Viele kennen die entsprechende Aristoteles-Stelle, wonach „die Jugend“ schon damals als „verzogen und verdorben“ galt. Weil aus den Alten immer die Erfahrung spricht und aus den Jungen das Ungestüme, das Haltlose oder Haltsuchende, bilden pädagogische Debatten eine obligatorische Speiche im Weltenrad: einen Dauerbrenner eben.
Gibt es eigentlich einen ubiquitären und zeitlos gültigen Erziehungskniff? Eine Art überzeitliches Vademecum, das garantiert, daß unsere Kinder wenigstens einigermaßen geraten? Vermutlich wähnte sich jede vorangegangene Zeit als irgendwie neu und „besonders“ gegenüber der noch älteren.
Und doch steht (begründet) zu vermuten, daß sich eine Kindheit anno 1700 nicht so sehr von einer Kindheit anno 1800 unterschied, wie es ein Aufwachsen im Jahre 1980 mit einem Aufwachsen 2021 tut. Muß ich die Indizien aufzählen? Wohl kaum. (Ich behaupte sogar, daß ein 1990er Geburtsjahr völlig andere Voraussetzungen fand als ein 2000er.)
Vor längerer Zeit wurden Kubitschek und ich gebeten, ein fremdes Kind in „unseren Beritt“ aufzunehmen. Wir sollten das Kind eines (noch heute) einigermaßen Prominenten aufnehmen, um es (gegen gutes Honorar) Mores zu lehren. Wir haben das natürlich nicht gemacht, aber das Ansinnen spricht Bände.
Ich selbst habe sieben Kinder zur Welt gebracht und sie mit meinem Mann so weitgehend wie möglich ohne staatliche Infiltration großgezogen. Insgesamt ging ich 63 Monate meines Lebens schwanger und habe knapp zehn Jahre gestillt. All dies: ein freudiges Opfer. Es war meine Lebensaufgabe.
Vielleicht hatte der Aspirant, der sein Kind bei uns abladen wollte, das geahnt: Obwohl wir beide Berufen nachgehen, die großen persönlichen Einsatz und zeitforderndes Engagement mit sich bringen, gilt für uns bis heute: Familie zuerst.
Wenn ein Kind Probleme hat, wird der Stift fallen- und die Maus losgelassen. Weil wir unsere eigenen Chefs sind, ist das natürlich eine privilegierte Position. Wir haben unser Leben aber auch von Anfang an – und also ohne bequeme Absicherungen wie „Urlaubsanspruch“, „Kinderkrankengeld“ etc. – darauf ausgerichtet, so leben zu können: im Zweifel stets dem Eigenen & Eingemachten die Priorität einzuräumen.
Wir zählen zu denen, die den eigenen rechten Hintergrund vor den Kindern nicht im Büro weggesperrt haben. Das heißt nicht: Indoktrination, Lektionen, gezielte Ansprachen etc., wie sich das Mainstreamjournalisten und staatlich alimentierte Kämpfer gegen rechts das so vorstellen.
Ich habe zahlreiche „rechte“ Bekannte, die ihre Kinder (aus Angst, aus Umsicht, aus Kalkül) von jeglichem politischen Input freihalten. Sie versuchen, im Alltagsgewirr stets aus einem neutralen Standpunkt zu argumentieren und die fraglichen Grenzen behutsam statt dezisionistisch zu ziehen. Stichworte: Soziale-Medien-Konsum; Handy ab acht; Freundschaft mit „zu Integrierenden“ ;„Wir finden das nicht so gut, aber Du entscheidest“ undsoweiter.
Ohnehin ist es eine ewige Debatte, ob „Erziehung“ überhaupt fruchte. Ich erinnere mich noch, wie ein guter Bekannter (der Gemeinte streitet es heute allerdings ab), selbst kinderreich, in einer Diskussion behauptete, Erziehung sei sowieso überschätzt. Herkunft, ein paar Grenzen, vorleben, loben, strafen, darüber hinaus: machtlos. Ich hatte vehement dagegengeredet. Es war ja mein Hauptberuf, zu erziehen! Sollte der auch im weiteren Sinne „umsonst“ sein?
Nun: Unsere Kinder sind aufgewachsen mit alltäglichen Polit-Diskussionen. Das war (und ist) schlicht unvermeidlich. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten (erst vom Nachwuchs erfuhren wir, daß gemeinsame Essen selbst bei jüngeren Kindern heute unüblich sind) wird natürlich auch der politische Tagesinhalt diskutiert: Habt ihr das Video gesehen? – Der hat das behauptet, die hat gegengehalten. – Was soll man hiervon halten und was davon? – Ist das nicht ein Aufreger, oder dies?
Insofern waren unsere Kinder von klein auf nolens volens politisiert. Es wurde schlicht mitgehört. Gut: Den katholischen Katechismus habe ich mit allen sieben wirklich durchgepaukt – weil er immer gelten sollte.
Was mühe- und aufopferungsvolle Erziehung letztlich bringt, sehen wir als Eltern von nun vier volljährigen Kindern heute. Auf eine rettungslos schiefe Bahn ist bisher Gottlob niemand geraten, aber es ist immer wieder schwierig, teils sehr.
Ob es ein Trost ist, daß es in anderen Familien, die auch “bewußt” und unter Anstrengungen abseits des Hauptstroms erzogen haben, ähnlich ist? Ich höre vermehrt Klagen und Sorgen aus den besten, herzlichsten, wärmsten, ungeschiedenen Familien: Kind hat Depression, Kind hat Eßstörung, Kind entwickelt Internetsucht, Kind nimmt Drogen, Kind ist autoaggressiv undsoweiter. Mir scheint fast: “Kein Dach ohne ‑ach.”
Zu uns vielleicht dies: Mit dem berüchtigten Nachnamen „Kubitschek“ auf universitärem Sektor zu landen, ist vorstellbar kein Zuckerschlecken. Ganz im Gegenteil.
Man kann damit “gestellt” werden, Ich will das nicht bejammern. Aber mal aussprechen sollte ich es dürfen. Daß (ganz „normale“, „gute“) Kinder unter der Last ihres (rechten) Elternnamens schier zu zerbrechen drohen – das ist nun gerade kein Stoff für die üblichen gefühligen Reportagen auf Zeit.de et al. Das sind so unterbelichtete Nebenstrecken.
Sprich: Man lebt mit seinen Kindern ein rechtsintellektuelles Leben. Für jemanden, der nun mal rechts ist, wäre das die ehrliche Option. Man sollte aber wissen, daß der Gegenwind dann gigantisch ist, und zwar auch dann, wenn man (als Nachwuchs) grundsätzlich von jeglicher missionarischen Tätigkeit absieht. Das böse Etikett ist hinreichend.
Eine gewisse Camouflage oder anders ausgedrückt: Zurückhaltung, Klugheit, ist daher definitiv – von der Effektivitätsseite besehen – lohnenswerter. Also: Verschweigt den Kindern ruhig dies & das. Laßt Sie aufgehen im “Heute”. Es ist vielleicht nicht das Schlechteste, wenn sie zu funktionsfähigen Mitgliedern einer irgendwie grad noch funktionierenden Gesellschaft werden.
Oder: Sagt Euren Kindern die Wahrheit. Aber sagt ihnen ruhig, daß das eine Art Selbstausgrenzung ist und daß es so etwas wie Janusköpfigkeit gibt. Damit ist nicht die Fähigkeit zur Ambivalenz, die “Ambiguitätstoleranz” gemeint – denn das sollte doch ohnehin klar sein, das lehren uns schon allein die Schönen Künste: daß das Ganze, was sich Leben nennt, sich nicht als unnuancierter Schwarzweißfilm abspielt, sondern daß es Graustufen gibt, Abtönungen, ein Für und Wider, wo nicht im Generellen, so doch häufig genug im ganz Konkreten. (Das haben Lichtmesz und Sommerfeld in ihrem Grundlagenbuch Mit Linken leben gültig beschrieben.)
Überhaupt: Caroline Sommerfeld hat mit Ihrem Buch Wir erziehen auf jeden Fall eine starke Vorlage gegeben – ihre zehn Grundsätze sind allesamt zu beherzigen, und mit der Forderung nach “Unverdrehtheit” kommt sie dem, was ich unter Janusköpfigkeit fassen will, sehr nahe, denn sie warnt vor der Lüge.
Also: Die Janusköpfigkeit, die ich meine, ist etwas anderes als tarierendes, innerliches Abwägen. Sie ist eine List. Sie ist die Fähigkeit, sich unter Umständen zu verstellen. Graduell. Es ist eine Gratwanderung; glattes Eis. Das kann und wird zu einem „Doppeldenk“ führen. Im Glücksfall macht das nicht schizophren, sondern erfolgreich, wahr und gut. Hauptsache, die Kinder kriegen die Sachen zunächst für sich selbst klar. Ins offene Messer zu laufen, wäre mindestens ungeschickt.
Die Lüge darf aber nie zur zweiten Haut werden, dann ist die Sache nämlich verloren. Dazu möge ihnen die Gabe der Unterscheidung helfen. Darum kann man als Christ beten. Mir scheint tatsächlich, „durchkommen“ ist zunächst alles. Später werden wir sehen. Sagen wir, optimistisch: bei den Urenkeln?
Maiordomus
O Schreck, der Katechismus. Er wirkte vor 60 bis 70 Jahren bei allzu vielen Gleichaltrigen damals echt kontraproduktiv. Trotzdem immer noch besser als religiöser Analphabetismus, heute normal, auch auf Gymnasialniveau. Ein weitere Thematik betrifft den Bibel-Analphabetismus. Noch zu respektieren bliebe bei Verwandten in absteigender Linie der Wunsch z.B. nach Kirchenaustritt. Würde jedoch dafür nicht nur eine Begründung, sondern eine schriftliche Arbeit fordern, am besten mit dem geistigen Aufwand einer Abiturarbeit. An @EK. Haben Ihre Kinder noch die 4 himmelschreienden Sünden auswendig gelernt? Bitte nicht öffentlich beantworten. Es ist überhaupt heikel, sich über die Erziehung der eigenen Kinder allzu konkret nach aussen zu äussern. Auf lange Sicht kann man sich leicht blamieren. Grossartig die Gedanken Karl Barths über den Umgang Älterer mit der Möglichkeit der Vermittlung religiöser Haltung an Jüngere, mitgeteilt an Carl Zuckmayer. Am Ende empfiehlt er, für die Kinder zu beten und sie auch religiös niemals fallzulassen.