Beide Ergebnisse waren für die Partei sicherlich nicht zufriedenstellend.
Die Detailanalyse des Wahlergebnisses offenbart die entscheidenden Fehler, gibt aber auch Aufschluß über mögliche künftige Positionierungen und Langzeitstrategien der Partei.
Mecklenburg-Vorpommern
In Vorbereitung auf die Landtagswahl 2016 ging die Partei noch ein Jahr zuvor mit dem Slogan „stärkste Kraft für MV“ in den Wahlkampf. AfD-Landessprecher Leif-Erik-Holm sparte auch in Reden und Mitgliederansprachen nicht mit Visionen von einer AfD-Regierungsverantwortung. Auf dem Listenparteitag wurde dies insoweit relativiert, als daß man sich auf die Regierungsübernahme 2026 jetzt vorbereiten müsse und die Landtagswahlen 2021 dabei nur ein starkes Ausrufezeichen seien. Ambitioniert, doch der konkrete strategische Weg bleibt abstrakt.
Am Wahlabend selbst war klar, daß die AfD leichte Verluste einfahren würde, die im Endergebnis nun mit einem Negativsaldo von minus 4,1% zu Buche stehen – ein Ergebnis, welches zwar auch die letzten Umfragen widerspiegelten, aber nicht wirklich die erhofften Ansprüche der Landespartei erfüllte. Die Ursachen dafür sind vielfältig und wurden schon im Vorfeld einer Wahlkampfanalyse vom Feldzug Blog analysiert. Die AfD verliert zwar vier Parlamentssitze, ist damit aber aufgrund der Austritte in der letzten Legislatur auf dem gleichen Niveau wie vor der Wahl.
Die kommende Fraktion wird im Landtag Mecklenburg-Vorpommern im Vergleich zu den anderen Parteien im Übrigen die durchschnittlich jüngste sein.
Die SPD- Ministerpräsidentin Schwesig galt bereits zu Beginn des Jahres als große Favoritin. Die SPD hat in MV bei Landtagswahlen seit Jahren eine solide strukturelle Wählermehrheit und vermag es auch durch ein glückliches Händchen stets Spitzenkandidaten aufzustellen, die sich als volksnahe Landesväter bzw. Landesmütter zu inszenieren wissen.
Die positive Trendstimmung für die SPD im Bund dürfte für Manuela Schwesig ein zusätzlicher Katalysator gewesen sein, der ihre schon vorher unangefochtene Rolle nochmals festigte und sie fast die 40%-Marke knacken ließ. Nahezu alle Verliererparteien des Wahlabends in Mecklenburg-Vorpommern (AfD, CDU, Die LINKE) verzeichneten die stärksten Verluste in Richtung der SPD. In absoluten Zahlen verliert die AfD knapp 15.000 Wählerstimmen – 12.000 davon gingen an die SPD. Dies ist ein starkes erstes Indiz dafür, daß die vormalige Protestwählerschaft der Landes-AfD aus 2016 gehalten werden konnte. Darauf deuten auch weitere Zahlen hin.
Die AfD MV fährt ihre größten Verluste von ‑5% in der Altersgruppe über 60 Jahre ein. Das sind einerseits ohnehin die Bastionen der klassischen Volkparteien SPD und CDU und tatsächlich gewinnt die SPD 10% der Ü60-Jährigen im Vergleich zu 2016 hinzu.
In den anderen Altersgruppen bleiben die Verluste für die AfD moderat. Mecklenburg-Vorpommern zeigt, was auch auf Bundesebene gilt, nämlich daß der große SPD-Sieg kaum als Ausdruck der großen Wandelsehnsucht und Aufbruchsstimmung der Gesamtbevölkerung zu interpretieren ist.
Ältere Wähler suchen vor allem Orientierung und Sicherheit in der Post-Merkel-Ära, die ihnen Olaf Scholz oder auch eine Manuela Schwesig offensichtlich vermitteln konnten.
Bei den Nichtwählern konnte die AfD MV im Gegensatz zum Bundestrend der Partei hinzugewinnen und kommt auf ein Positivsaldo von +17.000. Hätte man die 9.000 Abgewanderten aus dieser Gruppe gehalten, wären die Verluste in absoluten Zahlen für die AfD MV im marginalen Bereich geblieben.
Die Zusammenlegung der Bundestags- und Landtagswahl sorgte jedoch auch für eine erhöhte Wahlbeteiligung von +9% im Vergleich zu 2016, wodurch sich Stagnation und leichte Verluste im prozentualen Bereich schwerer auswirken.
Bei den soziodemographischen Daten gibt es nicht sonderlich viele Verschiebungen. Die AfD bleibt in den mittleren Altersklassen zwischen 30–45 Jahren am stärksten vertreten. Auch unter Arbeitern und Selbstständigen, jenen also, die faktisch den sprichwörtlichen Laden am Laufen halten, kann sie in Summe immer noch am stärksten mobilisieren.
Auch Menschen mit einfacher Bildung, die als Facharbeiter zwar in den mittleren Einkommenssegmenten liegen, aber die ökonomische Krisen als erstes treffen, sind weiterhin die Wählerschaft, die der AfD einen soliden Wählerstamm verschafft.
Gleichzeitig muß aber konstatiert werden, daß die AfD MV vor allem bei den Arbeitern die stärksten Verluste von ‑8% eingefahren hat. Man bemühte sich in MV zwar knapp vor der Wahl noch mit einer kleinen Minikampagne gegen steigende Spritpreise und „Tankstellenabzocke“, aber fügte sich in der Gesamttonalität doch eher in den zurückhaltenden und defensiven Klang der Bundeskampagne ein.
Dabei waren die wahlentscheidenden Themen für die AfD-Wähler genau die Klassiker, mit der die AfD ihren Exklusivitätsanspruch ausdrücken kann, was sich auch in den Kompetenzprofilen widerspiegelt. 19% sehen die Asyl- und Flüchtlingspolitik als die Kernkompetenz der AfD.
In MV werden interessanterweise auch Kompetenzen zum Thema „ostdeutsche Interessenvertretung“ abgefragt. Auch hier kann die AfD mit 14% punkten, ein Wert, der sich durch lokale Schwerpunktsetzungen und gute Wahlkreisarbeit noch nach oben schrauben ließe.
Je nach Perspektive kann man das Ergebnis in Mecklenburg-Vorpommern unterschiedlich bewerten. Wie auch in anderen Ost-Bundesländern lassen alle Analysedaten – die thematischen Kompetenzzuschreibung, die soziodemographischen Wählermilieus, die Wähleransichten usw.- auf den wahrgenommenen und von der Kernwählerschaft auch so gewünschten Protestparteicharakter der AfD schließen.
Es sind Arbeiter, Unzufriedene mit der Migrationspolitik und Menschen, die ökonomisch die durchschnittliche bis untere Mitte repräsentieren und dabei den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Transformierungsprozessen skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen.
Die AfD-Wähler geben zwar an, dass bei ihnen das Thema „Soziale Sicherheit“ ein weniger ausschlaggebende Rolle spielt aber dennoch bleiben die Unzufriedenheit, das nachhallende Echo der Zuwanderungskrise und der Verdruss auf das politische Establishment zentrale Motive der Wahlentscheidung.
Diesem Umstand sollte auch vor dem Hintergrund etwaiger Planspiele von Regierungsbeteiligungen Rechnung getragen werden und zu einer kritischen Selbstreflexion in Bezug auf verfügbare personelle und strukturelle Ressourcen im AfD-Landesverband MV.
Berlin
Es war ein schwarzer Abend für die AfD in Berlin. Minus 6,2% bei der Abgeordnetenhauswahl und das schlechteste Zweitstimmenergebnis aller Länder bei der Bundestagswahl. Die ersten Hochrechnungen zeigten am Wahlabend sogar eine Halbierung des Ergebnisses von 2016.
Ohne Frage, Berlin ist kein einfaches Pflaster. Die Stadt entwickelt sich in vielen Bezirken zu einer dystopischen linken Hölle, in der politmafiöse Strukturen herrschen, arabische Clans auf der Straße regieren und linksextreme Gruppen auf der Schwelle zu echten Terrorzellen stehen. Das AfD-Ergebnis von 14,2% aus dem Jahr 2016 muß vor dem Hintergrund der politischen Umstände in der Bundeshauptstadt schon fast als ein außergewöhnlicher Erdrutschsieg betrachtet werden. Absolut verlor die AfD in Berlin 86.000 Wähler und 12 Sitze im Abgeordnetenhaus.
Die Kampagne war wie auch in MV hinsichtlich des Slogans, der Visualität und der Botschaften eng an die der Bundespartei orientiert. Dennoch hat der Landesverband in der Gesamtaufmachung und der Zielgruppenansprache doch noch einige innovativere Akzente gesetzt. Mit Dr. Kirstin Brinker konnte man eine Spitzenkandidatin aufstellen, die im Wahlkampf durchaus viel Engagement und Einsatz zeigte, aber nur wenige Monate vor der heißen Wahlkampfphase Zeit hatte, sich ein eigenes Bekanntheitsprofil zu erarbeiten.
Das Ergebnis muß vor allem auch insoweit enttäuschen, als daß prozentual die stärksten Verluste in den Ost-Bezirken der Stadt eingefahren wurden. In Westberlin liegt die Partei ohnehin auf einem sehr schwachen Niveau und fiel dementsprechend nicht besonders tief.
Was wie in MV auch in Berlin am deutlichsten wird und für nachfolgende Strategiedebatten der AfD definitiv unterstrichen werden sollte: Die AfD verliert am stärksten in den sozialen Milieus, wo sie auch traditionell am stärksten ist.
Diese These dürften auch die Verluste im Berliner Osten zum Teil bestätigen. Die Kampagne „Deutschland. Aber normal“ war in ihrer Aufmachung ein experimenteller Versuch, neue gesellschaftliche Schichten und soziale Gruppen anzusprechen und mit weniger Kontur und Reibungspunkten aufzutreten.
Wenn die Verluste aber in den Wählergruppen, die von der AfD ohnehin schwach repräsentiert werden, eher moderat ausfallen (Akademiker, Angestellte, Beamte – die Gruppen also, die so gern als „bürgerliche Mitte“ präsentiert werden) und zugleich aber die starken Kernmilieus (Männer, Arbeiter, 30–45 Jahre, einfache Bildung) zunehmend abwandern, so muß hier doch der Finger in die Wunde gelegt und hinsichtlich der strategischen Ausrichtung nachgebohrt werden.
Allein bezogen auf Berlin könnte man argumentieren, daß bei Betrachtung der Wählerwanderungen die AfD am stärksten an die CDU abgegeben hat. Dazu muss jedoch auch erwähnt werden, daß die CDU ihre Kampagne durchaus auf einen sehr starken Oppositionskurs gegen den Rot-Rot-Grünen Senat zugeschnitten hat und möglicherweise viele Wähler sich hier von einem „Anti-Links“-Angebot haben täuschen lassen.
Einzig aus dem Lager der Nichtwähler konnten 6.000 neue Stimmen für die AfD hinzugewonnen werden.
Die sozioökonomische Wählerverteilung ist in Berlin teilweise noch klarer als in manch anderen Verbänden. 99% der AfD-Wähler und damit weit mehr als der Durchschnitt der Gesamtwählerschaft sehen eine zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich. In der Beurteilung der eigenen wirtschaftlichen Lage geben 28% der AfD-Wähler an, daß sie ihre eigene Lage eher als schlecht bewerten.
Damit stellen sie auch die prozentual größte Gruppe aller anderen Wählerblöcke dar und auch bei den Wählern mit einfacher Bildung zeigt sich unter den AfD-Wählern der größte Anteil. Der ehemalige Berliner AfD-Landeschef und Ex-Fraktionsvorsitzende Georg Pazderski sprach in internen Chats über diese Wähler verächtlich von der „Joggingshosenfraktion“.
Dies sind in Berlin aber genau die Milieus, die in großen Scharen von der AfD abgewandert sind. Das Ergebnis von Berlin zeigt also: Die Ansprache von Milieus der „bürgerlichen Mitte“ darf unter keinen Umständen mit einer Vernachlässigung der Stammklientel verbunden sein, sondern muß in einem ausgeglichenen Verhältnis stattfinden.
Für die Berliner waren vor allem jene Themen wichtig, in denen die AfD nur schwerlich ein eigenes Profil und Alleinstellungsmerkmal schaffen konnte. Auch hier zeigt sich einmal mehr die Konstante der Zuwanderungskritik, die vom Wähler am stärksten wahrgenommen wird.
Der Aufbau weiterer Kompetenzfelder und eines breiteren Themenportfolios wird in der gesamten AfD mit der Konsolidierung weiterer Fraktionen sicherlich Priorität haben.
Doch es gilt gleichermaßen auch die bereits erarbeiteten Kernkompetenzen zu schärfen und auch programmatische Querbezüge wie zwischen der Migration und der sozialen Frage herzustellen, um innerhalb der Wahrnehmungshorizonte der eigenen Wählerschaft zu bleiben.
Laurenz
Sehr geehrter Herr Fiß, Ihre Wahlanalysen sind kürzer aber nicht schlechter als die von BK früher, also in meinen Augen hervorragend. In der Schlußfolgerung kann man aber Kritik ansetzen.
Die SPD gibt wohl am meisten Geld für gute Werbeagenturen aus, ein entscheidender Faktor. Die Programmatik dient doch nur dazu den Mitbewerbern möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, deswegen muß diese perfekt sein. In Berlin stellt sich die Frage doch erst gar nicht. Pazderski & von Storch wollen nur 6%-Partei sein. Wer in solch gehobener Position keinen Macht-Instinkt entwickelt, hat in einer gehobenen Position nichts verloren. Das hat alleine die Berliner AfD zu verantworten. Nirgendwo in der Republik ist es leichter Wahlen zu gewinnen, als im Kalkutta an der Spree. Die SPD hat exakt GK & BK genutzt. minimalisierter Themenbereich & die soziale Frage bedient.
& die SPD in verschiedenen Bevölkerungsschichten zu schlagen, ist doch kein Menetekel. 1. Du willst 30% mehr Rente? AfD 2. Du willst 1.000 Euro Kindergeld? AfD 3. Du willst dieselben guten Ärzte haben, wie Frau Schwesig? AfD 4. Du hast denselben Bildungsanspruch für Deine Kinder, wie Frau Schwesig für ihre? AfD usw. & sofort. Was ist daran denn so schwer?