Die Industrie- und Konsumgesellschaften westlicher Provenienz stehen mit ihrer natürlichen Umwelt in einer hochdynamischen, instabilen Austauschbeziehung kriseninduzierenden Charakters. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die kapitalistische Ökonomie und ihre Produktionsprozesse, auf denen das gesellschaftliche System des Liberalismus aufbaut, die Umweltbedingungen in einem derart rasenden Tempo transformieren, daß die natürlichen Ökosysteme diesen in ihrer langsamen, evolutionären Entwicklungsgeschwindigkeit nicht gewachsen sind – ihnen fehlt schlicht die Fähigkeit zur Adaption in einer solch kurzen Zeitspanne. Das Ergebnis ist die »Natur« als dauerhafter Problemfaktor, der die Stabilität der liberalen (Un-) Ordnung in Frage stellt bzw. aufzeigt, daß unsere Industrie- und Konsumgesellschaften keinen stabilen Zustand darstellen und diesen auch nicht gewährleisten können.
Der entscheidende Schritt, um diesen selbstzerstörerischen Prozeß zu stoppen, ist die Verringerung der Stoffumsätze, also den Verbrauch und Konsum von Ressourcen auf ein Minimum zu reduzieren. Der bekannte Postwachstumstheoretiker Niko Paech sieht die ersten Maßnahmen zur Erlangung dieses Ziels darin, daß »keine Flächen mehr versiegelt oder bebaut« werden. Stattdessen wird zurückgebaut und »unnötige Verkehrs- und Gewerbeflächen werden in grüne Areale zurück verwandelt«. Ferner sieht er die Stadt als eine »nahezu autofrei[e]« Zone.
Es ist augenscheinlich, daß es für die Umsetzung dieser Vorhaben eines grundlegenden Umbaus unserer aktuellen Lebensverhältnisse bedarf. Bereits die autofreie Stadt bedeutet eine völlige Reorganisation von urbanem Leben, da die Warenbesorgungen vorzugsweise über die unmittelbare Nähe im Stadtviertel erfolgen müssen. Konzentrierte Einkaufszentren am Stadtrand, wie sie heute das Bild selbst mancher deutscher Kleinstadt prägen, gehörten so bald der Vergangenheit an. Die urbanen Verhältnisse würden sich in ihrem Grundprinzip eher denen des Mittelalters annähern – kein Zerfasern in die Fläche, sondern eine Konzentration mit unweigerlicher Grenzziehung zwischen urbanem Innen und Außen. Städtebauliche Konzepte, wie sie beispielsweise der Architekturtheoretiker und New Urbanist Léon Krier entwirft, müßten zwangsläufig die liberalen »Freiheiten« im Bau ablösen – nur mit einer neuen Stringenz und einer schrankengebenden Ordnung ließe sich die notwendige Neuordnung umsetzen.
Doch die Wiederherstellung von Nähe betrifft nicht nur das Urbane, sondern die Gesellschaft als Ganzes. Insbesondere die langen Wege auf dem Land und die durch den Verlust der klassischen ruralen Organisation hervorgerufene Zergliederung, die den Besitz eines Automobils im ländlichen Raum beinahe obligatorisch macht, muß zur Erfüllung der Postwachstumsziele einer »Neuen Regionalität« weichen, während gleichzeitig das Leben insgesamt so entschleunigt wird, daß die ein oder andere wichtige Besorgung, die nicht im unmittelbaren Umkreis gemacht werden kann, im Grunde wieder »altertümlich« erledigt wird: nämlich im Rahmen einer ein- bis mehrtägigen Reise zu Fuß oder per Tiergespann. Im ersten Moment mag diese Forderung radikal erscheinen, doch die Losung »Keine weitere Versiegelung von Fläche und Rückbau!« bedeutet zwangsläufig eine extreme Einschränkung heutiger individueller Mobilität und das in jeder Hinsicht.
Der französische Philosoph und Vordenker der Nouvelle Droite, Alain de Benoist, fordert in diesem Zusammenhang daher unlängst in der dritten Ausgabe der ökologischen Zeitschrift Die Kehre einen »systemischen Wandel«. Darin plädiert er für den Aufbau »autonomer Mikrogesellschaften« und die »Relokalisierung der Produktion«. Das beinhaltet eine Organisation in »Genossenschaften, nachbarschaftliches Wirtschaften, kurze Kreisläufe, lokale Währungen« und »den Schutz der Böden und Landschaften«. Weiter bindet Benoist dieses Programm an eine Rehabilitierung des Gemeinwesens, »denn keine Gesellschaft kann allein auf der Grundlage des legalen Vertrags und des kommerziellen Austauschs funktionieren«. Es wird deutlich, daß eine Relokalisierung mehr als nur das Ökonomische und Ökologische berühren würde – sie strahlt automatisch auf das Soziale aus. In Gesellschaften, die sich auf diese Weise wieder ein Zentrum geben, erhalten Raum und Ort ihr altes Gewicht und würden als maßgebliche soziale Bezugspunkte erneut reüssieren.
Indes sind die Forderungen Benoists keine ideengeschichtliche Neuheiten, sondern werden seit Anbeginn der Formierung ökologischer Bewegungen Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts breit in diesen diskutiert und unter dem Überbegriff des »Bioregionalismus« zusammengefaßt. Anstatt im Rahmen einer »Krisenökologie« lediglich Grenzen der Belastbarkeit festzulegen (siehe bspw. das Pariser Klimaabkommen), ohne den Auslöser, nämlich die ökonomische und soziale Funktionsweise der Industrie- und Konsumgesellschaften, an sich fundamental zu hinterfragen, zielen bioregionale Ansätze auf grundlegende Alternativen, die, wie der Begriff bereits impliziert, regionale Zusammenhänge in den Mittelpunkt ihrer Konzeptionen setzen. »Wir begreifen endlich, dass die Rettung der Welt nur durch die Entwicklung der Bioregionen zu voll verantwortlichen, wirtschaftlich autarken sozialen Einheiten, in denen die bioregionalen Einwohner die Entscheidung, von denen sie betroffen sind, verstehen und kontrollieren, bewirkt werden kann«, faßten es die beiden Pioniere des Bioregionalismus im deutschsprachigen Raum, Roman Schweidlenka und Eduard Gugenberger, in ihrem Buch Bioregionalismus: Bewegung für das 21. Jahrhundert von 1995 zusammen.
Also ein ähnliches, wenn nicht sogar deckungsgleiches Ansinnen wie das, was Benoist im Rahmen »autonomer Mikrogesellschaften« propagiert. Es verwundert daher nicht, daß der mittlerweile verstorbene Umweltsoziologe Bernd Hamm in einem über die Universität Trier veröffentlichten Papier zum Bioregionalismus, das er in Kooperation mit der Geologin Barbara Rasche verfaßte, zu folgender Feststellung gelangte: »Das Konzept des Bioregionalismus beinhaltet esoterische, ökologische und völkische Aspekte.« Daher lasse sich das Konzept des Bioregionalismus »ganz allgemein als ›Synthese unterschiedlichster Bewegungen – des Regionalismus alter Prägung mit seinem kultur-politischen Forderungsprogramm, der diversen ökologischen Strömungen, der neuen sozialen und spirituellen Bewegungen‹ verstehen«. Diese Einschätzung konvergiert wiederum mit Benoists Wahrnehmung, daß die Ökologie eine neue Form der konservativen Revolution darstellt: »Sie ist per definitionem konservativ, da sie auf den Schutz der heute gefährdeten Ökosysteme abzielt. Gleichzeitig ist sie revolutionär, denn ein solches Ziel wird niemals erreicht werden, wenn man nicht entschlossen aus der Marktgesellschaft, aus der Besessenheit des Wachstums um jeden Preis, aus dem Axiom des Interesses und aus dem Fetischismus der Ware herauskommt.«
Verbindet man all die hier aufgeführten Kategorisierungen, stellt der Bioregionalismus schlußendlich ein konservativ-revolutionäres Programm dar, mit dem sich die ökologisch motivierte Kritik von rechts an den Industrie- und Konsumgesellschaften westlicher Provenienz in einem konstruktiven Ansatz bündeln läßt, der nicht im Anprangern und Theoretisieren stecken bleibt, sondern eine konkrete Alternative anbietet, die in die Tat umgesetzt werden kann. Jedes (kleine) Kollektiv, das sich nach den Prinzipien des Bioregionalismus organisiert, bedeutet einen Akt der Stabilisierung, der inmitten der »flüchtigen« Moderne und ihrer vollständigen Ortlosigkeit sowie totalen Mobilisation aller Bestände einen gewichtigen Kontrapunkt der Verstetigung setzt. Im Bioregionalismus eröffnet sich die Möglichkeit zum Wiedererstarken normativer Bindungen (also fester kultureller Bezugspunkte), die in Gesellschaften des allgegenwärtigen Überflusses als »rückständige«, oppressive Relikte unaufgeklärter Zeiten gelten und im Prozeß der »Individualisierung« aufgelöst wurden.
Diese festen sozialen Institutionen konstituieren in Wahrheit jedoch die überzeitliche Voraussetzung stabiler menschlicher Gemeinschaften. Im Gegensatz zu den universalistischen Projekten des »Westens«, die alles Feste zu verflüchtigen und aufzulösen suchen, strebt der Bioregionalismus die Fixierung eines gesellschaftlichen Zustands respektive das erhebliche Verlangsamen von sozialem und ökonomischen Wandel an, womit er das Potential birgt, dem liberalen System den schwerstmöglichen Schaden zuzufügen. Der Aufbau bioregionaler Strukturen bietet die Möglichkeit zum wirkmächtigsten Heraustreten aus den Pfaden des allesverzehrenden Leviathans, den die Industrie- und Konsumgesellschaften westlicher Provenienz verkörpern.
»Authentische Ökologie impliziert radikale Veränderung unserer Lebensweise«, konstatiert Benoist im bereits zitierten Gespräch mit der Zeitschrift Die Kehre. Der Bioregionalismus liefert das konservativ-revolutionäre Konzept, mit dem diese radikale Veränderung zu bewerkstelligen ist.