Sind die Vereinigten Staaten von Amerika ein »failed state« am Rande eines neuen Bürger- und Sezessionskrieges? Diese Ansicht wird inzwischen ebenso von amerikanischen Linken wie Rechten vertreten, wobei kaum jemand noch zu hoffen wagt, daß das zutiefst gespaltene Land jemals wieder zusammenwachsen wird. Unterschiedlich sind allerdings die Meinungen, aus welchen Ursachen Staat und Gesellschaft im Zerfall begriffen sind oder worin genau dieser Zerfall überhaupt besteht. Für die Linke gibt es natürlich nur einen einzigen Schuldigen: Donald Trump, der seit seinem Amtsantritt im Jahr 2017 als rassistischer, nativistischer Usurpator betrachtet wird. Er trachte, so die Überzeugung, danach, die amerikanische Demokratie und den Rechtsstaat, auf den die Amerikaner so stolz sind, von innen her aufzulösen. Vieles davon ist pure Phantasie, deren mitunter abstruse Blüten das Schlagwort vom »Trump Derangement Syndrome« aufkommen ließen. So wird Trump von manchen als Massenmörder hingestellt, dessen inkonsequente und inkompetente Politik daran schuld sei, daß täglich angeblich tausende Menschen in den USA an Covid-19 sterben. Auch die schweren Rassenunruhen dieses Sommers wurden dem Präsidenten unter dem Hashtag #TrumpRiots in die Schuhe geschoben. In Wahrheit haben weder noch er noch seine Anhänger damit auch nur das Geringste zu tun.
Von den Massenprotesten gegen »rassistische Polizeigewalt«, die regelmäßig in Plünderungen, Brandstiftungen, schwere Sachbeschädigungen und gewalttätige Übergriffe ausarten, sind bis dato über 2000 Städte betroffen, in mehr als 200 Fällen wurden Ausgangssperren verhängt, in 30 Staaten mußte die Nationalgarde (also das Militär) einschreiten. Da im November die Präsidentschaftswahlen bevorstehen, wird Trump von seinen demokratischen Herausforderern, dem offensichtlich senilen 78jährigen Joe Biden und dessen »Running Mate« Kamala Harris verleumdet, was das Zeug hält. Dabei scheint es nicht mehr die geringsten Skrupel, Hemmungen oder moralischen Standards zu geben, worüber und in welchem Ausmaß gelogen werden darf.
Werbespots der Demokraten zeigen brennende Städte zu melancholischer Musikbegleitung, während Biden mit triefiger Stimme seine Anklage intoniert: »Die Feuer brennen, und wir haben einen Präsidenten, der die Flammen schürt.« Es liege an Trump, der Gewalt Einhalt zu gebieten, er müsse nur seine Anhänger und ihre bewaffneten Milizen zurückpfeifen. Ähnlich äußern sich die Kommentatoren progressiver Zeitungen und Fernsehsender, die die Exzesse ohne jegliche Evidenz dem Allzweck-Sündenbock und allgegenwärtigen Phantom »weiße Suprematie« anlasten.
Die Plünderungen, Brandstiftungen und Übergriffe gehen jedoch ausschließlich auf das Konto von schwarzen und weißen Linksextremisten, Antifaschisten, Anhängern der »Black Lives Matter«-Bewegung und diversen kriminellen Trittbrettfahrern. Sie wurden von Anfang an von den Wortführern und »Influencern« der Linken gerechtfertigt, verherrlicht und angestachelt. The Nation publizierte einen Artikel mit dem Titel »In Defense of Destroying Property« (»Zur Verteidigung der Zerstörung von Eigentum«, 10. Juni 2020), Jacobin erklärte seinen Lesern, »When Rioting Works« (»Wann Krawalle funktionieren«, 1. Juni 2020), und die Huffington Post pries das Pamphlet eines jüdischen Transsexuellen mit dem Titel In Defense of Looting: A Riotous History of Uncivil Action (»Zur Verteidigung der Plünderung: Eine aufrührerische Geschichte unzivilisierter Aktionen«).
Die Rhetorik folgt der klassisch linken Revolutionsromantik: Welche andere Möglichkeit sollen denn die Unterdrückten und Diskriminierten haben, um sich Luft zu machen und ihrer Stimme endlich Gehör zu verschaffen? Sie machen doch nur kaputt, was sie selber kaputt macht, nämlich das System des »institutionellen Rassismus« und des »weißen Privilegs«. Plünderungen bedeuten aus dieser Sicht nichts anderes als die Einkassierung von Reparationen für das von den Vorvätern erlittene Unrecht der Sklaverei.
Die dahinterstehende Doktrin wird von Gurus wie der Beststellerautorin Robin diAngelo oder dem »Rassismusforscher« Ibram X. Kendi verkündet, der unlängst von Twitter-Chef Jack Dorsey eine Spende von zehn Millionen Dollar erhielt. Kurzgefaßt behauptet sie, daß sämtliche sozialen Ungleichheiten zwischen Schwarzen und Weißen »Ergebnis einer systemischen Diskriminierung« seien, womit der Weiße zum Universal-Sündenbock schwarzen Versagens gemacht wird. Gemäß dieser Doktrin kann es keine positive weiße Identität geben, die nicht inhärent rassistisch wäre und damit Nicht-Weißen das Leben zur Hölle mache.
Es versteht sich von selbst, daß sich eine solche auf systematischem Rassenressentiment aufgebaute Ideologie rassenhaßerzeugend auswirken muß. »Black Lives Matter« ist indes alles andere als eine Stimme »von unten«. Das Narrativ dieser linksradikalen »Bewegung«, die sich als »antikapitalistisch« versteht, wird im Gegenteil von ganz, ganz weit »oben«, von so gut wie sämtlichen maßgeblichen Konzernen, Banken, Big-Tech-Firmen und Mediengiganten unterstützt, verbreitet und finanziert. Es wird der fälschliche Eindruck erweckt, die amerikanische Polizei sei mit nichts anderem beschäftigt, als aus nacktem Rassismus willkürlich Jagd auf wehrlose, unbewaffnete und unschuldige Schwarze zu machen. Verschwiegen werden dabei die enorm hohen schwarzen Kriminalitätsraten: Afroamerikaner stellen etwa 13 Prozent der US-Bevölkerung und sind im Schnitt für mehr als die Hälfte aller Tötungsdelikte verantwortlich. Rund 90 Prozent der afroamerikanischen Mordopfer werden jährlich von anderen Afroamerikanern getötet. 2018 wurden 42 Prozent aller getöteten Polizisten von Schwarzen ermordet, und 2017 wurden 90 Prozent der »interracial violent victimizations« (mit Ausnahme von Mord) von Schwarzen begangen. Das bedeutet, daß Gewalt von Schwarzen gegen Weiße weitaus häufiger ist als umgekehrt, wobei dahingestellt sei, ob diese Taten nun »rein« kriminell oder rassistisch motiviert sind oder beides zusammen. Sie werden jedoch von den Medien beharrlich totgeschwiegen, obwohl unzählige dieser Übergriffe auch filmisch dokumentiert wurden und im Internet zirkulieren.
Eine faustdicke Medienlüge stand auch am Anfang dieses Abstiegs ins Chaos. Ohne sie wäre es niemals zu Ausschreitungen in diesem Ausmaß gekommen. Ende Mai dieses Jahres wurde der Tod eines schwarzen Kleinkriminellen namens George Floyd in Polizeigewahrsam im Handumdrehen zum »rassistischen Mord« und weiteren empörenden Fall von »strukturellem Rassismus« erklärt. Es gibt in Wahrheit nicht den geringsten Beweis, daß die vier wegen Mordes zweiten und dritten Grades (beziehungsweise Beihilfe dazu) angeklagten Polizisten, einer davon gemischtrassig, einer koreanischer Abstammung, Floyd gezielt getötet hätten, geschweige denn aus rassistischen Gründen. Ein im August 2020 veröffentlichtes »Bodycam«-Video zeigt, wie sich Floyd seiner Festnahme durch bizarres Benehmen hartnäckig widersetzt, während sich die Polizisten vorbildlich professionell und geduldig verhalten. Eine Autopsie kam zu dem Schluß, daß der mit Covid-19 infizierte Floyd keineswegs wie behauptet an Ersticken verstorben war, sondern an Herzhypertrophie und Coronarsklerose gelitten und einen tödlichen Drogencocktail im Leib getragen hatte. In den Köpfen von Millionen Amerikanern insbesondere afrikanischer Abstammung steht die Schuld des weißen Polizisten Derek Chauvin, der auf Floyds Nacken gekniet war, um den unter Drogeneinfluß stehenden Zwei-Meter-Hünen zu fixieren, allerdings unverrückbar fest. Damit steckt die Justiz in der Klemme, denn ein Freispruch Chauvins und seiner Kollegen wird mit aller Wahrscheinlichkeit neue »Proteste« provozieren.
Die Linke ist sich dieses Erpressungspotentials durchaus bewußt, und manche scheuen sich nicht, diese Karte direkt auszuspielen. Der iranischstämmige Autor Reza Aslan ist nur einer von vielen: Schon im September 2018 schrieb er auf Twitter, »Bringen wir es hinter uns und beginnen wir endlich den Bürgerkrieg«. Anläßlich des Todes von Ruth Bader Ginsburg, einer von der Linken vergötterten Richterin des obersten Gerichtshofs, sprach er im September 2020 eine veritable Drohung aus: »Wenn sie es auch nur versuchen«, nämlich Ginsburgs Posten vor der Präsidentenwahl zu ersetzen, »brennen wir das ganze beschissene Ding nieder.« Subtiler klang ein Artikel von Shadi Hamid in der linksliberalen Zeitschrift The Atlantic vom 13. September 2020: »Ich glaube zwar nicht, daß Donald Trump ein Faschist oder zukünftiger Diktator oder daß Amerika ein gescheiterter Staat ist, aber ich ertappe mich dabei, wie ich mir ständig über ein einziges Szenario ernsthafte Sorgen mache: daß Trump die Wahl gewinnen wird, und die Demokraten und andere auf der Linken sich weigern oder sogar außerstande sein werden, das Resultat zu akzeptieren.« Eine Niederlage Joe Bidens würde »den Glauben an die Demokratie unterminieren, und noch mehr soziale Unruhen und Straßenkämpfe hervorbringen, wie wir sie in den letzten Monaten in Portland, Oregon und Seattle gesehen haben.« Darum liege ein Sieg Bidens auch im Interesse der »Law and Order«-Republikaner, »die auf die Randale und Plünderungen mit Abscheu reagiert haben«. Gewiß würde auch eine Niederlage Trumps große Teile des Landes in Frustration stürzen, aber eine Niederlage Bidens würde weitaus bedeutendere Implikationen haben, was »Massenunruhen und politische Gewalt in Amerikas Städten« angeht. Damit hat Hamid zugegeben, daß die Gewaltbereitschaft auf der Linken um etliches höher ist als auf der Rechten.
Das Thema »Rasse« ist zwar der Zündstoff der Proteste, dennoch wäre es zu diesem Zeitpunkt nicht ganz zutreffend, von einem »Rassenkrieg« zu sprechen. Erstmalig in der amerikanischen Geschichte haben sich auch viele offenbar schwer selbstentfremdete Weiße an rassisch motivierten Unruhen beteiligt, wie etwa in Portland / Oregon, einem Brennpunkt der Randale mit einem weißen Bevölkerungsanteil von 77 Prozent und einer besonders engagierten Antifa-Szene. Zwischen Weißen unterschiedlicher politischer Lager ist es bereits zu blutigen Zusammenstößen gekommen. Am 25. August tötete ein 17jähriger Patriot namens Kyle Rittenhouse, der mit einem halbautomatischen Gewehr bewaffnet war, in Kenosha / Wisconsin aus Notwehr zwei militante Antifaschisten und schoß einen dritten, der eine Schußwaffe auf ihn gerichtet hatte, kampfunfähig. Alle drei waren weiß und vorbestraft: unter anderem Einbruch, Diebstahl, Kinderschändung, häusliche Gewalt, Freiheitsberaubung und Verletzung von Bewährungsauflagen. Sie hatten sich an »Protesten« nach dem üblichen Muster beteiligt. Zwei Tage zuvor hatte die hiesige Polizei einen Schwarzen namens Jacob Blake niedergeschossen, der sich wie viele andere BLM-Märtyrer vor ihm seiner Verhaftung aktiv widersetzt hatte. Die Lage in Kenosha war derart schnell eskaliert, daß die Bezirksverwaltung die Nationalgarde zu Hilfe rufen mußte: »Unser Bezirk wird angegriffen. Unsere Geschäfte werden angegriffen. Unsere Wohnhäuser werden angegriffen. Unsere örtlichen Strafverfolgungsbehörden brauchen zusätzliche Unterstützung, um in unserer Gemeinde wieder zivile Ordnung herzustellen.«
Zusätzlich bildete sich eine patriotische Bürgerwehr, die zur Verteidigung der Stadt aufrief. Rittenhouse war nach eigener Aussage aus dem Nachbarstaat Illinois angereist, um die Bürger der Stadt vor Übergriffen und Ladeninhaber vor Vandalismus zu schützen. Er war wie ein Westernheld in die Stadt gekommen, um Recht und Ordnung zu schaffen, wo der Staat versagt hatte oder ziviler Unterstützung bedurfte. Er wurde einen Tag später verhaftet und des dreifachen Mordes angeklagt. Die Presse versuchte, ihn als »weißen Suprematisten« und Massenmörder hinzustellen, die drei Angreifer hingegen als »friedliche Protestler« und »Familienväter«. Initiativen von Rittenhouses Familie, über entsprechende Plattformen Spenden für die nun bitter benötigten Anwaltskosten zu sammeln, wurden von Big Tech sabotiert: GoFundMe, Discover Financial Services, Twitter, Facebook und Instagram löschten sämtliche Aufrufe zur Unterstützung von Rittenhouse; im Kontrast hierzu hat Jacob Blake via GoFundMe inzwischen rund 2,28 Millionen Dollar an Spenden eingesammelt. Weitaus weniger Publicity als Blake und Rittenhouse bekam die Ermordung des 39jährigen Trump-Anhängers Aaron Danielson durch einen achtundvierzigjährigen Antifaschisten in Portland, der danach in einem Feuergefecht mit der Polizei starb. Der Tod Danielsons wurde von etlichen Linksextremen offen gefeiert. Eine schwarze Protestlerin wurde gefilmt, wie sie eine vermummte Menge agitierte: »Unsere Gemeinschaft kann sich auch ohne Polizei behaupten. Wir können den Müll selber hinaustragen. Ich bin nicht traurig, daß heute ein verdammter Faschist gestorben ist.« Das ist eine unmißverständlich eliminatorische Rhetorik, während es auf beiden Seiten bereits erste Schußwechsel und Tote zu beklagen gibt.
Teile der amerikanischen Rechten schwelgen inzwischen in ähnlich fiebrigen Phantasien wie die Linken, insbesondere die Anhänger eines angeblichen unbekannten Whistleblowers namens »Q«, dessen kryptische Nachrichten seit 2016 über diverse Internetforen gestreut werden. Wo die Linke einen Staats- und Verfassungsstreich Trumps fürchtet, glaubt die »QAnon«-Szene an einen geheimen »Plan«, nach dem der Präsident den volks‑, verfassungs- und demokratiefeindlichen »tiefen Staat« fest im Griff hat und jeden Moment auffliegen lassen wird. In dieser von den Medien maßlos dämonisierten Szene kursieren etliche, teilweise schräge Theorien, die offenbar den psychologischen Zweck haben, über Trumps innenpolitisches Versagen und sein Brechen fast sämtlicher Wahlversprechen hinwegzutäuschen. »QAnon« trägt ebenso wie »Black Lives Matter« religiöse Züge und entsprechend irrational und faktenresistent verhalten sich seine Anhänger. Wenn der ominöse »Q« nicht selbst einer von Geheimdiensten betriebenen psychologischen Kriegsführungsstrategie entspringt (das wäre sozusagen die Meta-Verschwörungstheorie), dann handelt es sich hier um einen populistischen Kult »von unten«, der dem »von oben« angeordneten Black-Lives-Matter-Kult der Eliten gegenübersteht. Präsident Trump, der 2016 mit einer dezidierten »Law and Order«-Agenda angetreten war, hat sich bislang weder als Säuberer des korrupten »Sumpfes« der Innenpolitik noch als »faschistischer« starker Mann verhalten, der im Ernstfall genauso hart durchgreift wie etwa ein Lukaschenko in Weißrußland. Zwar sonderte er wie üblich vollmundige Tweets ab, der tatsächliche Einsatz von Militär und Polizei fiel bislang allerdings eher halbherzig aus. In manchen Städten haben sich gesetzesfreie Zonen gebildet, in denen entweder der Mob oder lokale Antifa- und BLM-Häuptlinge herrschen. Insbesondere die Polizei ist durch den moralischen Druck der »öffentlichen Meinung« in ihrem Handlungsspielraum erheblich eingeschränkt. Sie ist ständig mit schwarzen Gewalttätern konfrontiert und muß sich gleichzeitig hüten, weiteren »Rassismusvorwürfen« Vorschub zu leisten.
Der Verfall der USA äußert sich aber nicht nur im Versagen der staatlichen Institutionen, sondern auch im Zusammenbruch des nationalen Narrativs, auf dem die Würde des Staates und der Glanz, der Stolz und die Legitimität der Nation beruhen. Der Aufstand gegen den vermeintlichen »institutionalisierten Rassismus« hat einen beispiellosen Bildersturm ausgelöst, einerseits durch Vandalismus, andererseits auf Betreiben der staatlichen Behörden und Institutionen selbst. Große Teile der amerikanischen Geschichte, insbesondere des amerikanischen Südens, wurden dadurch gesäubert, ausgelöscht und mit einem Bannfluch versehen. Der Bürgerkrieg wird eineinhalb Jahrhunderte nach seinem Ende auf der symbolischen Ebene wieder aufgenommen, das feindliche Lager dabei allerdings beträchtlich über die Südstaaten von gestern hinaus erweitert. Was heute im Namen des Antirassismus attackiert wird, ist im Grunde die historisch überlieferte, traditionell »weiße« Identität der Vereinigten Staaten an und für sich.
Zu diesem Zweck lancierte das New York Times Magazine das »Projekt 1619«, das darauf abzielt, das Jahr der Ankunft der ersten schwarzen Sklaven in Virginia anstelle des Revolutionsjahres 1776 als Gründungsdatum der Nationalgeschichte durchzusetzen. Daß sich die schwarze Minderheit mit der traditionellen »großen Erzählung« der von Weißen gegründeten Nation nur eingeschränkt bis gar nicht identifizieren kann, ist zwar einerseits einleuchtend, andererseits wird hier weniger eine Versöhnung oder Synthese der unterschiedlichen geschichtlichen Perspektiven der Weißen und Schwarzen angestrebt, als eine komplette afrozentrische Umkehrung der bisherigen Hierarchie und Gewichtung. So deutete Christopher Caldwell in seinem Buch The Age of Entitlement (»Das Zeitalter des Anspruchsdenkens«) das Bürgerrechtsgesetz von 1964 als rivalisierende »zweite Verfassung«, die einem »System der permanenten politischen Umwälzung« und der »allumfassenden Ideologie der Vielfalt« Vorschub geleistet habe.
Trump hat auf diese symbolpolitischen Vorstöße mit einer Affirmation der traditionellen Geschichtserzählung geantwortet. Am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, hielt er eine Rede vor der monumentalen Kulisse des Mount Rushmore, in der er völlig richtig konstatierte: »Unsere Nation wird Zeuge einer erbarmungslosen Kampagne, die darauf abzielt, unsere Geschichte und unsere Werte auszulöschen, unsere Helden zu diffamieren und unsere Kinder zu indoktrinieren.« Im September 2020 forderte er ein »patriotisches Bildungsprogramm« mit einem Budget von fünf Milliarden Dollar. Zwei Monate vor der Präsidentschaftswahl mutet das wie ein verzweifelter Versuch an, die jahrzehntelange Wühlarbeit durch die Linke in letzter Sekunde rückgängig zu machen. 1915 hatte der Filmpionier D. W. Griffith sein Stummfilmepos The Birth of a Nation, das aus der Südstaatenperspektive die Geburt der USA aus den Wehen des Sezessionskrieges und der »Reconstruction«-Ära zeigte, mit einem Zwischentitel eröffnet, der heute wie ein Menetekel anmutet: »Die Überführung des Afrikaners nach Amerika hat die erste Saat der Uneinigkeit gepflanzt.« Sie geht heute ein zweites Mal auf, und sie wird den Vereinigten Staaten vermutlich endgültig das Rückgrat brechen, auch wenn sich ihre Agonie noch über einige Jahrzehnte erstrecken mag.