Konservative fanden das damals widerlich.
Ich habe diesen Text begonnen, bevor in Schweinfurt die Lage eskalierte und unter dem Hashtag #SW2612 zum Magnet wurde. Er, mein Text, erfährt nun neue Aktualität, und zwar zu zweierlei Themen: Zu mitdemonstrierenden Kindern und zu Haß und Hetze im Netz.
Auf Demonstrationen des jüngeren, nicht dezidiert linken Typs (Pegida, Corona-Maßnahmenkritiker) sah und sieht man auch Familien. Linke finden es naturgemäß widerlich – weil die Kinder hier für Meinungen mißbraucht würden, die gegen ihre eigene Zukunft gerichtet seien. Echtkonservative verzichten vermutlich bis heute auf die Begleitung ihrer Kinder bei … Spaziergängen.
Was ist aktuell passiert? Eine in Schweinfurt gegen die Coronamaßnahmen demonstrierende Mutter soll mit ihrem vierjährigen Kind im Buggy versucht haben, eine Polizeikette zu durchbrechen. Da die Polizei Pfefferspray einsetzte, kam auch das Kleine damit in Berührung. Es kursieren im Netz viele Videoaufnahmen von dem schreienden Kind, dem es nach notärztlicher Behandlung rasch wieder gutging.
Das Netz tobt. Eine Mehrheit brüllt: Was haben Kinder auf Demonstrationen zu suchen? Auch viele konservative, gar rechte Kommentatoren sehen es so: Laßt die Kinder aus dem Spiel.
Der unterfränkische Bezirksvorsitzende der Deutschen Polizei-Gewerkschaft (DPolG), Thorsten Grimm, nannte es gar „unmenschlich“ und einen Mißbrauch [!!], Kinder auf Demonstrationen mitzunehmen. Irene Spiegel von der Mainpost findet die Kindesmitnahme „perfide“, und wir wollen nicht versäumen, auf diesen Kommentar von Johannes Görz (infranken-de) hinzuweisen; man beachte die schönen Nägel!
Eine Minderheit hingegen sagt:
oder, wie man schon an der Vielzahl der Kommentare sieht, noch kontroverser:
Wir sollten die Sachlage etwas genauer betrachten: Man kann leicht nachlesen, was dem AfD-Mann Tritschler x‑fach entgegnet wurde. „A***loch „und „widerlich“ waren hier noch die harmlosen Attributierungen. Der blindwütige Haß, mit dem Tritschler überzogen wurde, kennzeichnet eine weitere Eskalationsstufe in unserer gegenwärtigen Gesellschaft.
Es ist fast ulkig: Gefühlt bedrohte Personen wie die notorische „Quattromilf“, Dunja Hayali oder Hasnain Kazim machen aus einzelnen (meist nicht verifizierbaren, daher oft ausgedacht wirkenden) Zuschriften ein Riesenbohei, während übelste Beschimpfungen gegen einen AfD-Abgeordneten (homosexuell und Ex-FDPler, soviel zur Opferhierarchie) getrost den Twitter-Court passieren.
Kommen wir aber zurück zu den Demonstrationen. Will ich mich mit dieser Mutter gemeinmachen? Naja, ein Vierjähriges mit Babyflasche und im Buggy, und damit gegen eine Polizeikette anrennen? Klingt nach extremer Verzweiflungstat. Das wird es auch wohl gewesen sein. Für mich kein Grund, sich zu entsolidarisieren. Ich selbst hätte nicht mit einem Buggy eine Polizeikette durchbrochen. Das hat mit der “guten Erziehung“ zu tun, die uns (uns Wessis, uns Akademiker, uns Respektvolle) bis heute fesselt.
Echtkonservative finden dieses Sichgemeinmachen mit „denen da auf der Straße“ ohnehin degoutant. Die Bewahrung der Asche statt der Weitergabe des Feuers findet dort am heimischen Tisch statt. Vielleicht gibt es dazu ein „Best-of-Classics“ und einen sortenreinen Apfelsaft. Warum auch nicht? Feuer, also Straße, ist gefährlich und gegen das Ordnungsgefühl.
Manche Kinder haben nun das Pech oder Glück, mit Eltern leben zu müssen oder zu dürfen, die eine andere Wahrnehmung haben, wenn es um Ordnung oder Ordnungsstörung geht. Sie sehen in dem, was unser Staat seit bald zwei Jahren treibt, eine mehr als gefährliche Übergriffigkeit, die außerdem durch die “Faktenlage” nicht legitimiert sei.
Solche Eltern mit einer dezidierten Meinung können oft nicht an ihren Kindern vorbeileben. Die Linken wissen das sehr gut. Damals, heißt es nun allerdings, sei das ja anders gewesen. Damals (Saurer Regen/Atom/Pershing II et. al.) habe ja wirklich die Zukunft der Kinder zur Debatte gestanden, stehe sie heute noch, wo Grundschulen Kinder zu FFF-Demos karren – bei den dissidenten Corona-Maßnahmenkritikern ginge es hingegen um Verschwörungsmüll.
Das beurteilt: wer?
Die Annahme, daß Kinder, sind sie erstmal ungefähr 16, also im demnächst wahlberechtigten Alter, sich (eventuell anders als ihre Eltern, die sie einst zur nichtlinken Demo mitnahmen) rasch links wiederfänden, „wenn man sie läßt“ (also wenn man sie „in Ruhe läßt“ und der massenmedialen Berieselung überantwortet), ist allerdings nicht ganz ohne Evidenz.
Bei der „Juniorwahl“ anläßlich der Bundestagswahl 2021 (zu der einiges zu sagen wäre, was den Rahmen sprengen würde – es gibt hier viele verdächtige Leerstellen; etwa waren für unseren AfD-lastigen Wahlkreis Querfurt keine Zahlen abrufbar) wurde doch einiges deutlich: Selbst im „konservativen“ Bayern fuhren die Grünen bei den unter 18jährigen 21,4% ein, und selbst im „rechten“ Sachsen landete die AfD bei unter 11%.
Wann kippen die jungen Leute eigentlich weg? Eine Elfjährige hatte am Samstag in Karlsruhe auf der Bühne einer „Querdenken-Demo“ eine Rede vorgelesen, in der sie sagte, die Geburtstagsfeier mit ihren Freunden sei ganz anders gewesen als in den Jahren davor: „Wir mussten die ganze Zeit leise sein, weil wir sonst vielleicht von unseren Nachbarn verpetzt worden wären. Ich fühlte mich wie bei Anne Frank im Hinterhaus, wo sie mucksmäuschenstill sein mussten, um nicht erwischt zu werden.“
Das wurde natürlich skandalisiert. Aber warum eigentlich? Für dieses Kind fühlte sich das ähnlich an in diesem Moment, und es glich seine Wahrnehmung mit einem eindrücklichen Leseerlebnis ab.
Darf man kleine, naturgemäß unpolitische Kinder „vorschicken“ für eigene Interessen? Die Mainstream-Antwort ist undifferenziert: Man darf schon mit vorgeschnalltem Baby demonstrieren, wenn es dem Zweck dient.
Am Hambacher Tagebau demonstrierten 2018 zahlreiche Eltern mit ihren kleinen Kindern, auch mit Babys – und zwar direkt an der Abbruchkante. Die Anti-Atomkraft-Demos sind bis heute ein einziger Kinderladen. Unsere Außenministerin Baerbock hat kundgetan, als Kleinkind häufig demonstriert zu haben.
Wir selbst haben seit je, also seit etwa 20 Jahren, einen familiären Dissens, was das Mitmachen angeht. Ich selbst möchte die Kinder immer gern dabeihaben. In der Messe, im Konzert, in der Ausstellung. Bei der Demo.
Das hat zwei Gründe. Erstens wüßte ich nicht, wie ich sie sonst eingemeinden sollte in den Kult, in die Kultur. Kult und Kultur erfordern natürlich Konzentration. Es ist immer einfacher, die Kinder schlicht wegzulassen. Das fördert die eigne Gerichtetheit, schließt aber die Kinder aus. Wann sollen sie denn je herangeführt werden?
Ihre erste Beethoven-Sinfonie haben meine älteren Kinder mit fünf, drei und anderthalb Jahren erlebt. Was schwierig war, weil ich um jeden Preis eine Störung des Auditoriums vermeiden wollte. Kubitschek findet, man solle je nach Lage die Kinder später eingemeinden in Demos, Konzerte, Museen.
Ich bin dagegen. Und meist habe ich mich durchgesetzt. Auch aus emanzipatorischen Gründen. Ich war etwa 17 Jahre schwanger oder stillend. Kann sein, daß das heute nicht als „normal“ gilt, diese „übertriebene“ Kinderzahl. Ich weigerte mich, in dieser großen Zeitspanne politisch inaktiv zu sein. Und natürlich darüber hinaus: Unsere Jüngste hat mehr klassische Konzerte erlebt als ich mit 40 Jahren.
Unsere Kinder nahmen selbstredend (seit 2014) an Demonstrationen teil. Ich bin nicht ganz sicher, ob sie je wußten, was sie taten. Die Kleinste mußte dringend „groß“, als wir inmitten einer Pegida-Demo waren. Sie mag aber noch heute den damaligen Schlachtruf („Lügenpresse!“). Wir reden viel darüber.
Eine mittlere Tochter mag mit dem ehemaligen Anliegen nurmehr wenig zu tun haben. Sie findet es aber bis heute gut, dabeigewesen zu sein.
Ich bin dafür. Für Kinder auf Demos. Wie die Grünen, wie die Alternativen annodazumal: Kinder dürfen mit. Sie zählen nämlich. Wenn auch zunächst als Anhängsel. Irgendwann sind sie es nicht mehr, sondern gehen aus eigener Entscheidung mit oder eben nicht mehr. Prägend aber war es so oder so.
RMH
Die Erzählung, dass hier eine Mutter mit dem Kinderwagen gegen eine geschlossene Polizeikette angerannt sei, kann so nicht stimmen. Die Mutter war nach den bekannten Aussagen gar nicht selber am Wagen, sondern bei einem ihrer anderen Kinder. Ferner ist die Örtlichkeit so, dass hier regelmäßig die Stadtbusse des ÖPNV durch die mit Häusern an den Seiten verbaute, enge Straße müssen, um zum zentralen Busbahnhof der Stadt zu gelangen. Wenn man die Berichte liest, scheint nun die Person, die den Wagen geschoben hat, neben einem solchen Bus, der die Straße langsam entlang fuhr, gegangen zu sein. Der Bürgersteig ist dort neben dem Bus recht eng - es gibt keine Ausweichmöglichkeit. Kein Polizist muss in dieser Lage P-Spray verwenden. Wenn das PolizeibeamtIn nicht gerade Micky oder Mini Maus ist, langt das Versperren des Weges mit dem Körper. Davon, dass ein Polizist einen Kinderwagen gegen die Schienbeine gedonnert bekam, ist nichts bekannt. Richtig ist aber auch, dass bereits vor Beginn des Spaziergangs darauf hingewiesen wurde, dass Schlagstöcke und P-Spray zum Einsatz kommen können. Dies entbindet aber die Beamten nicht davon, die Verhältnismäßigkeit im Einsatz zu beachten. Eine Zeugin sagte in einem T- Kanal, dass sie noch mit P-Spray besprüht ("gebadet") wurde, als sie sich über das Kind schützend gelegt hat. Die Quellen dazu findet man u.a auch bei den Diskussion bei pi oder in T-Kanälen. Es gibt sicher auch Bildmaterial der Polizei.