Daß er alles regeln könne, ist ihr zentraler Leitsatz. In diesem Artikel möchte ich untersuchen, weshalb es sich dabei um einen fatalen Denkfehler handelt, der die Schriften der Österreichischen Schule der Nationalökonomie bis hin zu vielen zeitgenössischen Wirtschafts-Analysten durchzieht.
Dieser zentrale Leitsatz ist auch die Hauptursache, weshalb die zahlreichen Crash-Prognosen oft daneben liegen und wir anstatt des Zusammenbruchs der Weltwirtschaft einen „Great Reset“ sehen. In diesem Artikel möchte ich auf eine realistischere Weltsicht in Bezug auf den Markt und den Zusammenhang mit dem großen Neustart eingehen.
Der Markt kann nicht alles regeln, denn er existiert nicht für sich alleine, sondern ist eingebettet in ein komplexes System aus sozialen und politischen Beziehungen, er beeinflußt dieses Beziehungs-Geflecht und umgekehrt. Die vom Markt ausgehende Beeinflussung findet indirekt über besonders erfolgreiche Marktteilnehmer statt, die in das soziale Geflecht eindringen und Beziehungen zu den politischen Machthabern aufbauen.
Auf diese Weise gewinnen sie Einfluß auf die Politik, und über diese können sie die Bedingungen für den Zugang auf den Markt bestimmen. Über diese Rückkopplungsschleife des Einflusses einzelner Marktteilnehmer, die ihre Macht durch den Markt gewonnen haben, sorgt der Markt indirekt dafür, daß die Marktregeln mit der Zeit ad absurdum geführt und der Zugang zum Markt (für die Konkurrenten dieser erfolgreichen Marktteilnehmer) immer weiter erschwert wird.
Jeder, der am Markt erfolgreich agiert und somit ökonomische Macht ansammelt, kann diese über soziale Bindungen in Politische umwandeln, sofern der Staat ihn gewähren läßt. Wer über diesen Prozeß der Machtkonversion, politische Macht erworben hat, kann beeinflussen, wer zu welchen Bedingungen Zugang zum Markt bekommt.
Über Märkte lassen sich knappe Ressourcen sehr effizient verteilen, doch sie sorgen auch dafür, dass sich immer mehr ökonomische Macht in Form von Geld bei den erfolgreichsten Teilnehmern akkumuliert. Diese Akkumulation ökonomischer Macht untergräbt über den oben beschriebenen Vorgang die zentrale Idee des freien Marktes. Die einzige Instanz, die diesen Vorgang der Machtkonversion verhindern kann, ist der Staat selbst.
Nur politische Setzungen des Staates können der Zerstörung des fairen Wettbewerbs auf dem Markt (durch die Usurpation von Politik und Staat durch ökonomisch erfolgreiche Marktteilnehmer) einen Riegel vorschieben, ansonsten zerstört sich der freie Markt über einen längeren Zeitraum selbst. Durch diese Einflußnahme verbinden sich die ökonomischen und die politischen Kräfte auf der Welt immer enger, so lange bis politische und wirtschaftliche Eliten nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind.
Die ursprünglichen Aufgaben des Marktes – Preisfindung und Verteilung knapper Ressourcen – können dann nicht mehr erfüllt werden, wenn der Vorgang der Machtkonversion, großflächig und über einen längeren Zeitraum, gegriffen hat.
Nur wenn das verhindert wird, haben tatsächlich alle Marktteilnehmer denselben Marktzugang. In einer Welt ohne Staat wäre das auf Dauer nicht möglich, da es niemanden gibt, der die politischen Setzungen vornimmt, die nötig sind, um die Machtkonversion zu verhindern.
Es ist also nicht wahr, daß es den „freien Markt“ nur in einer Welt ohne Staat geben könnte, das komplette Gegenteil ist korrekt! Wer in bestimmten Teilen der Wirtschaft, wo das sinnvoll ist, einen möglichst fairen Wettbewerb sicherstellen möchte, braucht die politischen Setzungen eines starken Staates. Erst diese ermöglichen einen fairen Wettbewerb auf Dauer und verhindern die Zersetzung des freien Marktes durch sich selbst.
Das komplette Vernachlässigen oder massive Unterschätzen der Machtkonversion und der Glaube, der Markt alleine würde alles bestimmen, ohne von anderen Kräften beeinflußt zu werden, durchzieht die Schriften vieler Wirtschaftsliberaler.
Auch wenn viele Analysen aus dieser Richtung viele korrekte Elemente enthalten, sind sie bei ihren Prognosen aufgrund der Vernachlässigung dieser realen Gegebenheiten unglaublich schlecht.
Wenn das Netz aus sozialen und politischen Beziehungen um den Markt herum (und die real existierende Machtkonversion) nicht existieren würde, hätte die Weltwirtschaft natürlich zusammenbrechen müssen, doch so sieht die Realität nicht aus.
Der schlimmste Betriebsunfall der globalen Eliten war wohl die Wirtschaftskrise von 2008. Die Wiederholung einer derartigen Krise werden sie mit allen Mitteln zu verhindern suchen.
Seitdem halten die Zentralbanken mit einer vorher nie gesehenen Geldschwemme die Märkte mehr schlecht als recht am Laufen. Wenn nun verschiedene Wirtschafts-Analysten prognostizieren, daß bald eine neue Krise das System über den Haufen werfen wird, dann übersehen sie die politischen und sozialen Rahmenbedingungen, in die der Markt eingebettet ist.
Trotz des immensen schwarzen Flecks im Weltbild (Wirtschafts-)Liberaler – dieser Teil der Analyse stimmt: Das System ist instabil geworden und auf Dauer nicht tragbar.
Nur: die globalen Eliten werden auch die nächste Krise mit der nächsten Regeländerung zu „bewältigen“ suchen oder eben versuchen ein neues System zu etablieren, bevor das Alte derartig untragbar geworden ist, daß es doch noch kollabiert. Daß das aktuelle System extrem marode ist, wissen wir spätestens seit 2008.
Nun lesen wir, wie ein Klaus Schwab vom WEF von einem großen Neustart („Great Reset“) schreibt.
Warum macht er das wohl? Die Probleme haben sich im ganzen System akkumuliert, außerdem sind die Gewinnmargen in den alten, klassischen Industrien stetig am Sinken. Neue Industrien wie Big Data, Big Tech und Big Pharma oder auch in Zukunft vielleicht der Transhumanismus versprechen wesentlich höhere Gewinnmargen.
Der große Neustart ist die Antwort der globalen Eliten auf das alte, marode gewordene System und ihre nicht mehr ganz so üppig sprudelnden Geldquellen. Sie halten das alte System selbst für nicht mehr reformierbar.
Und da sie gerade schon so geschickt in den Schaltzentralen der Macht sitzen, werden sie natürlich nicht tatenlos zusehen, wie das alte System krachend in sich zusammenstürzt und sie dadurch von den Schalthebeln der Macht entfernt werden. Der Great Reset ist der Versuch, ein neues System zu etablieren, bevor das alte System kollabiert. Es ist ein Wettrennen gegen die Zeit. Es wird spannend werden zu sehen, was zuerst geschieht.
Die Einbettung des Marktes in globale politische soziale Netze wird von nahezu allen Wirtschafts-Analysten nicht gesehen oder massiv unterschätzt. Die globalen Eliten, die diese Netze gesponnen haben, haben kein Interesse am Zusammenbruch des Systems, und deshalb werden sie versuchen, es mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln am Laufen zu halten, bis ein neues System etabliert ist, selbst wenn das heißt, alle alten Regeln neu zu schreiben oder sie zu ignorieren. Jede krisenhafte Entwicklung wurde dazu genutzt, die eigene Agenda voranzutreiben und das System zum Nutzen der Eliten umzubauen. 2008 wäre es aus Sicht der Globalisten beinahe schiefgegangen. Seitdem läuft es besser für sie, wie das jüngste Beispiel der „Corona-Krise“ zeigt.
Was schließen wir daraus?
1. Die Prognosen von Wirtschafts-Analysten können wir weitgehend vergessen, da die realen Machtverhältnisse und die Einbettung des Marktes in soziale und politische Netze im wirtschaftsliberalen und libertären Kosmos nicht abgebildet wird. Die Analysen dieser Leute sollten wir trotzdem nicht als wertlos verwerfen, denn diese können uns zumindest in Teilen die morschen Stellen im Wirtschafts-System aufzeigen.
2. Das aktuelle System ist fertig. Jede echte politische Alternative muß mit dem Zusammenbruch rechnen und über die Sicherung der notwendigen Strukturen nachdenken, wenn sie als echte Alternative wahrgenommen werden möchte. Wir müssen uns jetzt und heute schwer ins Zeug legen, um dann, in diesem historischen Moment, nicht ohne Ideen dazustehen.
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Hinweis der Redaktion: Unser Gastautor reißt an, was Manfred Kleine-Hartlage in seinem Buch Systemfrage. Vom Scheitern der Republik und dem Tag danach ausgeführt hat. Die Erstauflage, die Ende November erschien, ist bis auf wenige hundert Exemplare vergriffen, das Buch trifft also einen Nerv. Bestellen Sie bitte hier.
Heinrich Loewe
Der Great Reset ist finanzpolitisch betrachtet, jetzt schon immanent, seit der Finanzkrise 2008:
1. Durch das massive Geld drucken (QE) wurden und werden die Asset-Preise inflationiert. D.h. wer eh schon Sachwerte besitzt, gewinnt weit überproportional ohne zutun automatisch an relativem Wohlstand.
2. Durch Nullzins und Inflation werden die Ersparnisse der weiten Bevölkerung entwertet und die Reallöhne gedrückt. Niemand kann dadurch mehr (Eigen-)Kapital akkumulieren, um irgendwann ein Geschäft aufzumachen. Nicht mal ein Eigenheim kann sich die Mittelschicht mehr leisten.
3. Die weite Bevölkerung sind nur noch Arbeitssklaven, die nichts besitzen: Man kann nur noch leihen, und mit der Leihgebühr (Mieten z.B.) zahlen die Eigentümer, Blackrock und Konsortien, ihren Kapitaldienst.
Das ist ein rigged casino zu Lasten der Bürger. DAS muß weg, wenn wir noch von freiheitlicher Gesellschaft reden wollen. Hier ist auch die Verbindungsstelle zum Linkspopulismus: Reichen- und Vermögenssteuer wären, mit entsprechenden Freibeträgen, ein probates Mittel.
Gutes Sachbuch zum Verständnis der Finanzwelt: Joscha Wollweber, Zentralbankkapitalismus.