Der Historiker und Universalgelehrte Rolf Peter Sieferle (1949 – 2016) gehörte einst zu den geachtetsten Persönlichkeiten seiner Zunft und genoß den Ruf eines Pioniers energetischer Ansätze in der Umweltgeschichte. Jedoch entwickelte sich der in seinen Heidelberger Studienjahren als Vorstand im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) aktive Sieferle über die 1990er Jahre zunehmend zum Unruhestifter im vor blasierter Selbstgewißheit strotzenden liberalen Wissenschaftsbetrieb der Bundesrepublik. Der 1994 erschienene Epochenwechsel, die 1996 veröffentlichten biographischen Notizen zur Konservativen Revolution und der 1997 gedruckte Rückblick auf die Natur riefen kein allseits geteiltes Wohlwollen mehr hervor, sondern, im Gegenteil, man rümpfte die Nase.
Ungeachtet dessen, daß seine in späten Jahren offensiver geäußerte Kritik am Universalismus bereits in seinen frühen Arbeiten aufblitzte, zeigte sich das von ihm einmal so eingenommene linksliberale Establishment angesichts seiner konservativen Wendung überrumpelt und irritiert. Sieferles Ausscheren beantwortete es alsbald mit der moralisierenden Feindmarkierung, die man von ihm leidig gewohnt ist. Daß Sieferle die Fronten gewechselt hatte, bemerkte der Philosoph Ludger Heidbrink bereits 1994 in einer Rezension des Epochenwechsels in der Zeit. Sieferle habe einen »halsbrecherischen Sprung ins jahrhundertelang bekämpfte Lager des Partikularismus« vollzogen. Spätestens postum wurde dieser Frontenwechsel final besiegelt, insofern als die Veröffentlichung seiner Notizen Finis Germania im März 2017 ihn endgültig aus der linksliberalen BRD-Nomenklatura katapultierte und ihm auch der letzte Wohlgesonnene dieses Lagers demonstrativ den Rücken kehrte. Jedoch war dies für seine Bekanntheit alles andere als abträglich, vielmehr erlebt Sieferle seitdem eine zweite Karriere als »Lehrmeister« der Neuen Rechten. Das Publikum hat sich geweitet; seine messerscharfen Analysen unserer »westlichen« Transformationsgesellschaften liberaler Natur verlassen die akademische Nische und fallen in einer restrukturierten Rechten auf fruchtbaren Boden. Sie liefern das theoretische Grundgerüst, um die »Auflösung aller Dinge« zu unterbinden und wieder einen festen kulturellen Rahmen zu ziehen, der den Menschen in Stetig- und Sinnhaftigkeit setzt. Hier liegt es an der Rechten, das hinterlassene Lebenswerk des Denkers eingehend zu studieren und somit den hochdynamischen Wandlungsprozeß einer entortenden Verflüssigung theoretisch zu durchdringen. Ein wesentlicher Baustein des Frontenwechsels Sieferles, das ursprünglich 1997 erschienene Rückblick auf die Natur – Eine Geschichte des Menschen und seiner Umwelt (Band 5), ist nun neben seiner Forschungsarbeit Fortschrittsfeinde? – Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart (Band 6) in der vom Landtverlag verantworteten Werksausgabe erschienen und ist ein essentielles Werk, um ebenjenen hochdynamischen Wandlungsprozeß in seiner vollumfänglichen Komplexität zu verstehen.
Während der Titel eine rein ökologische Themensetzung impliziert und der ein oder andere ein Plädoyer für den Naturschutz erwarten mag, enthält die Schrift indes eine umweltbezogene Betrachtung der Menschheitsgeschichte; also eine Rekonstruktion der komplexen Wechselwirkung zwischen menschlichen Kulturen und deren natürlicher Umwelt. Sieferle möchte »einen roten Faden durch die Geschichte ziehen«, der »das schwierige Verhältnis zwischen Gesellschaften und ihrer natürlichen Umwelt« ordnet. Das umfaßt eine weite Spanne, die von ihm in die drei Phasen der paläolithischen Jäger- und Sammlergesellschaften, der Agrargesellschaften und unserer industriellen Gegenwart eingeteilt werden, welche er wiederum anhand von drei Schwerpunkten untersucht: Energiesysteme, kulturelle Selbstorganisation, Landschaft. Jede der drei aufgeführten Gesellschaftsformen verfügt über ein eigenes Energiesystem, das wiederum mit der kulturellen Selbstorganisation zusammenfällt. Diese beiden prägen in ihrer Kombination die Landschaft. Sieferle unterscheidet hier zwischen der Naturlandschaft der Jäger- und Sammlergesellschaften, der Agri-Kulturlandschaft der Agrargesellschaften und der totalen Landschaft der Transformationsgesellschaften unserer Zeit.
Es ist offensichtlich, daß die Ökologie entlang seiner Analysen durchweg präsent ist, jedoch dominiert die sozio-historische Betrachtung der menschlichen Gesellschaften anhand ihrer Energienutzung den Rückblick. Sieferle vollzieht dies mit enormer Dichte; wie bereits im Epochenwechsel und in seinem bahnbrechenden Krieg und Zivilisation ist unverkennbar, welcher immense Wissensfundus in das Geschriebene floß. Dabei geht er äußerst akribisch und strukturiert vor. Nachdem er in der Einleitung seine Untersuchungsabsichten und den roten Faden des Buches dargelegt hat, führt er den Leser in die verschiedenen Bedeutungsebenen des Naturbegriffs ein, um auf dieser Grundlage chronologisch durch die (energetischen) Wesensmerkmale und Besonderheiten der drei Gesellschaftstypen zu führen. Selbst demjenigen, dem die »Umweltgeschichte« vorher kein Begriff war, wird das Werk so einfach zugänglich.
Dabei liegt die ausgesprochene Stärke des Buches in seinen »Nebenschauplätzen«. Diese Passagen – die auf den ersten Blick lediglich implizit mit dem überspannenden Thema in Verbindung stehen, jedoch die Dichte des Werkes ausmachen – sind gespickt von Einsichten, die die rechte Theorie untermauern bzw. eine rechte Theoriebildung unterstützen: »Die Instablität der egalitären Gesellschaft läßt keine spezifische Gruppensolidarität aufkommen: Man verläßt die Gruppe nicht nur, um Zwang und Ärger, sondern auch, um eventuellen Verpflichtungen zu entgehen. Es handelt sich bei diesen ›urkommunistischen‹ Gesellschaften also um egalitäre Demokratien gesunder Erwachsener, die aus der Perspektive der Schwachen wenig attraktiv erscheinen. […] Egalität und Freiheit sind mit einer solidarischen Versicherung gegen Lebensrisiken nicht vereinbar«, lautet beispielsweise Sieferles anthropologisches Urteil über die vergleichsweise egalitären Jäger- und Sammlergesellschaften.
Ungeachtet dieser immer wieder eingestreuten, prägnanten Durchdringungen, die wesentlich dazu beitragen, daß der Rückblick neben dem Epochenwechsel eine Pflichtlektüre für die Neue Rechte darstellt, läuft der Ordnungsversuch der Geschichte im dritten Kapitel »Die große Transformation« seiner Spitze entgegen. Bei der minutiösen Zerlegung des Entstehungsprozesses und der charakterisierenden Spezifika unserer Industriegesellschaften in ihre transformatorischen Einzelteile ist Sieferle ganz in seinem Element und kommt zu dem Schluß, daß die »Gesellschaft der Transformationsära […] alle Bestände in Flüsse und Funktionen« auflöst. So mancher Rechte wird sich auf den Schlips getreten fühlen, wenn er diesbezüglich aufzeigt, daß die »Nation« selbst Agens ebenjenes »Fortschritts« und des an ihn gebundenen, egalisierenden Homogenisierungsprozesses ist, der ins Totale mündet. Doch wie ist dem von rechter Seite aus kritisierten, dauerhaften Transformationszustand, der Instabilität qua Verflüssigung und Entortung zufolge hat, Einhalt zu gebieten? Auf den beiden letzten Seiten eröffnet Sieferle diesbezüglich eine Option: »Wenn […] die stofflichen Umsätze zurückgehen, ist in der Tat mit einer ›Entschleunigung‹ und folglich mit neuartigen stilistischen Stabilisierungen zu rechnen.«
Denen, die das verflüssigende Potential in der »großen Transformation« und die daraus resultierenden Gefahren für das Gemeinwesen erkannten, ist wiederum der sechste Band der Werkaugabe, Fortschrittsfeinde?, gewidmet, der mit einem einordnenden Nachwort von IfS-Leiter Dr. Erik Lehnert aufwartet. Er bietet sich als komplementäre Lektüre zum Rückblick an, da er die gesellschaftlichen Reaktionen auf den in ihm explizierten »Fortschrittsprozeß« in ihrer Vielgestaltigkeit nachzeichnet. Hierbei fokussiert sich die ursprünglich im Rahmen eines Forschungsprojekts verfaßte Studie, die zu Sieferles Frühwerken zählt (1984), auf die Zivilisationskritik an der »Moderne« und gibt damit insbesondere Einblicke in die Geschichte konservativen Widerstandes gegen die »Zertrümmerung der altständischen Gesellschaft« und seiner Argumente gegen diesen Vorgang. In diesem Kontext wird auch bei Sieferle zum wiederholten Male deutlich, daß der Natur- bzw. Heimatschutz einer konservativen Geisteshaltung entspringt und erst in den 1970ern zum Anliegen linker Bewegungen wurde. Wie es dazu kommen konnte?»Der moderne Konservative tritt für die schrankenlose Entwicklung der Produktion ein; er will nur noch das sozioökonomische System bewahren, das den industriellen Fortschritt garantiert.« Sieferle zufolge ist er also selbst zum Teil der Maschinerie geworden, die er bis in die 1920er hinein noch bekämpfte. Die Lektüre Sieferles wappnet derweil gegenüber diesem technokratischen Irrweg: Der Rückblick ist Pflicht‑, die Fortschrittsfeinde eine lohnende Komplementärlektüre.