Wir stehen vor großen Umwälzungen. Im Grunde stehen wir mittendrin. Und nur die Reste hergebrachter Kulissen hindern uns noch daran, dem Schrecken neue Namen zu geben.
»La Terreur« nennen Franzosen die Schreckensherrschaft gegen echte und vermeintliche Gegenrevolutionäre nach 1793. Der Terror der heutigen Weltrevolution spielt sich vorerst in den sozialen Medien ab, durch Deplatforming kann er einen Martin Sellner ebenso treffen wie den US-Präsidenten. Wer gegen den Globalismus aufbegehrt, wird zum Schweigen gebracht. Wo der Stummschalter nicht hinreicht, greifen Verbote und Strafen für neuerfundene Meinungsdelikte.
Aber der Globalismus bringt nicht nur ungeahnte Schrecken, er zwingt uns auch zu politischer Verortung. Der Globalismus ist Globalisierung zum Weltstaat, er macht unsere Heimaten unkenntlich und wirft uns doch auf den Boden zurück, in dem wir wurzeln. Globalismus heißt für uns Terreur und Terroir. »Terroir« kommt aus dem Weinbau und meint mehr als nur die Lage, der Begriff bezeichnet die Rebe, die Beschaffenheit des Bodens und die Neigung des Hangs, das Klima und das Wetter. Nicht weniger Faktoren hat auch die politische Lagebestimmung. Wir müssen die weltpolitische Konstellation und die hiesigen Machtverhältnisse realistisch einschätzen, um den Feind richtig zu erkennen.
Mustergültig bestimmt hat ihn Donald Trump als »Globalismus« in seiner Rede vor der UN-Generalversammlung am 24. September 2019. Als Freunde nannte der US-Präsident die souveränen Nationalstaaten. Der defensive Nationalismus, gefaßt als Gegensatz zum aggressiven Imperialismus, gilt in der Rechten immer noch als Tugend. Dank Yoram Hazony, dem Präsidenten der Edmund Burke Foundation, bekam diese Idee in Europa neuen Schwung. Aber kann der Nationalismus, eine frühere Entwicklungsstufe, überhaupt geschichtlich wirkmächtiger Gegenpart zum historisch späteren Globalismus sein? Ein Witz lautet: Auch Nicht-Interventionismus ist Interventionismus. Gerade weil Rußland die humanitäre Intervention im Völkerrecht ablehnt, mußte es in Syrien intervenieren, um Präsident Assad beizuspringen. Ähnlich könnte es mit dem Anti-Globalismus sein. Um den Globalismus zu bekämpfen, muß er global agieren. So ähneln sich beide Seiten einander an, bis wir jede Entscheidung in der Grauzone der Doppeldeutigkeit treffen, wo sich nicht mehr genau sagen läßt, ob wir das Ende der Geschichte aufhalten oder wider Willen beschleunigen. Was wir haben, sind veraltete Karten und fehlerhafte Instrumente.
Kalibrieren wir den Kompaß zur Lagebestimmung bei den Titanen Carl Schmitt und Ernst Jünger. Zwischen 1950 und 1960 haben der Staatsrechtler und der Soldatenschriftsteller über die Lage gestritten – Schmitt als Aufhalter, Jünger als Beschleuniger der weltpolitischen Tendenz.
Im Januar 1952 veröffentlicht Carl Schmitt im Merkur den Aufsatz »Die Einheit der Welt«. Darin weist er die Möglichkeit einer politischen Welteinheit aus apokalyptischer Sicht zurück: »Auch das Reich Satans ist eine Einheit«, schreibt er, »und Christus selbst ging von diesem einheitlichen Reich des Bösen aus, als er vom Teufel und Beelzebub sprach.« Im Konflikt zwischen Ostblock und Westblock ergreift Schmitt für keine Seite Partei, sondern lehnt die Weltpläne beider Seiten als Vehikel fortschrittlicher Geschichtsphilosophie ab: einerseits dialektischen Materialismus mit Endziel Kommunismus, andererseits technischen Planungsoptimismus mit Endziel Weltstaat wie beim britischen Historiker Arnold Toynbee.
Stattdessen hält Carl Schmitt am Konzept einer Großraumordnung fest, wie er sie 1941 schon umrissen hat. Vorbild: die Monroe-Doktrin von 1823. Die Vereinigten Staaten hatten den amerikanischen Kontinent als ihre Interessensphäre bestimmt, um ihn den Interventionen raumfremder Mächte zu entziehen. Durch die Multiplikation solcher Großräume, jeweils von Kernstaaten mit deren politischen Ideen durchdrungen, sollte ein neues Gleichgewicht der Mächte entstehen. Nach dem Weltkrieg setzt Schmitt seine Hoffnung in blockfreie Staaten: »Sobald eine dritte Kraft erscheint, öffnet sich sehr schnell der Weg zu einer Mehrheit von dritten Kräften, und es bleibt nicht bei der einfachen Dreizahl.«
Anders Ernst Jünger. In seinem Aufsatz »Der Weltstaat« (1960) erachtet zwar auch er die Blockkonfrontation im Atomzeitalter für zu gefährlich, als daß sie als Dauerzustand zementiert werden dürfe. Auch er hält den Weg zurück zum zwischenstaatlichen Völkerrecht für versperrt, weil Souveränität im vollen Wortsinn angesichts der Globalisierung der Technik nur noch für Atommächte erreichbar sei. Aber Jünger folgt letztlich Toynbee und plädiert für die Überwindung der Blockkonfrontation durch einen Weltstaat, der allein die Vernichtungskraft der Waffentechnik im Atomzeitalter bannen könne. Die Möglichkeit einer multipolaren Ordnung weist er ausdrücklich zurück – ohne Gegenargument.
Reihte sich Ernst Jünger also unter die Globalisten ein, um Anschluß an das Establishment zu halten? Ein Jahr zuvor hatte er das Große Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen. Zwei Dutzend weitere Ehrungen sollten folgen. Schon am 27. Januar 1949 notierte Carl Schmitt in seinem Glossarium abschätzig: »Ernst Jünger wird reifer und reifer. Jetzt ist er bald reif für den Nobelpreis.« Friedensnobelpreis, Weltfrieden, Weltstaat, all diese hehren Ziele waren für Schmitt nur Verbrämung für einen Pazifismus, der versprach, den Krieg ein für allemal zu beenden, der aber in Wirklichkeit ein globales Interventionsregime aufzog, um den totalen Krieg zur Beendigung aller Kriege in die hintersten Winkel der Welt zu tragen. Auf dieser Gegenseite des europäischen Völkerrechts ortete er nun Jünger.
Wir müssen Ernst Jünger als konservativen Denker ernst nehmen. Jünger war vom Nahen des Weltstaats deshalb überzeugt, weil er beobachtete, »daß Weltbürgerkriegsideen die Politik der Staaten und ihre Händel der Umrisse berauben«. Im Kalten Krieg waren sämtliche Kriege von der Blockkonfrontation durchdrungen – in welchem Ausmaß, blieb dem Publikum oft verborgen. Selbst die Konflikte der alten Bundesrepublik trugen die Signatur des Kalten Krieges. Die Erschießung Benno Ohnesorgs durch einen Inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi war der Startschuß zu Studentenunruhen, die Verbindungen von RAF-Terroristen zur Stasi sind mittlerweile ebenso bekannt wie die Lenkung italienischer Rechtsterroristen durch westliche Geheimdienststrukturen.
Mittlerweile wissen wir aber auch: China wuchs im Schatten des Kalten Krieges zur dritten Kraft heran, um den Sieger dieses Krieges im 21. Jahrhundert zu konfrontieren. So hat die Negation der liberalen Demokratie westlichen Zuschnitts durch den Kommunismus sowjetischer Prägung nicht unmittelbar zur Aufhebung der Gegensätze in einem Weltstaat geführt. Carl Schmitt lag also richtig, als er auf eine dritte Kraft setzte. Und wie im Kalten Krieg wird künftig jeder Konflikt seinen Sinn von der neuen Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und China her empfangen. Handelt es sich bei dieser Konfrontation noch um Außenpolitik oder schon um Weltinnenpolitik, also nur um Reibung bei der Verschiebung von Machtzentren für einen kommenden Weltstaat? Lauschen wir einem weiteren Zwiegespräch zwischen Schmitt und Jünger.
Ernst Jünger veröffentlicht 1953 seinen Essay Der Gordische Knoten über die Begegnung von Osten und Westen im Weltgeschehen. Wer den Knoten löst, wird das asiatische Herzland und somit die Welt beherrschen. Mit mythischen Bildern stilisiert Jünger die Blockkonfrontation zur welthistorischen Endschlacht. Zwar duldet er schon hier keinen »Einwand gegen die Prophezeiung eines Weltstaates«, zwar betont er auch hier die »Verwandtschaft zwischen dem Bürgerkrieg und der Ost-West-Begegnung«, sichtbar in der Verteilung weltrevolutionärer Truppen »in allen Ländern der Erde«; aber Jünger führt die Frontlinie nicht auf Geschichtsphilosophie zurück, sondern auf den Gegensatz zwischen Freiheit und Despotie.
Wie der Historiker Karl Wittfogel über Jahrzehnte ausführte, soll die Despotie das Erzeugnis einer spezifisch asiatischen Produktionsweise gewesen sein, die als kollektive Anstrengung der Bewässerung sogenannte hydraulische Gesellschaften mit einer Bürokratenkaste an der Spitze hervorbrachte. Despotie war der Titel, mit dem Wittfogel und seine Anhänger den Sozialismus sowjetischer und chinesischer Prägung der Hegelschen Geschichtsphilosophie entrissen, um die Schrecken des real existierenden Sozialismus dem »asiatischen Wesen« in die Schuhe zu schieben. Indem Ernst Jünger von Despotie spricht, verlegt er die Ursachen für den Ost-West-Konflikt in die Tiefenschicht kontinentaler Mentalität.
Carl Schmitt antwortet zwei Jahre später in einem Beitrag zur Festschrift, die Armin Mohler zu Jüngers 60. Geburtstag herausgibt. Darin setzt er Jüngers Polarität von Freiheit und Despotie die Dialektik von Land und Meer entgegen. England sei als erstes Land den »Schritt zu einer rein maritimen Existenz« gegangen und habe die Technik durch die industrielle Revolution entfesselt. Dieser Technik bemächtige sich – Schmitt zitiert Toynbee – der kommunistische Osten, als nehme er einen »Splitter« auf, der sich von der westlichen Kultur abgelöst hat, um ihn ins Fleisch des Westens zu stecken. Den Marxismus nennt Schmitt »ein praktisches Mittel, einen Zustand industriell-technischer Wehrlosigkeit zu überwinden und eine alte Elite abzulösen, die sich dieser Aufgabe nicht gewachsen zeigte.«
Anders als im Aufsatz von 1952 macht Carl Schmitt 1955 nicht mehr Geschichtsphilosophie im Zentrum des Ostens aus, der Marxismus erscheint vielmehr als Mittel zu einem Zweck, der nicht im Kommunismus besteht. Bleibt Carl Schmitt weiter neutral im Hinblick auf die Blockkonfrontation? Offenbar nicht. Er scheint so weit zu gehen, die kommunistischen Führer im elementaren Konflikt zwischen Land und Meer auf der Landseite – seiner eigenen Seite – zu verorten. Gegenüber westlichem Pazifismus verteidigt Schmitt die kommunistischen Partisanen in der Theorie des Partisanen als tellurische, erdgebundene Hüter der Feindschaft.
Das ist der Höhepunkt seiner Entfremdung von der Konservativen Revolution, aber nicht der weiteste Punkt seiner Entfernung von Ernst Jünger. Anders als in der Frage des Weltstaats sind sich Jünger und Schmitt in der Frage nach dem Sinn des Gegensatzes von Osten und Westen im Kern einig: Es handelte sich um einen elementaren Kampf um die Herrschaft über die Welt.
Diesem Befund entspricht die Diagnose des heutigen Geisteszustands im ehemaligen Ostblock. Der Westen ist keineswegs »rechts« und der Osten keineswegs »links« aus dem Kalten Krieg hervorgegangen. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs entdeckte Rußland seine orthodoxe Tradition wieder, China knüpfte an konfuzianische Ordnungsmodelle an. Und die Visegrád-Staaten befinden sich nicht nur in einem geerdeten, gesünderen Zustand als Deutschland oder Frankreich, weil sie den Kommunismus innerlich niemals angenommen haben, sondern auch, weil sie über Jahrzehnte einer Schockfrostung unterzogen waren, die ihre Abwehrkräfte gegen multikulturelle Anfechtungen immunisierte.
Deshalb geht es nicht an, für die Fehlentwicklungen im Westen eine kommunistische Verschwörung zu bemühen. »Black Lives Matter« und Antidiskriminierung sind in der Tyrannei westlicher Werte angelegt, die mit der Umerziehung über uns gekommen ist. Wenn wir heute umstandslos dem Antikommunismus folgen, der schon gestern den Kern der ideologischen Auseinandersetzung verfehlte, drohen wir morgen den Anruf der Geschichte zu überhören. Der Feind heißt weder Kommunismus noch Liberalismus.
Der Weltbürgerkrieg hat nach Ende des Kalten Krieges an Gestalt verloren, aber an Intensität gewonnen. Zwischen unsichtbaren Fronten tragen schwer greifbare Parteien einen namenlosen Krieg im Medium des Digitalen aus, mit Cyberangriffen, »geframten« Informationen und virtuellen Vernichtungsschlägen. Stärker noch als die Elemente Land und Meer bestimmt das Digitale die Konflikte. Wie die Drohung mit dem roten Knopf eine Frontlinie zwischen die Blöcke zog, so zieht die Betätigung des Löschknopfs durch die Social-Media-Giganten quer durch die Länder eine Linie zwischen Freund und Feind. Jeder Staat, der Twitter und Facebook nicht seinerseits sperrt, gibt seine Bürger dieser politischen Logik des Globalismus preis.
Weltpolitik ist mehr als je zuvor Weltinnenpolitik, aber noch nicht ganz. Außer einer Weltmacht und einer im Werden begriffenen Weltmacht gibt es zahlreiche Regionalmächte, die in ihren Vorhöfen und darüber hinaus Krieg führen. In Syrien konnten wir beobachten, wie sie abwechselnd miteinander und gegeneinander kämpften – eine Erinnerung an europäische Kabinettskriege. Und ein Vorgeschmack auf eine multipolare Weltordnung?
So weh es tut: Politische Denker von Rang hielten den Nationalstaat als maßgebliche Größe schon vor Jahrzehnten für überwunden. Der eine setzte seine Hoffnung in den Weltstaat, der andere in eine multipolare Ordnung der Großräume. An eine Welt der hundert souveränen Nationalstaaten, die sich gegenseitig den Krieg erklären können, glaubte weder Schmitt noch Jünger. Jetzt ist es auch für uns höchste Zeit, im europäischen Maßstab zu denken. Dazu gehört, daß die Parteien und Bewegungen der Gegenglobalisierung europaweit ihre Kräfte bündeln und koordinieren. Der Nationalismus hat sich als zu anfällig für Manipulation globaler Spieler erwiesen, er muß überwunden werden, wenn Europa zu einer dritten Kraft werden soll. Aber taugt Europa zum Großraum, ohne daß ein Kernstaat die Europäische Union mit seiner politischen Idee durchdringt?
Stehen sich die USA und China in einer Systemkonkurrenz gegenüber, die von Ideen geprägt ist? Tarun Chhabra von der Brookings Institution sagt Ja und faßt sie als Konkurrenz zwischen demokratischem und autoritärem Kapitalismus. Wo zwischen diesen Ideen bestehen für Europa Chancen auf eine Umkehr? Die Rechte muß sich in diese geschichtspolitischen Debatten einschalten. Sie muß die Theorien vom Ende der Geschichte und andere Theoreme, die für den Globalismus US-amerikanischer Prägung handlungsanleitend sind, mit asiatischen Theorien abwägen.
Was will China? Der chinesische Philosoph Zhao Tingyang hat »Tianxia« – wörtlich: alles unter dem Himmel – als Prinzip chinesischer Weltinnenpolitik vorgestellt. Den Beteuerungen des Autors zufolge bietet Tianxia Raum für die Kooperation verschiedener Kulturen, deren Verschiedenheit anerkannt wird. Das wäre ein Vorzug gegenüber der US-amerikanischen Hegemonie, die alle Welt in einen Schmelztiegel verwandelt. Wer soll im Tianxia die Welt beherrschen? Nach Zhaos Ausführungen ist das politische Zentrum nicht festgelegt, sondern wird durch Anerkennung oder Revolution bestimmt. Ist diese »Weltsouveränität« besser oder schlimmer als die Neue Weltordnung des Westens?
Widersprechen sich beide Visionen überhaupt, oder kann das System des Westens in das System des Ostens umschlagen? In seinen acht Vorhersagen für die Welt im Jahr 2030 phantasiert das Weltwirtschaftsforum im Corona-Fieber nicht nur von der Abschaffung des Privateigentums, sondern auch von einer multipolaren Welt. Schon wird China von Konservativen als Schreckbild einer globalen Klima- und Gesundheitsdiktatur mit umfassender Datenkontrolle an die Wand gemalt: die digitale als hydraulische Gesellschaft des 21. Jahrhunderts? Ein Witzvogel, wer Böses dabei denkt.
Wir dürfen Verschwörungstheorien, also ganz andere Erzählungen, nicht rundheraus zurückweisen, sondern müssen sie kritisch prüfen. In ihnen meldet sich eine lange unterdrückte gegenrevolutionäre Geschichtsphilosophie zu Wort. Statt den Lauf der Dinge in Gesetzmäßigkeiten des Fortschritts aufzulösen, stellt sie ihn personal und pessimistisch dar.
Hält die Geschichte ein Ende mit Schrecken bereit oder einen Schrecken ohne Ende? Im christlichen Geschichtsbild ist diese Frage immer schon beantwortet. Wir sind nur Arbeiter im Weinberg. Und der Terroir ist uns Lohn und Aufgabe, von der uns keine Terreur dieser Welt abbringen kann.