Dem Staat verlorengehen

PDF der Druckfassung aus Sezession 99/ Dezember 2020

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Seit Mona­ten ren­nen in dut­zen­den Städ­ten tau­sen­de Bür­ger gegen eben­so strik­te wie inkon­se­quen­te, gegen rat­lo­se, sinn­lo­se, »alter­na­tiv­lo­se« Maß­nah­men an. Sie ren­nen gegen die Maß­nah­men an und mei­nen die Regie­rung, mei­nen die Regie­rung und sehen dahin­ter ein Geflecht aus Poli­tik, Staats­die­nern und Staats­me­di­en, staats­na­hen Medi­en, staats­na­hen Kon­zer­ne und einer staats­tra­gen­den »Zivil­ge­sell­schaft« – ein fest­ge­knüpf­tes Netz mit engen Maschen, aus dem kei­ner fal­len möch­te, der es ein­mal hin­ein­schaff­te. Tag für Tag schafft der Staat, schaf­fen die Behör­den neue Stel­len, die den Anspruch neu ent­deck­ter Rand­grup­pen oder an ihrer Arbeit gehin­der­ter Lock­down-Opfer gel­tend zu machen, ihn zu bespre­chen, aus­zu­han­deln, zu for­ma­li­sie­ren und zu erfül­len vorgeben.

Unser Staat, der ein­mal ein schlan­ker Fech­ter war, ist zur alles erdrü­cken­den, jeden säu­gen­den Sau gewor­den. Die zehn, zwölf Mil­lio­nen Leu­te, die alles bezah­len, schuf­ten Jahr für Jahr bis Mit­te August nur für ihre Abga­ben, man­che noch viel län­ger. Sie täten es ohne zu mur­ren, soli­da­risch und pflicht­be­wußt und dank­bar für die Absi­che­rung in erns­ter Lage, wenn sie wüß­ten, daß der­je­ni­ge, der ihnen nimmt, dem sie zu geben haben, spar­sam und effek­tiv, aus­glei­chend und – was für ein selt­sa­mes Wort in die­sem Zusam­men­hang! – eben­falls dank­bar zu wirt­schaf­ten ver­stün­de. Aber: Die­ser Staat ist weder spar­sam noch acht­sam, und er ist dabei, die­je­ni­gen zu erdrü­cken, die ihn tra­gen. Er tritt uns nicht gegen­über wie ein Vater sei­nen erwach­se­nen Kin­dern, son­dern wie der Soma-Ver­tei­ler den Epsi­lon-Semi-Kre­tins in Aldous Hux­leys Roman Schö­ne Neue Welt: Infan­ti­li­sie­rung und Absät­ti­gung, Ent­mün­di­gung und Almosen.

Gut: Uns und die­je­ni­gen, die sich nicht abhän­gig machen las­sen, infan­ti­li­siert er nicht, er kri­mi­na­li­siert sie, bestraft sie, stößt sie aus, ver­gleicht sie mit schlim­men Typen aus der Geschich­te und gibt vor, mit gro­ßem Ver­ant­wor­tungs­be­wußt­sein vor der Welt­öf­fent­lich­keit und unse­rer schuld­be­la­de­nen Ver­gan­gen­heit »den Anfän­gen zu weh­ren«. Las­sen wir ihm die­se Phra­se. Wel­chen Anfän­gen wehrt er? Doch bloß denen, die sei­nen welt­an­schau­lich gegen das eige­ne Volk gewen­de­ten Miß­brauch been­den und ihn für unser Volk refor­mie­ren wol­len, und er wehrt denen, die an eine sol­che Reform nicht mehr glau­ben, son­dern den tota­len Staat total in Fra­ge stel­len. Der Staat wehrt unse­ren Anfängen.

Glau­ben wir noch an Refor­mier­bar­keit? Glau­ben wir an den Rück­bau jener Mil­lio­nen Stel­len, die der Staat schuf oder die er an sei­ne Zit­zen häng­te, um alles zu ver­wal­ten und Abhän­gig­kei­ten zu schaf­fen, gegen die man kaum mehr anwäh­len, gegen die man kaum eine Par­tei pla­zie­ren kann? Glau­ben wir noch, daß es Poli­ti­ker geben könn­te, die den Staat zu einem erneut wür­di­gen, schlan­ken, effek­ti­ven Gebil­de refor­mie­ren und zugleich ver­hin­dern könn­ten, daß er zur Beu­te glo­ba­ler, ver­nut­zen­der, ort­lo­ser, aso­zia­ler Spie­ler wür­de? Glau­ben wir an Ent­bü­ro­kra­ti­sie­rung plus Staats­idee? An effek­ti­ve Soli­da­ri­tät? An Patrio­tis­mus und Frei­heit, an Selb­stän­dig­keit und Schutz, an Staats­dienst und Dankbarkeit?

Ich nicht mehr. Das hat lan­ge genug gedau­ert. Es lag an mei­ner Über­zeu­gung, man kön­ne ohne Rück­sicht auf wirt­schaft­li­che, tech­ni­sche und sozia­le Bedingt­hei­ten doch so etwas wie »rei­ne Poli­tik« trei­ben, also: eine Staats­idee Gestalt wer­den las­sen, die den Bedingt­hei­ten über­ge­ord­net wäre. Die­se mobi­li­sie­ren­de Vor­stel­lung hat sich als Illu­si­on erwie­sen, der Weg dort­hin führ­te von Pegi­da zum Auf­stieg der Alter­na­ti­ve und zuletzt mit Sie­ben­mei­len­stie­feln dort­hin, wo zig­tau­send Bür­ger hilf­los gegen eine zyni­sche Staats­macht anrennen.

Hof­fen wir, daß nach jeder Demons­tra­ti­on, nach jeder neu­en Zwangs­maß­nah­me wie­der tau­send Bür­ger die­sem Staat ver­lo­ren­ge­hen. Unse­re Auf­ga­be ist es dabei, zu ver­hin­dern, daß die­se Men­schen zugleich an eine dif­fu­se »Frei­heit« ver­lo­ren­ge­hen. (Die Ver­zweif­lung ist ihnen ins Gesicht geschrie­ben, man muß nur ein­mal in die Abend­ge­sich­ter bli­cken, wenn es vor der Poli­zei­ket­te hart auf hart geht.) »Die Rech­te kann heu­te kei­ne rein kon­ser­vie­ren­de Funk­ti­on haben – ihre Funk­ti­on muß viel­mehr auf wei­te Stre­cken eine spren­gen­de sein«, schrieb Armin Moh­ler ein­mal. Sie müs­se »eine siche­re Wit­te­rung dafür besit­zen, wie­viel sie spren­gen darf, ohne die Sub­stanz zu ver­let­zen.« Dies ist heu­te mehr denn je unse­re Aufgabe.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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