben und in Viehwaggons zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion verschleppt. Die Listen für diese Aktion waren in den Monaten zuvor ausgefertigt worden. Betroffen waren Männer zwischen 17 und 45, Frauen zwischen 18 und 30 Jahren. Entscheidend war die Kopfzahl: Waren Aufgeführte nicht auffindbar, wurden die Transporte mit deutlich jüngerem oder älterem Ersatz aufgefüllt. Dabei spielten politische Orientierung oder sogar die Angehörigkeit in einer kommunistischen Gruppierung ebensowenig eine Rolle wie die Lebensumstände der zurückbleibenden, damit oft elternlosen Kinder. Allein die Volkszugehörigkeit war entscheidend. Rund fünfzehn Prozent der Zwangsarbeiter überlebten nicht und ein Großteil der Rückkehrer wurde nicht wieder nach Rumänien gebracht, sondern in die alliierten Besatzungszonen in Deutschland entlassen.
Die letzten Heimkehrer fanden 1949 / 1950 vollständig enteignete deutsche Volksgruppen vor. Bereits im März 1945 wurden Ackerland und Wald, Bauernhöfe und Inventar, Maschienen und Vieh an Rumänen, Zigeuner und andere Volksgruppen verteilt. In den Folgejahren geschah dasselbe mit dem Besitz von Kaufleuten und Handwerkern und schließlich von Industriellen. Diese Enteignungen wurden erst in den fünfziger Jahren teilweise rückgängig gemacht. Die Nachkriegsrepressionen gegen Rumänen betrafen in erster Linie die Angehörigen der »Eisernen Garde«, einer radikalen, klerikalfaschistischen Bewegung um die Anführer Corneliu Zelea Codreanu (1938 hingerichtet) und Horia Sima (der ab August 1944 bis zum Kriegsende eine wirkungslose Exilregierung führte). Die sogenannten Legionäre galten als weltanschauliche Urfeinde des Kommunismus und wurden nach dem Friedensschluß Rumäniens mit der Sowjetunion zunächst halbherzig, ab 1947 aber systematisch verfolgt. Tausende von ihnen erlagen in Lagern und Gefängnissen Folter, Erschöpfung und experimenteller Umerziehung. Ohne nennenswerten Erfolg, aber von großer symbolischer Bedeutung war der bewaffnete Widerstand gegen das kommunistische Regime. In verstreut operierenden Gruppen und Banden kämpften tausende Studenten, Bauern, Legionäre, vereinzelt auch ehemalige Wehrmachtsangehörige gegen die Staatsmacht und vor allem um ihr Leben. Man hoffte ähnlich wie im Baltikum vergeblich auf Waffenhilfe aus den USA. Berühmt geworden ist die Gruppe um Ion Gavrilă Ogoranu, die im Fogarasch-Gebirge operierte und nie gestellt werden konnte. (GK)