Am 16. September 2021 läuft dieser Streifen regulär in deutschen Kinos an. Weil ich ihn weniger für ein Kunststück halte denn für ein „Machwerk“ im Wortsinne, also für ein reines Propagandastück, werde ich ihn hier unkonventionell vorstellen. Da heißt, daß ich auch „spoilern“ werde, sprich: Überraschungseffekte verraten.
Christan Schwochow, der Regisseur, Jahrgang 1978, ist ein „alter Hase“. Er wirkte bereits als Kind in zahlreichen DDR-Produktionen mit. Nach der „Wende“ wechselte er mit seinen Eltern zeitig in den Westen.
Als Regisseur hat er quälende Filme (Novemberkind; Mitten in Deutschland – NSU) wie auch ganz gute (Verfilmung von Tellkamps Der Turm) verantwortet.
Je suis Karl gebe ich zunächst in den kargen Worten des Karlsruher „Büro[s] für Integration“ wieder:
In dem Film geht es darum, wie Maxi (Luna Wedler) von dem charismatischen Karl (Jannis Niewöhner) immer weiter in die Machenschaften der neuen europäischen rechten Bewegung gezogen wird. Zum Ende kommt es zu gewaltvollen Ausschreitungen gegen Ausländer*innen, nicht weiß gelesene Menschen und jedem, der oder die sich den neuen Rechten in den Weg stellt. Regisseur Christian Schwochow und Drehbuchautor Thomas Wendrich orientierten sich dabei auch immer wieder sehr stark an der identitären Bewegung. Christian Schwochow arbeitet bereits seit 20 Jahren filmisch zu den Themen rechter Strömungen.
So läuft der Hase!
Ich hole aus: Die binationale Familie der Oberstufenschülerin Maxi (Berlin) ist extrem weltoffen. Die Eltern (die Mutter ist Französin) sind bilderbuchhaft locker und hip. Die beiden kleinen Söhne werden vom Papa (Spaß!!) mit Schimpfwörtern tituliert. Man ist extrem easy. Man schmuggelt schon mal den armen (natürlich sehr klugen und sensiblen) Libyer Yusuf über die Grenze. “Geil, geil, geil”, als es geklappt hat!
Eines Tages nimmt der Vater von einem Boten ein Paket an, das mutmaßlich für die greise Nachbarin bestimmt ist. Er tut es auf seine extrem coole Art und verläßt dann die Wohnung, um Einkäufe aus dem Auto zu holen.
Hier kommt es zur ersten Horrorszene. Eine gigantische Explosion, das Stadthaus: eine Ruine. Der Vater wird zu Boden geworfen, überlebt aber. Es gibt viele Opfer (Botschaft: Es kann jeden treffen. Wörtlich: “You could bei me. I could be you”). Seine Frau und die beiden Buben (Hans und Franz: na klar) sind tot – Maxi hat durch Zufall überlebt.
Was für ein Drama! Durch mutmaßlich islamistische Attentäter! Der Vater erinnert sich bei polizeilicher Befragung (ungern), daß der „Paketbote“ ein Schwarzbärtiger war.
Maxi nun zieht es in den folgenden Wochen immer wieder an den Ort des Anschlags zurück. Dort wird sie von „den Medien“ erkannt und flieht. Ein Typ, offenbar zufällig zugegen, hilft ihr beim Entkommen. Es ist Karl. (Karl schaut definitiv aus, als wäre ein Bruder von Roman Möseneder, und die Mutter wäre Caroline Emcke.)
Karl tut behutsam. Er redet scheu mit Maxi, nimmt ihre Trauer ernst. Vielleicht mag sie sich ja ablenken? Auf einer „Summer-Academy“ in Prag? Dort träfen hunderte junge Europäer zusammen, um über drängende Fragen der Zeit zu diskutieren.
In Wahrheit ist der schöne Karl ein Übeltäter, wie wir rasch erfahren. Nämlich: Karl selbst hat die Sprengung des Berliner Stadthauses veranlaßt! Er will (mit seiner rechten, europaweit agierenden) Bewegung Haß schüren, ein „Klima der Angst“, und er will die Spaltung vorantreiben.
In einer Rückblende sehen wir, wie sich ein Kompagnon von Karl aufwendig den Bart schwarzfärbt und dunkle Kontaktlinsen einsetzt, um als „Araber“ dechiffriert zu werden. Eine echte False-Flag-Aktion also, wie sie von rechts – so wird hier suggeriert – sehr wahrscheinlich ist. Karl, wir schauen in der Rückblende zu, freute sich diebisch, als er die Rauchschwaden über Berlin sieht.
Maxi bricht nach Prag auf und folgt dem zärtlichen Führer auf dessen Überzeugungstour durch halb Europa. Dabei gibt es bereits in Prag fragwürdige Szenen. Maxi wohnt während der Sommerakademie der Vlog-Aufnahme einer Frontfrau dieser rechten Bewegung bei. „Jitka“ beweint in ihrem Spot, wie sie von zwei Afghanen vergewaltigt worden sei. Und wie schrecklich das sei: „Ich kann sie immer noch riechen…“
Als Maxi der Frau hinterher kondoliert, bekennt Jitka kalt: Das sei doch bloß eine erfundene Geschichte. Sie wolle nur etwaigen Opfern ihre Stimme leihen.
Die ganze Szenerie der von hunderten jungen Leuten besuchten Akademie ist dabei teilweise recht realistisch beschrieben. Es handelt sich um ein wirklich buntes Publikum aus sämtlichen europäischen Ländern. Es wird nicht nur politisiert, sondern auch wild gefeiert. Influencerinnen drehen Videos.
Während einer besonders schmissigen Rede von Karl ruft eine junge Südeuropäerin halb im Begeisterungstaumel, halb ironisch, ein „Sieg Heil!“ in den Saal. Sofort wird es ruhig. Grummeln steigt auf. Ein Ordner eilt herbei, um die Frau zu entfernen. Karl klärt von der Bühne herab die Situation: Man müsse das Gestern zurücklassen, unbedingt! Es gehe allein um die Zukunft! Die Dunkelhaarige darf bleiben. Sie wird es nicht wieder tun.
Später treten Bands auf. Es gibt gefühlige Songs über ein „neues Europa“, deutliche Anklänge zur rechten Frauenband “Les Brigandes”, und dann tritt eine Art Industrial-Rapper namens „The Command“ auf. Er, muskulös und mit geäderter Stirn, peitscht die Menge auf: „C’est la guerre! La guerre!!“ Das Publikum tobt. Ja, man befindet sich im Krieg. Und alle sind voll aufgeladen.
Die nächste Band treibt es noch wilder. Hier geht es textlich bereits um die Weiße Rasse. Alle jubeln. Derweil werden im Hinterzimmer bereits Auslöschungsphantasien konkret. Die Botschaft (der Filmmacher) ist klar: Slippery Slope! Betrachtest Du Masseneinwanderung als problematisch, bist Du im Grunde bereits ein Rechtsterrorist!
Während Maxi und Karl (ausgedehnte Szene) Körperflüssigkeiten austauschen, entsteht bereits das nächste mörderische Komplott. Worum geht es? Das „Referendum“ in Frankreich zum Erfolg bringen. Dieses Referendum betrifft die Einführung der Todesstrafe. Der junge französische Shootingstar Odile Duval (relativ strikt angelehnt an die Nichte von Marine le Pen, Marion Maréchal) plädiert dafür. Die Zahl der Befürworter steigen rasant. Es bräuchte nur noch ein, zwei krasse Botschaften.
Die eine liefert Maxi. Sie hat sich entschlossen, in Straßburg ihre Geschichte als Opfer des (mutmaßlich islamistischen) „Berlin-Bombing“ auf großer Bühne zu erzählen. Das Video ihres Auftritts geht viral, 250.000 Aufrufe binnen zehn Minuten.
Derweil ist Maxis traumatisierter Vater natürlich in Sorge, wohin sich seine große Tochter abgesetzt hat. Wer hilft ihm beim Auffinden? Natürlich der längst vollintegrierte Yusuf.
Als die beiden in Strasbourg eintreffen, erhält das Referendum den zweiten Schub: Karl läßt sich während eines Live-Video-Streams von seiner ehemaligen Geliebten, Jilka, auf offener Straße erschießen. Jilka ist natürlich maskiert und verkleidet, alles wirkt so, als habe der politische Gegner zugeschlagen. Karl hatte in einer früheren Filmszene auf die Frage seiner neuen Geliebten, Maxi, was für ihn das Schönste im Leben sein könne, geantwortet, er wolle sinnvoll sterben. Nun liegt er tot und blutverschmiert in ihren Armen.
Unterdessen dröhnt der Schlachtruf der Bewegung durch die Straßen: “Je suis Karl!”, und wie auf Kommando tobt der Bürgerkrieg los, den „die Rechten“ so lange ersehnt hätten. Wir sehen, wie arg der „rechte Mob“ bereits unter Waffen stand. Leute mit „falscher Hautfarbe“ werden gnadenlos niedergeschossen. Binnen Minuten greift der bewaffnete Aufstand der „Rechten“ auf ganz Europa über. Überall kommt es zu kriegsähnlichen Szenen. Das weiße Europa dreht frei.
Wer wird nun Maxi und ihren Vater letztlich retten und beruhigen, indem er ihnen ein Volkslied seines Stammes vorsingt? Eine Quizfrage.
Nach der Filmvorführung standen Regisseur Christian Schwochow und Drehbuchautor Thomas Wendrich dem Premierenpublikum (ca. 60 Zuschauer) für Fragen zur Verfügung.
Die erste Frage stammte von einer naturblonden Ursächsin (sie meldete sich insgesamt fünfmal hochengagiert), die den Regisseur korrigierte. Der hatte von einer „dystopischen Sicht auf heutige Zustände“ gesprochen. Sie warf ein, das sei keine Dystopie, sondern „bereits heute wahr“.
Man sekundierte ihr vom Podium aus, und auch die beiden Filmmänner nickten. Ja, es sei bereits heute wahnsinnig schlimm mit diesen Rechten. Als Gewährsleute wurden namentliche „investigative Journalisten“ wie Manuel Gogos und Christian Fuchs aufgerufen. Oh, die kennen wir!
Eine weitere Zuschauerin fragte, warum denn hier nur junge Leute vorkämen. Die Treiber des Rechtsrucks seien doch gar nicht jung?
Schwochow stellte klar, daß sowohl die „Identitären“ (denn natürlich hatte sein Film diese zum Vorbild) als auch die französischen Rechten fast ausschließlich blutjunge Leute rekrutiere.
Eine der zahlreichen weitere Fragen ging an den Drehbuchschreiber Wendrich: Da sei auf der einen Seite Rechtsterror. Auf der anderen Seite gäbe es aber doch auch moderate rechte Stimmen und Bewegungen? Wo wäre da die Verbindung?
Wendrich, kühn (und aus dem Gedächtnis zitiert): „ Nehmen Sie die Personalie Hans-Georg Maaßen. Ein Mann mit einem geschlossen rassis…, nein, sagen wir, nationalkonservativen Weltbild. Er selbst würde es wohl bloß ‘konservativ’ nennen.“ Dieser Maaßen jedenfalls (und wir erinnern uns: Maaßen hatte als Präsident des Verfassungsschutzes beizeiten die „Beobachtung“ der Identitären Bewegung angeordnet, EK) fungiert hier als Scharnier zwischen einer moderaten und einer gewalttätigen Rechten. Diese Leute sind ganz tief vernetzt.“
Regisseur Schwochow sagte der linken Zeitung vorwaerts.de:
Meine Hoffnung ist, dass der Film das Bewusstsein dafür schärft, dass Rechte immer unterschätzt wurden und auch heute noch unterschätzt werden. Dass sie sich weiterentwickelt haben, dass sie viel schlauer sind, als wir annehmen. Man muss sich glaube ich damit auseinandersetzen, was Menschen fasziniert bei den Rechten. Es reicht nicht, zu sagen: es ist falsch, es stimmt nicht, sie sind lächerlich. Weil man glaubt, dass die Rechten und ihre Ideen unterkomplex sind, nähert man sich ihnen oft unterkomplex. Deswegen zeige ich die Rechten mit einer starken Sexiness, weil es das gibt.
Man kann es sich nicht ausdenken! Aber es hilft noch nicht so recht, denn nun wurde, man glaubt es kaum, der Film ausgerechnet „von links“ bereits heftig kritisiert.
Die Jungle World kritisierte bereits den Titel. Der Aursuf „Je suis Charlie“ sei ein Bekenntnis zur Meinungsfreiheit gewesen. Hier nun betreibe man eine „verdrehte Analogie“. Das Neue Deutschland findet die ganze Geschichte „krude“ und „an den Haaren herbeigezogen“.
Filmstarts.de beklagt, daß hier die „wahre Gefahr“ stark „verharmlost“ werde. Schwochow hingegen gab sich im Kino optimistisch: Man habe den Film bereits hunderten Schülern gezeigt, und er sei verdammt gut angekommen. Der Hoffnung einer Premierebesucherin, daß Je suis Karl bald an jeder deutschen Schule gezeigt werde, schloß er sich an.
Beim Verlassen des großstädtisches Kinos gegen Mitternacht in Leipzig trafen wir zufällig auf eine (Mainstream)-Journalistin, zu der ich früher Kontakt hatte. Sie hatte Je suis Karl (wie übrigens zahlreiche Medienleute) bereits Monate zuvor gesehen. Sie hörte sich meine Kurzkritik an.
Dann, sie: „ Aber ich meine – dieser Karl, der ist doch hochattraktiv. Das sollten Sie doch wenigstens als schmeichelhaft für Ihre Szene begreifen, nicht? Ist das alles nicht ein interessantes Gedankenspiel?“
Ah. Ja. Natürlich. Bombig.
– – –
Laurenz
"Aber ich meine - dieser Karl, der ist doch hochattraktiv. Das sollten Sie doch wenigstens als schmeichelhaft für Ihre Szene begreifen, nicht?"
Schöne Bombenleger haben mehr Legitimation als die häßlichen?
Meint der Filmemacher tatsächlich, wir "Rechten" seien/wären so, wie in der Filmbeschreibung dargestellt? Oder kriegt er einfach nur Geld dafür?