Es darf einem, ja es kann einem nichts Besseres einfallen als Demokratie. Heißt es. Alle sehen sich als Demokraten, die Linke ebenso wie die AfD. Mehr noch: Alle beteiligten Kräfte verstehen sich sogar als die jeweils besten Demokraten.
Man soll, man muß Demokrat sein; so wird es erwartet. In der Phase gegenwärtiger Durchideologisierung geradezu in totaler Weise. Ein substantieller Vorbehalt gegenüber der Demokratie würde im Sozialkundeunterricht wie in der „demokratischen Öffentlichkeit“ als skandalöser, als feindlicher Akt aufgefaßt.
Die ganze Welt sollte demokratisch werden, so der Wunsch der aufrechten Demokraten, ja sogar ihre illusionäre Gewißheit, die Welt entwickele sich dank wachsender Vernunft trotz aller Rückschläge weltgeistig genau in diese Richtung. Nach offizieller Lesart sind allein Demokraten anständig. Selbst Aufstände werden nach einem Schröderwort von 2000 hierzulande als „Aufstand der Anständigen“ angeordnet. Gegen rechts. Klar.
Gerade fährt im Zuge der Wahlen die Demokratie ihren Selbstlauf hoch. Erkennbar an der Materialschlacht mit Plakaten, die von Hilfstruppen an Laternen gehängt werden. Sondermüll – materiell ihrer Plastikbasis wegen, gleichsam aber ideell, also in den ikonographischen und textlichen Aussagen.
Klar sind das Narrativ und die Imaginationen stets wichtiger als die sogenannten objektiven Tatsachen, nur sind die Wahlwerbungsimaginationen meist erbärmlich. Nicht mal satt demagogisch, was man doch gern erwarten würde.
Wer für sich kraft seines Urteils orientiert ist, bedarf der Entscheidungshilfen und Manipulationen nicht, aber es geht eben darum, die Masse der Unorientierten zweckgerichtet zu vereinnahmen oder die Verweigerer doch noch zu aktivieren, um sie für die Gewährleistung einer weiteren Legislaturperiode des parlamentarischen Wohllebens zu instrumentalisieren.
Danach zieht wieder die Ruhe ins behäbig zurückgelehnte Abgeordnetenleben ein, und die Sacharbeit wird dem Troß der aufstrebenden Referenten überlassen. Außerdem übernimmt dann verläßlich der Lobbyismus.
Max Weber hat in seinem Vortrag „Politik als Beruf“ bereits 1919 das Entscheidende gesagt, als mit der Weimarer Republik der moderne demokratische Betrieb in Deutschland gerade erst begann:
Alle Parteikämpfe sind nicht nur Kämpfe um sachliche Ziele, sondern vor allem auch: um Ämterpatronage. (…) Manche Parteien, so namentlich die in Amerika, sind seit dem Schwinden der alten Gegensätze über die Auslegung der Verfassung reine Stellenjägerparteien, welche ihr sachliches Programm je nach den Chancen des Stimmenfangs abändern.
Er spricht von der „Staatskrippe, an der die Sieger gefüttert zu werden wünschen“, und treffend vom Parteienstaat als einer „Pfründnerversorgungsanstalt“.
Die Spitzenkandidatin der SPD für die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern, die derzeitige Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, läßt allerdings auf ihren Plakaten das Logo ihrer Partei vorbeugend mal besser weg und beschränkt sich im großformatigen Personenkult auf ihre angestrebte Landesmutterschaft. Gereimt heißt das: „DIE FRAU FÜR MV.“ So nullig wie selbstbewußt.
Indirekte Propaganda, aus öffentlichen Mitteln finanziert, kommt freilich hinzu, weil man ja gerade regiert und so ganz praktisch in eigener Sache investieren kann. So leistet sich die von der großen Koalition getragene Regierung Mecklenburg-Vorpommerns eigens einen hochbezahlten Staatssekretär für Vorpommern, selbstverständlich einen Genossen. Begründet wird das mit einer strukturellen Benachteiligung des vorpommerschen Landesteils, für den eigens ein hohes Amt zuständig sein sollte.
Der junge Staatssekretär durfte unter dem Titel „Vorpommern-Strategie. Impulse zur Entwicklung des östlichen Landesteils bis 2030“ eine edel gearbeitete Broschüre für das arme Land bzw. eher für seine Eigenwerbung und so gleichfalls als SPD-Wahlpropaganda herausgeben, angefüllt mit viel Lob für angeblich großes Gelingen, illustriert mit klischeehaften, dafür aber schön teuer fotografierten und zu Idyllen „gephotoshopten“ Postkarten-Motiven.
Andere belassen es bei möglichst integral formulierten und allgemeingültig klingenden Sprüchen – in der Erwartung, dadurch ph-neutral all und jeden anzusprechen. Im vereinnahmenden Ton alternativer Kumpanei der Besserwisser heißt das bei den Grünen im Gestus von Aufbruch und Durchstarten: „Bereit, weil Ihr es seid!“ Das ist suggestiv: Wer wollte nicht zu jenen gehören, die irgendwie bereit sind, den Hintern hochzukriegen. Ganz locker im Duz-Verhältnis, so wie im Bioladen.
Gänzlich indifferent die CDU Mecklenburg-Vorpommerns: „Zusammen. Zu neuer Stärke.“ Ein etwas lauer Aufruf zu Gemeinschaft und Schulterschluß für die stets so licht erhoffte Zukunft.
Vom Schweriner CDU-Bundestagsabgeordneten, dem mit seiner prompten Wiederwahl rechnenden Rechtsanwalt Dietrich Monstadt, weiß man offenbar weder in der Stadt noch im Bundestag irgendwas Markantes. Von ihm gibt es auf seiner Website vor allem Bilder, daneben ein paar Videoclips, u. a. zu Adipositas. Adipositas kann ja tatsächlich als eine Risikoerkrankung von Parlamentariern und Amtsträgern gelten.
Monstadt wirbt forsch mit dem Anspruch „Verantwortung für Mecklenburg“. Die hatte ganz in persona zuletzt der Großherzog inne. Und verstand sie zu tragen. Er führte einen schlanken Ständestaat, der zwar ohne Verfassung und Wahlrecht auskam, aber so funktionierte, daß sich das Land selbst nach dem Reichseinigungsprozeß 1864 selbständig hielt. Dafür bekam er ein Standbild im Schloßgarten. Und bleibt im Gedächtnis der Erinnerung. Während man MdB Monstadt getrost schon heute vergessen kann.
Politiker äußern entschieden zu schnell, sie würden in Ergebnis ihrer Wahl Verantwortung übernehmen. Macht als Befugnis, über andere Menschen und deren Angelegenheiten zu entscheiden, kommt einem durch abstrakte Rechtsakte zu. Mit Verantwortung hat das nicht per se zu tun; und genau das ist ja das Problem.
Die FDP textet gleichfalls pauschal mit positiver Konnotation: “Taten sprechen lassen.” Immerhin kann man von der FDP grundsätzlich wirtschaftspolitischen Rationalismus erwarten, zudem nach wie vor ein liberales Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit und Freiheit. Das ist schon mehr, als alle anderen Blockflöten zu pfeifen haben.
Die Linke beschränkt sie sich auf das einzige Credo, das ihr als gerontologischer Ost-Truppe, erledigt von Sahra Wagenknecht, geblieben ist: „Für ein soziales und gerechtes MV. Machen wir.“ Mehr als die stereotype Forderung nach mehr Mitteln, Gerechtigkeit und Inklusion ist von der früher mindestens halbintellektuellen und theorieaffinen Partei nicht übrig. Ein paar Lifestyle-Linke noch, wie Sahra Wagenknecht sie nennt.
Irgendwas machen: Mehr Wohnungen, mehr Netz, mehr Lehrer, mehr Stütze, mehr Geld für die Kellnerin, von allem einfach viel mehr. Die Frage, wer gesellschaftliches Vermögen erwirtschaftet, interessiert nicht; es geht den Linken allein um Umverteilung und ihren Anspruch auf angeborene ethische Unfehlbarkeit. Für die Verschwendungen des Corona-Sozialismus ist sie mitverantwortlich. Sie bestätigte den Nachtragshaushalt der Trost- und Schweigegelder nicht nur, sondern rief auf hier nach noch mehr. Und das, obwohl sie rein nominell in der Opposition ist. Indirekt regiert sie in Mecklenburg-Vorpommern staatstragend als dritte Kraft gemeinsam mit der großen Koalition und erwartete ihre neuerliche Kooptierung.
Im Gegensatz dazu erscheint die Sichtagitation der AfD geradezu redlich – im Sinne eines vernünftigen Minimums nach all der Corona-Hysterie: „Deutschland, aber normal.“ Normal sein ist nach der Erfahrung der teilweise irren Lockdown- und Maßregelungspolitik des vormundschaftlichen Staates mit seinen Experten- und Kungelrunden schon viel. Verzicht auf die Herrschsucht und das fortdauernde Überdrehen der Demokraten. Die AfD steht als einzige Kraft der weiteren kollektiven Politik‑, Geschichts‑, Klima- und Genderneurotisierung entgegen. Schon deshalb kann man sie wählen.
Insofern sich die AfD von der Einheitsfront der Altparteien abgrenzt und umgekehrt von diesen ausgegrenzt wird, verfügt sie, teils unfreiwillig, über echte Alleinstellungsmerkmale, die die anderen längst verloren haben. Sie unterscheidet sich. Sie steht als Paria außerhalb und vermag daher kritisch zu beobachten. Think outside the box!
Das Migrantenproblem, der Asylmißbrauch und die Ausländerkriminalität besetzt sie thematisch völlig allein. Das gilt ebenso für die Kritik an der Schuldenvergemeinschaftung durch die EZB. Die AfD ist die einzige Kraft von Belang, die in der Gender- und Bildungspolitik gegenhält und Heimatbezug, Identität und Leitkultur fordert. Überhaupt gibt es in den Parlamenten nur noch von der AfD den kernigen Verweis auf die Nation. Allein dieser Begriff fällt bei allen anderen Parteien der Selbstzensur zum Opfer.
Aber selbstverständlich ist für diese alternative Kraft Politik vor allem das, was sie ebenso für ihre Gegner ist, ein Geschäft nämlich. Letztlich gleicht die AfD anderen Parteien darin, daß sie eine Art Selbsthilfegruppe in eigener Sache darstellt, einerseits staatlich kraft Parteien- und Abgeordnetengesetz subventioniert, in ihrem Fall aber ebenso staatlich bekämpft, eine Art soziokultureller Raum, in dem eigene Narrative und Legenden generiert werden – rein systemisch darin der Linken verwandt, die ihrerseits abstirbt, weil der Staat die Grundsätze ihre Ideologie übernahm und tatsächlich eine Art demokratischen Sozialismus ausformte.
Klar, die AfD ist das Refugium der Konservativen und Rechten. Weil der Staat neurotisch die konservative, nationale und rechte Traditionslinie abspalten und auf den Bereich des ganz anderen projizieren will, und zwar rigoros, muß die AfD um ihren ideellen und politischen Bestand überhaupt nicht fürchten. Sie ist notwendiger Teil des Spiels, dabei aber der besondere und einzig unverwechselbare. Und deshalb angefeindet, verunglimpft, diskriminiert.
Was bleibt? Skeptisch bleiben. Gerade dem eigenartigen Selbstverständnis der Demokraten gegenüber, daß gut und richtig wäre, was Mehrheiten oder zusammengekittete Koalitionen aus Minderheiten wollen. Argwohn vor allem gegen die Einheitsfront der Demokratieverwalter und ‑nutznießer.
sok
Die Beurteilung der Wahlplakate und der AfD finde ich überzeugend. Natürlich leidet die AfD unter der medialen Hetzjagd, die es im Gergensatz zur Hetzjagd gegen Ausländer tatsächlich gibt.
Bisher reagiert die AfD auf die mediale Hetzjagd eher defensiv. Das hat zur Folge, dass z.B. Höcke als Nazi bezeichnet werden darf.
Meiner Ansicht nach sollte man die mediale Hetzjagd gegen die AfD offensiver bekämpfen. Ein Beispiel dafür hat Markwort im Focus geliefert, wo er darauf hingewiesen hat, dass Maassen kein Nazi, sondern Lauterbach ein Hetzer ist.
Wenn man generell alle Nutzer der Nazikeule Hetzer nennen würde, könnte man auf dem Gebiet der Nazikeule die Diskurshoheit gewinnen. Man könnte z.B. darauf hinweisen, dass alle Kanzlerkandidaten und Parteivorsitzende,, die man verstecken muss, Hetzer sind.
Alle Nutzer der Nazikeule Hetzer zu nennen, hätte auch den Vorteil, dass man die Antipatrioten spaltet.