Künstlerkult und »Engagement«

von Sophie Liebnitz

PDF der Druckfassung aus Sezession 99/ Dezember 2020

In mei­nem kürz­lich ver­öf­fent­lich­ten Kapla­ken­bänd­chen Anti­ord­nung habe ich ein wich­ti­ges The­ma nicht mehr unter­ge­bracht. Wir befin­den uns mit­ten in einem gewal­ti­gen ideo­lo­gi­schen Wir­bel, in dem Gewiß­hei­ten, Geschlech­ter, All­tags­wel­ten und Insti­tu­tio­nen ver­schlun­gen zu wer­den dro­hen. Gleich­zei­tig fin­den wir uns einer Gegen­be­we­gung aus­ge­setzt, die durch rück­sichts­lo­ses­ten Druck neue Gewiß­hei­ten, Geschlech­ter, All­tags­wel­ten und Insti­tu­tio­nen zu ver­an­kern sucht, die para­do­xer­wei­se zugleich stets ver­än­der­bar sein sollen.

Als Fak­tor, der die­se schwin­del­erre­gen­de Dre­hung in Gang hält, haben wir eine anschei­nend unwi­der­steh­li­che his­to­ri­sche Kon­stel­la­ti­on aus­ge­macht: das Zusam­men­spiel einer aggres­si­ven öko­no­mi­schen Glo­ba­li­sie­rung mit post­mo­der­nen Denk­mus­tern, die sich zu ihrer Recht­fer­ti­gung her­ge­ben. Die­se »woke« Ideo­lo­gie ist aller­dings alles ande­re als kohä­rent: Sie beruft sich bei Bedarf auch gern ein­mal auf uni­ver­sa­lis­ti­sche Ele­men­te, die mit der radi­ka­len Iden­ti­täts­po­li­tik, die sie ansons­ten pre­digt, an sich unver­ein­bar sind. Wie nied­rig das Bedürf­nis nach Wider­spruchs­frei­heit aus­ge­prägt ist, erweist sich dar­an, daß eine Refle­xi­on auf die­ses Dilem­ma aus­ge­blie­ben ist. Das spie­gelt sich nicht nur im Stil der Theo­rie­bil­dung (über den ich im drit­ten Kapi­tel von Anti­ord­nung und im Vor­trag auf der dies­jäh­ri­gen Som­mer­aka­de­mie refe­riert habe), son­dern auch in Gestalt ihres typi­schen Ver­fech­ters und des Ide­al­ty­pus, an dem die­se Ver­fech­ter sich orientieren.

Der Unter­schied zur »logo­zen­tri­schen« klas­si­schen Lin­ken, deren Ide­al­ty­pen der klas­sen­be­wuß­te Arbei­ter, der dis­zi­pli­nier­te Kämp­fer und der Theo­re­ti­ker waren, liegt auf der Hand. Wohl­ge­merkt ein Theo­re­ti­ker, der Gedan­kengebäu­de errich­te­te. Das vege­ta­bi­li­sche Fort- und Aus­wu­chern des Den­kens über Meta­phern­ket­ten ist weder im His­to­ri­schen Mate­ria­lis­mus noch in den freie­ren Theo­rie­ge­bil­den des west­li­chen Mar­xis­mus zu fin­den. Her­kömm­li­ches lin­kes Den­ken ist Kon­struk­ti­on, nicht vege­ta­bi­li­sches Wuchern. Auch die dif­fe­ren­zier­ten und ver­fei­ner­ten Ver­tre­ter der Frank­fur­ter Schu­le waren alles ande­re als Rhi­zo­ma­ti­ker. Ador­no etwa sah sei­ne (bei Erich Fromm ent­lehn­te) Vor­stel­lung vom auto­ri­tä­ren Cha­rak­ter strikt im Mono­pol­ka­pi­ta­lis­mus und der Vor­herr­schaft der Waren­welt begrün­det. Sol­che Begrün­dun­gen mögen mono­man und mono­kau­sal wir­ken, bele­gen aber einen Denk­ty­pus, der noch um strin­gen­te Begrün­dun­gen und Erklä­run­gen kämpfte.

Das Ide­al des poli­ti­schen Kämp­fers war dem­entspre­chend nicht der Akti­vist (schon gar nicht der, der sich bei der Wahl eines unge­lieb­ten Prä­si­den­ten auf der Stra­ße wälzt und spit­ze Schreie aus­stößt), son­dern der Par­tei­sol­dat: Wie lan­ge es sich nach dem Krieg in der längst durch­in­di­vi­dua­li­sier­ten west­deut­schen Lin­ken hielt, kann man am Nach­le­ben von Ber­tolt Brechts Lehr­stück Die Maß­nah­me able­sen, das in aka­de­mi­schen Milieus jahr­zehn­te­lang kri­tik­los gefei­ert wur­de. Dar­in erklärt sich ein »jun­ger Genos­se«, der durch Aktio­nen spon­ta­nen Mit­lei­dens die revo­lu­tio­nä­re Wühl­ar­beit der Par­tei wie­der­holt gefähr­det, mit sei­ner eige­nen Erschie­ßung ein­ver­stan­den. Die Per­spek­ti­ven­struk­tur läßt kei­nen Zwei­fel an der Vor­bild­lich­keit die­ser Hal­tung, die das Lehr­stück ein­üben soll. Der Klas­si­ker-Sta­tus, den das Stück erlang­te, erklärt sich wohl gera­de aus der Tat­sa­che, daß die Aus­lö­schung des Selbst zuguns­ten eines poli­ti­schen Kampf­ziels in der BRD der acht­zi­ger und neun­zi­ger Jah­re in Wirk­lich­keit eine ganz und gar exo­ti­sche Vor­stel­lung war, wovon nicht zuletzt die Roman­ti­sie­rung der RAF zeugt.

Der­zeit sind wir mit einem völ­lig ande­ren intel­lek­tu­el­len und polit­ak­ti­vis­ti­schen Ges­tus kon­fron­tiert. Also noch­mals die Fra­ge: Wie konn­te das pas­sie­ren? Wie­so konn­ten auf die spitz­bär­ti­gen Trotz­ki-Kopien, die rau­sche­bär­ti­gen Ersatz-Cas­tros, die Che-Gue­va­ra-Müt­zen und die andäch­tig Meis­ter-Wor­te mur­meln­den Ador­ni­ten Wesen fol­gen, die »safe spaces« benö­ti­gen, sich wei­nend in die Arme fal­len, ganz vik­to­ria­nisch vor »Stel­len« in der Welt­li­te­ra­tur geschützt wer­den müs­sen und von jeg­li­cher Lebens­äu­ße­rung ande­rer Mei­nungs­grup­pen grund­sätz­lich belei­digt sind? Und die es nichts­des­to­we­ni­ger fer­tig­brin­gen, die­se extre­me Emp­find­sam­keit, was ihr Selbst angeht, mit einer Gewalt­nei­gung zu kop­peln, die zur Demo­lie­rung kom­plet­ter Stadt­vier­tel führt? Erklä­run­gen sind auf meh­re­ren Ebe­nen mög­lich. Mich inter­es­siert hier die­je­ni­ge, die man frü­her etwas dürr als Ideen­ge­schich­te und spä­ter, nicht viel aus­drucks­stär­ker, als Dis­kurs­ge­schich­te bezeich­net hat. Die Aus­drü­cke sind des­halb unbe­frie­di­gend, weil sie kein Bild davon geben, wie tief und prä­gend das, was sie bezeich­nen, ins Leben und Selbst­ver­ständ­nis von Men­schen ein­grei­fen kann. In die­sem Fall beson­ders. Die Idee, um die es hier geht, ist die des Selbst.

In der PC-Kul­tur lie­gen zwei Mus­ter mit­ein­an­der im Streit: Ein­mal ein kol­lek­ti­vie­ren­des, das Ein­zel­per­so­nen nach ihrer Haut­far­be, ihrem Geschlecht oder ihren sexu­el­len Vor­lie­ben kate­go­ri­siert und als Opfer oder Unter­drü­cker ein­sor­tiert (einer Zuord­nung, der man sich als Wei­ßer und Hete­ro­se­xu­el­ler nur teil­wei­se ent­zie­hen kann, indem man sich als – natur­ge­mäß stets defi­zi­en­ter – Ver­bün­de­ter dekla­riert). Hier­hin gehö­ren all die Haß­ti­ra­den gegen wei­ße Män­ner, die Vor­stel­lung eines allent­hal­ben wuchern­den »struk­tu­rel­len« Ras­sis­mus und die grund­sätz­li­che mora­li­sche Über­le­gen­heit gan­zer Opfer­grup­pen, die im Wege magi­scher Par­ti­zi­pa­ti­on auf jedes ein­zel­ne Mit­glied über­geht, auch wenn die­ses per­sön­lich pri­vi­le­giert sein sollte.

Und zwei­tens ein indi­vi­dua­li­sie­ren­des Mus­ter, das ich als expres­sio­nis­tisch-gefühls­ori­en­tiert bezeich­nen möch­te. Und die­ses hat es in sich, denn es ist, im Gegen­satz zu den kol­lek­ti­vis­ti­schen Ansät­zen, gewis­ser­ma­ßen in der DNA moder­ner, ihrer Selbst­de­fi­ni­ti­on nach libe­ra­ler Gesell­schaf­ten ver­an­kert. Es ent­steht gleich­zei­tig mit die­sen in der soge­nann­ten Sattel­zeit, ab etwa der Mit­te des acht­zehn­ten Jahr­hun­derts bis in die ers­ten bei­den Jahr­zehn­te des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts hin­ein, in denen es voll aus­ge­bil­det ist, und wirkt bis heu­te nach. Auf der öko­no­mi­schen Ebe­ne wird es durch das kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaf­ten inne­woh­nen­de Kon­kur­renz­den­ken getrie­ben, reli­gi­ons­ge­schicht­lich zehrt es von der pro­tes­tan­ti­schen Kon­zen­tra­ti­on auf den ein­zel­nen in sei­nem Ver­hält­nis zu Gott, poli­tisch spie­gelt es sich in der Bedeu­tung, die Indi­vi­du­al­rech­ten zuer­kannt wird. Aber das reicht zu sei­ner Bestim­mung nicht aus. Wesent­lich ist ein Ver­ständ­nis vom Selbst, das als sein eige­ner Ursprung und sein eige­nes Ziel auf­ge­faßt wird (soweit die west­li­che Moder­ne die­ser Auf­fas­sung hul­digt, ruht sie auf der Grund­la­ge der Blas­phe­mie, was die reiz­ba­re Reak­ti­on der isla­mi­schen Welt ver­ständ­lich macht). Alle per­sön­li­chen Akti­vi­tä­ten gel­ten daher fort­an als Aus­druck die­ser geheim­nis­vol­len Instanz, deren Wün­schen und Emp­fin­dun­gen eine unge­heu­re Wich­tig­keit bei­gemes­sen wird. Um die »freie Ent­fal­tung der Per­sön­lich­keit« kreist – soweit er nicht nur markt­ori­en­tiert ist – der gesam­te libe­ra­le und libe­ra­lis­ti­sche Dis­kurs. Dazu muß man sich aber erst ein­mal als »Per­sön­lich­keit« und »Indi­vi­du­um« ver­ste­hen und ent­wer­fen kön­nen, eine Anstren­gung, die kol­lek­ti­vis­ti­scher ver­fass­te Kul­tu­ren, die dafür ande­re Zumu­tun­gen bereit­hal­ten, ihren Mit­glie­dern größ­ten­teils ersparen.

Die­ser Per­sön­lich­keits­kult braucht also Vor­bil­der, die für Ver­eh­rung und Nach­ah­mung zur Ver­fü­gung ste­hen. Die­se lie­fert seit etwa zwei­hun­dert­fünf­zig Jah­ren (wenn man den »Vor­lauf« der Renais­sance, die des­sen Auf­wer­tung bereits ins Werk setzt, nicht mit­rech­net) der Typus des ­Künst­lers. Die neue­re euro­päi­sche Kul­tur­ge­schich­te war und ist auch eine Geschich­te des Kunst‑, vor allem aber des Künst­ler­kults. Die­ser Kul­tus wird und bleibt ein inte­gra­ler Zug der bür­ger­li­chen Gesell­schaft. Die »Legen­de von Künst­ler« fei­ert nicht nur das Indi­vi­du­um als Sin­gu­la­ri­tät; sie spricht dem Künst­ler außer­dem die Fähig­keit zum »Aus­druck« die­ses ein­zig­ar­ti­gen Selbst zu (Expres­si­ons­mo­dell) und attes­tiert ihm »Authen­ti­zi­tät«, also Echt­heit von Aus­druck und Erle­ben. Der Künst­ler lebt damit die moder­ne Auf­fas­sung vom Selbst gewis­ser­ma­ßen auf einer Büh­ne vor. Lite­ra­ten und Schau­spie­ler ste­hen dabei als Model­le ganz oben.

Wer jetzt die Nase rümpft und meint, die­ses Mus­ter hät­te mit dem roten Plüsch und dem Mar­mor his­to­ris­ti­scher Muse­ums­bau­ten sei­ne Gül­tig­keit ver­lo­ren, hat ent­we­der einen ver­eng­ten (»bür­ger­li­chen«) Kunst­be­griff, oder die media­len Tsu­na­mis um # Metoo, Trans­se­xua­li­tät und Black Lives Mat­ter sind an ihm vor­über­ge­zo­gen: In allen die­sen Fäl­len waren und sind Künst­ler, und ganz beson­ders Schau­spie­ler und Schrift­stel­ler, an vor­ders­ter Front in den Mei­nungs­kampf ver­strickt, in dem sie als Auto­ri­tä­ten gehan­delt wer­den. Hol­ly­wood war sowie­so über­all dabei. Die Schau­spie­le­rin Alys­sa Mila­no brach­te # Metoo maß­geb­lich auf den Weg, der Schau­spie­ler Kevin Bacon bewarb ein Tik­Tok-Video, das Klein­kin­der zeigt, die »für Black Lives Mat­ter« mar­schie­ren. Die erbit­ter­te Aus­ein­an­der­set­zung um die Risi­ken, die ent­ste­hen, wenn man Män­nern erlaubt, sich als Frau­en zu defi­nie­ren, erreich­te den Main­stream erst, als sich Har­ry-Pot­ter-Autorin J. K. Row­ling ein­misch­te. Prompt wur­de sie, wie­der­um maß­geb­lich aus Hol­ly­wood, mit Ex-Kom­mu­ni­ka­ti­on bedroht. Kunst­ga­le­rien quer durch die USA behaup­te­ten, Wer­ke zu Guns­ten von BLM zu ver­kau­fen, die Street Art erleb­te mit dem The­ma einen Aufschwung.

In Deutsch­land mel­de­ten sich Musi­ker wie Cam­pi­no oder Udo Lin­den­berg oder der Schau­spie­ler Til Schwei­ger zur Auf­nah­me von Flücht­lin­gen zu Wort. Als Iden­ti­fi­ka­ti­ons­ob­jekt eig­nen sich sogar per defi­ni­tio­nem schwei­gen­de Künst­ler, wie der AfD-has­sen­de Pia­nist Igor Levit, der von einer Wel­le empör­ter Anhän­ger gegen eher mode­ra­te Kri­tik an sei­nen poli­ti­schen Show­ein­la­gen in Schutz genom­men wur­de. Die Wort­mel­dun­gen selbst sind dabei mehr­heit­lich scha­blo­niert und unin­ter­es­sant – bemer­kens­wert ist nur, daß wir in einer Kul­tur leben, in der die­sen poli­tisch fast demons­tra­tiv unbe­darf­ten Stim­men der Rang eines Ora­kels zukommt.

Die Bei­spie­le las­sen sich belie­big ver­meh­ren. Um auf mei­ne Aus­gangs­be­haup­tung zurück­zu­kom­men: Die Strahl­kraft des »Künst­ler­mo­dells« ist trotz der Sub­jekt­kri­tik der Post­mo­der­nis­ten unge­bro­chen und wird durch die Medi­en nicht »ent-aura­ti­siert«. Im Gegen­teil, die Aura von Künst­ler und Werk wird durch die media­le Ver­ge­gen­wär­ti­gung und Ver­viel­fa­chung kei­nes­wegs, wie Wal­ter Ben­ja­min noch mein­te, zer­stört, son­dern gesteigert.

Das und die Geschich­te des Künst­lers als sozia­ler Erschei­nung erklärt die Vor­bild­wir­kung die­ser Figu­ren und ihrer Pra­xis. Wenn Glenn Clo­se und Leo­nar­do di Caprio oder gar Madon­na sich »enga­gie­ren«, dann bestä­tigt und befeu­ert das das »Enga­ge­ment« und Selbst­bild gan­zer Alters­ko­hor­ten und ihrer (je nach­dem) sen­ti­men­ta­len Eltern oder Kinder.

Was aber (außer einem mitt­ler­wei­le eta­blier­ten enor­men Anpas­sungs­druck) erklärt die Tat­sa­che, daß Künst­ler der­art weit über­wie­gend pro­gres­sis­ti­sche Posi­tio­nen bezie­hen? Kaum ein pro­mi­nen­ter ame­ri­ka­ni­scher oder euro­päi­scher Ver­tre­ter die­ser Spe­zi­es, der nicht als »blee­ding-heart libe­ral« auf­tritt, also als jemand der am gan­zen Jam­mer der Welt lei­det und sich nichts weni­ger als des­sen Besei­ti­gung auf die Fah­nen geschrie­ben hat.

Sicher gibt es hier eine Spi­ra­le des gegen­sei­ti­gen Auf­schau­kelns, eine Art Paar­tanz zwi­schen Stars und Publi­kum. Das (trotz hef­ti­ger Atta­cken) auch mit der Post­mo­der­ne nicht ver­schwun­de­ne Künst­ler­bild weist die­sem einer­seits den Bereich des Emo­tio­na­len und der emo­tio­na­len Kom­pe­tenz zu; der Künst­ler ist ein Vir­tuo­se des stell­ver­tre­ten­den Gefühls­aus­drucks – er lebt vor, und der Leser, Hörer, Betrach­ter darf sich mit sei­nen Bedürf­nis­sen in ihm wie­der­erken­nen und nach-leben. In Erman­ge­lung von Auto­ri­tä­ten wird die­se Offer­te nicht nur von Jugend­li­chen ger­ne auf­ge­grif­fen. Die Ansprü­che der »Pro­tes­tie­ren­den« auf rest­lo­se Über­ein­stim­mung der Welt mit ihren Posi­tio­nen ent­spre­chen der Anspruchs­hal­tung einer Diva. Die ech­ten Diven des Kul­tur­le­bens und Show-Busi­ness wie­der­um kön­nen schwer hin­ter die­se zurückfallen.

Ande­rer­seits wird der Künst­ler nicht nur mit der Rol­le eines Cham­pi­ons des Gefühls, son­dern auch eines Cham­pi­ons der Gerech­tig­keit, also mit einer uni­ver­sa­lis­ti­schen For­de­rung, bela­den. Die Drey­fus-Affä­re (nicht zufäl­lig neu­lich wie­der ver­filmt) dürf­te hier neue Erwar­tungs-Stan­dards gesetzt haben, frei­lich unter Rück­griff auf die Rol­le auf­klä­re­ri­scher Intel­lek­tu­el­ler wie Vol­taire, die sich bevor­zugt Lite­ra­ten zu eigen machen. Das Posie­ren in der Rol­le eines Émi­le Zola gehört zum Berufs­bild, auch wenn die Anläs­se zu der­art berech­tig­ter Empö­rung rar sind. Die »Ras­sis­mus«- und »Frauenfeindlichkeit-Homophobie-Transphobie«-Rufe sind das »J’accuse« unse­rer Zeit. Sie klin­gen genau­so hohl und posie­rend wie das »Sire, geben Sie Gedan­ken­frei­heit!« in einer Auf­füh­rung von Schil­lers oder Giu­sep­pe Ver­dis Don Car­los – gro­ße Oper.

Ach ja, und wo ist die Fra­ge nach der Ord­nung geblie­ben? Sie hat uns als eine Art Nega­tiv die gan­ze Zeit beglei­tet: Den Künst­ler­ty­pus als all­tags­taug­li­che Vor­la­ge des Selbst zu sti­li­sie­ren, ist der hyper­tro­phe und wider­sprüch­li­che Ver­such, dem Indi­vi­du­um mit der Schöp­fung sei­ner selbst auch die (Neu-)Ordnung und Ein­rich­tung der Welt auf­zu­bür­den. Er bil­det damit, wenn man so will, die Fra­gi­li­tät und die gleich­zei­ti­ge erstaun­li­che Zähig­keit moder­ner Zustän­de ab. Was aus ihm und uns wird, ist nicht abzu­se­hen. Klar ist nur: Kul­tur­kri­ti­sche Refle­xi­on von rechts (und übri­gens auch von links) soll­te nicht auf die­se bür­ger­li­che Schi­mä­re her­ein­fal­len. Eine nach­mo­der­ne Ord­nung, falls es eine sol­che jemals geben soll­te, müß­te ent­we­der auf einem älte­ren oder auf einem noch unbe­kann­ten Typus des Selbst auf­ge­baut sein. ¡

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