100 Hefte Sezession! Man muß innehalten, um sich der Bedeutung dieser bloßen Ziffer bewußt und der Leistung gerecht zu werden, die mit dem Jubiläumsdatum verbunden sind. »Wer zählt die Texte, nennt die Namen« – könnte man Laudatio-gemäß schillernd ausrufen –, die sich hier in gut 19 Jahren zu einem rechtsalternativen publizistischen Ensemble vereinigten. 100 Hefte geballte Theorie für Tausende von treuen Abonnenten: (Meta-)Politisches, Historisches, Philosophisches, Ästhetisches, darunter Autorenporträts, Buchkommentare, sozialpolitische Stimmungsbilder und nicht zuletzt mit viel Verve ausgefochtene Debatten über Konsistenz und Richtung einer politischen wie kulturellen Strategie. Das Ganze dargeboten in einer grafischen Form, die besonderen Anspruch verrät.
Man muß allen danken, die im Vorder- wie Hintergrund organisierend, schreibend oder fördernd dazu beitrugen, dieses Zeitschriftenprojekt bis heute kreativ am Leben zu halten. Denn eine Selbstverständlichkeit ist das im »geistigen« Umfeld dieses Landes gewiß nicht. Steht doch für solche Kritik bundesrepublikanischer Zustände kein hochsubventioniertes intellektuelles Lotterbett zur Verfügung wie für die »systemrelevante« überraschungsfreie Bestätigungspublizistik. Ganz im Gegenteil. Das Erstaunen über dieses Qualitätsorgan aus einem Lager, dem man in arroganter Verkennung wie intriganter Mediensteuerung jede kulturelle Satisfaktionsfähigkeit abstritt, währte nur kurz. Dann schritt man, da Verschweigen nichts half, umgehend zur konsequenten moralischen Ausgrenzung. »Zivilgesellschaftliche« und administrative Diskriminierungen ergänzen sich bis zu schlichten Gewaltakten. Allein diesem Druck standgehalten zu haben ist eine Tat.
Als ich im Juli 2005 erstmals in der Sezession publizierte, war dies eine Art Ausbruch aus einer Kommunikationshöhle, in der zumindest ungeschriebene Gesetze des jeweils Sag- und Publizierbaren gegolten hatten. Zuvor hatte ich bei heiklen Themen häufig quasi mit angezogener Handbremse formuliert, nicht zuletzt aus Rücksicht auf Mitarbeiter und Schüler, die mir dies später mehrheitlich durch zeittypische Illoyalitäten vergalten. Doch auch, wo ich mich (wie im Fall des diffamierten Ernst Nolte) zur Stellungnahme genötigt sah, fehlte meist schlicht die Aufnahmebereitschaft für Anti-Mainstream-Kost, genauer: die publizistische Infrastruktur.
Nun war mit Sezession ein Leitmedium der Nische hinzugekommen, neben anderen, von denen ich erst erfuhr, als ich (die auch informationsmäßig beschränkte) akademische Komfortzone verlassen hatte. Dies schärfte das Bewußtsein für Erkenntnisspielräume. Bislang weniger beachtete Denker gerieten stärker in den Blick und reizten zur Auseinandersetzung. Ohnehin sind nicht an richtungs- oder moralpolitische Weisungen gebundene Analysen substanzreicher. Auch im Geistigen hilft frische Luft. So kam man sich seit langem nicht mehr als Einzelgänger vor, wenn man auch in politicis eins und eins stimmig zusammenzählte.
Jubiläen bieten Gelegenheit zum freudigen Innehalten wie zur Bilanz. Eine erste zog ich öffentlich anläßlich des Berliner »Zwischentags« im Oktober 2012, eine gegen Antifa-Drohungen durchgesetzte, stark besuchte »Heerschau« rechtsalternativer Verlage und Initiativen. Von der Reichhaltigkeit des Angebots, dem Niveau der Diskussionen, der Vorträge und der Präsentationen, war dies gewiß ein Höhe‑, leider aber auch ein Wendepunkt in der stürmischen Aufstiegsgeschichte des Instituts für Staatspolitik. Termingerecht konnte zudem Nr. 50 der Sezession vorgestellt werden. Das gab mir als Festredner Gelegenheit zu einer Lageeinschätzung, und die Publikumsresonanz bewies, daß deren Kern weithin gebilligt wurde.
Das Thema meines Vortrags lautete: »Unser Stil«, ein nur scheinbar politikferner Ansatz, in Wahrheit ein Schlüsselbegriff für ernsthafte Konservative zur Kennzeichnung einer Zeit. Stil als charakteristischer Ausdruck zentraler gesellschaftlicher Tendenzen, Leistungen und Lebensformen einer Epoche dient schließlich im Idealfall als ihr Gütesiegel. In diesem positiven Sinne taugt er allerdings wenig zur Beschreibung der hiesigen Dekadenz. Dazu mangelt es unserem Staatswesen zu sehr an Souveränität, Gemeinsinn, Niveau, Freiheits- und Traditionsbewußtsein sowie generationenübergreifender Verantwortung. Wer unseren heutigen Stil definieren wollte, könnte es höchstens negativ tun: als etwas, das wir in Deutschland mehrheitlich nicht (mehr) haben. Es sei denn, man suche ihn bei Solitären der Offizialkultur oder im schmalen, tatsächlich oppositionellen Lager.
In Berlin fragte ich damals, ob denn die alternative Szene schon ihren eigenen Stil gefunden habe: etwas, was ihren Identitätskern ausmacht und Handlungssicherheit verleiht. Ich sah neue Akzente in Sprache, politischem Denken und Charakterhaltung, verbunden durch die Devise »Sezession«, also Auszug aus einer Gesinnungsgemeinschaft mit dem herrschenden politmedialen Kartell, Aufkündigung der Loyalität zu einer staatlichen Nomenklatura, ihren Wertsetzungen, Tabus und Sprechverboten. Metapolitik fand dort gebührende Aufmerksamkeit. Man spürte die großzügige Perspektive, weg vom tagespolitischen Kleinklein wie der belanglosen Frage, ob diese oder jene traurige Zeitgeistfigur diesen oder jenen Posten ergattert. Wirkliche Lagemusterung führte direkt zu zentralen Fragen, allen voran der wichtigsten im Sinne Carl Schmitts nach dem jeweiligen Feind.
Stil ergibt sich aus der lebenslangen Selbsterziehungsaufgabe des einzelnen, erprobt und trainiert in konkreten Konflikten, wobei das Bewußtsein des Richtigen letztlich nur vom eigenen Gewissen beglaubigt wird. Wer im Umkreis dieser Zeitschrift antrat bzw. schreibt, ist zumindest kein Opportunist. Wer sich hier outet, weiß, daß seine zumindest moralische Verdächtigung zum Tagesgeschäft gehört, und riskiert seine Karriere. Solche Charakterauslese verbessert den Stil, wie zahlreiche Bücher und Artikel beweisen. Denn für Äußerungen steht man – wie beim Duell – persönlich ein. Ganz im Gegensatz zur Mainstream-Lizenz zu haltloser Polemik, die unser Establishment in ihren gesinnungskonformen analytischen Kindergärten »gegen Rechts« gewährt. Neben Mut wird Beharrlichkeit zur Leittugend. Denn es gilt, sich auf Rückschläge oder weitgehende Wirkungslosigkeit einzustellen. Nicht Schönfärberei, sondern realistischer Klartext ist das Stilideal, expliziert am konkreten Detail.
Wo es an kraftvollen Temperamenten und scharfzüngigen Schreibern nicht mangelt, kommt es zwangsläufig immer mal wieder zu heftigem Meinungsstreit. Denn wer sich für Sezession, also auch für die Freiheit des Wortes entschieden hat, tendiert zu Binnenpluralismus. Deshalb, schloß ich damals, brauche man selbst bei hitzigen Kontroversen nicht gleich die Alarmglocken zu läuten. Dennoch plädierte ich dafür, bei Kontrahenten im gleichen Schützengraben die rhetorischen Krallen zuweilen etwas einzuziehen. Die sollten wir für andere reservieren: jenes Juste milieu der korrekten Tugendwächter aus Zeitgeist-Journaille und ‑politik. Wer verhindern will, daß wir überhaupt zu Wort kommen, ist nicht unser Gegner, sondern unser Feind. Ihm gilt die Hauptkampflinie.
Mustere ich heute – gut acht Jahre später – meine Rede, erkenne ich neben weiterhin Gültigem besonders im zuletzt genannten Punkt Korrekturbedarf. Denn meine Hoffnung, die Fliehkräfte innerhalb der Oppositionspublizistik ließen sich bändigen, hat sich als zweckoptimistische Illusion erwiesen. Das Bewußtsein, daß unser Establishment alle Herausforderer am liebsten von heute auf morgen unisono plattmachen möchte – Junge Freiheit, Sezession oder eigentümlich frei ebenso wie Tumult, Compact, Freilich, Cato und Plattformen wie die von Klonovsky, Tichy, Wendt, Broder, Schiffmann, Reitschuster, PI oder KenFM neben anderen –, war oder ist offenkundig weniger ausgeprägt als die Erwartung, man werde durch Vermeidung bestimmter Konfrontationen oder durch subtilere Taktik einem prekären Schicksal entgehen. Hinzu kommen berechtigte wie peinliche, programmatische wie persönliche Profilinteressen, in deren Verlauf zuweilen die gemeinsame Bedrohung außer Blick gerät.
So bestätigte mir kürzlich Frank Böckelmann, der Herausgeber von Tumult, das Konstrukt einer »rechten« (Kultur-) Phalanx entspreche mehr einer wahnhaften Propagandaidee des Establishments als der Realität. Eine »Grundsolidarität« unter Oppositionellen existiere nämlich vornehmlich als negative Zuschreibung »des in den Kosmopolitismus driftenden Parteien‑, Medien- und Gesinnungskartells«. »Im ›alternativen Lager‹ selbst besteht sie nicht.« Hier herrsche »Wettbewerb um Marktanteile und Meinungsführerschaft, bisweilen in der Form eines hämischen Hauens und Stechens.«
Meine damalige Beschwichtigung, was den Dissens unter Sezessionisten betraf, war ja auch vornehmlich vom Wunsch getragen, es möge sich so verhalten. Doch bekanntermaßen kam es zum Bruch, mit weitreichenden Folgen über die Verlagsszene hinaus. Die sonstigen Diagnosen von 2012 scheinen mir weiterhin gültig. Denn über unsere fatale Ausgangslage und die generelle Skrupellosigkeit unserer politmedialen Klasse hatte ich schon damals wenig Zweifel und deutete von daher unser Handeln auch in Anlehnung an Verhaltensmuster wie Sisyphus oder Don Quichotte (das verdeutlichen einige Zitate in der Randspalte). Überrascht haben seitdem ja allenfalls Tempo und Rigorosität, mit denen das Establishment jede Kritik mit verschärfter Repression konterte. Zensur als Handlungsdevise dieser Zeit.
Da sich die Systempresse weitgehend gleichgeschaltet hat, verschiebt sich der Fokus legislativer Aktivitäten ins Netz, sekundiert von zivilgesellschaftlichem Druck. So vergeht kein Tag, an dem nicht alternative Blogs gelöscht, Plattformen verbannt, Bankkonten gekündigt oder Unbotmäßige juristisch oder per Verfassungsschutz eingeschüchtert werden. Die Ex-DDR-Lobby marschiert. Zwischen Merkel und Kahane paßt kein Blatt Papier. Exemplarisch die Meldung, daß die Regierung, neben ohnehin ausufernden »Bildungs«-Programmen von der Kita bis zur Uni, einen weiteren zehnstelligen (!) Euro-Betrag »gegen Rechts« beschloß. Und »Rechts« ist inzwischen fast alles, was linksgrüne Globalagenden stört, zur Zeit sogar die »Querdenker«, obwohl die gesinnungsmäßig mehrheitlich anders gestrickt sind.
Man braucht kein demokratisches Mäntelchen mehr, sondern beschränkt sich fast ganz darauf, nennenswerte Opposition bereits physisch vom öffentlichen Gespräch zu verbannen. Auch sank die Hemmschwelle, dies noch zu verschleiern. Wo Beamte oder Richter nicht gänzlich funktionieren, werden sie (wie Maaßen) umgehend geschaßt.
Entmutigen könnte dabei die Paradoxie, daß selbst scheinbar aussichtsreichste oder einfallsreichste Initiativen die Unterdrückung stets noch steigerten. Von der Gründung der AfD über PEGIDA, den europaweiten Aufstieg der Identitären, Wahlbeobachtung und sonstige Aktionen von Ein Prozent, die »Charta 2017« gegen Intoleranz im Kulturbusiness bis zum Antaios-Coup 2018 auf der Frankfurter Buchmesse unter »göttlicher« Assistenz von »Loci« – all das hat das System nur dazu provoziert, nun noch plumper, schamloser oder demokratieverletzender zu reagieren.
Dieses unbefriedigende Zwischenergebnis einer kräfteraubenden Meinungsschlacht hinterließ auch in der Sezession seine Spuren.
Schließlich gehört ungeschminkte Lagebeurteilung zum Stil, sofern diagnostische Kälte nicht in fatalistische Resignation mündet. Deute ich neuere Tendenzen richtig, so vollzieht sich gerade ein Abschied von der retrospektiven Utopie, wonach unser Staat durch eine »Vater«-Figur wie in Kleppers gleichnamigem Roman schlicht wieder in eine Fasson gebracht werden könne, die wenigstens wilhelminisches Niveau und entsprechende Rechtsstaatlichkeit garantiert. »Mutti« als Galionsfigur illoyaler Eliten hat diesbezüglich eine ideelle Wüste hinterlassen, in der ein erbeuteter Staat selbst zum größten Hindernis für eine unerläßliche Veränderung geworden ist.
Dominierten anfangs Leitbilder der Konservativen Revolution, später die des identitären Protests bei gleichzeitiger Auslotung parteipolitischer Chancen, geraten neuerdings auch individualistische Lebensmodelle ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Das Interesse an Verhalten und Schreibweisen der Inneren Emigration wächst, literarisch illustriert in Amor Towles’ Roman Ein Gentleman in Moskau. Allzu lange hat man diese Existenzweise ja lagerübergreifend als bloße Flucht aus der Politik diskreditiert. Kaum gewürdigt hingegen wurde die stille (zuweilen nur verdeckte oder kaum noch verborgene) Distanzierung gegenüber einem weithin hallenden staatlichen Propagandaraum. Und vielfach übersehen wurde der zentrale Appell dieser Autoren, wie er stellvertretend Bergengruens Der Großtyrann und das Gericht auszeichnet: »Fürchtet euch nicht!« Gleichzeitig steigt der Rang von Form und Haltung, und wir werden uns, wie auf dem »Zwischentag« 2012, wieder der Bedeutung von Stilfragen bewußt. Von daher läßt sich auch die heute gefeierte Zeitschrift als traditionsstiftende geronnene Form betrachten, was ihre dominierende Bewertung vom launischen Kriterium des tagespolitischen Erfolgs befreit.
Eine Kapitulation vor der Macht bloßer Masse ist das nicht. Persönliche wie historische Größe implizierte schon immer einen gewissen Trotz gegenüber der jeweiligen Epoche und belegt Haltung selbst in der Niederlage. Man denke an Thomas Morus’ spöttische Unerschütterlichkeit angesichts des Schafotts oder die stilvolle Geste des Außenministers Brockdorff-Rantzau, als er 1919 in Versailles den unseligen Vertrag nur mit Handschuhen anfaßte, die er dann liegen ließ. Die Botschaft gegenüber selbstgerechten Triumphatoren war unmißverständlich: Ihr habt die Macht, aber geistig besiegt sind wir noch nicht.
Aufgeben sollte man erst bei gänzlicher Hoffnungslosigkeit. Das gilt mir heute nicht weniger als 2012. Und schon damals endete mein Text mit dem Hinweis auf eine grandiose Szene in Wolfgang Petersens Film Das Boot: Darin liegt ein havariertes deutsches U‑Boot auf dem Meeresgrund vor Gibraltar. Stundenlange Reparaturen konzentrieren sich auf eine einzig verbliebene Chance. Der stoische Kaleu wehrt der Panik mit imponierender Nervenstärke und schafft so die Voraussetzung für das fast Unmögliche. Und als man dann wider alle Wahrscheinlichkeit dennoch auftaucht und den Tommys entkommt, da ballt der »Alte« die Faust und schreit sein »Not yet!« in die Nacht.
Wenn mich angesichts des absurden Alltags zuweilen tiefe Verzweiflung packt, denke ich an diese eindrucksvolle Szene. Und vielleicht gilt solche Aufmunterung auch für andere. Signalisieren wir unseren Feinden ein trotziges »Not yet!« Es gelang euch noch nicht, uns mundtot zu machen. Noch sind nicht alle eingeschüchtert, zu Kreuze oder zur Futterkrippe gekrochen. Ihr Armseligen habt es (noch) nicht geschafft. Und vielleicht schafft ihr es nie. Noch gibt es Charaktere, die nicht jedes Handeln an Karriere und Erfolg orientieren. Um der Gemeinschaft und ihrer Selbstachtung willen halten sie auch scheinbar »verlorene Posten«. Das ist unser Stil. Und einen andern wollen wir nicht.