Das schreibt der Twitterer Nigromontanus und verlinkt den Artikel „Das Krebsgeschwür Taliban“ des russischen Schriftstellers Viktor Jerofejew aus der FAZ vom 21. August. Nach Jerofejew
ist der Sieg der Taliban ein neuer, schrecklicher Schlag gegen den westlichen Glauben an die menschliche Vernunft, (…) insbesondere gegen das empfindsam-schöne Gebilde des europäischen Humanismus. In Wirklichkeit irre der Westen mit dem Glauben an sein universales philosophisches Modell des Menschen.
Der gleiche Gedanke findet sich zeitgleich in verschiedenen Beiträgen zum Thema, und es sieht aus, als käme es mit dem Fall Afghanistans tatsächlich zu einer Art geistesgeschichtlicher Zeitenwende. Der UN-Diplomat Michael von der Schulenburg schreibt in der Welt:
Diese Niederlage sollte das Ende einer Ära sein, in der der Westen sich auf einer gottgewollten Mission sah, die Welt als Macht des Guten zu regieren und anderen Ländern ihr westliches politisches System aufzuzwängen. Die Niederlage sollte uns dazu zwingen, fundamental umzudenken, wie der Westen seine Rolle in der Welt definiert, wie wir uns zu Ländern mit anderen politischen Systemen verhalten. Man müsse die Unterschiede zwischen dem christlich-abendländischen und dem islamischen Kulturraum anerkennen und könne ein vom islamischen Fundamentalismus geprägtes Land nicht in eine westliche Demokratie verwandeln.
Die gleiche Argumentation, vor allem in Bezug auf die Rechte der Frauen, findet man bei der Ethnologin Susanne Schröter in der ZEIT vom 19. 8.: „Sie kämpfen für eine gottgewollte Ordnung“. Schröter:
Gern übersehen wird die Tatsache, dass die universellen Menschenrechte, die in den letzten Jahren in dem Land durchgesetzt wurden, vielen Afghanen noch immer als gotteslästerlich erscheinen. Das Recht der Frauen, sich dem Ehemann zu widersetzen, gilt zum Beispiel als unislamisch. Dagegen steht das Heilsversprechen der Taliban: Wir rücken die Verhältnisse wieder zurecht.
Wir sollten nicht nur Männern Schuld geben am Patriarchat. Ich denke, dass in Afghanistan auch die Frauen mehrheitlich für eine muslimische, also nichtwestliche Ordnung ist.
Schröter gibt selbstkritisch zu, daß sie der Illusion erlegen sei, wonach Frauenrechte und andere moderne Werte sich in der afghanischen Bevölkerung rasch verankern ließen. Sie möchte auch den Irrtum über die Taliban korrigieren: Diese seien keine wilden, gesetzlosen Krieger, sondern hielten sich an Gesetze, die vor ihnen schon viele Islamisten für richtig hielten.
Das hören westliche Frauenrechtlerinnen nicht gerne. Für Ronya Othmann („Millionen Frauen unter dem Terror der Taliban“, FAZ vom 22.8.) sind 19 Millionen Frauen mit der Machtübernahme der Taliban Gefangene geworden, ihrer Freiheit und Rechte beraubt. Othmann beklagt, daß nichts an der islamistischen Ideologie „feministisch, emanzipatorisch und antikolonial sei.“ Dagegen seien „Frauenrechte Menschenrechte, die nicht auf dem Scheiterhaufen des Kulturrelativismus und der Ignoranz geopfert werden sollten.“ Sätze wie “Wir können den Menschen nicht unsere Vorstellung von Menschenrechten aufzwingen“ sind, so Othmann, “zynische und rassistische Evergreens, mit denen man sich vor allem der eigenen Verantwortung zu entziehen versucht. Der Westen hat diese Frauen im Stich gelassen.“
Auch Alice Schwarzer sieht den Westen in der moralischen Pflicht, den afghanischen Frauen zu helfen. Sie stellt zwar keine moralisierenden Maximalforderungen (“einfach so unsere Vorstellungen von Demokratie überstülpen – das mußte ja schiefgehen“), aber es sollen im Namen einer ausgleichenden Gerechtigkeit wenigstens Frauen und Kindern Vorrang bei der Ausreise gegeben werden ( siehe EMMA 22.8.: “Luftbrücke für Frauen & Mädchen”), auch deshalb, weil in Deutschland inzwischen rund eine Viertelmillion geflüchtete Afghanen leben, von denen zwei Drittel Männer sind, davon 80 Prozent junge Männer. Deren Integration sei besonders beschwerlich, da sie aus einem Land kommen, das keine Gleichberechtigung kennt und Gewalt gegen Frauen Gewohnheitsrecht sei.
Wie genau sich das Frau Schwarzer mit einer „ afghanischen Frauenquote“ vorstellt, bleibt offen. Wenn man „nur“ Feministinnen, Journalistinnen undsoweiter rettet, wer setzt sich dann vor Ort für die Frauen ein? Zarifa Ghafari, die erste Bürgermeisterin Afghanistans, hat am 23. 8. ihr Land Richtung Deutschland verlassen. Unter dem Eindruck ihrer dramatischen Flucht sagt sie: „Alle Frauen dieser Welt müssen jetzt eine Botschaft nach Afghanistan schicken“. Das klingt so idealistisch wie naiv.
Welchen Einfluss kann und will eine westliche (Menschenrechts-) Politik überhaupt noch ausüben ? Und welche politische Alternative gibt es zu der massenhaften Ansiedlung kulturfremder Menschen in Westeuropa ? Die bisherige europäische Asyl- und Migrationspolitik steht auf dem Prüfstand. Wenn es zur Beruhigung einer besorgten einheimischem Bevölkerung heißt, daß sich 2015 nicht wiederholen darf, dann impliziert das, daß der Einlaß von fast 2 Millionen Migranten ein Fehler war, für den die Verantwortliche noch nicht zur Rechenschaft gezogen wurde.
Das Volk ist vorsichtig geworden. Das zeigt sich in der aufgeregten Diskussion um die sogenannten „Ortskräfte“. Je nach politischer Gesinnung werden „Ortskräfte“ zu einer beliebig skalierbaren Zahl zwischen ungefähr 500 bis 50 000 Personen, denen wir aus moralischer Verpflichtung heraus zu Ausreise und Versorgung zu verhelfen hätten. Worin unsere moralische Verpflichtung gegenüber den Ortskräften besteht, wird geflissentlich ausgeblendet. Diese haben ja kaum uneigennützig gehandelt, sondern mehr verdient als andere Afghanen und wußten, daß irgendwann das Militär abziehen würde.
Kritik an der Massenansiedelung kulturfremder Menschen wird aber auch aufgrund zunehmender Erfahrungen mit Migrantenkriminalität laut.
Auf dem „Scheiterhaufen des Kulturrelativismus und der Ignoranz“ (Ronya Orthmann) werden inzwischen nicht nur fremde Frauen in fremden Ländern geopfert, sondern auch deutsche und europäische Mädchen und Frauen und muslimische Frauen, die hier ein freies Leben entdecken und leben wollen.
- Im Juli 2021 wurde in Wien die 15-jährige Leonie von vier afghanischen Asylbewerben vergewaltigt und ermordet,
- ein Mädchen in Leer (Ostfriesland) wurde von einer Gruppe Afghanen vergewaltigt.
- In Berlin ermordeten zwei junge Afghanen ihre Schwester, weil deren Leben nicht ihren eigenen Moralvorstellungen entsprochen hatte. Danach packten sie die Leiche in einen Koffer, fuhren mit der Bahn nach Bayern, wo sie das Opfer verscharrten.
Wenn diese Verbrechen nichts mit der kulturellen Herkunft der Täter zu tun haben sollen, sondern ganz allgemein dem Patriarchat geschuldet sind, wie manche Feministen behaupten (siehe Demo in Wien), warum sollte dann mit den “überlegenen westlichen Werten” und Ideen der Menschen- und Frauenrechte überhaupt noch argumentiert werden? Warum sollte in der Ferne gelten, was im eigenen Lande spätestens seit 2015 schwer in Frage gestellt ist?
Wie andere in ihrem Land, sollten wir hier in unserem Lande mit Nachdruck unsere Verhältnisse wieder zurechtrücken und uns auf die Werte unserer Kultur und deren Herkunft besinnen. Die Minimalforderung muß sein, wenigstens diejenigen umgehend unseres Landes zu verweisen, die sich nicht an die geltenden Regeln und Gesetze halten, etwa Vergewaltiger.
Es kann für Europäer kein zurück hinter die Menschen- und Frauenrechte geben, allerdings muss man Realitäten zur Kenntnis nehmen und kulturelle Unterschiede akzeptieren können. Aufgezwungene Freiheiten sind keine Freiheiten. Die Afghanen müssen selbst entscheiden, ob und wie sie ihr System ändern wollen.
Ist der amerikanische Rückzug vom Hindukusch nach zwanzig Jahren wirklich eine Katastrophe für den Westen? Wurde er durch die Taliban gedemütigt? Für Bruno Bandulet (Jungen Freiheit vom 27.8.21) markiert der
Zusammenbruch der amerikanischen Marionettenregierung in Kabul eine weltpolitische Zäsur: Der Westen hat sein Gesicht verloren, die Idee einer liberalen Weltordnung hat sich als Chimäre herausgestellt.
In der NZZ vom 28.8 heißt es zum westlichen Projekts des Staatsaufbaus:
Die State-Building-Missionen des Westens sind gut gemeint, aber sie scheitern regelmäßig an ihrem moralisch überhöhten Anspruch.
Und weiter:
Das Projekt des Staatsaufbaus ist von einem tiefgehenden Moralismus geprägt, nicht nur in Afghanistan. Es ist die Idee, dass der Westen in anderen Orten der Welt fragile Staaten in Ordnung zu bringen habe.“
Dabei schwingt oft ein arroganter und missionarischer Ton mit. Die betroffenen Länder weisen zunehmend diese Arroganz zurück und entwickeln ein neues Selbstbewußtsein. In seinem Kommentar in der Jungen Freiheit (“Die Illusionen sind widerlegt” vom 29.8.) schreibt Thorsten Hinz:
Der Westen ist mit seinem kulturellen Universalismus in Afghanistan krachend gescheitert und muß zur Kenntnis nehmen, daß in der Welt Räume existieren, in denen seine Maßstäbe und Werte nicht greifen. Doch anstatt zu reflektieren, steigert er sich weiter in eine suizidale Spirale hinein.
Exemplarisch für ein suizidales „mehrdesselben“ (Paul Watzlawick) steht Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, der Massenansiedlung kulturfremder Menschen in Europa forciert, weil er befürchtet, die „Flamme der Humanität könne in der EU total erlöschen.“
Daß der Westen mit seinem kulturellen Universalismus in Afghanistan gescheitert ist, spricht nicht gegen einen europäischen kulturellen Universalismus, sondern zunächst gegen Selbstüberschätzung und Missionierungsbestreben. Auch sollte zwischen Politik und Moral in der Sache unterschieden werden. Gegen eine pseudoreligiöse Politik erweist sich die mit dem universalistischen Christentum erfolgte Trennung von politischem und sakralen Bereich immer noch als grundlegend und begründet den Unterschied zum Islam, der diese Bereiche nicht trennt.
Insofern ist das „empfindsam-schöne Gebilde des Humanismus“ (Viktor Jerofejew) durchaus zu verteidigen, und zwar zunehmend im kulturellen Europa.
RMH
"Worin unsere moralische Verpflichtung gegenüber den Ortskräften besteht, wird geflissentlich ausgeblendet. Diese haben ja kaum uneigennützig gehandelt, sondern mehr verdient als andere Afghanen und wußten, daß irgendwann das Militär abziehen würde."
Ok, im Sold war also das anschließende abgeknallt und ggf. gefoltert werden oder andere Racheaktionen gegenüber dem Kollaborateur und dessen eigenen Angehörigen mit eingepreist. Wo und in welchem Teil des Kleingedruckten des Anstellungsvertrags ist dieser Disclaimer zu finden?
Wunderbar, so einfach sind die Probleme also aus der Nabelsicht westlicher Rechter gelöst.
In einem zweiten Teil werde ich den grundsätzlich falschen Ansatz dieses Artikels kurz anreißen (Fundamental kann es bei 1500 Zeichen nicht werden).