Wie lange war es her, daß ich mich “zum Vergnügen” in ein Thema vertieft hatte? Der Bibliothekenengel half nach und ließ einen ungelesenen Band aus meinem Bücherschrank fallen, der mich sofort fesselte. Alias Shakespeare von Joseph “Joe” Sobran (auch auf Deutsch erschienen) reichte mir nicht nur das Opium, nach dem ich mich gesehnt hatte, sondern bot auch einige unerwartete Lektionen für unseren heutige Lage.
Das Folgende ist also nicht nur “nice to know” gemeint. Dafür bitte ich um etwas Geduld.
Das Buch aus dem Jahr 1997 ist eine Einführung in die “Oxfordian Theory” der wahren Autorschaft der Werke William Shakespeares. Joe Sobran (1946–2010), Kolumnist der National Review und einer der brillantesten Essayisten der amerikanischen Paläokonservativen, war ein leidenschaftlicher Anhänger dieser Theorie. 2011 wurde sie durch den Film “Anonymus” von Roland Emmerich einem breiteren Publikum bekannt gemacht.
Der Film ist leider nicht sehr gut und floppte an den Kinokassen; zuletzt zementierte Kenneth Branagh, Regisseur und Darsteller etlicher gewichtiger Shakespeare-Verfilmungen, mit “All is True” (2018) erneut die “Stratfordian Theory”, also die gängige Lehrmeinung, wonach der Dichter Shakespeare (oder “Shake-Speare”) mit dem 1616 verstorbenen Kaufmann William Shakspere (so lautete die häufigste Schreibweise seines Namens) aus Stratford-upon-Avon identisch ist.
Die Oxfordianer betrachten “Mr. Shakspere” und “William Shakespeare” als zwei verschiedene Personen und vertreten die Ansicht, daß sich hinter dem berühmten Autorennamen ein Mann namens Edward de Vere, der 17. Earl von Oxford (1550–1604), verbirgt. Anders als Mr. Shakspere stammte Oxford aus den Spitzen der Gesellschaft und lebte ein äußerst dramatisches Leben mitten im Auge des Taifuns der elisabethanischen Ära, nicht bloß als randständiger Beobachter, sondern als eminenter politischer und kultureller Akteur.
Um es kurz zu machen: Ich habe keinerlei Zweifel, daß die Oxfordianer recht haben. Die Beweislast zugunsten de Veres ist derart überwältigend, daß man sich nach einer Reise durch die oxfordianischen Untiefen vor Verwunderung die Augen reibt, warum der Kandidat aus Stratford immer noch akademischer Standard ist, ein Jahrhundert nach der Publikation des bahnbrechenden Buches “Shakespeare” Identified des Englisch-Lehrers Thomas Looney.
Die Antwort darauf ist freilich nicht schwer zu finden: Gebirge an gelehrter, spekulativer Literatur der Jahrhunderte bis auf den heutigen Tag werden durch den Oxford-Schlüssel zunichte gemacht, und darum hat das Establishment der Shakespeare-Forschung schon aus bloßer Eitelkeit einen guten Grund, seine Deutungshoheit verbissen zu verteidigen. Zusätzlich spielt der “Mythos” Shakespeare, an dem eine ganze Kulturindustrie hängt, nach wie vor eine große Rolle im nationalen Selbstverständnis der Briten.
An Mythen zu kratzen, die sich tief in unser Geschichtsbild eingegraben haben, ist meistens ein aussichtsloses Unterfangen, das naturgemäß auf erheblichen Widerstand stossen wird, wenn damit bestimmte Interessen, Wertvorstellungen, Geschäftsmodelle und Identifikationen verbunden sind.
Auch der Wikipedia-Artikel zu de Vere betont, daß die Debatte um die Autorschaft Shakespeares außerhalb “der Wissenschaft” geführt wird:
Im Rahmen der außerhalb traditioneller wissenschaftlicher Shakespeare- und Renaissance-Forschung geführten Debatte um die Urheberschaft der Werke William Shakespeares wird Edward de Vere häufig als deren eigentlicher Verfasser angesehen.
Zuweilen hört man das Argument, daß es im Grunde egal sei, wer die Werke geschrieben hat, ganz im Sinne von Shakespeare selbst: “A rose by any other name would smell as sweet”. Ich hingegen denke, daß die Oxford-Theorie ungeahnte Tiefendimensionen des Shakespeare’schen Werkes aufschließt, und viele Aspekte überhaupt erst verständlich macht. Immerhin haben wir es hier mit Dichtungen zu tun, von denen uns über 400 Jahre trennen. Wir müssen zuerst lernen, ihre “Sprache” im mehrfachen Sinn zu verstehen.
Worum geht es also? Ich will es kurz fassen, was angesichts der ebenso verworrenen wie faszinierenden Geschichte nicht einfach ist.
Der Autorenname “William Shakespeare” tauchte gedruckt zum ersten Mal 1593 auf der Titelseite des epischen Gedichts Venus und Adonis auf, das zusammen mit seinem Nachfolger Die geschändete Lukretia (1594) den Ruhm des Dichters begründete. Als Bühnenautor trat Shakespeare, nach etlichen anonym publizierten Stücken, “offiziell” erst 1598 in Erscheinung, unter der Schreibweise “Shake-Speare”, die auf ein Pseudonym hindeutet. Über seine Person war nichts bekannt; “Shakespeare” (oder “Shake-Speare”) war über lange Zeit nicht mehr als ein Name auf einem Titelblatt.
Erst im Jahr 1623 wurde dieser Name mit dem (bereits verstorbenen) Gentleman aus Stratford in Verbindung gebracht. Dies geschah durch einige huldigende Beiträge zur ersten Gesamtausgabe der Bühnenwerke des “Barden” (“First Folio”) – allerdings auf eine indirekte und mehrdeutige Weise. Shakespeares Freund und Dichterkollege Ben Jonson bezeichnete ihn als “Schwan von Avon”, und der heute vergessene Poet Leonard Digges erwähnte ein “Stratford moniment”. Von einem Ort namens “Stratford-upon-Avon” war jedoch nirgends die Rede. Man erfuhr praktisch nichts über das Leben, die Familie und die Karriere des Autors, außer, daß er in seinen eigenen Stücken gespielt haben soll.
Die Oxford-Theorie geht davon aus, daß es sich hierbei um ein bewußtes Täuschungsmanöver handelte, ja um eine “Verschwörung” der Herausgeber, mit dem Ziel, die wahre Identität des Autors zu verbergen.
Im “ersten Folio” findet sich auch der berühmte Kupferstich von Martin Droeshout, der seither unsere Vorstellung prägt, wie Shakespeare ausgesehen haben mag. Er ist die Vorlage für die unzähligen Phantasieportraits, die später entstanden sind.
Viele Kommentatoren haben auf die merkwürdig puppen- und maskenhafte Erscheinung der Gestalt mit dem überdimensionalen Kopf und dem verzerrten linken Arm hingewiesen, die in Droeshouts Werk keine Parallele hat. Die Oxfordianer nehmen an, daß Jonson – seinerseits ein bedeutender Dramatiker – und Droeshout “zwischen den Zeilen” verbale und visuelle Hinweise versteckt haben, daß sie hier eine “Maskerade” in Szene gesetzt haben.
Jonson kommentierte das Portrait unter anderem mit den Zeilen:
… Reader, look
Not on his Picture, but his Book
Das Motiv für die gezielte Vertuschung der wahren Autorschaft ist das zentrale Rätsel der Shakespeare-Oxford-Forschung, und einige Autoren sind der felsenfesten Ansicht, es gelöst zu haben – davon aber später.
Die von Jonson, Digges und den angeblichen Herausgebern des Bandes, John Heminges und Henry Condell (zwei Schauspieler aus der Truppe “Lord Chamberlain’s Men”, für die Shakespeare schrieb), gelegte Spur wurde in den hundert Jahren nach Erscheinen der ersten Folio-Ausgabe mit frei erfundenen Anekdoten und Gerüchten angereichert, die verschiedene Autoren wie John Aubrey und Nicholas Rowe beisteuerten. Demnach war Shakespeare aus Stratford Sohn eines Fleischers oder Handschuhmachers, dessen Genie nichtsdestotrotz die “Seele des Zeitalters” (Ben Jonson) zum Ausdruck brachte, triumphal seine bescheidene Herkunft transzendierend.
Zwischen dem angeblichen Autor aus Stratford und seinen Schöpfungen, seien es die Stücke, die Sonette oder die epischen Dichtungen, finden sich in der Tat nicht die geringsten belegbaren biographischen Bezüge. Gerade diese Tatsache wurde immer wieder als paradoxer, dafür aber umso schlagenderer Beweis seines unerklärlichen Genies und seiner stupenden “Universalität” gepriesen. Diese Vorstellung ist der Kern des traditionellen Shakespeare-Mythos, der bis heute wirkmächtig ist.
Der Autor selbst ist in dieser Deutung ein Nobody, der durch seine geniale Inspiration die ganze Welt in sich trägt, und einfach niederschreibt, was ihm in den Sinn kommt. Er ist ein Phantom, ein Rätsel, eine Null, ein Statist im Hintergrund, während die seiner Imagination entsprungenen Gestalten wie Hamlet, Ophelia, Romeo, Julia, König Lear, Othello, Jago, Desdemona, Shylock, Richard III., Heinrich V., Falstaff, Puck, Zettel, Ariel, Prospero usw. ein unheimliches Eigenleben führen, das Jahrhunderte überdauert hat (gerade eben ist eine neue Macbeth-Verfilmung mit einem absurd “eingeschwärzten” Cast herausgekommen, bedauerlicherweise unter der Regie eines Könners, Joel Coen.)
Exemplarisch für diese Sichtweise sind diese Bemerkungen von Egon Friedell aus seinem Mammutwerk Kulturgeschichte der Neuzeit (1927–31):
Das neue Organon, die wahre Enzyklopädie, Instauratio Magna und Geburt der Zeit war aber nicht Bacon, sondern jener Mann, an dem den Mitlebenden nur denkwürdig erschienen ist, daß er einmal wegen Wilderns in Untersuchung war, eines der vielen Londoner Theater mit ziemlich gutem Geschäftserfolg leitete und in seiner Vaterstadt als leidlich begüterter Bodenspekulant starb. (…)
Die echten Dichter gehen immer inkognito umher wie die Könige in den Anekdoten. Sie sprechen mit dem Volk, das Volk antwortet ihnen kaum und sieht an ihnen vorbei. Später kommt dann einer und erklärt den Leuten, wer das eigentlich gewesen sei. Aber inzwischen hat sich der verkleidete König längst davongemacht. Zweihundert Jahre nach Shakespeares Tode kamen einige Menschen und sagten: »Ja wißt ihr denn, wer dieser kleine Schauspieler und Schmierendirektor war? Es war William Shakespeare!« Da waren alle sehr erstaunt, aber Shakespeare hatte sich längst davongemacht. (…)
Shakespeare hat inmitten einer Zeit des Jubels, der Weltwenden und des Glanzes ein stilles, einfaches und fast banales Leben geführt. (…)
Friedell merkt an, daß manche den Zweifel an der Autorschaft Shakespeares aufgrund der dürren Faktenlage so weit treiben, daß sie überhaupt an seiner Existenz zweifeln (ähnlich wie im “Fall” Jesus Christus, dessen Klärung Friedell ganz besonders am Herzen lag):
Die geringe oder falsche Schätzung, die Shakespeare zu seinen Lebzeiten erfahren hat, ist manchen so paradox erschienen, daß sie auf das Auskunftsmittel verfielen, seine Existenz überhaupt zu leugnen. Das ist allerdings eine sonderbare Art, den Widerspruch zu lösen. Denn wenn es schon schwer vorstellbar ist, daß diese beispiellose Schöpferkraft im Dunkel gelebt hat, so ist es völlig unvorstellbar, daß sie überhaupt nicht gelebt haben soll.
Diesen Zweiflern muß man erwidern: wer hätte denn diese sechsunddreißig Dramen, deren Gewalt und Fülle bis heute noch niemand erreicht hat, schreiben sollen, wenn nicht Shakespeare? Vielleicht hieß er nicht Shakespeare: was kümmert uns seine Adresse! Aber vorhanden muß er doch gewesen sein. Shakespeare ist auf uns gekommen in der untrüglichsten und sichersten Form, in der der Genius sein Leben bezeugen kann: durch seine Geisteswerke. Seine Dramen sind der evidenteste Beleg für seine Existenz. So viele haben ihre Meldezettel, Geburtsatteste und Totenscheine und sind nicht gewesen, haben niemals gelebt vor dem Antlitz der Geschichte. Shakespeare ist von keinem Seelsorger, Magistratsbeamten und Bezirksarzt bescheinigt und lebt.
Reinhold Schneider fiel in seinem 560 Seiten starken Buch Das Inselreich (1936) über “Gesetz und Größe der britischen Macht” zu Shakespeare als Person wenig ein; er hat ihm und seinem Werk nur wenige, ziemlich unbefriedigende Seiten gewidmet. Der gewaltige, gewitterumlohte Strom der britannischen Geschichte , wie er sich im Werk des Dichters spiegelt, mündet in Schneiders Darstellung in eine zeitlose ländliche Idylle, die Shakespeare-Prosperos Heimat und Zuflucht ist:
Am Ende ist alles Traum; die auf der Bühne Handelnden werden zu Geistern, die in der Luft zerschmelzen; die kleine Wirklichkeit des Lebens ist umlagert von Schlaf. Das Land öffnet sich wieder, die Stadt ist nichts; über allen Schlachtfeldern grünt der Rasen, und der Fluß, an dem die Angler sitzen, zieht gelassen an ihnen vorüber. (…) Das Gleichgültigste, ein schöner Tag, das Feld, das Haus, der Ertrag der Äcker, die Wünsche der Bürger von Stratford, gewinnt Bedeutung; das Große verliert sie. Traum ist auch das Werk gewesen, es lohnt sich nicht, es zu überliefern, hier wo das Schlechteste herrscht und eine Weile dauert; alle Gestalt zerrinnt.
Schneider baut hier eine poetisierende “Brücke” zwischen der Fülle des Werkes und der scheinbaren Leere der Persönlichkeit des Dichters, löst den Widerspruch auf in einer brahmanisch-hamletischen Beschwörung der Vanitas alles Irdischen (inklusive der Dichtkunst, was nicht so recht zum Verfasser der geheimnisvollen Sonette paßt). Der Mann namens “Shakespeare” war nur ein flüchtiger Schatten – aber, so insinuiert der Melancholiker Schneider, sind wir das nicht alle, mitsamt unseren Werken?
Eine systematische, kritische Erforschung der Biographie Shakespeares begann erst rund zweihundert Jahre nach seinem Tod, parallel zu seiner Glorifizierung als bedeutendster Nationaldichter des britischen Imperiums. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts war Stratford zum Mekka des Shakespeare-Kults und zum Zentrum eines regen Devotionalienhandels geworden. Ein Schelm namens William Ireland verdiente sich eine goldene Nase mit waghalsigen Fälschungen von angeblichen Briefen und Dokumenten Shakespeares, bis hin zu “verschollenen” Stücken, die er “entdeckt” haben wollte.
Die tatsächliche Ausbeute der Spurensuche nach Dokumenten aus “Shakespeares” Leben, die weit ins 20. Jahrhundert andauerte, blieb allerdings frustrierend mager. 1962 schrieb der englische Historiker Hugh Trevor-Roper (der sich später als Gutachter der “Hitler-Tagebücher” blamieren sollte):
Von allen unsterblichen Genies der Literatur ist keines persönlich so ungreifbar wie William Shakespeare. Das ist ärgerlich und fast unglaublich. Immerhin lebte er in der Blütezeit der englischen Renaissance, in der gut dokumentierten Regierungszeit von Königin Elisabeth und König Jakob I. Er schrieb fünfunddreißig Theaterstücke und 150 sehr persönliche Sonette. Er war mit einigen der bekanntesten Persönlichkeiten des bedeutendsten Hofes der englischen Geschichte verbunden. Seit seinem Tod war er Gegenstand der umfangreichsten organisierten Forschungsoffensive, die je auf eine einzelne Person gerichtet war, vor allem im letzten Jahrhundert. Und doch ist der größte aller Engländer trotz dieser gewaltigen Erkundungen ein Rätsel geblieben, in dem Maß, daß auch heute noch sogar seine Identität angezweifelt werden kann.
Man konnte trotz aller Bemühungen nur sehr wenige Fakten nachweisen: William Shaksperes Taufe, seine Verehelichung und die Taufe seiner Kinder etwa, deren eines den Namen “Hamnet” trug und im Alter von elf Jahren verstarb. Dokumente über diverse Gerichtsverhandlungen, in die er involviert war, offenbaren einen peinlich kleinkarierten Charakter. Man weiß nichts über seine Lektüren und seine Schul- oder gar Universitätsbildung; man hat nicht einmal einen handfesten Beweis, ob er überhaupt schreiben und/oder lesen konnte (sowohl sein Vater als auch seine Kinder konnten es nachweislich nicht). Die gängige Behauptung, daß er die “grammar school” von Stratford besucht hat, ist reine Spekulation.
Der Autor des Shakespeare’schen Werkes jedoch muß nach allem Ermessen enorme Kenntnisse auf einer Vielzahl von Gebieten besessen haben: Seien es die Gepflogenheiten und Intrigen des königlichen Hofes, Latein, Griechisch, Französisch und Italienisch, die Klassiker der Antike (insbesondere Ovid) und die Bibel, sowie Geschichte, Rechtswissenschaft, Philosophie, Medizin, Falknerei, Navigation, Musik, militärische Taktik, Gärtnerei oder Heraldik. Sein detailiertes geographisches und kulturelles Wissen über Italien deutet darauf hin, daß sich der Autor dort längere Zeit aufgehalten haben muß.
Nichts dergleichen ist uns von Shakspere aus Stratford bekannt. In den 1590er Jahren ist sein Aufenthalt in London nachweisbar, 1595 taucht er auf einem Gehaltszettel der Theatertruppe “Lord Chamberlain’s Men” auf, für die er offenbar als Schauspieler tätig war. Um 1611 soll er sich nach Konsens der Historiker in seine Heimatstadt Stratford zurückgezogen haben.
An den vorhandenen Dokumenten sticht sofort die Tatsache ins Auge, daß nichts, aber auch gar nichts darauf hindeutet, daß William Shakspere, angeblich identisch mit dem größten Dichter der englischen Sprache, irgendetwas mit Literatur, Kunst und Dichtung am Hut hatte. Kein Manuskript und kein Brief aus seiner Hand ist überliefert. Die krakeligen, ungelenken sechs Unterschriften, die als authentisch gelten, sind inkonsistent und stammen vermutlich nicht alle von derselben Person (und keine davon buchstabiert den Namen, wie er in den originalen “Quartos” buchstabiert wurde: eben “Shakespeare” oder “Shake-Speare”).
Shaksperes Testament, geschrieben von einer anderen Hand, als jener, von der die Unterschriften stammen, ist in einer hölzernen, unpersönlichen Sprache verfaßt. Unter den Hinterlassenschaften, die in diesem Dokument angeführt werden, finden sich keine Musikinstrumente, keine Bücher (damals ein teurer, wertvoller Besitz) und keine Manuskripte. Berüchtigt ist Shaksperes schnöde Anweisung, seiner Frau sein “zweitbestes Bett” zu hinterlassen. Das Epitaph auf seinem Grabstein ist ein banaler, konventioneller Vierzeiler.
Besonders verdächtig ist die Manipulation von Shaksperes Grabdenkmal (offenbar das “Stratford moniment”, von dem im ersten Folio die Rede ist), die im 18. oder 19. Jahrhundert vorgenommen wurde: der Büste eines eher dümmlich, behäbig-spießbürgerlich aussehenden Mannes, der dem Droeshout-Portrait nur entfernt ähnelt, wurden nachträglich Feder und Papier in klobige Pfoten gedrückt, die ursprünglich einen Getreide- oder Wollsack (!) umfaßten. Der Vergleich mit Darstellungen aus dem 17. Jahrhundert läßt außerdem vermuten, daß die komplette Büste ersetzt worden ist.
In dieser britischen TV-Dokumentation von 1989 sieht man keinen Geringeren als Enoch Powell, berühmt-berüchtigt für seine “Rivers of Blood”-Rede, wie er kopfschüttelnd vor dem Denkmal mit seiner kryptischen Inschrift steht und sein Urteil fällt:
Somebody fixed it. And to me, in its wording, in its aspect, in everything about it, that is a fix. It is a fix that is arranged to go with the first folio. The one spoof goes with the other spoof, and it is all part of the spoof of William Shakespeare. It’s shocking, isn’t it? It’s absolutely shocking. Somebody took it into the workshop and said, ‘Here, this is what it should look like.’ It absolutely stinks.
Jemand hat es “zurechtgemacht”. Die Wortwahl, das Aussehen, alles deutet für mich darauf hin, daß es sich hier um ein Arrangement handelt, um dem ersten Folio zu entsprechen. Ein Schwindel folgt auf den anderen Schwindel, und alles ist Teil des Schwindels namens William Shakespeare. Es ist schockierend, nicht wahr? Irgendjemand hat es in die Werkstatt gebracht und gesagt: “Hier, so soll es aussehen.” Es stinkt zum Himmel.
Frage an Powell: “Sie glauben nicht, daß das Gesicht eines Menschen ist, der Sonette schreibt?” Antwort:
Ich glaube nicht, daß das überhaupt das Gesicht eines Menschen ist! Ich glaube, es ist das Gesicht eines Anonymus. Von jemandem, der kein Mensch ist, sondern eine Maske, die jemand erfunden hat, um eine Identität zu verbergen. Pfui! Ich kann es nicht ertragen!
Es existieren keine Dokumente, die belegen, daß William Shaksperes Tod im Jahr 1616 von irgendeinem seiner Dichterkollegen in London beklagt oder auch nur wahrgenommen wurde; auch zu Lebzeiten hat er in der Stadt seiner großen künstlerischen Triumphe kaum Spuren hinterlassen.
Nimmt man hingegen an, daß sich hinter “Shakespeare” Edward de Vere verbirgt, fügen sich die losen Puzzleteile wie auf magische Weise ineinander und ergeben ein schlüssiges Bild. Viele Rätsel scheinen gelöst, aber neue, noch größere, tauchen auf.
Mehr darüber im nächsten Teil.
Der_Juergen
Zu erwähnen ist hier eine These, die von dem (mittlerweile verstorbenen) sizialianischen Autor Martino Iuvara vertreten wird, nämlich dass Shakespeare gar kein Engländer, sondern gebürtiger Italiener gewesen sei. Das klingt verrückt, ich weiss, doch wer Iuvaras
Shakespeare era italiano
gelesen hat, wird den Autor nicht als Irren abtun. Er führt eine Vielzahl von Argumenten ins Feld, denen freilich starke Gegenargumente entgegenstehen. Für mich ist es nicht vorstellbar, dass jemand, der Englisch erst als Erwachsener gelernt hat, diese Sprache später dermassen virtuos beherrscht haben könnte. Allerdings: Houston Stewart Chamberlain hat Deutsch, Joseph Conrad hat Englisch erst als Jüngling gelernt, und beide haben die jeweiligen Sprachen mit seltener Vollkommenheit gemeistert.
Iuvaras Schrift ist zwar auf Deutsch übersetzt, wird aber in naher Zukunft nicht erscheinen. Da ich den künftigen Verleger kenne, könnte ich ernsthaft Interessierten vielleicht ein Exemplar des italienischen Originals zukommen lassen.
Hier ein Wikipedia-Artikel zum Thema, der die Frage allerdings nur oberflächlich behandelt.
Crollalanza theory of Shakespeare authorship - Wikipedia