Ökologische Betrachtungen (7) – Bioregionalismus

PDF der Druckfassung aus Sezession 99/ Dezember 2020

Die Indus­trie- und Kon­sum­ge­sell­schaf­ten west­li­cher Pro­ve­ni­enz ste­hen mit ihrer natür­li­chen Umwelt in einer hoch­dy­na­mi­schen, ­insta­bi­len Aus­tausch­be­zie­hung kri­sen­in­du­zie­ren­den Cha­rak­ters. Es ist nicht von der Hand zu wei­sen, daß die kapi­ta­lis­ti­sche Öko­no­mie und ihre Pro­duk­ti­ons­pro­zes­se, auf denen das gesell­schaft­li­che Sys­tem des Libe­ra­lis­mus auf­baut, die Umwelt­be­din­gun­gen in einem der­art rasen­den Tem­po trans­for­mie­ren, daß die natür­li­chen Öko­sys­te­me die­sen in ihrer lang­sa­men, evo­lu­tio­nä­ren Ent­wick­lungs­ge­schwin­dig­keit nicht gewach­sen sind – ihnen fehlt schlicht die Fähig­keit zur Adap­ti­on in einer solch kur­zen Zeit­span­ne. Das Ergeb­nis ist die »Natur« als dau­er­haf­ter Pro­blem­fak­tor, der die Sta­bi­li­tät der libe­ra­len (Un-) Ord­nung in Fra­ge stellt bzw. auf­zeigt, daß unse­re Indus­trie- und Kon­sum­ge­sell­schaf­ten kei­nen sta­bi­len Zustand dar­stel­len und die­sen auch nicht gewähr­leis­ten können.

Der ent­schei­den­de Schritt, um die­sen selbst­zer­stö­re­ri­schen Pro­zeß zu stop­pen, ist die Ver­rin­ge­rung der Stoff­um­sät­ze, also den Ver­brauch und Kon­sum von Res­sour­cen auf ein Mini­mum zu redu­zie­ren. Der bekann­te Post­wachs­tums­theo­re­ti­ker Niko Paech sieht die ers­ten Maß­nah­men zur Erlan­gung die­ses Ziels dar­in, daß »kei­ne Flä­chen mehr ver­sie­gelt oder bebaut« wer­den. Statt­des­sen wird zurück­ge­baut und »unnö­ti­ge Ver­kehrs- und Gewer­be­flä­chen wer­den in grü­ne Area­le zurück ver­wan­delt«. Fer­ner sieht er die Stadt als eine »nahe­zu autofrei[e]« Zone.

Es ist augen­schein­lich, daß es für die Umset­zung die­ser Vor­ha­ben eines grund­le­gen­den Umbaus unse­rer aktu­el­len Lebens­ver­hält­nis­se bedarf. Bereits die auto­freie Stadt bedeu­tet eine völ­li­ge Reor­ga­ni­sa­ti­on von urba­nem Leben, da die Waren­be­sor­gun­gen vor­zugs­wei­se über die unmit­tel­ba­re Nähe im Stadt­vier­tel erfol­gen müs­sen. Kon­zen­trier­te Ein­kaufs­zen­tren am Stadt­rand, wie sie heu­te das Bild selbst man­cher deut­scher Klein­stadt prä­gen, gehör­ten so bald der Ver­gan­gen­heit an. Die urba­nen Ver­hält­nis­se wür­den sich in ihrem Grund­prin­zip eher denen des Mit­tel­al­ters annä­hern – kein Zer­fa­sern in die Flä­che, son­dern eine Kon­zen­tra­ti­on mit unwei­ger­li­cher Grenz­zie­hung zwi­schen urba­nem Innen und Außen. Städ­te­bau­li­che Kon­zep­te, wie sie bei­spiels­wei­se der Archi­tek­tur­theo­re­ti­ker und New Urba­nist Léon Krier ent­wirft, müß­ten zwangs­läu­fig die libe­ra­len »Frei­hei­ten« im Bau ablö­sen – nur mit einer neu­en Strin­genz und einer schran­ken­ge­ben­den Ord­nung lie­ße sich die not­wen­di­ge Neu­ord­nung umsetzen.

Doch die Wie­der­her­stel­lung von Nähe betrifft nicht nur das Urba­ne, son­dern die Gesell­schaft als Gan­zes. Ins­be­son­de­re die lan­gen Wege auf dem Land und die durch den Ver­lust der klas­si­schen rura­len Orga­ni­sa­ti­on her­vor­ge­ru­fe­ne Zer­glie­de­rung, die den Besitz eines Auto­mo­bils im länd­li­chen Raum bei­na­he obli­ga­to­risch macht, muß zur Erfül­lung der Post­wachs­tums­zie­le einer »Neu­en Regio­na­li­tät« wei­chen, wäh­rend gleich­zei­tig das Leben ins­ge­samt so ent­schleu­nigt wird, daß die ein oder ande­re wich­ti­ge Besor­gung, die nicht im unmit­tel­ba­ren Umkreis gemacht wer­den kann, im Grun­de wie­der »alter­tüm­lich« erle­digt wird: näm­lich im Rah­men einer ein- bis mehr­tä­gi­gen Rei­se zu Fuß oder per Tier­ge­spann. Im ers­ten Moment mag die­se For­de­rung radi­kal erschei­nen, doch die Losung »Kei­ne wei­te­re Ver­sie­ge­lung von Flä­che und Rück­bau!« bedeu­tet zwangs­läu­fig eine extre­me Ein­schrän­kung heu­ti­ger indi­vi­du­el­ler Mobi­li­tät und das in jeder Hinsicht.

Der fran­zö­si­sche Phi­lo­soph und Vor­den­ker der Nou­vel­le Droi­te, Alain de Benoist, for­dert in die­sem Zusam­men­hang daher unlängst in der drit­ten Aus­ga­be der öko­lo­gi­schen Zeit­schrift Die Keh­re einen »sys­te­mi­schen Wan­del«. Dar­in plä­diert er für den Auf­bau »auto­no­mer Mikro­ge­sell­schaf­ten« und die »Relo­ka­li­sie­rung der Pro­duk­ti­on«. Das beinhal­tet eine Orga­ni­sa­ti­on in »Genos­sen­schaf­ten, nach­bar­schaft­li­ches Wirt­schaf­ten, kur­ze Kreis­läu­fe, loka­le Wäh­run­gen« und »den Schutz der Böden und Land­schaf­ten«. Wei­ter bin­det Benoist die­ses Pro­gramm an eine Reha­bi­li­tie­rung des Gemein­we­sens, »denn kei­ne Gesell­schaft kann allein auf der Grund­la­ge des lega­len Ver­trags und des kom­mer­zi­el­len Aus­tauschs funk­tio­nie­ren«. Es wird deut­lich, daß eine Relo­ka­li­sie­rung mehr als nur das Öko­no­mi­sche und Öko­lo­gi­sche berüh­ren wür­de – sie strahlt auto­ma­tisch auf das Sozia­le aus. In Gesell­schaf­ten, die sich auf die­se Wei­se wie­der ein Zen­trum geben, erhal­ten Raum und Ort ihr altes Gewicht und wür­den als maß­geb­li­che sozia­le Bezugs­punk­te erneut reüssieren.

Indes sind die For­de­run­gen Benoists kei­ne ideen­ge­schicht­li­che Neu­hei­ten, son­dern wer­den seit Anbe­ginn der For­mie­rung öko­lo­gi­scher Bewe­gun­gen Mit­te bis Ende des 20. Jahr­hun­derts breit in die­sen dis­ku­tiert und unter dem Über­be­griff des »Bio­re­gio­na­lis­mus« zusam­men­ge­faßt. Anstatt im Rah­men einer »Kri­sen­öko­lo­gie« ledig­lich Gren­zen der Belast­bar­keit fest­zu­le­gen (sie­he bspw. das Pari­ser Kli­ma­ab­kom­men), ohne den Aus­lö­ser, näm­lich die öko­no­mi­sche und sozia­le Funk­ti­ons­wei­se der Indus­trie- und Kon­sum­ge­sell­schaf­ten, an sich fun­da­men­tal zu hin­ter­fra­gen, zie­len bio­re­gio­na­le Ansät­ze auf grund­le­gen­de Alter­na­ti­ven, die, wie der Begriff bereits impli­ziert, regio­na­le Zusam­men­hän­ge in den Mit­tel­punkt ihrer Kon­zep­tio­nen set­zen. »Wir begrei­fen end­lich, dass die Ret­tung der Welt nur durch die Ent­wick­lung der Bio­re­gio­nen zu voll ver­ant­wort­li­chen, wirt­schaft­lich aut­ar­ken sozia­len Ein­hei­ten, in denen die bio­re­gio­na­len Ein­woh­ner die Ent­schei­dung, von denen sie betrof­fen sind, ver­ste­hen und kon­trol­lie­ren, bewirkt wer­den kann«, faß­ten es die bei­den Pio­nie­re des Bio­re­gio­na­lis­mus im deutsch­spra­chi­gen Raum, Roman Schweid­len­ka und Edu­ard Gugen­ber­ger, in ihrem Buch Bio­re­gio­na­lis­mus: Bewe­gung für das 21. Jahr­hun­dert von 1995 zusammen.

Also ein ähn­li­ches, wenn nicht sogar deckungs­glei­ches Ansin­nen wie das, was Benoist im Rah­men »auto­no­mer Mikro­ge­sell­schaf­ten« pro­pa­giert. Es ver­wun­dert daher nicht, daß der mitt­ler­wei­le ver­stor­be­ne Umwelt­so­zio­lo­ge Bernd Hamm in einem über die Uni­ver­si­tät Trier ver­öf­fent­lich­ten Papier zum Bio­re­gio­na­lis­mus, das er in Koope­ra­ti­on mit der Geo­lo­gin Bar­ba­ra Rasche ver­faß­te, zu fol­gen­der Fest­stel­lung gelang­te: »Das Kon­zept des Bio­re­gio­na­lis­mus beinhal­tet eso­te­ri­sche, öko­lo­gi­sche und völ­ki­sche Aspek­te.« Daher las­se sich das Kon­zept des Bio­re­gio­na­lis­mus »ganz all­ge­mein als ›Syn­the­se unter­schied­lichs­ter Bewe­gun­gen – des Regio­na­lis­mus alter Prä­gung mit sei­nem kul­tur-poli­ti­schen For­de­rungs­pro­gramm, der diver­sen öko­lo­gi­schen Strö­mun­gen, der neu­en sozia­len und spi­ri­tu­el­len Bewe­gun­gen‹ ver­ste­hen«. Die­se Ein­schät­zung kon­ver­giert wie­der­um mit Benoists Wahr­neh­mung, daß die Öko­lo­gie eine neue Form der kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on dar­stellt: »Sie ist per defi­ni­tio­nem kon­ser­va­tiv, da sie auf den Schutz der heu­te gefähr­de­ten Öko­sys­te­me abzielt. Gleich­zei­tig ist sie revo­lu­tio­när, denn ein sol­ches Ziel wird nie­mals erreicht wer­den, wenn man nicht ent­schlos­sen aus der Markt­ge­sell­schaft, aus der Beses­sen­heit des Wachs­tums um jeden Preis, aus dem Axi­om des Inter­es­ses und aus dem Feti­schis­mus der Ware herauskommt.«

Ver­bin­det man all die hier auf­ge­führ­ten Kate­go­ri­sie­run­gen, stellt der Bio­re­gio­na­lis­mus schlu­ßend­lich ein kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­nä­res Pro­gramm dar, mit dem sich die öko­lo­gisch moti­vier­te Kri­tik von rechts an den Indus­trie- und Kon­sum­ge­sell­schaf­ten west­li­cher Pro­ve­ni­enz in einem kon­struk­ti­ven Ansatz bün­deln läßt, der nicht im Anpran­gern und Theo­re­ti­sie­ren ste­cken bleibt, son­dern eine kon­kre­te Alter­na­ti­ve anbie­tet, die in die Tat umge­setzt wer­den kann. Jedes (klei­ne) Kol­lek­tiv, das sich nach den Prin­zi­pi­en des Bio­re­gio­na­lis­mus orga­ni­siert, bedeu­tet einen Akt der Sta­bi­li­sie­rung, der inmit­ten der »flüch­ti­gen« Moder­ne und ihrer voll­stän­di­gen Ort­lo­sig­keit sowie tota­len Mobi­li­sa­ti­on aller Bestän­de einen gewich­ti­gen Kon­tra­punkt der Ver­ste­ti­gung setzt. Im Bio­re­gio­na­lis­mus eröff­net sich die Mög­lich­keit zum Wie­der­erstar­ken nor­ma­ti­ver Bin­dun­gen (also fes­ter kul­tu­rel­ler Bezugs­punk­te), die in Gesell­schaf­ten des all­ge­gen­wär­ti­gen Über­flus­ses als »rück­stän­di­ge«, oppres­si­ve Relik­te unauf­ge­klär­ter Zei­ten gel­ten und im Pro­zeß der »Indi­vi­dua­li­sie­rung« auf­ge­löst wurden.

Die­se fes­ten sozia­len Insti­tu­tio­nen kon­sti­tu­ie­ren in Wahr­heit jedoch die über­zeit­li­che Vor­aus­set­zung sta­bi­ler mensch­li­cher Gemein­schaf­ten. Im Gegen­satz zu den uni­ver­sa­lis­ti­schen Pro­jek­ten des »Wes­tens«, die alles Fes­te zu ver­flüch­ti­gen und auf­zu­lö­sen suchen, strebt der Bio­re­gio­na­lis­mus die Fixie­rung eines gesell­schaft­li­chen Zustands respek­ti­ve das erheb­li­che Ver­lang­sa­men von sozia­lem und öko­no­mi­schen Wan­del an, womit er das Poten­ti­al birgt, dem libe­ra­len Sys­tem den schwerst­mög­li­chen Scha­den zuzu­fü­gen. Der Auf­bau bio­re­gio­na­ler Struk­tu­ren bie­tet die Mög­lich­keit zum wirk­mäch­tigs­ten Her­aus­tre­ten aus den Pfa­den des alles­ver­zeh­ren­den Levia­thans, den die Indus­trie- und Kon­sum­ge­sell­schaf­ten west­li­cher Pro­ve­ni­enz verkörpern.

»Authen­ti­sche Öko­lo­gie impli­ziert radi­ka­le Ver­än­de­rung unse­rer Lebens­wei­se«, kon­sta­tiert Benoist im bereits zitier­ten Gespräch mit der Zeit­schrift Die Keh­re. Der Bio­re­gio­na­lis­mus lie­fert das kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­nä­re Kon­zept, mit dem die­se radi­ka­le Ver­än­de­rung zu bewerk­stel­li­gen ist.

 

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