Kritik der Woche (7): “Innenkönig”

Unsere Buchkritik der Woche hat Caroline Sommerfeld zu Hanna Jünglings Buch "Innenkönig. Das Volk der Dichter und Denker" verfaßt.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Die Geis­tes­ver­wand­schaft zu der ihr per­sön­lich unbe­kann­ten Frau hat sie frap­piert. Inter­es­sant: Die Autorin schreibt hier immer wie­der kom­men­tie­rend mit. Ihr Pseud­onym zu lüf­ten ist einfach.

– –

Selt­sam, wenn man selbst ein Buch geschrie­ben hat, und bald dar­auf ein ande­res liest, das die­sel­ben Fra­gen stellt. Das bis in die Ver­äs­te­lun­gen hin­ein die­sel­ben Gedan­ken hin- und her­wen­det, und über­dies aus einem ähn­li­chen Exis­tenz­ge­fühl ent­stan­den sein muß. Zum Brief­wech­sel zwi­schen dem in Chi­na leben­den Anthro­po­so­phen Mar­tin Bark­hoff und mir, der nun bei Antai­os unter dem Titel Volks­tod und Volks­auf­er­ste­hung erscheint, hät­te die Theo­lo­gin Han­na Jüng­ling als Drit­te hin­zu­ge­sto­ßen sein können.

Wenn Chris­tus (Joh 17, 11) sagt, sein „Reich ist nicht von die­ser Welt“ (oder, näher am grie­chi­schen Text, „nicht aus die­sem Welt­sys­tem her­stam­mend“, wie Jüng­ling über­setzt), und den Pha­ri­sä­ern ver­kün­det, das Reich Got­tes kom­me nicht „mit äuße­rer Gebär­de“, son­dern sei bereits „inwen­dig in euch“ (Lk 17, 20–21) stellt sich die Fra­ge: Wo ist die­ses Reich? Wie haben wir Teil an ihm? Es han­delt sich um ein Innen­reich. Die sprich­wört­li­che „deut­sche Inner­lich­keit“ war allen deut­schen Revo­lu­tio­nä­ren seit Hegel ein Ärger­nis. Dies führt ins Zen­trum des Buches.

Han­na Jüng­ling setzt sich an einer bei­spiel­haf­ten Stel­le mit dem evan­ge­li­schen Theo­lo­gen Fried­rich Gogar­ten aus­ein­an­der, des­sen kämp­fe­ri­sche Schrift Wider die Äch­tung der Auto­ri­tät (1930) ich in mei­nem Erzie­hungs­buch zustim­mend erwähn­te. Sie hält ihm ent­ge­gen, daß nur die kor­rum­pier­ten Men­schen­rei­che, die irdi­sche Poli­tik und die Macht­struk­tu­ren der Eli­ten und Draht­zie­her, auf Auto­ri­tät begrün­det sei­en. Das Reich Chris­ti ist immer dann schon da, wenn Men­schen und Völ­ker in frei­er, nicht­hier­ar­chi­scher Ord­nung exis­tie­ren. Gogar­ten wür­de ihr ent­ge­gen­hal­ten, es hand­le sich um ableh­nens­wer­te opi­ni­ones judai­cae, davon aus­zu­ge­hen, es wäre ein Reich ohne Auto­ri­tät jemals unter den real­exis­tie­ren­den Men­schen mög­lich – letz­te­rem wür­den alle Rech­ten und Kon­ser­va­ti­ven beipflichten.

Was hat dies nun mit uns Deut­schen zu tun? „Innen­kö­ni­ge“ sind wir Deut­schen, so lau­tet die zunächst selt­sa­me The­se die­ses selt­sa­men Buches: Wir waren und sind auf eine beson­de­re Wei­se unter den Völ­kern in der Lage, „in die­sem Welt­sys­tem“ das kom­men­de Reich Got­tes zu den­ken und – hier trifft Jüng­ling sich mit uns Brief­wech­sel­au­to­ren – sei­ne zukünf­ti­ge geschicht­li­che Ent­ste­hung mit­zu­tra­gen. Wir Deut­schen haben eine urei­ge­ne Auf­ga­be, die zu ver­wirk­li­chen uns auf Erden noch bevor­steht. Ihr ist dabei voll­kom­men klar, daß es mit dem deut­schen Volk gegen­wär­tig schlimm steht, daß unse­re Real­exis­tenz als Volk und unse­re geis­ti­ge Mis­si­on uns bru­tal aus­ge­trie­ben wer­den, so daß von den „Innen­kö­ni­gen“ bald kein Innen­le­ben mehr übrig zu blei­ben droht.

„Wo aber Gefahr ist // wächst das Ret­ten­de doch“, läßt sich hier mit dem von Jüng­ling viel­zi­tier­ten Höl­der­lin ein­wen­den. Wor­in besteht es? Zunächst in der Suche nach den Wur­zeln – die­se betreibt die Autorin in einer ganz unge­schützt-kind­li­chen Wei­se. Ihrem Suchen ist nichts fremd, Denk­ver­bo­te kennt sie nicht.

Hier kom­men theo­lo­gi­sches Quel­len­stu­di­um, spe­ku­la­ti­ve Geis­tes­wis­sen­schaft und ety­mo­lo­gi­sche Detail­su­che zusam­men, so daß Han­na Jüng­ling von der aka­de­mi­schen his­to­risch-kri­ti­schen Theo­lo­gie so ent­rüs­tet aus­ge­sto­ßen wie von man­chem Pri­vat­ge­lehr­ten frü­he­rer Jahr­hun­der­te kol­le­gi­al umarmt würde.

Außer in der Suche nach den Wur­zeln besteht das „Ret­ten­de“ viel­leicht auch in die­ser von allen Auto­ri­tä­ten sich los­sa­gen­den sehr deut­schen Lie­be zum grund­sätz­li­chen, manch­mal auch abschwei­fen­den Den­ken. Dem an der Zukunft des deut­schen Vol­kes fast ver­zwei­feln­den, aber dog­ma­tisch nicht fest­ge­leg­ten, geis­tig regen Leser könn­te es viel­leicht gut gefal­len, erst Innen­kö­nig und dann Volks­tod und Volks­auf­er­ste­hung zu lesen.

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Han­na Jüng­ling: Innen­kö­nig. Über das Volk der Dich­ter und Den­ker. Zeit­schnur Ver­lag, Karls­ru­he 2021, 196 S., 15 € – hier bestel­len.

Mar­tin Bark­hoff und Caro­li­ne Som­mer­feld: Volks­tod – Volks­auf­er­ste­hung. Acht­und­zwan­zig Brie­fe, Antai­os, Schnell­ro­da 2021, 120 Sei­ten, 16 € – hier bestel­len.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

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Kommentare (81)

Maiordomus

2. November 2021 08:47

Die Schlagworte "Volkstod" und "Volksauferstehung" überzeugen nicht, weil sie das Politische metaphysisch und religiös aufhöhen zu einer Art Sozialreligion, wie Voegelin es formulierte, dessen Buch aber "Die Natur des Rechts" (1937) als indirekte Kritik der heutigen Auffassung der EU von Recht (z.B. gegenüber Polen und Ungarn) vielleicht so aktuell wäre wie nie. Ansonsten ist der Artikel von CS lesenswert, im Zusammenhang der Formulierung "nicht aus diesem Weltsystem herstammend", womit notabene Voegelin  innerweltlichen Erlösungssysteme kritisierte, heute anwendbar z.B. auf Klimareligion und ins Sektiererische ausartende Gesundheitspolitik. Vieles sieht die rechte Opposition durchaus richtig, nur ist "Volksauferstehung" nun mal ein religiöser wahnhafter Begriff, kein Zeugnis rationaler Analyse. 

E. Voegelin: Die Natur des Rechts. Matthes und Seitz, Berlin 2012, 1, amerikanische Auflage 1991 nach einer Vorlesung von 1957. Von 1958 bis 1969 war Voegelin Prof. für Politische Wissenschaft in München; weiterer Titel  "Realitätsfinsternis", vom Titel her wohl nie so aktuell wie heute. 

Kommentar Sommerfeld: Im Briefwechsel greife ich Ihren einige Zeit zurückliegenden Hinweis auf Voegelin auf - Dank dafür! Bevor Sie allerdings von einem "religiösen wahnhaften Begriff" sprechen, bitte ich Sie um Lektüres des Buches. Danach tausche ich mich gern über Wahnhaftes und Angemessenes aus ...

Monika

2. November 2021 09:54

Eine Diskussion über die Bedeutung von „Reich Gottes“ im Neuen Testament hatten wir in diesem Forum schon einmal geführt. Da dies u.a. Schwerpunktthema in meinem lange zurückliegenden Theologiestudium war, möchte ich zur Stelle Lk 17,20 ergänzen:  Dort heißt es: „ Das Reich ist entos ymon“/  = inmitten/unter euch. Man sollte dies nicht auf Innenreich reduzieren, schon gar nicht auf eine deutsche Innerlichkeit. Sondern sich darum bemühen, wie das im NT gemeint ist. Mit der Ankunft Jesu ist das Gottesreich angebrochen ( Mt 3,2), es ist in dieser Welt wirkend ( entfaltet in den RG Gleichnissen) , aber nicht von der Qualität dieser Welt. Joseph Ratzinger u.a. sprechen von „Entweltlichung“. Das ist kein Plädoyer für einen Rückzug ins Private, sondern im Gegenteil für einen Glauben, der in der Welt wirkt. Aus der Orthodoxie folgt die Orthopraxie. Es geht um die Einheit im Sein und Wirken. (Meister Eckhart) . Reine Praxis ( Aktivismus)  ohne Sein ( Kontemplation)  ist genauso unfruchtbar wie innerlicher Rückzug. ( Fortsetzung folgt) .

Der Gehenkte

2. November 2021 11:28

"Hier kommen theologisches Quellenstudium, spekulative Geisteswissenschaft und etymologische Detailsuche zusammen"

Das klingt verdächtig. Paßt aber wohl zu früheren Denkfiguren der Autorin. In ihrem Buch "Das Schillern der Dinge" finden sich Sätze wie dieser:

„Eine auf totale Weltmacht versessene Elite handelt seit den Tagen Konstantins mit mörderischen Denkvorgaben, seit dem 16. Jahrhundert parallel zu einer schleichenden Seelenprogrammierung oder, modern gesprochen ‚Gehirnwäsche‘. In der Administration immer seltener durch strukturklare Gesetze, wovon auch der ominöse ‚UN-Migrationspakt‘ ein weiteres, absurdes Zeugnis ist …“

Man geht also von einer selbstidentischen Kontinuität der großen Manipulation aus und damit hinter alle Erkenntnisse der Geschichtsphilosophie zurück.

Warum, liebe CS, sollte ich diese Autorin nun ernst nehmen?

Kommentar Sommerfeld: ... weil "alle Erkenntnisse der Geschichtsphilosophie" nichts unbezweifelbar Feststehendes sind. Lange und weitverzweigte Kontinuitäten bei den "Hintergrundmächten" anzunehmen halte ich für notwendig, um die politische Gegenwart einigermaßen verstehen zu können. Man muß sich allerdings des hermeneutischen Zirkels beim Verstehen bewußt sein und immer die Möglichkeit im Hinterkopf mitlaufen lassen, daß die eigene Interpretation hypothetisch, perspektivisch, falsifizierbar usw. ist - ich denke, die Autorin ist sich dessen bewußt.

Gracchus

2. November 2021 12:46

Das von dem Gehenkten gebrachte Zitat klingt tatsächlich haarsträubend. 

Trotzdem: Mich interessieren beide Bücher. Der Gedanke, dass die Deutschen eine besondere (geistige, aber zu verleiblichende) Aufgabe haben könnten, ist mir vertraut. Derzeit deutet nichts, ja weniger als nichts, darauf hin, dass das Volk diese Aufgabe verwirklicht. 

Frage 1: Ist das also mehr als ein Traum?

Frage 2: Betrifft das das gesamte Volk, oder nur Einzelne?

Frage 3: Liesse sich diese Aufgabe womöglich besser im Exil verwirklichen? (Exil in einem weiten Sinne verstanden als Fremde; auch im Sinne von Fremdherrschaft.) Oder im Exil diese Aufgabe bewusst werden?

Wo ich prima vista nicht zustimme: in der Ablehnung von Autorität und Hierarchie. Dies würde ich allenfalls für menschengemachte Autorität und Hierarchien gelten lassen. 

@Monika: Die deutsche Innerlichkeit könnte doch eine Frucht des Evangeliums sein. 

 

Monika

2. November 2021 13:32

1/1 Am Wochenende wurde Jürgen Habermas ( 92)  auf einer Tagung in Tutzing geehrt und sprach auch über sein Alterswerk ( siehe FAZ vom 1.11.21, Miguel de la Riva „ Elektrisierende Lektüre...). Habermas legte Wert auf die Klarstellung, dass er ein „religiös unmusikalischer“ Denker  geblieben sei und dass seine Anliegen immanent philosophische seien. Seine Philosophie führe „Projekte der Aufklärung weiter, um dadurch an der Beförderung vernünftiger Lebensverhältnisse mitzuwirken“. Religion brauche es dazu nicht und der Abschied von der Metaphysik entlocke ihm ( Habermas) keine Tränen. So einfach ist im Grunde die linke Weltsicht  bis heute. Da gibt es keine Sehnsucht nach einem Reich Gottes, dessen Qualität nicht von dieser Welt ist. 

Monika

2. November 2021 13:43

Fortsetzung: Damit ist die linke  Weltsicht bis heute schlicht und nicht ergreifend beschrieben. Da gibt es keine Sehnsucht nach einem Reich Gottes, das nicht von dieser Welt ist. Nur einen Tag später formuliert Konrad Adam in einem Kommentar in der NZZ, dass“Die Kirchen in Deutschland nicht länger Gegenmacht sein wollen, sondern an der Macht teilhaben wollen. Sie wollen Partei nehmen, Klima retten, Faschos bekämpfen.“ d.h. Selbst in der Kirche besteht keine Sehnsucht mehr nach einem Reich Gottes, was nicht von der Qualität dieser Welt ist.

Wir Deutsche sind religiös unmusikalisch geworden, ein paar Pseudoreligiöse quietschen noch auf der Blockflöte rum, hüpfen an Freitagen und treiben anderen esoterischen Klamauk.  

quarz

2. November 2021 13:44

@Monika

"Der Abschied von der Metaphysik entlocke  ihm keine Tränen, so Habermas."

Manchmal frage ich mich, ob er die fulminante Rückkehr der Metaphysik in den vergangenen 30 Jahren überhaupt registriert hat oder ob er davon in der Abgeschiedenheit seines ideologischen Ashrams gar nichts mitgekriegt hat und nur noch in der Nostalgie seiner philosophischen Herkunft lebt.

Gracchus

2. November 2021 13:55

noch @Monika: Im Übrigen würde ich den von Ihnen zitierten Meister Eckhard als Stifter deutscher Innerlichkeit, ja vielleicht sogar - tiefer als Luther - deutscher Christlichkeit bezeichnen, wobei diese nicht exklusivistisch oder nationalistisch verstanden werden darf; das wäre ja anachronistisch. (Kaltenbrunner vertritt in seinem Eckhard-Essay die verwegene These, Eckhard habe eine neue Religion gestiftet bzw. ihm eigne die Urtümlichkeit eines Religionsstifters). 

Innerlichkeit heisst ja nicht Solipsismus. Es heisst das, was Sie andeuten: Handeln aus dem Seelengrund, zu dem man kontemplierend gelangt. In seinen Predigten heisst es sinngemäß: Besser einem armen Menschen eine Suppe reichen als in mystischer Verzückung zu verweilen.

Gotlandfahrer

2. November 2021 15:36

Dachte es ginge um die Könige des Binnen-I's, also sozusagen KönigInnen, wo wir Deutsche doch WeltwokemeisterInnen sind.  Womöglich ist die tatsächliche Intention des Besprochenen aber gar nicht so weit von meinem spontanen Gedanken entfernt, ist diese Sprach- und Denkzersetzung doch Ausdruck tiefster innerer Störung.

Nordlicht

2. November 2021 16:02

"Lange und weitverzweigte Kontinuitäten bei den "Hintergrundmächten" anzunehmen halte ich für notwendig, um die politische Gegenwart einigermaßen verstehen zu können."

Davon hätte ich gerne konkrete, auch einem Ingenieur verständliche Beispiele.

 

Kommentar Sommerfeld: Reichen die hier? https://sezession.de/64637/sind-wir-teil-des-plans

Der Gehenkte

2. November 2021 16:22

@ Kommentar Sommerfeld

Daß sie "nichts unbezweifelbar Feststehendes sind", ist vollkommen evident, dennoch gibt es "Fortschritte", Einsichten, philosophisch aufgearbeitete und damit erledigte Fehler, so wie etwa Arthur C. Danto in seiner "Analytischen Philosophie der Geschichte" ein für alle mal die Unmöglichkeit historischer selbstenthaltender Prophezeiungen oder Husserl in seinen "Logischen Untersuchungen" den Psychologismus erledigt haben. Auch "Hintergrundmächte" sind denkbar, aber da sollte man nicht hinter Weber oder Marx etwa zurückgehen, oder wenigstens nicht hinter Hegel, dessen "objektiver Geist" zumindest nicht individualisiert war.

Die Fähigkeit "daß die eigene Interpretation hypothetisch, perspektivisch, falsifizierbar" sein müssen, habe ich gerade bei dieser Autorin - wenn auch in einem anderen Bucht - dramatisch vermißt.

Vor zweieinhalb Jahren gab es dazu mal eine (zu kurze und zugleich zu lange) Besprechung ...

Maiordomus

2. November 2021 16:23

@Gracchus. Das mit der "Innerlichkeit" bei Meister Eckhart, welche nie politisch akzentuiert ist, sehen Sie nach meiner Textkenntnis wohl richtig. Es ist aber nicht "deiutsche Innerlichkeit", sondern beruht wesentlich auf Augustinus, von dem die Formulierung stammt: "Fueram mihi ipse magna quaestio", bin mir selber zur grossen Frage geworden, existenzphilosophisch "zum grossen Problem". Eigentlich hat schon Kants Gewissensbegriff mit Innerlichkeit zu tun, was Rationalität bei ihm gerade nicht ausschliesst. Die heilige Theresia von Spanien baut ihre spirituelle Mystik auf dem Begriff "die innere Burg" auf. Die hier und anderswo oft kaum verstanden Dreifaltigkeit Gottes ist sogar gerade bei Eckhart das Modell für die innergöttliche Innerlichkeit, ein Gottesbegriff als Kommunikation, Beziehung, gemäss Pesch auch das Wesen von Luthers Religiosität, was mit seinen politischen Irrtümern nicht zu verwechseln wäre. Dazu Pascal: "Nous ne nous connaissons nous-mèmes que par Jésus Christ", eine Perspektive, die gemäss Sloderdijk einen Muslim überfordern würde. Wohl auch viele Christen. 

Der Gehenkte

2. November 2021 16:31

... außerdem ist die Rede von der "Aufgabe der Deutschen" - die ja eine historische sein muß und damit unter Dantos Verdikt fällt - äußerst suspekt, denn wir müßten dann den/die/dasjenige benennen, der uns diese Aufgabe gibt. Maximal könnte man also von einer Potenz sprechen: die Deutschen haben aufgrund ihrer Sprache, ihres Wesens, ihres Charakters, ihrer Geschichte (also ihres Lernens), ihrer Erfahrung, ihres Leids usw. (bis hin, theoretisch, zu den "Genen" und dem "Blut") die Potenz zu diesem oder jenem und ich glaube das haben wir in beiderlei Gestalt exemplarisch demonstriert.

Aber auch da sind es nicht "die Deutschen" oder "das Volk", sondern es sind Deutsche, eine numerisch kleine Zahl an Individuen, die bewußt in der geistigen Kontinuität stehen. Sie tun das meist vollkommen unabhängig vom "Volk" und oft sogar gegen den primären Willen dieses.

 

 

Gracchus

2. November 2021 16:56

Das Hölderlin-Zitat aus dem Patmos ist mir nur bekannt als "das Rettende auch". Eine frühere Fassung? Eine bewusste Abwandlung?

Kommentar Sommerfeld
: ein Erinnerungsfehler. Einer von der Sorte, wofür man kein Fehlerbewußtsein hat, weil man nicht auf die Idee käme, das scheinbar richtig Gewußte nochmals zu "checken" ...

RMH

2. November 2021 17:02

Meister Eckhart ist noch christliches Abendland, wenn auch thüringischer Abstammung. Sehe da nichts spezifisch deutsches.

Als "deutsch" würde ich eher Leute wie Jakob Böhme identifizieren, zumal er in deutscher Sprache geschrieben hat. Wie auch immer, es gibt eine spezifisch deutsche Innerlichkeit, das zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Und es ist Ausdruck deutscher Lebensart (der Buchdruck in Europa wurde wo erfunden?), darüber auch Bücher zu verfassen, also den internen Prozess zu veröffentlichen - egal, ob man die Inhalte der Bücher dann teilt oder nicht oder wie in meinem Fall, schlicht nicht zur Kenntnis nehmen wird, da ich mir selber zu wenig Lektürezeit zuteile (und als guter Deutscher habe ich natürlich noch dutzende, zu lesende (!) Bücher in der EIGENEN Bibliothek = Rudiment vergangener Bürgerlichkeit). Ich denke, wenn einfach mehr Leute wieder mehr Lust und Freude an einem GEISTESLEBEN entwickeln und diese sich ENTFALTET, mag Deutschland als mit Grenzen gefasste Einheit politisch unter- oder sonst wo eingehen, aber es lebt dann lebendiger, als in den in seinen letzten Jahren bundesrepublikanischer Verfasstheit.

Ein Hoch auf alle deutschen Autoren!

RMH

2. November 2021 17:05

"Davon hätte ich gerne konkrete, auch einem Ingenieur verständliche Beispiele."

@Nordlicht,

das geht leider nicht mit 1500 Zeilen Zeichenbegrenzung und mir fällt ad hoc auch kein Werk ein, dass man als Sekundärliteratur für einen raschen Einstieg empfehlen kann.

Es gibt aber eine mittlerweile lange Tradition, das, was man Historie nennt, auch unter einem okkult-esoterischen Blickwinkel zu erzählen (auch ein Rudolf Steiner tat dies m.M.n.).

RLU

2. November 2021 17:17

Tolle Buchempfehlung! "Innenkönig" scheint wirklich sehr lesenswert zu sein. Von Frau Jüngling gibt es im Netz auch eine längere Videosequenz, in der sie ihr Werk vorstellt und auch hier bereits ein paar sehr intelligente Ansichten preisgibt: "Die Freiheit kann nur in der einzelnen Person, im einzelnen Menschen wurzeln. Es gibt keine kollektive Identität." – wunderbar gesagt.

Danke für den Tipp, Frau Sommerfeld, und Gruß aus Sachsen!

anatol broder

2. November 2021 17:25

@ nordlicht 16:02

cosimo de medici beauftragte als erster europäer nach christus die herstellung eines nackten mannes aus bronze. somit ist er der begründer der globohomo corporation.

Niekisch

2. November 2021 17:25

"Davon hätte ich gerne konkrete, auch einem Ingenieur verständliche Beispiele."

@ Nordlicht 16:02: Das wird C.S. machen. Zuvor aber ein Wort des Hintergrundmannes G.W. Surya:

"Auf den feinsten Nervensaiten

Spielt ein Spielmann sein Gedicht-

Wohl siehst Du die Finger gleiten,

Doch den Spielmann siehst Du nicht!"

zeitschnur

2. November 2021 18:57

@ Gehenkter

Habe Ihren Verriss von damals soeben erstmalig gelesen. Wie soll man Ihnen da nichtsahnend das Bewusstsein für die Falsifizierbarkeit eigener Ideen bewiesen haben und das auch noch dramatisch? Ich habe damals Thesen aufgestellt, deren keine Sie realisiert oder widerlegt hätten ...

Ihre damalige Rezension bewegt sich auf der Meta-Ebene und versiegt darin, meine Gedanken und Argumente ganz allgemein und ohne treffende beispielhafte Nennungen als luftige VT abzutun, in der Regel durch ein Hellhörigwerden Ihrerseits aufgrund genannter Namen oder anderer oberflächlicher Reize angetriggert, das zu sofortigem Reflexionsschock geführt zu haben scheint - was, lieber Gehenkter, soll man darauf heute antworten? Außer einer Emotion der Enttäuschung und einer pauschalen Abwertung hatten Sie ja leider nichts für mich Diskussionswürdiges in die Runde geworfen, wofür dann der Kommentarbereich unter dem Text zeugt.

Wohin der politisch-medial inzwischen exponentiell angestiegene Vorwurf der VT gegen jeden, der irgendetwas bezweifelt oder anders deutet, führt, sollte heute, zwei Jahre später, auch der Systemgläubigste begreifen. Eine so plumpe Sektenapologetik gegenüber fremden Gedanken zeugt nicht von Stärke der eigenen Position.

Sie können aber sach- und inhaltsbezogene Kritik gerne noch nachreichen. Erst dann würde es für mich spannend. Und nicht vergessen, mich darüber zu informieren, damit ich reagieren kann ...

Monika

2. November 2021 19:12

@ Gracchus

Meister Eckhart wirkte als Prediger und Theologe in deutscher Sprache und prägte einige heute geläufige Ausdrücke wie „Wirklichkeit“, „Gelassenheit“ und „Innerlichkeit“. Wie ist dies zu verstehen ? Ich zitiere Gerd Klaus Kaltenbrunner ( Europa, geistige Quellen ) zu Meister Eckhart: “Meister Eckharts Mystik hat nichts mit Subjektivismus oder Weltflucht zu tun. Indem sie den Gegensatz von tätigem und beschaulichen Leben, von Aktion und Meditation überwindet, ist sie zutiefst wirklichkeitsfromm. ....Weit ist der Abstand zwischen Meister Eckhart und gewissen Meditationstechnikeen, Sektierern und Pseudo-Esoterikern, die neuerdings die westliche Welt heimsuchen.“

Wunderbar gesagt! 

zeitschnur

2. November 2021 19:21

Ich möchte hier noch auf ein Zitat aus Sommerfelds Selbstrettung verweisen:

Sie beschreibt, dass ihr Umschwung 2015 sie die Dinge klarer, aber auch zweideutiger sehen lässt (S. 7).

Wenn man rechts geworden sei, fühle man sich plötzlich wie ein König, einfach deshalb, weil man endlich zu den eigenen Gefühlen stehen und sie mit dem eigenen Denken unter einen Hut bringen könne. (S. 8)

Sie meint einen Perspektivwechsel, der aber nicht den Tausch einer sicher geglaubten Sicht gegen eine neue Sicherheit bedeutet, sondern die Befreiung aus einer kognitiven Dissonanz ist: Was man für unhintergehbar hielt, was aber nicht mit den eigenen Gedanken und Wahrnehmungen übereinstimmte, führt in eine freie Bewegung des Bewusstseins und der Urteilskraft. Und man wird konfrontiert mit der Tatsache, dass Dinge sich völlig anders verhalten, als man es gewohnt war zu glauben im Schutze legitimierten Wissens. Dazu gehört eine Tapferkeit, die die meisten nicht aufbringen wollen.

Heutzutage ist jeder Freidenker rechts, ein Sektierer, fundamentalistisch und ein VT.

Es geht daher, @ Monika, nicht um deutsche Innerlichkeit und Biedermeier. Es geht um die schechina, die Einwohnung Gottes in der Individual-Seele. Und die kommt nun mal nicht im Fernsehen.

brueckenbauer

2. November 2021 19:22

"Volksauferstehung"würde doch wohl erfordern, dass den potentiellen Volksgenossen ein  "incentive", ein anspornendes Motiv geboten wird, sich diesem Volk anzuschließen.

Hier wird angeboten: ein "Beruf", eine Aufgabe: nämlich der Welt das Innere Reich zu präsentieren. Nicht unbedingt neu, könnte auch von Ernst Bertram oder Fichte stammen.

Aber sind diese potentiellen Volksgenossen tatsächlich auf der Suche nch einem höheren Sinn, "purpose", Aufgabe, Beruf? Oder geht das nicht vielleicht an ihre real existierenden Problemen vorbei?

Nordlicht

2. November 2021 19:36

>>Lange und weitverzweigte Kontinuitäten bei den "Hintergrundmächten" anzunehmen>>

wäre eine Sichtweise oder Vermutung, die Luhmannsche Systemtheorie als Erklärung für Stabilisierungsvorgänge herbei zu holen, eine andere. Beide Erklärungsansätze scheinen mir nicht kompatibel zu sein. Die "Reproduktion von Elementen eines Systems durch das System selbst zu dessen Stabilisierung" (- Autopoiesis als Begriff) kommt ja gerade ohne Hintergrundmächte aus.

Aber ich will mich nicht als Kenner aufspielen, weder der vorstellbaren Mächte noch der Systemtheorie. Dank an Frau Sommerfeld für den Hinweis.

 

Kommentar Sommerfeld: Dazu gibt es einen Aufsatz von Luhmann mit dem großartigen Titel "Was ist der Fall und was steckt dahinter?" Komplizierter Text. Aber am Schluß wünscht er sich, und ich mir mit ihm, es gelänge der Theorie "sichselbstdisziplinierende Beob­achtungsmöglichkeiten freizusetzen, die nicht an die im Alltag oder in den Funktionssystemen ein­geübten Beschränkungen gebunden sind."

Laurenz

2. November 2021 20:04

Die Christen auf der Sezession werden es nie lernen, daß Sie der Rechten schaden. (...)

Kommentar Sommerfeld:
Die Christenhasser auf der Sezession werden es nie lernen, daß sie derselben schaden. Aber aus Schaden wird man ja bekanntlich klug ...

RMH

2. November 2021 20:26

@Laurenz,

das, worum es hier geht bzw. diskutiert wird, hat mit dem Christentum alltäglicher Prägung eigentlich nicht viel zu tun, also kein Grund, bekannte Schemas abzuspulen.

Zum Thema:

Ich habe das Bibelzitat, mit dem Reich, welches nicht von dieser Welt sei, noch nie als etwas, was ich in mir oder die Menschen in sich finden könnte, verstanden, sondern stets jenseitig - so verstehe ich auch den historischen Kontext, die Ermordung Christi und die Überwindung der üblichen, irdischen Konsequenz daraus, nämlich den Tod durch die Auferstehung. Ich halte das Christentum für eine genuin sehr einfache Religion, die nicht irgendwelcher "Übungen" oder Innerlichkeitssuchen bedarf (sie aber auch nicht ausschließt). Aber simpel ist für den intellektuellen "Leistungsträger" oft nicht akzeptabel, also macht er irgendwelche Hirnanstrengungen, um sich wohler zu fühlen - manche auch, um sich zu distinguieren. Aber egal: Nach dem Tod sind wir alle schlauer ... auch die, die nicht daran glauben. Falls es dann noch ein "schlau sein" gibt.

Gracchus

2. November 2021 21:13

@RMH, Maiordomus

In meinem Regal steht ein Band Eckharts: "Deutsche Predigten und Traktate". Übrigens haben ihn auch die Nazis zu vereinnahmen versucht (wie, ist mir schleierhaft). Abgesehen davon habe ich nicht von ihm als deutschen Autor gesprochen, sondern als Stifter - aufgrund seiner Rezeptionswirkung. Dankenswerterweise bestätigt dies @Monika.  

Jakob Böhme wäre auch zu nennen. Wie Sie @RMH richtig sehen, bildet der Buchdruck die Voraussetzung für die Entwicklung von Innerlichkeit (Individualität). Lesen als Geistergespräch, das im Inneren stattfindet. 

In dem Zusammenhang: Medientheorie scheint mir im rechten Bereich etwas unterbelichtet. Wenn nicht mehr das Buch kulturelles Leitmedium ist, sondern Geld und Fernsehen, jetzt Internet, hat das Einfluss auf Identitätsbildung und Weltwahrnehmung. 

Ich finde die deutsche Innerlichkeit etwas Schönes. Auch das Biedermeier sollte man nicht verächtlich machen. Der zu Ohnmachtsanfällen neigende Dichter Mörike wird oft als Biedermeier-Dichter verharmlost, dabei hat er die schönsten Gedichte deutscher Sprache geschrieben.

Cugel

2. November 2021 21:44

"Sie hält ihm entgegen, daß nur die korrumpierten Menschenreiche, die irdische Politik und die Machtstrukturen der Eliten und Drahtzieher, auf Autorität begründet seien."

"Menschenreiche" unterschiedlichen Korruptionsgrades sind nun aber einmal die reale Gegebenheit. Im Paradies ist sicher alles ganz wunderbar, aber was nützt diese Gewißheit?

"Das Reich Christi ist immer dann schon da, wenn Menschen und Völker in freier, nichthierarchischer Ordnung existieren."

Ich halte es allerdings für wahrscheinlicher, daß dann die Hölle realisiert ist.
Gleichviel, wenn Jünglings Buch historische Beispiele dafür bringt, kaufe ich es.

"Gogarten würde ihr entgegenhalten, es handle sich um ablehnenswerte opiniones judaicae, davon auszugehen, es wäre ein Reich ohne Autorität jemals unter den realexistierenden Menschen möglich – letzterem würden alle Rechten und Konservativen beipflichten."

Selbstverständlich hätte Gogarten recht, denn zeitschnurs Übermenschen gibt es nicht oder zumindest nicht in relevanter Anzahl. Die wirkmächtigen Ideologien der letzten 200 Jahre kranken sämtlich an demselben grundlegenden Irrtum. Was die Theorie von der Verschwörung seit Konstantin betrifft, so wäre doch wohl umfangreiches, gesichertes Wissen der historischen Fakten mindestens der letzten 1700 Jahre vonnöten. Wer besitzt solches? Wir sind nicht einmal der Geschichte der letzten 100 Jahre gewiß.

RMH

2. November 2021 21:53

"Auch das Biedermeier sollte man nicht verächtlich machen."

Richtig. Zu so etwas muss man auch erst einmal geistig, sittlich und moralisch überhaupt in der Lage sein.

zeitschnur

2. November 2021 21:58

@ Maiordomus

Ich kann Ihnen weit folgen, allerdings sehe ich nicht, dass die doch seltsam mathematisierende Trinitätslehre, mehr Theorem als Ausweis der Innerlichkeit Gottes, dem auch nur entfernt entspricht. Das 4. Laterankonzil hat ja förmlich abgewiesen, dass die innergöttlichen Relationen echtes Innen einer umgreifenden Größe seien. Die Trinität ist das hermetisch unbehauste Außen Gottes für den Menschen. Und das so abstrakt, dass es mehr Entfremdung als Nähe hergestellt hat - wie dasselbe Konzil definiert hat (similitudo-dissimilitudo).

Das wirkliche Innen spricht die Schrift aus: "Der Vater in mir, ich in ihm" (Jesus). Jesus, der Christus ist als vollkommener, einzigartig vorbehaltener Mensch vollkommenes Bild der Gottheit (Kol1), also deren Innenbild - als Mensch! Und wie Pascal sagt, ist der in uns, wiederum Bildhilfe zu Gott hin, zu dessen Innen hin. Daher ist er alleine Weg, Wahrheit, Leben zum Vater, wie er es sagte. Aber Gott drückt sein Innen offenbar auch im Menschen aus, in dessen Innenreich.

Mir scheint sogar, dass die meisten Mystiker intuitiv gar nicht das trinitarische Theorem kontempliert haben, sondern das, was ich dargelegt habe, aber das ist was anders.

 

Cugel

2. November 2021 21:58

@RMH
"Nach dem Tod sind wir alle schlauer ... auch die, die nicht daran glauben. Falls es dann noch ein "schlau sein" gibt."

So ist es, und wenn jene, die behaupten, sie seien über Gottes Absichten im Bilde, unter Bezugnahme auf Schriften, die vor fast 2000 Jahren und Jahrzehnte nach den darin geschilderten Ereignissen von Zeitzeugen verfaßt worden sein sollen, über die kaum etwas bekannt ist außer ihren Namen (und wer weiß, ob überhaupt diese stimmen), sich an Ihre treffende Bemerkung hielten, wäre bereits viel gewonnen.

zeitschnur

2. November 2021 22:17

@ Monika, @ Gracchus

Warum Eckhart nicht als deutscher Autor?! Immerhin ist er einer der geistlichen Autoren des MA, der uns gerade auf Deutsch und als Deutsche tief berührt. Und das alles vor dem Buchdruck ... Ich glaube nicht, dass die Berührung des Innen von Werkzeugen im Außen abhängt. Bei Gott sind bekanntlich alle Dinge möglich.

@ Gehenkter

Es geht nicht um einen uniformen, formalistischen Volksbegriff. Dass einer seiner Berufung nicht gerecht wird, ändert nichts daran, dass er sie einstmals hatte. Auch das Scheitern vieler zeugt noch für die Berufung ... Sehen Sie die Geschichte Israels: das ganze Volk ist berufen durch das Schma, viele hör(t)en nicht hin, viele gingen verloren, seine Mission ist deshalb aber nicht aufgehoben und wird dennoch vom Volk erfüllt, selbst in äußerster Zerstreuung und Auflösung. Prämisse ist dafür, dass Völker ebenso erschaffen sind wie einzelne Menschen und nicht einfach austauschbare, historisch zufällig gewordene Menschenkonglomerate und dass sie als Geschöpfe vom Schöpfer erhalten sind. Trotz allem.

kikl

2. November 2021 22:26

@RMH

"Ich habe das Bibelzitat, mit dem Reich, ... verstanden, sondern stets jenseitig..."

Ich auch. Pilatus fragt: "Bist du der König der Juden?" Mit der Antwort gibt Jesus Pilatus zu verstehen, dass er dessen Herrschaft nicht in Frage stellt. Pilatus hält ihn deshalb nicht für schuldig.

Als Nicht-Theologe habe ich natürlich nur laienhafte Vorstellungen. Laut Monika:

 "Lk 17,20 ergänzen:  Dort heißt es: „ Das Reich ist entos ymon“/  = inmitten/unter euch."

"Mit der Ankunft Jesu ist das Gottesreich angebrochen ( Mt 3,2), es ist in dieser Welt wirkend."

Wie kann das Reich Gottes inmitten unter uns aber nicht von dieser Welt sein? Jesus sagt auch zu Pilatus: "Wenn mein Reich von dieser Welt wäre, hätten meine Leute für mich gekämpft."

Vielleicht meint Jesus mit "dieser Welt" in der Gegenwart von Pilatus die Welt der Politik und der Macht. Denn das ist die Welt, an die Pilatus natürlich denkt.

Jesus Reich befindet sich zwar auf dieser Erde aber die Herrschaft wird im Reich der Ideen und Überzeugungen ausgeübt. Jesus herrscht nicht mit dem Schwert sondern mit dem Wort über die Welt:

"Ich soll als Zeuge für die Wahrheit eintreten. Jeder, der selbst von der Wahrheit ergriffen ist, hört auf das, was ich sage. Da fragte Pilatus ihn: »Wahrheit – was ist das?««"

Wenn's komplett daneben ist, dann bitte korrigieren.

Monika

3. November 2021 09:37

@ Maiordomus nochmals zur Innerlichkeit bei Meister Eckhart, die @ M.“nie politisch akzentuiert ist.“ Im heutigen Sinne von Politik stimmt das durchaus. Zur Zeit Eckharts übten gerade seine deutschen Predigten einen großen Einfluss auf seine Zeitgenossen und Schüler aus und auf auf die deutschen Mystiker nach ihm. Seine Predigten waren also durchaus von „gesellschaftlicher“ Relevanz und drängten auf eine Änderung des Seins. Dieser Aspekt kommt in der sozialpsychologischen Interpretation von Meister Eckhart im Alterswerk von Erich Fromm HABEN ODER SEIN sehr gut zum Ausdruck. Erich Fromm, Sozialspychologe, Philosoph, Psychoanalytiker widmet Meister Eckhart ein ganzes Kapitel in seinem Buch. Seine Kritik an der Weise des Habens ( d.i. Eine Kritik am konsumistischen Lebensstil) ist als Gesellschaftskritik gedacht. Die er mit Eckharts Gedanken begründet. Absolut lesenswert!

Erich Fromm ist der linke Denker mit „religiöser Musikalität“ par excellence. Da kann ein Herr Bedford Strom einpacken.

zeitschnur

3. November 2021 09:48

@ kikl

Der Begriff Welt in dt. Bibelübersetzungen ist vielschichtig. Mal ist er hebräisch olam oder griech aion (beides Weltzeit/Zeitalter), mal griech kosmos (System).

Jesus spricht im Verhör vor Pilatus vom kosmos. Also dem System dieser Weltzeit, und der Hinweis auf die bewaffneten Kämpfe meint, dass das zu diesem kosmos gehört. Und er bekennt, dass seine basileia (Königtum) nicht von diesem kosmos stammt.

Zugleich wirkt seine basileia mit exousia (Vollmacht) über das entos in dieses System hinein. Das entos (lat. intus) ist inwendig in denen, die sich dem Reich zugehörig machen.

Und darüber kann man nur in aller Stille und Geduld nachsinnen. Mit Definitionen und irgendwelchen schnellen Erklärungen kommt man da nicht weit. In jedem Fall ist das, was wir sehen, der kosmos, bei Jesus durchaus als Finsternis gezeichnet. Pilatus nimmt die Wirksamkeit der basileia nicht ernst, denn er ist ganz auf das Außen gerichtet und hält die Macht für das, was zählt.

In der historischen Folge offenbart sich diese basileia und mit ihr unweigerlich das mysterium iniquitatis.

Monika

3. November 2021 10:00

@ Kikl Sie sind nicht komplett daneben. Die zentrale Botschaft Jesu ist die Verkündigung des Reiches Gottes, das mit ihm angebrochen ist. ( Mt 4,17) . Die Reich Gottes Thematik durchzieht alle vier Evangelien und wird in zahlreichen GLEICHNISSEN entfaltet. Es wird nicht gesagt, was und wie das Reich Gottes ist, sondern : es gleicht ...(z.B. einem Schatz im Acker) . Reich Gottes ( basileia tou theou) ist nicht deckungsgleich mit der Totenwelt ( Scheol) . Der Begriff Jenseits ist insofern irreführend. Diskutiert wurden diese Missverändnisse schon zur Zeit Jesu. Etwa  mit den Pharisäern. Vielleicht sollte man unter diesem Aspekt mal wieder im Neuen Testament etwas lesen. Vor allem im Matthäus Evangelium . 🤔 Dort heißt es im griechischen allerdings statt Reich Gottes Reich der Himmel. Gemeint ist in der Sache dasselbe. Bitte jetzt keine weiteren Spitzfindigkeiten:)

Franz Bettinger

3. November 2021 10:25

@RLU: Die Freiheit kommt per se in der Natur nicht vor. Im Plural aber schon, nämlich als losgelöst sein von bestimmten Pflichten und Abhängigkeiten. - Noch offensichtlicher ist die völlige Abwesenheit von Gleichheit in der realen Welt. Keine 2 Haare sind sich gleich. - Von Brüderlichkeit und auch der Würde eines Menschen schweigen wir lieber ganz. All diese Begriffe haben keine Entsprechung in der wahren Welt. Es ist Geschwafel, wenn auch früher gut gemeintes G; heute eher mit faulen Hintergedanken dahingeheucheltes Geschafel.

Gracchus

3. November 2021 11:02

@RMH, cugel

Was Sie zur Jenseitigkeit des Reiches Gottes sagen, unterstreicht vor allem, weshalb die Kirchen leer sind. Man verbannt das Reich Gottes ins Jenseits, aber die Sicht ins Jenseits ist uns ja versperrt, mit der Folge, dass die Gläubigen überhaupt keine persönliche Beziehung dazu aufbauen können. 

Unterschlagen wird, dass Christus seine Gegenwart - nämlich durch den Hl. Geist -  zugesagt hat. Paulus: "Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig". Davon kann jeder Gläubige Zeugnis geben. Wie soll denn der Geist erfahren werden, wenn nicht innerlich?

Deshalb, @cugel, s. Paulus, ist es verkürzt zu sagen, es würde nur auf die geschriebenen Evangelium rekurriert. Das Christentum ist eben keine (reine) Buchreigion. Auch klingt etwas seltsam, wenn Sie fordern, die Evangelisten hätten erst einmal ihre Personalien angeben müssen.

Sie, @RMH, haben recht: Das  Christentum ist einfach. Wenn Gott Liebe ist, kann jeder, weil er - hoffentlich - Liebe erfahren hat, eine Vorstellung von Gott gewinnen. 

Cugel

3. November 2021 11:08

"Bei Gott sind bekanntlich alle Dinge möglich."

Wenn dem so wäre, was folgte daraus für die Wissenschaftlichkeit der Theologie?
Und wäre es dann auch möglich, daß bei Gott nicht alle Dinge möglich sind?

"Sehen Sie die Geschichte Israels: das ganze Volk ist berufen durch das Schma, viele hör(t)en nicht hin, viele gingen verloren, seine Mission ist deshalb aber nicht aufgehoben..."

Wenn die Berufenheit des jüdischen Volks wahr ist, dann ist es auch der Gott des AT. Der ist nun allerdings ausgesprochen hierarchisch, hochgradig autoritär aufgesetzt; Allah scheint sich gegen ihn wie ein Sozialarbeiter auszunehmen. Ist die Realität dann also unwahr?

Gracchus

3. November 2021 11:16

Es ist interessant, wie Antaios den Sommerfeld/Barkhoff-Band bewirbt, nämlich als radikal andere Sicht. Für viele SiN-Foristen scheint befremdlich, dass das Volk von oben, also spirituell, imaginiert wird, nicht - wie hier öfter - von unten, also von Blut und Boden (oder genetisch). Disclaimer I: Ich vertrete keinen reinen Spiritualismus, sondern die Verbindung von Geist und Blut.  Disclaimer II: Mir ist bewusst, dass ich damit Nazi-Vokabular touchierte.

Interessant ist doch die These - über die zu diskutieren wäre -, ob dem deutschen Volk eine besondere Aufgabe zugedacht ist. Von wem? Von dem Volksgeist, vielleicht auch vom Erzengel Michael, also letztlich von Gott.

Laurenz

3. November 2021 11:42

@RMH @L.

"Christentum alltäglicher Prägung"

Was soll denn das sein? In den 12 ARTE-Dokus über die Apokalypse des Johannes wird haargenau mit unterschiedlichen Meinungen von Fachleuten, die gewiß mehr Renommee als Zeitschnur oder Monika besitzen, eingeordnet, wie das Christentum standardisiert wurde. Das hat natürlich mit den heutigen Kirchenhanswursten oder einer Mitgliedschaft in den heutigen Kirchenvereinen nur noch wenig zu tun. Aber, es hat auch nichts damit zu tun, was hier auf der SiN dazu geschrieben & interpretiert wird.

Gracchus

3. November 2021 12:00

Um an meinen letzten Beitrag anzuschließen: Es stehen zwei Sichtweisen gegeneinander. Pointiert: In der einen ist das Volk sich selbst genug, der Zweck seiner Existenz liegt in seiner blossen Existenz selbst, die unbedingt erhalten werden muss; darüber hinaus gibt es nichts; damit einhergeht das Streben nach einer möglichst autarken, abgeschlossenen Einheit. Die andere Sicht findet nicht, dass das Volk seinen Zweck in sich hat oder sein Zweck sich darin erschöpft, sondern dass ihm im Schöpfungsplan oder der geistigen Evolution eine Aufgabe zukommt und sich sein Zweck von dieser Aufgabe, diesem Werdeziel her definiert, das auch in ihm angelegt ist.

Daher @Franz Bettinger der einfache Hinweis: Was (angeblich) nicht ist, kann ja noch werden. 

Cugel

3. November 2021 12:05

@kikl, Theologinnen
In der Erzählung des NT hat der römische Statthalter die Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Pharisäern als innerjüdischen Konflikt betrachtet, ganz im Sinne der Herrschaftsweise des Imperiums. Jesus war zunächst nur ein Prediger, deren es damals wie Sand am Meer gab. Pilatus konnte deshalb kaum ahnen, wie virulent die Bewegung werden würde, die er selbst allerdings wesentlich befördert hat. Die Pharisäer sahen sich dagegen unmittelbar bedroht und mußten reagieren. Als das Christentum schließlich in Rom selbst virulent wurde, sah man sich auch dort zu Gegenmaßnahmen gezwungen. Notwendigerweise verhält es sich durch die ganze Geschichte hindurch bis heute ebenso. Eine apolitische Religion gibt es nicht.

Cugel

3. November 2021 12:12

@CS

"Lange und weitverzweigte Kontinuitäten bei den "Hintergrundmächten" anzunehmen halte ich für notwendig, um die politische Gegenwart einigermaßen verstehen zu können."

Das Ausmaß von "lange und weitverzweigt" wäre auszuleuchten.

"Man muß sich allerdings des hermeneutischen Zirkels beim Verstehen bewußt sein und immer die Möglichkeit im Hinterkopf mitlaufen lassen, daß die eigene Interpretation hypothetisch, perspektivisch, falsifizierbar usw. ist - ich denke, die Autorin ist sich dessen bewußt."

Das mag aus Jünglings Büchern hervorgehen. Aus ihren Kommentaren im Forum habe ich einen anderen Eindruck gewonnen.

Cugel

3. November 2021 12:30

Die Sichtweise von Der Gehenkte (2. November 2021 16:31) ist plausibler als Hegels Volksgeistthese. Es ist bekannt, daß treibende Kraft immer Eliten sind, das Volk hingegen nur mehr oder minder gefügiges Werkzeug oder Wirkungsverstärker. Wie würde wohl Hegel die historischen Auswüchse bzw. Mißbräuche seines Fortschrittsdenkens bewerten?

kikl

3. November 2021 12:39

@zeitschnur "...Zugleich wirkt seine basileia mit exousia (Vollmacht) über das entos in dieses System hinein. Das entos (lat. intus) ist inwendig in denen, die sich dem Reich zugehörig machen."

Interessant, für mich scheint das eine Bestätigung dieser Idee zu sein. Der Kosmos des Pilatus ist die Herrschaft mit dem Schwert. Pilatus herrscht über die Körper.

Das Königreich Jesu ist die Herrschaft mit dem Wort. Jesus herrscht über den Geist. 

Das Wort wirkt natürlich über den Geist in das Reich des Pilatus, in die Körper, hinein.

Es gibt zahlreiche Bibelverse, in denen das Wort Gottes mit dem Schwert, also einem Herrschaftsinstrument, verglichen wird.

Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis dass es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.“; Luther: Hebr 4,12 LUT

@Monika: "Die zentrale Botschaft Jesu ist die Verkündigung des Reiches Gottes, das mit ihm angebrochen ist. ( Mt 4,17)"

Auch das ergibt Sinn, denn mit Jesus kommt das Wort Gottes in diese Welt. Deshalb beginnt damit die Herrschaft des Gottesreich, die Herrschaft über den Geist.

Monika

3. November 2021 13:12

@ Zeitschnur und @ RLU“Die Freiheit kann nur in der einzelnen Person, im einzelnen Menschen wurzeln . Es gibt keine kollektive Identität“ . Dass die Freiheit in der einzelnen Person liegt, ergibt sich aus dem christlichen Personenbegriff.  Der einzelne Mensch kann nicht in das Volk ( Nationalsozialismus  , die Klasse ( Kommunismus) oder Rasse ( heute, weißer Mann ? )  als kollektiver Identität aufgelöst werden. Sehr grundlegend ausgeführt sind diese Gedanken  bei dem russischen Philosophen Nikolai Berdjajew, Versuch einer personalistischen Philosphie, Von des Menschen Knechtschaft und Freiheit, insbesondere „Von der Knechtung durch den Nationalismus“. Da ist alles zum Thema gesagt. Zitat: „ Der Personalismus negiert es, dass der existentielle Mittelpunkt, der Mittelpunkt des  Bewusstseins in der Nation oder sonst in irgendeiner kollektiven, nicht menschlichen Realität wurzele; immer sei er in der Persönlichkeit.“ Zeitschnur. Haben wir einen auf Annalena  Baerbock gemacht ? :)

Monika

3. November 2021 13:33

@ Franz Bettinger Für Sie mag das Reden über Freiheit, Menschenwürde, Personalität  Geschwafel sein. Wir kommen im rechten Lager um ernsthafte philosophische und theologische Grundatzdiskussionen nicht herum. Wenn Laurenz sogar fürchtet, dass die Christen der Rechten schaden, zeigt das umso mehr, wie wichtig eine saubere Begrifflichkeit ist. Dem IfS werden vom Verfassungsschutz rechtsextremistische Bestrebungen vorgeworfen („ völkischer Kollektivismus“, Verstöße gegen die Menschenwürde). Hier im Forum wird ernsthaft auch diese Thematik selbstkritisch diskutiert. Ich weise nochmals auf das Buch von Martin Lichtmesz „Ethnopluralismus“ hin, vor allen auf die hervorragende, selbstkritische Schlussbetrachtung : „Ethnopluralismus eignet sich weder als politisches Programm noch als geschlossenes philosophisches System“. ff ( Martin Lichtmesz) . Aber man kommt auch nicht umhin über Völker und Kulturen zu reden. Im rechten Lager wird untereinander viel härter gerungen als zwischen Rechten und Linken. Das macht es doch  spannend. 

brueckenbauer

3. November 2021 13:38

Ich bin ja auch ein Christ. Aber die Aufgabe, für das Reich Gottes einzutreten, obliegt dann schon mir selber; dafür würde ich nicht ungefragt das deutsche Volk einspannen (nicht einmal dieses komische Völkchen der deutschen "Dichter und Denker"). Umgekehrt: als Christ interessiere ich mich dafür, was unsere potentiellen deutschen Volksgenossen - von denen viele ja gar keine Christen sind - mpirisch-tatsächlich brauchen oder sich wünschen, um glücklich zu sein.

kikl

3. November 2021 14:05

“Die Freiheit kann nur in der einzelnen Person, im einzelnen Menschen wurzeln . Es gibt keine kollektive Identität“

Es gibt natürlich die Freiheit der Person, aber niemand ist vollkommen frei. Es gibt eine Wechselbeziehung zwischen dem Individuum und dem Kollektiv. Das Individuum kann nicht ohne das Kollektiv existieren. Menschen sind soziale Wesen. Das Kollektiv existiert nicht, ohne die Individuen, aus denen es besteht.

Die Corona-Krise hat doch gezeigt, wie mit Mitteln der Propaganda kollektive Identitäten geschaffen werden können. Die Gesellschaft wurde in zwei Gruppen gespalten und diese Gruppen gegeneinander aufgehetzt. Die Individuen verhalten sich innerhalb dieser Gruppen häufig auf vorhersehbare Weise. Es gibt sehr wenige Individuen, die die psychische Kraft haben, diesem Gruppendruck zu widerstehen.

Wer einmal ein paar Jahre im Ausland gelebt hat, der erkennt erst an sich selbst, wie sehr man durch das Kollektiv geprägt ist, in dem man aufgewachsen ist. Diese Prägung wird von den Mitmenschen im Ausland unmittelbar erkannt, die nicht diese Identität besitzen.  Diese Prägung durch das Kollektiv kann man auch die "kollektive Identität" nennen. Sie ist in jedem Menschen auf unterschiedliche Weise und mehr oder weniger stark ausgeprägt. Same Same, but different!

zeitschnur

3. November 2021 14:25

@ Monika

RLU hatte mich zitiert - haben Sie das verstanden? Wie problematisch der Personbegriff ist, trommelt sich allmählich durch einige kritische Geister. Eine Person hat keine Identität, sondern sie hat eine Rolle. Ob es nun die von außen zugewiesene, angeblich ureigene ist oder eine kollektive, ist gleich: Rolle ist Rolle, Maske, Larve, nie das, was den Einzelnen wirklich ausmacht. Die Frage nach dem Ureigenen ist es, die bisher immer umgangen wurde. Es kommt ja nicht von Ungefähr, dass wir in einer der größten Begriffsverwirrungen aller Zeiten leben. Ihr Hallali zum Aufgeben der Spitzfindigkeiten und Einlaufen in den bürgerlichen Hafen des bereits kanonisch abgesegnet Gesagten ist leider nicht nur nicht ausreichend, um aus der Misere zu kommen. Ich muss unweigerlich an den Booster einer nutzlosen, dafür schädlichen Impfung denken ... Was bisher an Deutung und Entwicklung zu schwach war, vom Irrweg abzuhalten, wird ganz sicher nicht kurz vor dem Abgrund plötzlich ungeahnte Kräfte entwickeln.

Es hilft hier nur eine Umkehr.

 

 

Adler und Drache

3. November 2021 15:14

Von der Seite eingeworfen:

Nachdem ich lange das NT gelesen und meditiert, Theologie studiert und die biblischen Texte im Pfarramt gepredigt habe, scheint es mir nun doch so, dass viele Dinge, die so verrätselt sind, dass sie "ausgelegt" werden müssen, am Ende doch viel einfacher und lapidarer sind, als gedacht bzw. zu denken gewagt. So meine ich mittlerweile, dass Jesus durchaus von einem irdischen Reich sprach, als dessen legitimer Herrscher er sich sah. Dass er dieses Reich nicht NUR irdisch dachte - geschenkt. Aber bleiben wir erstmal beim Irdischen!

 

Niekisch

3. November 2021 16:01

"als Christ interessiere ich mich dafür, was unsere potentiellen deutschen Volksgenossen - von denen viele ja gar keine Christen sind - empirisch-tatsächlich brauchen oder sich wünschen, um glücklich zu sein."

@ brueckenbauer 3.11.13:38: Sind Sie so sehr Christ, dass Sie dafür Nichtchristen befragen müssen?

anatol broder

3. November 2021 16:12

warum denke ich hier an urmel aus dem eis (1969) von max kruse?

Gracchus

3. November 2021 17:44

Das, Herr Anatol, weiß ich auch nicht.

zeitschnur

3. November 2021 17:47

@ kikl

These meines Buches ist, dass eine keine kollektive Identität geben kann. Ich begründe die Position genau und formuliere stattdessen eine schwer fassbare, aber doch auch strahlende gemeinsame Identität. Vielleicht erliegen Sie dem Fehlschluss, das, was sich als Kollektiv aufpflanzt oder was als solches aufgepflanzt wird (wie derzeit bis zum Überdruss), sei dasselbe wie ein ureigenes Volk. Solche Leer-Kollektive werden in Think Tanks designed, an grünen Tischen entworfen und über Fehlbildung und Volksempfängermedien als Integrationskulisse vorgegaukelt. Es sind nur Larven ohne Innenseite, Masken, eine Art Joker-Karte, auf der ein Rattenfänger mit Schellenkappe den bierernsten, moralinsüchtigen Michel dazu verführt, seinen Segen für einmal Gutfühlen im Kollektiv zu verscherbeln. Mit diesem Joker kann man jede noch so sinnvoll und individuell-originell gewachsene Gemeinschaft zersetzen, wenn die Einzelnen nicht immun sind dagegen.

Und wann sind sie nicht immun dagegen?

zeitschnur

3. November 2021 17:55

@ Adler und Drache

Ich glaube, es geht nicht um irdisch versus überirdisch, sondern um die Anomia dieses Äons gegen den Nomos des kommenden Äons. Beides ist in gewissem Sinn irdisch und himmlisch zugleich, spiegeln doch selbst in der Johannes-Apokalypse auch die himmlischen Vorgänge sich direkt im Bereich des Irdischen.

Und bedenken Sie: Der Ivri, der Hebräer, ist der Jenseitige. Der, der zwar hier ist in diesem Äon, aber aus einem anderen stammt. Friedrich Weinreb hat das immer wieder sehr schön erklärt.

Es gibt daher sowohl ein einfaches Verstehen der Texte, gerade dem simplex am besten zugänglich und der Weisheit des kosmos verschlossen, als auch den Aufstieg auf den Karmel, auf dem das Einfache sich als ein Überreichtum ungeahnter Tiefe entpuppt, der ebenfalls der Weisheit des kosmos nur Idiotie ist.

zeitschnur

3. November 2021 18:02

@ anatol broder

... weil Sie vermutlich in Ihrer seligen Kindheit zuviel vor der Flimmerkiste saßen und lauter schöne Sachen angesehen haben ...

Ruewald

3. November 2021 18:41

1. zu @FranzBettinger, 3.11. 10:25:
vielleicht ein dazu passender Hinweis: F. J. Wetz, "Illusion Menschenwürde - Aufstieg und Fall eines Grundwerts".

2. falls noch niemand es erwähnt hat (?): Hanna Jüngling == "zeitsschnur"

 

 

Ausguck

3. November 2021 20:42

@ Monika & @ Franz Bettinger: " Für Sie mag das Reden über Freiheit, Menschenwürde, Personalität  Geschwafel sein." Das ist es selbstverständlich nur dann, wenn man (selbst) nicht daran glaubt. Ja, die Natur scheint sich ebenfalls nicht daran zu halten, obwohl dieser Eindruck zu einem großen Teil auf unser Unverständnis über sie beruht. Wenn wir wirklich wüßten, was unser - und anderes - Bewußtsein ausmacht, sähen wir zweifellos klarer. Aber uns fehlt diese wichtige Einsicht in ein höchstwahrscheinlich universelles Bewußsein (noch). Rupert Sheldrake, ein herausragender britischer Biologe hat dazu sehr interessante Gedanken veröffentlicht, die es sich lohnt, in diesem Zusammenhang zu betrachten. Wenn wir Freiheit, Menschenwürde und Personalität als anzustrebende, wichtige Bausteine in diesem großen, uns nur wenig erschlossenen Gefüge erkennen würden, die uns leiten, wenn nicht bestimmen sollten, kämen wir wesentlich weiter, als wenn wir  Haarlängen verglichen. Und selbstverständlich gibt es in der Natur Gleichheit: Ein Kohlenstoffatom auf der Erde ist einem solchen in den Pleijaden vollkommen gleich. Wir Menschen sind Sternenstaub.

RLU

3. November 2021 22:22

@ Franz Bettinger: Stellt man die Freiheit „per se“ infrage, verortet man diese auf einer sehr einseitigen Betrachtungsebene. Die Semantik eines Wortes wie Freiheit bewegt sich ja immer im Kontext seines individuellen Diskurses. Auf einer anderen Ebene ist der Begriff ein enorm komplexer und in seiner Vielschichtigkeit eben nur vom Einzelnen entfaltbar. Freiheit als kollektive Bedeutungseinheit wiederum erscheint zu abstrakt. Ist Freiheit dort in ihrer ursprünglichen Idee vielleicht noch stark und halbwegs definiert, schleicht sie sich im Kollektiv aus. Das Kollektiv will nicht frei sein – es will im Kollektiv sein.     

Es steht natürlich jedem frei, den Begriff Freiheit per se abzulehnen, sich seiner kollektiven Bedeutung anzuschließen und dabei vlt. gar nicht genau zu wissen, worum es eigentlich geht, oder ihn für sich selbst zu sezieren und darüber hinaus zu definieren. „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.“ ;)  

@ zeitschnur: Danke für Ihre klugen Ausführungen, ich bin begeistert.

Laurenz

3. November 2021 23:12

 

@Anatol Broder

Ja, das ist stimmig!

Urrrrmeli.......

https://youtu.be/DPiCbYim_FM

Kurativ

4. November 2021 00:29

Die Frage, ob ein spezifisch geformtes Christentum als Basis (individuell, oder) als geformtes Konzept für ein Widerstandsmilleu gegen die aktuellen Zustände des Beherrschtseins hilfreich oder schädlich sein kann, lässt sich einfach beantworten:

Ja und Nein.

Wenn dieses individuelle Christentum oder im Kollektiv praktizierte Christentum vernebelt und sich selber abschafft...

Dann Nein (siehe auch Bergoglio, EKD)

Wenn der Endstehungszusammenhang des NT (Herrschaft einer Übermacht namens Rom) und den aktuellen Zuständen bewusst ist, oder hergestellt werden kann...

Dann Ja

Von christlicher Seite: Liebe deines Nächsten

Von weniger christlicher Seite: Wenn die Leute das gleiche Ziel verfolgen, dann ist es Nützlich. Also verbündet.

Die Frage ist also aktuell nicht Links oder Recht, oder Jesus oder die Natur, sondern die Frage nach Souveränität vs Komfort mit Abhängigkeit plus Untergang.

Monika

4. November 2021 08:31

Bevor es jetzt ins Lächerliche entgleitet . Ich habe eine ernstgemeinte Frage an die Rechten Christenfresser in dieser Runde. Bekanntlich hat ein Afghane die Frauenbergkirche in Nordhausen verwüstet und eine Christusfigur zerbrochen, weil das Christentum der falsche Glaube sei. Björn Höcke hat sich in seinem „ Metaversum“ darüber erschüttert gezeigt.Über die „Respektlosigkeit gegenüber unserer Kultur“ durch Afghanen, „die gekommen sind um zu schänden“. Meine Frage: Was ist eigentlich schlimm daran, alte Holzfiguren zu zerstören, wenn da eh keiner mehr dran glaubt. Was sind Äußerlichkeiten, wenn das Innere unserer Kultur längst zerstört ist ? Der Afghane scheint  immerhin noch was Innerliches zu haben, sonst hätte er seine religiösen Gefühle nicht verletzt gefühlt???

SchlussSegen zum Kirchenende🙏🙏🙏

RMH

4. November 2021 08:56

"Meine Frage: Was ist eigentlich schlimm daran, alte Holzfiguren zu zerstören, wenn da eh keiner mehr dran glaubt. Was sind Äußerlichkeiten, wenn das Innere unserer Kultur längst zerstört ist ? Der Afghane scheint immerhin noch was Innerliches zu haben, sonst hätte er seine religiösen Gefühle nicht verletzt gefühlt???"

Zutreffende Frage, rein strafrechtlich bleibt es bei der Sachbeschädigung und bei § 167 StGB, wenn man das Verhalten als beschimpfenden Unfug wertet. Aber bekanntermaßen sind ja Moslems sehr oft nicht mehr schuldfähig ... die armen, traumatisierten Menschen, geworfen in eine Kultur von Schmutz, Porno, Hurerei, Korruption und Materialismus.

Zur allgemeinen, bisherigen Diskussion für diejenigen, die diese, alte Predigt (1984!) noch nicht kennen:

https://www.spes-unica.de/milch/texte/text.php?datei=1984_rest

Tja, da wird man doch glatt katholisch ... (ich denke, Leute wie gerade der verstorbene Pfarrer Milch oder Pius Brüder waren es, die dafür sorgten, dass die "neue Rechte" in gewissen Teilen einen katholisch- vorkonziliaren Drall hat).

kikl

4. November 2021 09:18

@ zeitschnur

"These meines Buches ist, dass eine keine kollektive Identität geben kann. Ich begründe die Position genau und formuliere stattdessen eine schwer fassbare, aber doch auch strahlende gemeinsame Identität. Vielleicht erliegen Sie dem Fehlschluss, das, was sich als Kollektiv aufpflanzt oder was als solches aufgepflanzt wird (wie derzeit bis zum Überdruss), sei dasselbe wie ein ureigenes Volk."

Das kann natürlich sein, ich habe mich mit dem Thema nicht so eingehend beschäftigt wie sie. Ihr Buch, "Innenkönig. Das Volk der Dichter und Denker"!?, habe ich noch nicht gelesen.

Ich vermute, dass sie die Identität in einen ureigenen Bestandteil und einen aufgepflanzten, künstlichen Bestandteil aufteilen.

kikl

4. November 2021 09:19

Was ist mit der Identität der Muslime, mit der Umma?  Ist das eine ureigene Identität oder ein Propaganda-Kollektiv?

Die Frühgeschichte des Islams ist eine reine Erfindung. Der Mohammed des Islam ist keine Person der Geschichte. Die Araber des 7. Jahrhunderts waren überwiegend nicht-trinitarische Christen und nicht Muslime. Mohammed (= der Gepriesene = Benedictus qui venit in nomine domini  = Jesus; Schahada: La Illa il Allah (=Keine Gottheit außer Gott) Mohammadun Rassul Allah (= Gepriesen sei der Bote Gottes)) war ursprünglich ein arabischer Titel für Jesus. Beweis:

http://inarah.de/wp-content/uploads/2015/08/Felsendom-08.pdf

Den ureigenen Bestandteil nennen sie gemeinsame Identität, dem Rest billigen nicht zu, Identität genannt zu werden. Wo man die Grenze zieht, das ist sehr schwierig. Wenn die Grenzziehung nicht möglich ist, sind dann alle Identitäten künstlich?

Franz Bettinger

4. November 2021 10:24

Ich denke, wenn Begriffe (wie Freiheit, Gleichheit, Würde) zu groß werden, fangen sie an (in den Himmel) zu entschweben; sie werden abstrakt und nichtsagend. Es gibt einzelne Freiheiten (von denen wir durch das sich abspulende Corona-Komplott rasend schnell immer mehr verlieren). Und es gibt den (sehr unterschiedlichen) Wert von Menschen (schöne und hässliche, gesunde und kranke, fleißige und faule, liebenswerte, interessante und schwer verdauliche), ja. Schiller: „Nichts mehr davon! Zu essen gebt ihm und zu wohnen. Habt ihr die Blöße bedeckt, ergibt sich die Würde von selbst.“ Würde = Wert. Das erste Wort (Würde) ist nichtsagend und ein Tor zum Missbrauch; das zweite (Wert) macht hingegen sehr viel Sinn. Erzähle mir keiner, die Menschen hätte alle denselben Wert! Also: Man kümmere sich nicht um die Freiheit (die große schwebende), sondern um all die verloren gegangene Freiheiten: sich frei bewegen, frei reden, schreiben, frei therapieren, und frei atmen, essen und trinken zu dürfen. Holt euch ganz konkret durch das Brechen falscher Gesetze und Tabus diese kleinen Freiheiten zurück, und ihr seid auf dem richtigen Weg. Die Linken haben damit viel weniger Schwierigkeiten als die Rechten. Deep state lässt uns genau das: die dummen großen Worte (Würde...) und verweigert das, worauf es wirklich ankommt: die vielen kleinen konkreten Freiheiten. Und wir beißen an, gehen den Stroclhen an den Haken und vertun unsere Zeit mit Gefechten um Kaisers Bart. 

Laurenz

4. November 2021 11:08

@Monika

"Kirchenschändung"

Auch Teile der SS ruinierten im Frankreich-Feldzug 1940 Kirchen. Das geschah natürlich in einem gewissen historischen Bewußtsein, einerseits eingedenk des berühmten, sogenannten heiligen Bonifatius, andererseits der Vertreibung der Heiden durch Eremiten von ihren Kultorten & die katholischen Kreuzzüge in den Osten Europas. Hier liegen auch echte Vergehen der Christenheit zugrunde, die eine Vergeltung legitimier(t)en.

Hierzu muß man den islamistischen Anschlag inhaltlich unterscheiden. Die Moslems eliminierten in der Historie die elementaren christlichen Zentren in der Levante, gegen die Rom oder später Byzanz nur theologischer Abklatsch waren. Zur Information empfehle ich daher immer wieder gerne Dr. Bill Warners "Why we are afraid" auf Jutjub. 

Ich persönlich lehne Sachbeschädigungen grundsätzlich ab, im besonderen die von Kulturgütern, zB alter Handwerkskunst, wie auch die weltweite Kulturvernichtung, meist durch protestantische Mission, die im Grunde dasselbe ist.

Da die Kirchen über 98% ihrer Einnahmen durch öffentliche Gelder (ex-Kirchensteuer) erhalten, erachte ich eine Säkularisierung des Kirchenvermögens als legitim. Christen brauchen, gemäß Franziskus, keinen eigenen Besitz oder Eigentum.

zeitschnur

4. November 2021 11:14

@ kikl u.a. zur kollektiven Identität

Sie haben recht damit, dass in aller Regel umma-Konstrukte künstlich sind und nur über totalitäre Mechanismen erzwungen werden können.

Sagen wir es krass: Die Deutschen sind versaut worden durch eine ausufernde und artifizielle Suche nach ihrem Nationalstaat und den unlösbaren Fragen darüber, wer das deutsche Volk genau ist. Das war ungefähr so hilfreich wie die ständige Problematisierung, wie "man" als Frau ist oder zu sein hat: Am Ende haben sie ein völlig verbogenes, hässliches, entleertes und unechtes Menschenkind, das zusammenzuckt, sobald es einmal seine eigene Stimme hört ...

Die Menschen des vorderen Orients sind beschädigt durch diesen umma-Wahn, der v.a. in den letzten 100 Jahren bis zum Überdruss zelebriert wurde und nur einen Zweck hat, nämlich den Einzelnen zum Spielmaterial dieses Konstrukts zu machen. So macht man aus lebendigen und begabten Geschöpfen Zombies. Nicht besser sieht es mit dem Kommunismus und dem Faschismus aus ... und dem Christentum.

Was ich meine ist, dass sich Gemeinschaft ergibt, wenn sie a. aus freien Einzelwesen gebildet ist und b. als ein Mysterium aufgefasst wird, das niemand definieren kann, ähnlich wie eine Familie. Aber nota bene: Auch eine Familie erhält ständig unerwarteten Zufluss und Abfluss. Schaut Euch als Kontrastprogramm diese zombiehaften Adelsfamilien an, die im Prinzip alte eugenische Projekte sind.

Laurenz

4. November 2021 11:24

@Gracchus, RMH, Cugel, RLU, Franz Bettinger etc.

"Freiheit" oder "Freiheit ins jenseits?"

Hier liegt die Errungenschaft des Marxismus, zumindest theologisch.

Im 19. Jahrhundert wollte niemand mehr mit dem jenseits abgespeist werden. Die Aufklärung war diesbezüglich auch in den niederen sozialen Schichten angekommen. Daher verlegte Marx das "Paradies der Werktätigen" ins diesseits. Das bei der Definition des Paradieses dann grundsätzliche & unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten auftreten, liegt in allen Religionen, auch dem Marxismus, selbst begründet. Das Konflikt über das jenseitige Paradies schwelt in gleicher Art & Weise. Hier gut in der zentralen Stelle des (genialen & politisch gefährlichen) Films "Blackrobe" aus 1991 zu beobachten.  https://youtu.be/Dc8MXr5DrRk (00:00:49)

zeitschnur

4. November 2021 11:25

@ FB

Ziehen Sie da das Pferd nicht vom Schwanz her auf? Und welchen Trost geben Sie einem Menschen, dem nun einmal Freiheiten im Außen fehlen oder genommen sind?

Freiheit ist zuerst ein Funke im Innen. Man kann Menschen quälen und töten, aber niemals deren Freiheit.

So überschreibt Marcel Polte seinen Band 2 mit einem Satz eines MKUltra-Opfers:

Offensichtlich beurteilten sie meinen Geist und meinen Wunsch, frei zu sein, falsch.

Diese Leute, die die Freiheit anderer canceln, um an deren Lebensenergie zu kommen, wissen nichts vom Geist. Dieser Geist ist der Lebensodem, der von Gott kommt und der nicht versiegt. Und Gott gibt ihn nur dem, dem er ihn gibt. Man kann ihn nicht abzapfen und rauben. So konnte Max Kolbe bis zum Schluss im Hungerbunker der NS Loblieder singen und seine Mitgefangenen aufrichten.

DAS, lieber FB, das ist Freiheit! Nicht das Jammerbild eines Menschen, der zusammenklappt, sobald man ihm äußerlich etwas nimmt. Wobei ich den äußerlichen Zugriff nicht verharmlosen will, es geht mir drum, dass er nichts vermag außer eben im Außen destruktiv zu wirken. Das ist kriminell, aber hinsichtlich der Freiheit des Menschen wirkungslos.

Anders: Wen interessiert heute ein Pilatus? Und über welchen Menschen wurde in der Weltgeschichte am meisten nachgedacht, geschrieben und gesungen? Es ist Jesus, der alles verlor, nur nicht die Freiheit.

zeitschnur

4. November 2021 11:56

@ CS

Zu Ihrem Hinweis auf einen Dissens wegen Gogarten: In einer Rede in der Bibliothek des Konservativismus, in der Sie Ihr Erziehungsbuch vorgestellt haben, sagen Sie sinngemäß, dass Ihnen bewusst sei, dass der Begriff der Autorität schwierig sei und deuten ihn doch erheblich anders aus als Gogarten dies tut, zumindest kam es mir so vor. Gogarten spricht in seiner Schrift unzählige Male von Zwang, den man auf das Streben des Einzelnen zur Vereinzelung und Absonderung ausüben müsse. Darunter versteht er Autorität: eine disziplinierende Macht, die diesen Zwang ausüben darf. Er traut dem Einzelnen überhaupt nichts Gutes zu. Und er sieht nicht, dass diese Prämisse im Widerspruch zu jeder Hoffnung auf die erzwungene Verwertung des Einzelnen in der Gemeinschaft steht.

Wir wissen wohl alle im Innersten, dass genau dabei überhaupt nichts herauskommt als zerbochene Seelen und entpersonalisierte (iS von Berdjajew) Zombies, aus denen man auch wiederum keinerlei stabile Gemeinschaften mehr bilden kann. Ähnlich wie den Giraffenhälsen der vornehmen Burmesinnen, die sofort zum Genickbruch führen, sobald man die Zwangsringe entfernen würde ...

 

Kommentar Sommerfeld: Ich habe Gogartens Schrift vor allem als Plädoyer gegen die damals grassierende lebensreformerische Tendenz des "Wachsenlassens" des Kindes gelesen, die Urform der "antiautoritären" Pädagogik. Autorität als auctoritas, nicht als Macht (=potestas) zu verstehen, als "Führung, die niemandes Freiheit bricht" (Peter Petersen, das ist der Gründer der "Jenaplan-Schulen"), halte ich für richtig. Gogarten polemisiert ziemlich stark, weil er all die Schwärmer seiner Zeit gründlich satt hat. Den Zwang der alten wilhelminischen Lehranstalt und das Bild das Kindes als "Spalierobst" lehnt auch er ab. Ich zitiere nochmal Petersen, vielleicht ist der ein gemeinsamer Nenner, auf den wir uns einigen könnten in puncto Autorität?
"Nur der andere macht mich frei und wirkt mit zu meiner Vergeistigung, meiner Menschwerdung, der mir autoritativ wird. Und so gibt es keine Erziehung ohne Autorität, ohne ein den anderen Zwingendes. Aber es dürfte bereits zur Genüge deutlich sein, daß dies Zwingende niemals ein Vergewaltigendes sein darf. Ich darf nicht das Gefühl haben, daß mir Gewalt angetan wird, gegen die ich gar anknirschen möchte. Sondern nur dann wirkt das, was mir autoritativ wird, für mich befreiend, wenn in mir, bei meiner Einordnung und Unterordnung, das deutliche und starke Gefühl bestehen bleibt, daß ich mich dadurch erst in meinem Wesen und Sinn erfülle und daß demnach meine Freiheit gewahrt bleibt. Dort, wo sich in solch einem Sinne ein Mensch einem Autoritativen fügt, strömt er gleichsam hinüber in etwas, das ihm ist wie Ruhestatt, Heimat, Zuhausesein seines Besten, seines persönlichen Lebens im andern; so ruht ein Kind in seiner Mutter, der Fromme in Gott." (Peter Petersen, Der Ursprung der Pädagogik, 1931)

zeitschnur

4. November 2021 12:09

@ CS ff

Gogarten unterschätzt, dass der Einzelne anfällig ist für eine Überanpassung an das Kollektiv und dass diese Kollektive eine destruktivere Gewalt entwickeln können als es ein Sonderling je könnte ... Aber ich habe Sie sowohl in Ihrer damaligen Rede als erst recht später so verstanden, dass Autorität selbstverständlich alles ausüben darf, nur keinen Zwang. Denn wenn sie das tut, offenbart sie, dass sie keinerlei Autorität ist oder hat. Autorität muss evident sein und frei anerkannt werden. Sie kann niemals einer Institution entstammen.

Mich hat die Autobiografie Ravi Shankars berührt (My Music My Life). Er beschreibt darin, wie er sich seine Meister selbst wählte und leitet das ein mit folgenden Worten:

Guru (...) means master, spiritual teacher, or preceptor. We give a very important place to the guru, for we consider him to be the representation of the divine. There is a saying - (...) one should take a guru only after one fells sure of the decision (... that is) even more improtant than choosing a husband or a wife.

Abgesehen von dem schwierigen Begriff der Repräsentation trifft er damit mE sehr gut, worum es geht: Autorität besteht nur in der Anerkennung dessen, der sich an ihr orientiert. Nicht, weil der Lehrer staatlich geprüft oder irgendwie von außen legitimiert ist, kann er mich unterrichten, sondern weil ich weiß, dass ich von ihm lernen werde!

Damit werden nicht zuletzt unsere ganzen Schul- und Bildungskonzepte in Frage gestellt ...

Eo

4. November 2021 14:04

 

zu RLU et al. und zur Freiheit allgemein.

Freiheit sehe ich immer
— und vor allem wenn dieser Begriff politisch gemeint ist — im Spannungsfeld von Selbstbestimmung und Fremdbestimmung.

Also, da wo sich nach Freiheit
gesehnt wird und auch für die Freiheit offensiv eingetreten und gekämpft wird, geht es darum, die Unfreiheit in Gestalt der Fremdbestimmung, bzw. -steuerung abzuschütteln, um seine Sache in die eigenen Hände zu nehmen bzw. endlich nehmen zu können.

Das ist mit Freiheit gemeint
— ganz egal ob nur grad die individuelle oder im umfassenden Sinne die kollektive Ebene jeweils Sache ist.

Und daß Deutschland heute
nicht frei ist, also zB. für eigene Interessen und insbesondere die Interessen des eigenen Volkes einzutreten, sieht ma ja daran, wie fortlaufend fatale Zukunftsentscheidungen getroffen werden, die sich verheerend für Deutschland und die Deutschen auswirken — wie längst überall zu sehen.

 

Laurenz

4. November 2021 14:31

@Zeitschnur @CS

"Autorität"

Die Frage ist, welchen Menschen wollen Sie erschaffen? In Ihrer Bibel übt Ihr Gott brutale Autorität aus. Wenn man Zwang & Disziplin ausübt, wie das in der Kunst & dem Sport in Osteuropa üblich ist, erhält Sie wesentlich bessere Geiger, als Sie es sind, Zeitschnur. Allerdings leidet unter diesem "Zwang" oft die Kreativität, da alles Erlernte "Denkbahnen" vorgibt.

Kommentar Sommerfeld:
"Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehen,
Weil nicht alle Blütenträume reiften?
Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!" (Goethe, Prometheus)

Ego non! Die Abkehr vom alten Gesetz ist der eigentliche Impuls des Christentums. Welche Implikationen das für die Institution Kirche hat, steht auf anderen Blättern, zum Beispiel den mit Dostojewskis Legende vom Großinquisitor beschriebenen ...

Niekisch

4. November 2021 14:41

"..daß Deutschland heute nicht frei ist..

@ Eo 14:04: ...folgt vor allem auch aus Treulosigkeit gegen das Eigene, Vergötterung des uns Fremden, was früher schon beklagt wurde:

                                  T r e u e 

Treue? Was ist Treue !

Ton, der nicht mehr klingt -

Fahne, die nicht flattert-

Hand, die nimmer winkt-

 

Flamme, die nicht leuchtet-

Pfennig, der nicht zahlt-

Schande, die vor Leuten

mit sich selber prahlt-

 

Scham, die nie sich schämte-

Spott in Schmerzenszeit-

ein zerbrochener Degen-

ein gebrochener Eid!

 

( Franz Lüdtke dixit )

zeitschnur

4. November 2021 14:47

@ CS

Danke für die anregende Antwort. Ich lese Gogarten tatsächlich martialischer, weil er einen sehr düsteren Begriff von Sündhaftigkeit mit ins Spiel bringt.

Ihr Petersen-Zitat klingt gut, allerdings dachte ich spontan, dass er hier zu wenig an das Suggestive und Manipulative denkt. Etwa wenn heute Menschen eine traumatisierende Erziehung  idealisieren ("Mir hats nicht geschadet..."). Wenn ich heute all die Menschen sehe, die eine geradezu unfassbare Hörigkeit gegenüber (vorgeblicher) Autorität zeigen und allen Ernstes glauben, sie würden keineswegs "vergewaltigt", sondern geschützt und gepflegt, obwohl sie durch Haut und Nase gerammt werden ohne jede Scham ...

Ich fürchte, wir müssen diese Fragen vertiefen, um mit dieser Misere zurande zu kommen. Übrgens musste ich stark an Fichte denken, an die 2. Rede adDN, wo er ganz ähnliche Dinge durchdenkt. Natürlich muss das, was man als das Gute im anderen heranziehen will, wirklich das Gute sein, und insofern ist es "zwingend".

Aber noch mal: Das ist wohl noch nie wirklich ausreichend durchdacht worden und hat nur zu Missverständnissen geführt und beruhte teilweise (wie ich es bei Gogarten sehe) bereits auf Missverständnissen.

Wäre eine spannende Aufgabe für unsere Generation ... und jetzt bietet die schwere Krise einen guten Moment dafür.

zeitschnur

4. November 2021 16:03

@ Laurenz

Wir sind die Treibenden.
Aber den Schritt der Zeit,
nehmt ihn als Kleinigkeit
im immer Bleibenden.

Alles das Eilende
wird schon vorüber sein;
denn das Verweilende
erst weiht uns ein.

Knaben, o werft den Mut
nicht in die Schnelligkeit,
nicht in den Flugversuch.

Alles ist ausgeruht:
Dunkel und Helligkeit,
Blume und Buch.

(Rilke, Sonette an Orpheus, I,22)

Es geht um den eigenen Ton, die eigene Bewegung, nicht um Leistungssport. Manche sind dementsprechend konsequent und finden generell, dass so eine E-Geige erst richtig was hergibt. Und der Gipfel ist, dass wir jetzt erst gesund sind, wenn wir krank gemacht wurden.

heinrichbrueck

4. November 2021 16:36

In Jünglings Welt scheint es kein Militär zu geben. Die Schwerter werden zu Pflugscharen, und der Geist Zeitschnurs schwebt über den Völkern. Und dann schaut man sich die Realität an. Offene Grenzen, Mord und Totschlag, Vergewaltigung, Zerstörung der Schönheiten unserer Kultur, Verhäßlichung in jeder denkbaren Form, und niemand ist verantwortlich. Eine Hierarchie der Gleichheit freier Menschen? Was müssen die Leute denn wissen? Auch das Christentum birgt eine Realität; und Gott kann sich nicht herausreden. 

zeitschnur

4. November 2021 17:51

@ heinrichbrueck

O doch, nur: Die Schwerter wurden einstmals aus Pflugscharen geschmiedet, verstehen Sie?

Und: Gott hat geredet und redet weiterhin. Es ist der Mensch, der sich nicht herausreden können wird.

Wir sind in der Welt, um von der Wirklichkeit gezwungen zu werden, uns aus der Welt zu erheben.

schreibt CS in der Selbstrettung (S. 66).

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