Kernspaltung in den USA

PDF der Druckfassung aus Sezession 98/ Oktober 2020

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Sind die Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka ein »fai­led sta­te« am Ran­de eines neu­en Bür­ger- und Sezes­si­ons­krie­ges? Die­se Ansicht wird inzwi­schen eben­so von ame­ri­ka­ni­schen Lin­ken wie Rech­ten ver­tre­ten, wobei kaum jemand noch zu hof­fen wagt, daß das zutiefst gespal­te­ne Land jemals wie­der zusam­men­wach­sen wird. Unter­schied­lich sind aller­dings die Mei­nun­gen, aus wel­chen Ursa­chen Staat und Gesell­schaft im Zer­fall begrif­fen sind oder wor­in genau die­ser Zer­fall über­haupt besteht. Für die Lin­ke gibt es natür­lich nur einen ein­zi­gen Schul­di­gen: Donald Trump, der seit sei­nem Amts­an­tritt im Jahr 2017 als ras­sis­ti­scher, nati­vis­ti­scher Usur­pa­tor betrach­tet wird. Er trach­te, so die Über­zeu­gung, danach, die ame­ri­ka­ni­sche Demo­kra­tie und den Rechts­staat, auf den die Ame­ri­ka­ner so stolz sind, von innen her auf­zu­lö­sen. Vie­les davon ist pure Phan­ta­sie, deren mit­un­ter abstru­se Blü­ten das Schlag­wort vom »Trump Der­an­ge­ment Syn­dro­me« auf­kom­men lie­ßen. So wird Trump von man­chen als Mas­sen­mör­der hin­ge­stellt, des­sen inkon­se­quen­te und inkom­pe­ten­te Poli­tik dar­an schuld sei, daß täg­lich angeb­lich tau­sen­de Men­schen in den USA an Covid-19 ster­ben. Auch die schwe­ren Ras­sen­un­ru­hen die­ses Som­mers wur­den dem Prä­si­den­ten unter dem Hash­tag #Trum­pRi­o­ts in die Schu­he gescho­ben. In Wahr­heit haben weder noch er noch sei­ne Anhän­ger damit auch nur das Gerings­te zu tun.

Von den Mas­sen­pro­tes­ten gegen »ras­sis­ti­sche Poli­zei­ge­walt«, die regel­mä­ßig in Plün­de­run­gen, Brand­stif­tun­gen, schwe­re Sach­be­schä­di­gun­gen und gewalt­tä­ti­ge Über­grif­fe aus­ar­ten, sind bis dato über 2000 Städ­te betrof­fen, in mehr als 200 Fäl­len wur­den Aus­gangs­sper­ren ver­hängt, in 30 Staa­ten muß­te die Natio­nal­gar­de (also das Mili­tär) ein­schrei­ten. Da im Novem­ber die Prä­si­dent­schafts­wah­len bevor­ste­hen, wird Trump von sei­nen demo­kra­ti­schen Her­aus­for­de­rern, dem offen­sicht­lich seni­len 78jährigen Joe Biden und des­sen »Run­ning Mate« Kama­la Har­ris ver­leum­det, was das Zeug hält. Dabei scheint es nicht mehr die gerings­ten Skru­pel, Hem­mun­gen oder mora­li­schen Stan­dards zu geben, wor­über und in wel­chem Aus­maß gelo­gen wer­den darf.

Wer­be­spots der Demo­kra­ten zei­gen bren­nen­de Städ­te zu melan­cho­li­scher Musik­be­glei­tung, wäh­rend Biden mit trie­fi­ger Stim­me sei­ne Ankla­ge into­niert: »Die Feu­er bren­nen, und wir haben einen Prä­si­den­ten, der die Flam­men schürt.« Es lie­ge an Trump, der Gewalt Ein­halt zu gebie­ten, er müs­se nur sei­ne Anhän­ger und ihre bewaff­ne­ten Mili­zen zurück­pfei­fen. Ähn­lich äußern sich die Kom­men­ta­to­ren pro­gres­si­ver Zei­tun­gen und Fern­seh­sen­der, die die Exzes­se ohne jeg­li­che Evi­denz dem All­zweck-Sün­den­bock und all­ge­gen­wär­ti­gen Phan­tom »wei­ße Supre­ma­tie« anlasten.

Die Plün­de­run­gen, Brand­stif­tun­gen und Über­grif­fe gehen jedoch aus­schließ­lich auf das Kon­to von schwar­zen und wei­ßen Links­extre­mis­ten, Anti­fa­schis­ten, Anhän­gern der »Black Lives Matter«-Bewegung und diver­sen kri­mi­nel­len Tritt­brett­fah­rern. Sie wur­den von Anfang an von den Wort­füh­rern und »Influen­cern« der Lin­ken gerecht­fer­tigt, ver­herr­licht und ange­sta­chelt. The Nati­on publi­zier­te einen Arti­kel mit dem Titel »In Defen­se of Des­troy­ing Pro­per­ty« (»Zur Ver­tei­di­gung der Zer­stö­rung von Eigen­tum«, 10. Juni 2020), Jaco­bin erklär­te sei­nen Lesern, »When Rio­ting Works« (»Wann Kra­wal­le funk­tio­nie­ren«, 1. Juni 2020), und die Huf­fing­ton Post pries das Pam­phlet eines jüdi­schen Trans­se­xu­el­len mit dem Titel In Defen­se of Loo­ting: A Rio­tous Histo­ry of Unci­vil Action (»Zur Ver­tei­di­gung der Plün­de­rung: Eine auf­rüh­re­ri­sche Geschich­te unzi­vi­li­sier­ter Aktionen«).

Die Rhe­to­rik folgt der klas­sisch lin­ken Revo­lu­ti­ons­ro­man­tik: Wel­che ande­re Mög­lich­keit sol­len denn die Unter­drück­ten und Dis­kri­mi­nier­ten haben, um sich Luft zu machen und ihrer Stim­me end­lich Gehör zu ver­schaf­fen? Sie machen doch nur kaputt, was sie sel­ber kaputt macht, näm­lich das Sys­tem des »insti­tu­tio­nel­len Ras­sis­mus« und des »wei­ßen Pri­vi­legs«. Plün­de­run­gen bedeu­ten aus die­ser Sicht nichts ande­res als die Ein­kas­sie­rung von Repa­ra­tio­nen für das von den Vor­vä­tern erlit­te­ne Unrecht der Sklaverei.

Die dahin­ter­ste­hen­de Dok­trin wird von Gurus wie der Best­stel­ler­au­torin Robin diAn­ge­lo oder dem »Ras­sis­mus­for­scher« Ibram X. Ken­di ver­kün­det, der unlängst von Twit­ter-Chef Jack Dor­sey eine Spen­de von zehn Mil­lio­nen Dol­lar erhielt. Kurz­ge­faßt behaup­tet sie, daß sämt­li­che sozia­len Ungleich­hei­ten zwi­schen Schwar­zen und Wei­ßen »Ergeb­nis einer sys­te­mi­schen Dis­kri­mi­nie­rung« sei­en, womit der Wei­ße zum Uni­ver­sal-Sün­den­bock schwar­zen Ver­sa­gens gemacht wird. Gemäß die­ser Dok­trin kann es kei­ne posi­ti­ve wei­ße Iden­ti­tät geben, die nicht inhä­rent ras­sis­tisch wäre und damit Nicht-Wei­ßen das Leben zur Höl­le mache.

Es ver­steht sich von selbst, daß sich eine sol­che auf sys­te­ma­ti­schem Ras­sen­res­sen­ti­ment auf­ge­bau­te Ideo­lo­gie ras­sen­haß­erzeu­gend aus­wir­ken muß. »Black Lives Mat­ter« ist indes alles ande­re als eine Stim­me »von unten«. Das Nar­ra­tiv die­ser links­ra­di­ka­len »Bewe­gung«, die sich als »anti­ka­pi­ta­lis­tisch« ver­steht, wird im Gegen­teil von ganz, ganz weit »oben«, von so gut wie sämt­li­chen maß­geb­li­chen Kon­zer­nen, Ban­ken, Big-Tech-Fir­men und Medi­en­gi­gan­ten unter­stützt, ver­brei­tet und finan­ziert. Es wird der fälsch­li­che Ein­druck erweckt, die ame­ri­ka­ni­sche Poli­zei sei mit nichts ande­rem beschäf­tigt, als aus nack­tem Ras­sis­mus will­kür­lich Jagd auf wehr­lo­se, unbe­waff­ne­te und unschul­di­ge Schwar­ze zu machen. Ver­schwie­gen wer­den dabei die enorm hohen schwar­zen Kri­mi­na­li­täts­ra­ten: Afro­ame­ri­ka­ner stel­len etwa 13 Pro­zent der US-Bevöl­ke­rung und sind im Schnitt für mehr als die Hälf­te aller Tötungs­de­lik­te ver­ant­wort­lich. Rund 90 Pro­zent der afro­ame­ri­ka­ni­schen Mord­op­fer wer­den jähr­lich von ande­ren Afro­ame­ri­ka­nern getö­tet. 2018 wur­den 42 Pro­zent aller getö­te­ten Poli­zis­ten von Schwar­zen ermor­det, und 2017 wur­den 90 Pro­zent der »inter­ra­cial vio­lent vic­ti­miza­ti­ons« (mit Aus­nah­me von Mord) von Schwar­zen began­gen. Das bedeu­tet, daß Gewalt von Schwar­zen gegen Wei­ße weit­aus häu­fi­ger ist als umge­kehrt, wobei dahin­ge­stellt sei, ob die­se Taten nun »rein« kri­mi­nell oder ras­sis­tisch moti­viert sind oder bei­des zusam­men. Sie wer­den jedoch von den Medi­en beharr­lich tot­ge­schwie­gen, obwohl unzäh­li­ge die­ser Über­grif­fe auch fil­misch doku­men­tiert wur­den und im Inter­net zirkulieren.

Eine faust­di­cke Medi­en­lü­ge stand auch am Anfang die­ses Abstiegs ins Cha­os. Ohne sie wäre es nie­mals zu Aus­schrei­tun­gen in die­sem Aus­maß gekom­men. Ende Mai die­ses Jah­res wur­de der Tod eines schwar­zen Klein­kri­mi­nel­len namens Geor­ge Floyd in Poli­zei­ge­wahr­sam im Hand­um­dre­hen zum »ras­sis­ti­schen Mord« und wei­te­ren empö­ren­den Fall von »struk­tu­rel­lem Ras­sis­mus« erklärt. Es gibt in Wahr­heit nicht den gerings­ten Beweis, daß die vier wegen Mor­des zwei­ten und drit­ten Gra­des (bezie­hungs­wei­se Bei­hil­fe dazu) ange­klag­ten Poli­zis­ten, einer davon gemischt­rassig, einer korea­ni­scher Abstam­mung, Floyd gezielt getö­tet hät­ten, geschwei­ge denn aus ras­sis­ti­schen Grün­den. Ein im August 2020 ver­öf­fent­lich­tes »Bodycam«-Video zeigt, wie sich Floyd sei­ner Fest­nah­me durch bizar­res Beneh­men hart­nä­ckig wider­setzt, wäh­rend sich die Poli­zis­ten vor­bild­lich pro­fes­sio­nell und gedul­dig ver­hal­ten. Eine Aut­op­sie kam zu dem Schluß, daß der mit Covid-19 infi­zier­te Floyd kei­nes­wegs wie behaup­tet an Ersti­cken ver­stor­ben war, son­dern an Herz­hy­per­tro­phie und Coro­nar­skle­ro­se gelit­ten und einen töd­li­chen Dro­gen­cock­tail im Leib getra­gen hat­te. In den Köp­fen von Mil­lio­nen Ame­ri­ka­nern ins­be­son­de­re afri­ka­ni­scher Abstam­mung steht die Schuld des wei­ßen Poli­zis­ten Derek Chau­vin, der auf Floyds Nacken gekniet war, um den unter Dro­gen­ein­fluß ste­hen­den Zwei-Meter-Hünen zu fixie­ren, aller­dings unver­rück­bar fest. Damit steckt die Jus­tiz in der Klem­me, denn ein Frei­spruch Chau­vins und sei­ner Kol­le­gen wird mit aller Wahr­schein­lich­keit neue »Pro­tes­te« provozieren.

Die Lin­ke ist sich die­ses Erpres­sungs­po­ten­ti­als durch­aus bewußt, und man­che scheu­en sich nicht, die­se Kar­te direkt aus­zu­spie­len. Der ira­nisch­stäm­mi­ge Autor Reza Aslan ist nur einer von vie­len: Schon im Sep­tem­ber 2018 schrieb er auf Twit­ter, »Brin­gen wir es hin­ter uns und begin­nen wir end­lich den Bür­ger­krieg«. Anläß­lich des Todes von Ruth Bader Gins­burg, einer von der Lin­ken ver­göt­ter­ten Rich­te­rin des obers­ten Gerichts­hofs, sprach er im Sep­tem­ber 2020 eine veri­ta­ble Dro­hung aus: »Wenn sie es auch nur ver­su­chen«, näm­lich Gins­burgs Pos­ten vor der Präsidenten­wahl zu erset­zen, »bren­nen wir das gan­ze beschis­se­ne Ding nie­der.« Sub­ti­ler klang ein Arti­kel von Shadi Hamid in der links­li­be­ra­len Zeit­schrift The Atlan­tic vom 13. Sep­tem­ber 2020: »Ich glau­be zwar nicht, daß Donald Trump ein Faschist oder zukünf­ti­ger Dik­ta­tor oder daß Ame­ri­ka ein geschei­ter­ter Staat ist, aber ich ertap­pe mich dabei, wie ich mir stän­dig über ein ein­zi­ges Sze­na­rio ernst­haf­te Sor­gen mache: daß Trump die Wahl gewin­nen wird, und die Demo­kra­ten und ande­re auf der Lin­ken sich wei­gern oder sogar außer­stan­de sein wer­den, das Resul­tat zu akzep­tie­ren.« Eine Nie­der­la­ge Joe Bidens wür­de »den Glau­ben an die Demo­kra­tie unter­mi­nie­ren, und noch mehr sozia­le Unru­hen und Stra­ßen­kämp­fe her­vor­brin­gen, wie wir sie in den letz­ten Mona­ten in Port­land, Ore­gon und Seat­tle gese­hen haben.« Dar­um lie­ge ein Sieg Bidens auch im Inter­es­se der »Law and Order«-Republikaner, »die auf die Ran­da­le und Plün­de­run­gen mit Abscheu reagiert haben«. Gewiß wür­de auch eine Nie­der­la­ge Trumps gro­ße Tei­le des Lan­des in Frus­tra­ti­on stür­zen, aber eine Nie­der­la­ge Bidens wür­de weit­aus bedeu­ten­de­re Impli­ka­tio­nen haben, was »Mas­sen­un­ru­hen und poli­ti­sche Gewalt in Ame­ri­kas Städ­ten« angeht. Damit hat Hamid zuge­ge­ben, daß die Gewalt­be­reit­schaft auf der Lin­ken um etli­ches höher ist als auf der Rechten.

Das The­ma »Ras­se« ist zwar der Zünd­stoff der Pro­tes­te, den­noch wäre es zu die­sem Zeit­punkt nicht ganz zutref­fend, von einem »Ras­sen­krieg« zu spre­chen. Erst­ma­lig in der ame­ri­ka­ni­schen Geschich­te haben sich auch vie­le offen­bar schwer selbst­ent­frem­de­te Wei­ße an ras­sisch moti­vier­ten Unru­hen betei­ligt, wie etwa in Port­land / Ore­gon, einem Brenn­punkt der Ran­da­le mit einem wei­ßen Bevöl­ke­rungs­an­teil von 77 Pro­zent und einer beson­ders enga­gier­ten Anti­fa-Sze­ne. Zwi­schen Wei­ßen unter­schied­li­cher poli­ti­scher Lager ist es bereits zu blu­ti­gen Zusam­men­stö­ßen gekom­men. Am 25. August töte­te ein 17jähriger Patri­ot namens Kyle Rit­ten­house, der mit einem halb­au­to­ma­ti­schen Gewehr bewaff­net war, in Keno­sha / Wis­con­sin aus Not­wehr zwei mili­tan­te Anti­fa­schis­ten und schoß einen drit­ten, der eine Schuß­waf­fe auf ihn gerich­tet hat­te, kampf­un­fä­hig. Alle drei waren weiß und vor­be­straft: unter ande­rem Ein­bruch, Dieb­stahl, Kin­der­schän­dung, häus­li­che Gewalt, Frei­heits­be­rau­bung und Ver­let­zung von Bewäh­rungs­auf­la­gen. Sie hat­ten sich an »Pro­tes­ten« nach dem übli­chen Mus­ter betei­ligt. Zwei Tage zuvor hat­te die hie­si­ge Poli­zei einen Schwar­zen namens Jacob Bla­ke nie­der­ge­schos­sen, der sich wie vie­le ande­re BLM-Mär­ty­rer vor ihm sei­ner Ver­haf­tung aktiv wider­setzt hat­te. Die Lage in Keno­sha war der­art schnell eska­liert, daß die Bezirks­ver­wal­tung die Natio­nal­gar­de zu Hil­fe rufen muß­te: »Unser Bezirk wird ange­grif­fen. Unse­re Geschäf­te wer­den ange­grif­fen. Unse­re Wohn­häu­ser wer­den ange­grif­fen. Unse­re ört­li­chen Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den brau­chen zusätz­li­che Unter­stüt­zung, um in unse­rer Gemein­de wie­der zivi­le Ord­nung herzustellen.«

Zusätz­lich bil­de­te sich eine patrio­ti­sche Bür­ger­wehr, die zur Ver­tei­di­gung der Stadt auf­rief. Rit­ten­house war nach eige­ner Aus­sa­ge aus dem Nach­bar­staat Illi­nois ange­reist, um die Bür­ger der Stadt vor Über­grif­fen und Laden­in­ha­ber vor Van­da­lis­mus zu schüt­zen. Er war wie ein Wes­tern­held in die Stadt gekom­men, um Recht und Ord­nung zu schaf­fen, wo der Staat ver­sagt hat­te oder zivi­ler Unter­stüt­zung bedurf­te. Er wur­de einen Tag spä­ter ver­haf­tet und des drei­fa­chen Mor­des ange­klagt. Die Pres­se ver­such­te, ihn als »wei­ßen Supre­ma­tis­ten« und Mas­sen­mör­der hin­zu­stel­len, die drei Angrei­fer hin­ge­gen als »fried­li­che Pro­test­ler« und »Fami­li­en­vä­ter«. Initia­ti­ven von Rit­ten­hou­ses Fami­lie, über ­ent­spre­chen­de ­Platt­for­men Spen­den für die nun bit­ter benö­tig­ten Anwalts­kos­ten zu sam­meln, wur­den von Big Tech sabo­tiert: GoFund­Me, Dis­co­ver Finan­cial Ser­vices, Twit­ter, Face­book und Insta­gram lösch­ten sämt­li­che Auf­ru­fe zur Unter­stüt­zung von Rit­ten­house; im Kon­trast hier­zu hat Jacob Bla­ke via GoFund­Me inzwi­schen rund 2,28 Mil­lio­nen Dol­lar an Spen­den ein­ge­sam­melt. Weit­aus weni­ger Publi­ci­ty als Bla­ke und Rit­ten­house bekam die Ermor­dung des 39jährigen Trump-Anhän­gers Aaron Dani­el­son durch einen acht­und­vier­zig­jäh­ri­gen Anti­fa­schis­ten in Port­land, der danach in einem Feu­er­ge­fecht mit der Poli­zei starb. Der Tod Dani­el­sons wur­de von etli­chen Links­extre­men offen gefei­ert. Eine schwar­ze Pro­test­le­rin wur­de gefilmt, wie sie eine ver­mumm­te Men­ge agi­tier­te: »Unse­re Gemein­schaft kann sich auch ohne Poli­zei behaup­ten. Wir kön­nen den Müll sel­ber hin­aus­tra­gen. Ich bin nicht trau­rig, daß heu­te ein ver­damm­ter Faschist gestor­ben ist.« Das ist eine unmiß­ver­ständ­lich eli­mi­na­to­ri­sche Rhe­to­rik, wäh­rend es auf bei­den Sei­ten bereits ers­te Schuß­wech­sel und Tote zu bekla­gen gibt.

Tei­le der ame­ri­ka­ni­schen Rech­ten schwel­gen inzwi­schen in ähn­lich fieb­ri­gen Phan­ta­sien wie die Lin­ken, ins­be­son­de­re die Anhän­ger eines angeb­li­chen unbe­kann­ten Whist­le­b­lo­wers namens »Q«, des­sen kryp­ti­sche Nach­rich­ten seit 2016 über diver­se Inter­net­fo­ren gestreut wer­den. Wo die Lin­ke einen Staats- und Ver­fas­sungs­streich Trumps fürch­tet, glaubt die »QAnon«-Szene an einen gehei­men »Plan«, nach dem der Prä­si­dent den volks‑, ver­fas­sungs- und demo­kra­tie­feind­li­chen »tie­fen Staat« fest im Griff hat und jeden Moment auf­flie­gen las­sen wird. In die­ser von den Medi­en maß­los dämo­ni­sier­ten Sze­ne kur­sie­ren etli­che, teil­wei­se schrä­ge Theo­rien, die offen­bar den psy­cho­lo­gi­schen Zweck haben, über Trumps innen­po­li­ti­sches Ver­sa­gen und sein Bre­chen fast sämt­li­cher Wahl­ver­spre­chen hin­weg­zu­täu­schen. »QAnon« trägt eben­so wie »Black Lives Mat­ter« reli­giö­se Züge und ent­spre­chend irra­tio­nal und fak­ten­re­sis­tent ver­hal­ten sich sei­ne Anhän­ger. Wenn der omi­nö­se »Q« nicht selbst einer von Geheim­diens­ten betrie­be­nen psy­cho­lo­gi­schen Kriegs­füh­rungs­stra­te­gie ent­springt (das wäre sozu­sa­gen die Meta-Ver­schwö­rungs­theo­rie), dann han­delt es sich hier um einen popu­lis­ti­schen Kult »von unten«, der dem »von oben« ange­ord­ne­ten Black-Lives-Mat­ter-Kult der Eli­ten gegen­über­steht. Prä­si­dent Trump, der 2016 mit einer dezi­dier­ten »Law and Order«-Agenda ange­tre­ten war, hat sich bis­lang weder als Säu­be­rer des kor­rup­ten »Sump­fes« der Innen­po­li­tik noch als »faschis­ti­scher« star­ker Mann ver­hal­ten, der im Ernst­fall genau­so hart durch­greift wie etwa ein Lukaschen­ko in Weiß­ruß­land. Zwar son­der­te er wie üblich voll­mun­di­ge Tweets ab, der tat­säch­li­che Ein­satz von Mili­tär und Poli­zei fiel bis­lang aller­dings eher halb­her­zig aus. In man­chen Städ­ten haben sich geset­zes­freie Zonen gebil­det, in denen ent­we­der der Mob oder loka­le Anti­fa- und BLM-Häupt­lin­ge herr­schen. Ins­be­son­de­re die Poli­zei ist durch den mora­li­schen Druck der »öffent­li­chen Mei­nung« in ihrem Hand­lungs­spiel­raum erheb­lich ein­ge­schränkt. Sie ist stän­dig mit schwar­zen Gewalt­tä­tern kon­fron­tiert und muß sich gleich­zei­tig hüten, wei­te­ren »Ras­sis­mus­vor­wür­fen« Vor­schub zu leisten.

Der Ver­fall der USA äußert sich aber nicht nur im Ver­sa­gen der staat­li­chen Insti­tu­tio­nen, son­dern auch im Zusam­men­bruch des natio­na­len Nar­ra­tivs, auf dem die Wür­de des Staa­tes und der Glanz, der Stolz und die Legi­ti­mi­tät der Nati­on beru­hen. Der Auf­stand gegen den ver­meint­li­chen »insti­tu­tio­na­li­sier­ten Ras­sis­mus« hat einen bei­spiel­lo­sen Bil­der­sturm aus­ge­löst, einer­seits durch Van­da­lis­mus, ande­rer­seits auf Betrei­ben der staat­li­chen Behör­den und Insti­tu­tio­nen selbst. Gro­ße Tei­le der ame­ri­ka­ni­schen Geschich­te, ins­be­son­de­re des ame­ri­ka­ni­schen Südens, wur­den dadurch gesäu­bert, aus­ge­löscht und mit einem Bann­fluch ver­se­hen. Der Bür­ger­krieg wird ein­ein­halb Jahr­hun­der­te nach sei­nem Ende auf der sym­bo­li­schen Ebe­ne wie­der auf­ge­nom­men, das feind­li­che Lager dabei aller­dings beträcht­lich über die Süd­staa­ten von ges­tern hin­aus erwei­tert. Was heu­te im Namen des Anti­ras­sis­mus atta­ckiert wird, ist im Grun­de die his­to­risch über­lie­fer­te, tra­di­tio­nell »wei­ße« Iden­ti­tät der Ver­ei­nig­ten Staa­ten an und für sich.

Zu die­sem Zweck lan­cier­te das New York Times Maga­zi­ne das »Pro­jekt 1619«, das dar­auf abzielt, das Jahr der Ankunft der ers­ten schwar­zen Skla­ven in Vir­gi­nia anstel­le des Revo­lu­ti­ons­jah­res 1776 als Grün­dungs­da­tum der Natio­nal­ge­schich­te durch­zu­set­zen. Daß sich die schwar­ze Min­der­heit mit der tra­di­tio­nel­len »gro­ßen Erzäh­lung« der von Wei­ßen gegrün­de­ten Nati­on nur ein­ge­schränkt bis gar nicht iden­ti­fi­zie­ren kann, ist zwar einer­seits ein­leuch­tend, ande­rer­seits wird hier weni­ger eine Ver­söh­nung oder Syn­the­se der unter­schied­li­chen geschicht­li­chen Per­spek­ti­ven der Wei­ßen und Schwar­zen ange­strebt, als eine kom­plet­te afro­zen­tri­sche Umkeh­rung der bis­he­ri­gen Hier­ar­chie und Gewich­tung. So deu­te­te Chris­to­pher Cald­well in sei­nem Buch The Age of Entit­le­ment (»Das Zeit­al­ter des Anspruchs­den­kens«) das Bür­ger­rechts­ge­setz von 1964 als riva­li­sie­ren­de »zwei­te Ver­fas­sung«, die einem »Sys­tem der per­ma­nen­ten poli­ti­schen Umwäl­zung« und der »all­um­fas­sen­den Ideo­lo­gie der Viel­falt« Vor­schub geleis­tet habe.

Trump hat auf die­se sym­bol­po­li­ti­schen Vor­stö­ße mit einer Affir­ma­ti­on der tra­di­tio­nel­len Geschichts­er­zäh­lung geant­wor­tet. Am 4. Juli, dem ame­ri­ka­ni­schen Unab­hän­gig­keits­tag, hielt er eine Rede vor der monu­men­ta­len Kulis­se des Mount Rushmo­re, in der er völ­lig rich­tig kon­sta­tier­te: »Unse­re Nati­on wird Zeu­ge einer erbar­mungs­lo­sen Kam­pa­gne, die dar­auf abzielt, unse­re Geschich­te und unse­re Wer­te aus­zu­lö­schen, unse­re Hel­den zu dif­fa­mie­ren und unse­re Kin­der zu indok­tri­nie­ren.« Im Sep­tem­ber 2020 for­der­te er ein »patrio­ti­sches Bil­dungs­pro­gramm« mit einem Bud­get von fünf Mil­li­ar­den Dol­lar. Zwei Mona­te vor der Prä­si­dent­schafts­wahl mutet das wie ein ver­zwei­fel­ter Ver­such an, die jahr­zehn­te­lan­ge Wühl­ar­beit durch die Lin­ke in letz­ter Sekun­de rück­gän­gig zu machen. 1915 hat­te der Film­pio­nier D. W. Grif­fith sein Stumm­film­epos The Birth of a Nati­on, das aus der Süd­staa­ten­per­spek­ti­ve die Geburt der USA aus den Wehen des Sezes­si­ons­krie­ges und der »Reconstruction«-Ära zeig­te, mit einem Zwi­schen­ti­tel eröff­net, der heu­te wie ein Mene­te­kel anmu­tet: »Die Über­füh­rung des Afri­ka­ners nach Ame­ri­ka hat die ers­te Saat der Unei­nig­keit gepflanzt.« Sie geht heu­te ein zwei­tes Mal auf, und sie wird den Ver­ei­nig­ten Staa­ten ver­mut­lich end­gül­tig das Rück­grat bre­chen, auch wenn sich ihre Ago­nie noch über eini­ge Jahr­zehn­te erstre­cken mag.

 

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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