Selbstbemitleidung, Hoffnung, Kulturschwelle

"Endlich Gedanken, die Durchbrüche wagen, die die ausgetreten und abgehalfterten rechten Selbstbemitleidungen verlassen und wirklich konstruktiv sind.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Hier liegt der Pfad, das ande­re sind Holz­we­ge. Da wur­de mal gewirt­schaf­tet, aber sie endeten…”.

Das schrieb jemand, der den Brief­wech­sel Volks­tod – Volks­auf­er­ste­hung von Mar­tin Bark­hoff und Caro­li­ne Som­mer­feld las, und es sei hier zitiert, weil es ein har­ter Vor­wurf ist. Selbst­be­mit­lei­dung? Eher die Nei­gung, sich nichts vor­zu­ma­chen, oder?

– – –

Ich las über die frei­en Tage unter ande­rem den neu­en Roman von Dave Eggers, und zwar nicht vor allem als ein Stück Lite­ra­tur, son­dern als jemand, der Pro­sa schätzt, die in unser Leben und das, was kom­men könn­te, auf fein­sin­ni­ge, fein­füh­li­ge Wei­se vorspürt.

Eggers hat mit Every sei­nen Welt­best­sel­ler Der Cir­cle fort­ge­schrie­ben: Every knüpft an, und wenn schon im ers­ten Teil für Hoff­nung wenig Platz war, jemand möge die Brem­se fin­den und tre­ten, so wird sie im zwei­ten Teil pul­ve­ri­siert und vom Tisch gepustet.

Reka­pi­tu­lie­ren wir: Der “Cir­cle” ist ein Unter­neh­men, das einen Zusam­men­schluß von Face­book, Twit­ter, Goog­le, Insta­gram, You­tube für nahe­lie­gend und sogar zwangs­läu­fig hält und ihn voll­zieht. Jeder Mensch, der sich in die betreu­en­de Obhut die­ses digi­ta­len Mega­kon­zerns begibt, wird mit einem hür­de­lo­sen, smar­ten Leben belohnt.

Mit einer ein­zi­gen Kenn­zif­fer und dem dazu­ge­hö­ri­gen Paß­wort wer­den Kran­ken­ver­si­che­rung, Kon­to­ver­wal­tung, Behör­den­gän­ge, Ein­kauf, All­tags­or­ga­ni­sa­ti­on, Sicher­heit und vie­le ande­re Berei­che ver­wal­tet, gesteu­ert, opti­miert und über­wacht. Das Unter­neh­men kann dies effek­ti­ver und schnel­ler als jede Behör­de. Es tritt damit in Kon­kur­renz zu staat­li­chen Stel­len, die allein schon aus sys­te­mi­schen Grün­den der Ent­wick­lung am Markt hin­ter­her­hin­ken müssen.

Die Gefahr der Selbst­aus­lie­fe­rung an eine Fir­ma wird von die­ser Daten­kra­ke nicht als Gefahr, son­dern mit ganz ande­ren Wor­ten als vor­bild­li­ches Ver­hal­ten ange­prie­sen. Pio­nie­re der Ent­wick­lung bewei­sen an sich selbst, daß zur Quan­ti­fi­zie­rung und Algo­rith­mi­sie­rung aller Lebens­ent­schei­dun­gen völ­li­ge Trans­pa­renz gehö­re: ein unun­ter­bro­che­nes Online-Sein, ein glä­ser­ner Lebens­voll­zug, der uns ein­an­der bere­chen­bar machen und den Zufall, das Jähe, das Unheim­li­che, das Unkal­ku­lier­ba­re zum Ver­schwin­den brin­gen könn­te – eine Ent­wick­lung, für die eine in Ame­ri­ka weit­ver­brei­te­te Mischung aus Puri­ta­nis­mus, Zukunfts­gläu­big­keit, Staats­skep­sis und Stre­ber­tum der idea­le Nähr­bo­den ist.

Von ganz allein stellt sich dabei die alles beden­ken­de, groß­zü­gig her­ein­ho­len­de Flos­kel ein, dies alles gesche­he auch zum Woh­le der­je­ni­gen, die dar­in kei­nen Vor­teil sehen woll­ten, son­dern auf einem ana­lo­gen Leben beharrten.

Es kam in Der Cir­cle zu erzwun­ge­ner Trans­pa­renz, die wie­der­um in einer Kata­stro­phe ende­te, als ein Wider­borst live von Mil­lio­nen Smart­phone- und Kame­ra­jä­gern auf­ge­stö­bert und in den Tod getrie­ben wur­de. Wenn an die­ser Stel­le der Roman eine Fer­ma­te setzt, eine kur­ze Selbst­in­fra­ge­stel­lung der Prot­ago­nis­tin, die als Aus­hän­ge­schild des “Cir­cle” die Jagd mode­rier­te und nun ihren ehe­ma­li­gen Freund auf dem Gewis­sen hat, dann ist die­ses Inne­hal­ten tat­säch­lich nicht mehr als ein Rest­an­stand, der nichts von dem auf­hal­ten, ver­hin­dern, stop­pen wird, was im Sys­tem ange­legt ist und ablau­fen soll.

Der Kreis schließt sich, als das Unter­neh­men den noch feh­len­den Bau­stein zur Rea­li­sie­rung einer lücken­lo­sen Ver­wer­tungs­ket­te auf­kauft, der “Cir­cle” wird – die­se Ana­lo­gie liegt ver­zeih­lich nahe, oder? – zum Ring, sie zu knech­ten, sie alle zu binden.

Bloß: Eigent­lich kei­ner von denen, die sich frei­wil­lig (wirk­lich frei­wil­lig –  oder ist da ein Sog, eine neue Form des Zwangs?) unter­wer­fen, spricht in Der Cir­cle von Knecht­schaft und Fes­sel. Alle­samt gehen sie davon aus, daß das, wor­an sie als “Pio­nie­re” arbei­ten, unum­gäng­lich sei, also zwangs­läu­fig irgend­wo auf der Welt ange­gan­gen und umge­setzt wer­de. Weil dies alles unaus­weich­lich kom­me, stel­le sich die Fra­ge, ob es nicht bes­ser sei, man set­ze sich an die Spit­ze der Bewe­gung und steue­re sie, tref­fe Rich­tungs­ent­schei­dun­gen und ver­hin­de­re mit den hohen ethi­schen Stan­dards, die inner­halb der sen­si­blen (sagen wir: woken) Com­mu­ni­ty par­al­lel zur Tech­nik sich ent­wi­ckel­ten, den Miß­brauch eben die­ser Tech­nik durch böse Men­schen (Kapi­ta­lis­ten, Nord­ko­rea­ner, Nazis).

Ende der Rekapitulation.

– – –

Nach­drück­li­che Ver­füh­rung, per­fek­te Mani­pu­la­ti­on, sanf­ter Zwang, frei­wil­li­ge Abhän­gig­keit: Dave Eggers greift die­se Grund­tö­ne in Every auf und treibt sie ins Schril­le. Die Hand­lung setzt ein paar Jah­re spä­ter ein, die Ent­wick­lung ist fort­ge­schrit­ten. Der “Cir­cle” hat sich in “Every” umbe­nannt, die Ever­yo­nes leben auf dem Fir­men­cam­pus in einer eige­nen Welt. Der Kon­zern hat “Dsch­ungle” (Ama­zon) auf­ge­kauft und ist in den gelenk­ten Kon­sum eingestiegen.

Eine jun­ge Frau, Delaney, hat eine für ihre Gene­ra­ti­on typi­sche digi­ta­le Jugend hin­ter sich. Sie hat ihre völ­li­ge Abhän­gig­keit von Dau­er­erreich­bar­keit und Dop­pel-Ich mit­tels social media nur mit­hil­fe ihrer boden­stän­di­gen Eltern und einer radi­ka­len Online-Hygie­ne rela­tiv unbe­scha­det über­win­den kön­nen. Unbe­scha­det bedeu­tet: Nach Jah­ren der Abhän­gig­keit bis zur Apa­thie ist sie nun wie­der frei von der Sucht, betei­ligt zu sein und frei vom Anspruch, den das gelenk­te Ver­hal­ten an den­je­ni­gen stellt, der in den Opti­mie­rungs­teu­fels­kreis einsteigt.

Und mehr: Delaney will die Pest besie­gen, an der sie bei­na­he ver­en­de­te. Sie wird auf den knapp sechs­hun­dert Sei­ten des Romans ver­su­chen, “Every” mit­tels Akze­le­ra­ti­on zu zer­stö­ren, also: von Innen her­aus, mit dem Mit­tel der Über­trei­bung und der Umset­zung von Wahn­wit­zig­kei­ten, die – so stellt Delaney sich das vor – vom Stand­punkt einer kon­zern­in­ter­nen Logik der nächs­te, sinn­vol­le Schritt sein mögen, der schwei­gen­den Mehr­heit der Nut­zer hin­ge­gen die Augen öff­nen und sie zur Ver­wei­ge­rung brin­gen sol­len, nein: müssen.

Ihr Ver­bün­de­ter ist ein Nerd, ein Pro­gram­mier-As. Er ist genau wie sie in einer Rest-Ana­lo­gie zuhau­se. Er ist schein­bar unkor­rum­pier­bar – letzt­lich aber doch. Zuvor ent­wi­ckelt er zusam­men mit Delaney App-Ideen, von denen bei­de anneh­men, daß sie jedes Maß spren­gen und das Per­ver­se an Every auf­de­cken wer­den: Über­wa­chung, sozia­le Ver­nich­tung von Abweich­lern, Bere­chen­bar­keit von Ehr­lich­keit, Sym­pa­thie, Lebens­er­war­tung, kli­ma­ti­schem Fuß­ab­druck, immer alles für alle ein­seh­bar, glä­sern, transparent.

Steht man gut da? Muß man noch erzo­gen wer­den, in die rich­ti­ge Rich­tung gestupst, zur Bes­se­rung ange­hal­ten? Akzep­tiert man etwa noch immer nicht die Lebens­an­lei­tung durch einen Mega-Kon­zern, der Gewin­ne abschöpft, die höher sind als der Jah­res­haus­halt gan­zer Staaten?

Der Roman hat Län­gen, ent­hält vor allem aber groß­ar­ti­ge, weil visio­nä­re Pas­sa­gen. Wie­so soll­te es so nicht kom­men, und: Ist es nicht längst soweit, noch kei­mend zwar, aber als Saat längst so im Boden, daß sie auf­ge­hen wird?

Die akze­le­ra­tio­nis­ti­sche Metho­de – ein Trug­schluß: Was sie in der Theo­rie bewir­ken soll­te, ist in der Rea­li­tät des Romans eine Ver­ken­nung der Lage, vor allem der Natur der Men­schen. Delaneys Geschos­se pral­len an “Every” nicht ab wie ein Ball an einer Mau­er, es kommt viel schlim­mer: Jede aber­wit­zi­ge Idee wirkt als Beschleu­ni­ger von etwas, für des­sen Umset­zung sowohl im Kon­zern selbst als auch bei den Nut­zern die Bereit­schafts längst vor­han­den ist.

Die gan­ze Zeit haben wir gedacht, wir könn­ten es in den Abgrund steu­ern. Dass irgend­ei­ne App zu weit gehen wür­de, zu zer­stö­re­risch und inhu­man wäre. Aber du und ich wis­sen bei­de, dass das nicht pas­sie­ren wird. Es gibt kei­nen Abgrund.

Das sagt Delaneys Ver­bün­de­ter, der Pro­gram­mie­rer Wes, als er selbst längst für “Every” arbei­tet und von Delaney zur Rede gestellt wird, weil sie sei­ne Abtrün­nig­keit ahnt. Das Gespräch, das einen der Kip­punk­te des Romans bil­det, endet mit einer Recht­fer­ti­gung fürs Mitmachen:

Es gibt nur ein Unter­neh­men auf der Welt, das wirk­lich genug Macht hat, den kata­stro­pha­len Kli­ma­wan­del zu stop­pen. … Wenn Every ver­schwin­det, wird es ein Macht­va­ku­um geben und damit bloß eine neue Art von Chaos.

Das ist der Kern von Every: Die Akze­le­ra­ti­on, die Zer­stö­rung durch Über­trei­bung miß­lingt, weil die über­wäl­ti­gen­de Mehr­heit der Nut­zer all die­ser neu­en Apps und Diens­te dar­an nichts über­trie­ben fin­det, son­dern der Selbst- und Fremd­kon­trol­le in einer Mischung aus Neu­gier, sozia­lem Druck, Gut­gläu­big­keit, Stre­ber­tum und Bequem­lich­keit zu fol­gen versucht.

Noch die irrs­te, die aber­wit­zigs­te Idee wird mit Ver­wei­sen aufs Kin­des­wohl, auf die Prä­ven­ti­on vor furcht­ba­ren Fol­gen, auf den Schutz die­ser oder jener im Ana­lo­gen, also in der All­tags­un­sicht­bar­keit schutz­lo­sen Opfer­grup­pe ver­kauft – immer ein biß­chen zurecht übri­gens, bloß sind die Mit­tel unver­hält­nis­mä­ßig. Oder doch nicht?

Macht mit, und die Welt wird bes­ser, jeden Tag ein biß­chen, ein biß­chen smar­ter, ein biß­chen frei­er vom schlim­men Schick­sal hin­ter blin­den Schei­ben: Sind sol­che Bot­schaf­ten der Grund für die brei­te Akzep­tanz der in Every auf die Spit­ze getrie­be­nen Selbst- und Fremdüberwachung?

Eher, und das ist das gru­se­lig Pro­gnos­ti­sche an die­sem Roman, geht es den Nut­zern (den Men­schen!) um Ein­deu­tig­keit und Ori­en­tie­rung, um ein kla­res “Rich­tig” und ein eben­so kla­res “Falsch”, um neue Ver­bind­lich­kei­ten, um Lebens­räu­me ohne Wahl­mög­lich­keit, um eine Vor-Ord­nung, auf die man die je eige­ne, klei­ne Indi­vi­dua­li­tät auf­sat­teln könn­te – als Mini­mal­ab­wei­chung sozusagen.

Mes, der Pro­gram­mie­rer, macht also mit, redet es sich schön, glaubt sei­nem eige­nen Gere­de, ist von sich selbst beein­druckt, ist von sei­ner Betei­li­gung an der For­mie­rung der User-Mas­se berauscht. Nach Mes ver­liert Delaney ihre Eltern an den Kon­zern, dann ihre Pro­fes­so­rin, aus deren wider­stän­di­gen Schrif­ten sie Recht­fer­ti­gung für ihre Zer­stö­rungs­ab­sicht schöpfte.

Die Pro­fes­so­rin! Nun erklärt sie den glo­ba­len Auf­trag, mahnt emp­find­sa­me Kon­zern­len­kung an und hebt den Zei­ge­fin­ger, wenn ihr eine neue App zu zynisch vor­kommt. Ist die Kri­tik damit ein­ge­preist oder ist sie immer noch Kri­tik? Wo beginnt die Kor­rum­pie­rung? Dort, wo uns unse­re Such­ver­läu­fe ziem­lich treff­si­che­re Ange­bo­te auf den Bild­schirm zu len­ken begin­nen? Wo wir, wenn wir hun­dert Bücher ange­klickt haben, tat­säch­lich nahe­lie­gen­de Lek­tü­ren vor­ge­schla­gen bekom­men, so, als hät­te ein begab­ter Buch­händ­ler ein Regal zusammengestellt?

Die­se Cross-Sel­ling-Tricks: Das ist ja gera­de­zu rüh­rend alt­ba­cken im Ver­gleich zu dem, was bevorsteht.

In Every kön­nen Eltern sich zuschal­ten, um die Qua­li­tät des Unter­richts und die Beno­tung ihrer Kin­der “mit­zu­er­le­ben”: Wer sich nicht dar­an betei­ligt, gilt als aso­zi­al und eigent­lich als Fall für das Jugend­amt. Der Trans­pa­renz­druck mün­det in einen Anti­zi­pa­ti­ons­druck: War­um müs­sen wir noch immer hin­neh­men, daß etwas schief­geht, daß also Miß­brauch und Ver­bre­chen, Ver­wahr­lo­sung und Affekt über­haupt noch vor­kom­men? Las­sen sich nicht aus den Mil­lio­nen Pro­fi­len und Mil­li­ar­den Inter­ak­tio­nen Mus­ter able­sen, wer ver­mut­lich kri­mi­nell wer­den wird? Sol­len wir, dür­fen wir sol­che Chan­cen ver­strei­chen las­sen, bloß weil es ethi­sche Beden­ken gibt, die Büch­se der Pan­do­ra Mil­li­me­ter für Mil­li­me­ter zu öff­nen? Oder ist das gar nicht die Büch­se der Pandora?

– – –

Der Fol­lower, der Fol­ger, der Folg­sa­me: Der Kern der Sache ist nicht die Gefahr der Pro­pa­gan­da, die den Men­schen zu etwas über­re­det, mit immer fei­ne­ren Metho­den zu etwas bringt, was er womög­lich gar nicht wol­len kann. Es ist in Wirk­lich­keit noch viel schlim­mer, denn es ist wohl so, wie es Delaney gegen Ende des Romans im Gespräch mit der Fir­men­che­fin Mae Hol­land formuliert:

Wir haben bis jetzt drei Gene­ra­tio­nen, für die es den größ­ten Stress m Leben bedeu­tet, Ent­schei­dun­gen zu tref­fen. Und ich bin über­zeugt, dass die Leu­te das ein­fach nicht wol­len. Nicht, dass sie weni­ger Ent­schei­dun­gen tref­fen wol­len, sie wol­len prak­tisch kei­ne Ent­schei­dun­gen treffen.

Erin­nert sich noch jemand an die selt­sa­men Pla­ka­te, die in den Anfän­gen der Bewe­gung Fri­days for Future und ihrem akti­vis­tisch-mili­tan­ten Able­ger Extinc­tion Rebel­li­on im Demons­tra­ti­ons­zug mit­ge­tra­gen wur­den? “Ver­bie­tet uns end­lich etwas”, lau­te­te die Bot­schaft. Ich schrieb damals in einem Kommentar:

Wer nach Ver­bo­ten für sich selbst ruft, gesteht eine fun­da­men­ta­le Schwä­che ein. Selbst­be­schrän­kung und Selbst­ver­pflich­tung haben kei­ne aus­rei­chen­de Wirk­kraft mehr. ‘Ver­bie­tet uns end­lich etwas’ ist der Ruf infan­ti­ler Erwach­se­ner, die sich selbst nichts zutrau­en. “Ver­bie­tet uns end­lich etwas” heißt: Wir kön­nen es uns nicht selbst ver­bie­ten, wir schaf­fen das nicht, aber wir ahnen, was uns ver­bo­ten wer­den soll­te, und wir wer­den gehor­sam zu sein ver­su­chen, wenn es end­lich dazu kommt. Das heißt auch: Laßt uns nicht mit uns allein. Oder: Nehmt uns wie­der an die Hand. Ent­fernt den Streß aus unse­rem Leben.

In Every wird die­ses An-die-Hand-Neh­men auf die für sol­che Vor­gän­ge typisch smar­te Art zur Paro­le “Du hast es selbst in der Hand, und wir schau­en dir dabei zu” umge­baut. Der Vor­schlag, den Delaney der Fir­men­che­fin in einem letz­ten Vor­stoß anzu­dre­hen ver­sucht (ohne zu begrei­fen, daß es sich längst nicht mehr um ein Andre­hen han­delt), erin­nert an das Social Cre­dit Sys­tem, das in chi­ne­si­schen Regio­nen als Feld­ver­such längst läuft.

Es geht dabei um die Zusam­men­fas­sung aller Lebens­äu­ße­run­gen in einer ein­zi­gen Zahl, die anzei­gen wird, wel­chen Stand des Wohl­ver­hal­tens, des von einer hybri­den Com­mu­ni­ty fest­ge­leg­ten Ran­kings man ein­nimmt. Es geht um die unaus­ge­setz­te Selbst­op­ti­mie­rung von Men­schen, deren gesell­schaft­li­ches Wohl- und Miß­ver­hal­ten sich in Punk­te­gut­schrif­ten und ‑abzü­gen ausdrückt.

Mit einer Zahl weißt du immer, wo du stehst. Wenn du eine unnö­ti­ge Rei­se auf die Sey­chel­len machst, fällst du um zwan­zig Punk­te. Eben­so wenn du rauchst, dich rück­sichts­los ver­hältst, unhöf­lich bist, irgend­wo hin­schaust, wo du nicht hin­schau­en sollst – das wird alles ein­ge­rech­net. … Wenn du bei 688 bist und 750 errei­chen willst, sind die Schrit­te klar. Kor­rek­tes Kauf- und Zah­lungs­ver­hal­ten, unauf­fäl­li­ges Bewe­gungs­mus­ter, gesell­schaft­li­ches Engagement.

Social Engi­nee­ring durch Trans­pa­renz, Kon­kur­renz und Netz­werk­scham, vor allem aber auf­grund frei­wil­li­gen Mit­ma­chens oder mei­net­hal­ben extrem ele­gan­ter Kon­di­tio­nie­rung: Ver­mut­lich ist es genau das, was bekommt, wer nach Ver­bo­ten ruft oder sie zumin­dest in immer mehr Berei­chen akzep­tiert, weil er die Ret­tung vor weiß Gott was als eine Gesell­schafts­auf­ga­be begreift, die Unter­ord­nung verlange.

Und damit hat man sie, die vie­len, deren Zahl allein schon Fre­vel ist: gutes Gewis­sen, Gehor­sam, ver­ant­wor­tungs­be­wuß­te Gemein­schaft, über­wach­te Gren­zen­lo­sig­keit, for­mier­te Indi­vi­dua­li­tät, Erfül­lungs­be­reit­schaft – und fürs demo­kra­ti­sche Herz noch ein wenig Pro­test, der aufs Poli­ti­sche zielt, wäh­rend mei­len­weit, uner­reich­bar weit ent­fernt die Anwen­dun­gen hochfahren.

Es ist, als hät­ten die Gesell­schafts­klemp­ner unse­rer Zeit einen Schlüs­sel in der Hand, an dem schon immer die­je­ni­gen feil­ten, die Türen zum beherrsch­ba­ren Wesens­kern des Men­schen öff­nen woll­ten. Es zeich­net sich ab, daß die­ser Schlüs­sel die Türen dies­mal ganz unbe­merkt auf­schlie­ßen könn­te, laut­los, so, als hät­ten sie immer schon offengestanden…

Abge­half­ter­te, rech­te Selbst­be­mit­lei­dung? Nein, nein: Bloß muß der geis­ti­ge Kampf schon wis­sen, womit er es zu tun kriegt. Manch­mal scheint es näm­lich, als hät­ten die Leser nicht gründ­lich gele­sen oder, wenn doch, zu rasch wie­der aus­ge­blen­det, was den Hoff­nungs­schim­mer ver­de­cken könn­te. Unser­eins will wis­sen: Schim­mert da wirk­lich etwas? Bücher wie Every schär­fen die Wahr­neh­mung, mindestens.

– – –

Dave Eggers: Everyhier bestel­len.

Dave Eggers: Der Cir­clehier bestel­len.

Barkhoff/Sommerfeld: Volks­tod – Volks­auf­er­ste­hunghier bestel­len.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (55)

Heinrich Loewe

4. Januar 2022 21:28

Fehlt nur noch die conclusio: „Nur eine staatliche Verfaßtheit, die radikal von der Freiheit des mit gottgegebenen Rechten ausgestatteten Einzelnen ausgeht und daraus die Ordnung des Gemeinwesens ableitet - also Amerika- wir einer derartigen Über-Machtung widerstehen können.“ Das würde ich zu gerne von Kubitschek hören…

Scherz beiseite. Sie greifen mit diesen Romanen den wichtigsten Themenkreis der Gegenwart und Zukunft auf, der jedoch im Rauschen der Tagespolitik untergeht und weithin unter dem Radar läuft: Die Konvergenz von Big Data, KI, advanced chipdesing, robotics, Gen-editing, Cyborg zum (Wende-)Punkt der Singularität, nach welchem nichts mehr wie vorher, die Welt eine ander ist.

Die Konsequenzen lassen einen zu Tode bis in die letzte Faser erschrecken.

Und ja: Für die Kinder und Enkel wird das völlig normal sein. So gleitet die Welt in die ultimative Knechtschaft. Jedoch: Für unvorhersehbare Wendungen ist die göttliche Vorsehung immer gut…

Wer will kann sich hier mal einen Überblick verschaffen: https://youtu.be/63yr9dlI0cU

Oder hier ein gutes Blog: joebot.xyz Joe Allen immer mit einer angemessenen Portion Sarkasmus.

Franz Bettinger

5. Januar 2022 01:09

@Heinrich Loewe: Der von Ihnen verlinkte Video-Beitrag, der das Kommen und die Vorteile von Artifical Intelligence anpreist, ist und bleibt Science Fiction. AI wird nicht funktionieren, es sei denn man verwässert die AI-Definition auf Google-Niveau. AI gehört in die große Bluff-Kiste des Tiefen Staates (zusammen mit Biowaffen...), mit der Widerstand und Ekel gegen die NWO und das Neue Normal gebrochen werden soll. Big Brother will eben big und jeder Widerstand gegen ihn soll aussichtslos erscheinen. Das ist Psychological Warfare. Diese Art Krieg kann, wird ihm nicht mit gleichen psychologischen Mitteln begegnet, ebenso in den Untergang führen wie einer mit Kanonen. Ich kann nur immer wieder mahnen: Vertraut den eigenen 5 Sinnen, nicht dem angebl. Versteckten, sondern dem Offensichtlichen. An ihren Taten sollt ihr sie erkennen, nicht an ihren (verlogenen) Bildern und Ideen.

Franz Bettinger

5. Januar 2022 01:34

Völlige Transparenz, der gläserne Mensch. Das war vor Kurzem noch: das Schreckgespenst aller Linken und Grünen. Und heute? Ist denen alles recht for the greater good (um des größeren Guten willen). Wer von den Links Gestrichenen nicht zu den Profiteuren / Elitioten gehört, gehört zu den Eingelullten. Steht die geforderte und beworbene Transparenz nicht in krassestem Gegensatz zum Datenschutz, zur Selbstbestimmung, Selbstverwaltung und zum Eigentum der eigenen Daten?! Es ist die immer wiederkehrende satanische Taktik: das Gegenteil propagieren von dem, was man wirklich will. Big Pharma proklamiert: Wir wollen dich gesund machen statt wahrheitsgemäß (=wg): krank machen, um unsere Pillen verkaufen zu können. Wir wollen dich schützen statt wg: dass du dich uns auslieferst.  Wir wollen deine Daten schützen statt wg: an deine Daten heran, um sie auszubeuten und dich zu manipulieren und zu kontrollieren. Wozu braucht die NZZ für ein Abo mein Geburtsdatum? Es müsste doch reichen, wenn sie mein Geld kriegen. 

Andreas Walter

5. Januar 2022 02:18

Keine Sorge (Furcht).

“Lex III. Actioni contrariam semper et aequalem esse reactionem: sive corporum duorum actiones in se mutuo semper esse aequales et in partes contrarias dirigi.” Isaac Newton

Grundprinzipien lassen sich darum nicht aushebeln, auch nicht durch die Kontrollfreaks. Was wir "lediglich" trotzdem immer wieder alle erleben ist eine [zeit-)elastische Reaktion, die Ausschläge, Amplituden, eines sich selbst regulierenden Schwingkreises. Hochs und Tiefs, Sommer und Winter, Tag und Nacht, feminin und maskulin, Bonobos und Schimpansen, Krieg und Frieden, Sicherheit und Freiheit.

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/umfrage-menschen-in-deutschland-fuehlen-sich-durch-corona-massnahmen-zunehmend-ueberwacht/27944098.html?ticket=ST-14679295-6vb6fHJDFwBSW5gwJDtU-cas01.example.org

Eine deutsche Eiche weicht nicht? Nein, aber sie bricht. Oder bekommt zumindest einen Schmiss. Gelegentlich. Aussterben tut sie trotzdem nicht. Ebenso wenig wie der Bambus, der sich jedoch lieber beugt, biegt. Überlebensstrategien wie auch Wege zum Erfolg gibt es daher viele. Selbst Rückzug und Flucht können darum von Erfolg gekrönt sein - werden.

Gracchus

5. Januar 2022 06:51

I.

Ich verstehe nicht, was der erste Absatz mit dem Rest, der Eggers-Rezension, zu tun hat, vermute aber eine Absicht dahinter. Ich frage mich, wie man Selbstbemitleidung mit der Neigung verwechseln können sollte, sich nichts vorzumachen. Wer sich selbst bemitleidet, sieht sich als Opfer der Götter, der Gesellschaft, der "anderen" (die Hölle - das sind die anderen, so Sartre). Eigentlich eine unproduktive Haltung, eigentlich etwas, was in linken Kreisen gepflegt wird; aber immerhin haben Linke es geschafft, diese Haltung produktiv zu machen und daraus Kapital zu schlagen (wie Nietzsche zu Unrecht Paulus vorwarf, das Ressentiment produktiv gemacht zu haben). Da die liberale Gesellschaft von Opfern nichts wissen und Opfer nicht sehen will, ist sie auf diesem Weg erpressbar. 

Mit am Interessanten an dem Briefwechsel fand ich das Thema "Kälte/Wärme". Die moderne Gesellschaft ist kalt; ihre Leitmedien (Geld, Recht) sind kalte Medien; auch wenn die Massenmedien als Diskurserhitzer fungieren und kompensatorisch auf Emotionalisierung setzen, sind sie letztlich kalt. Die Rechte - siedelt sie nicht auch lieber am Kältepool? Mir fallen die Filme Melvilles ein. Bosselmann könnte sie mögen. Über einen schreibt Dominik Graf: "Wer Einsamkeit nicht erträgt, der hat keinen Platz im Melvilleschen Universum. Im Gegenteil. Die Memmen, die "Schafe", dir nach Liebe und Wärme blöken, haben es auch eigentlich nicht besser verdient." 

 

Gracchus

5. Januar 2022 07:14

II.

Sommerfeld/Barkhoff kommen zu dem Ergebnis, dass die herkömmlichen Wärmequellen, wie Familie, in modernen Gesellschaften wegfallen, mehr und mehr. Schon ein Gemeinplatz: das atomisierte Individuum, die "Fröste def Freiheit".  Übertüncht wird dieser Mangel ideologisch (dazu gehört auch die kulturelle Produktion). Jetzt der Bogen zur Eggers-Rezension: Wonach das atomisierte Inviduum tendentiell lechzt, ist eben nicht Freiheit - es ist ja frei-, gewissermaßen ausgesetzt (aber nicht auf den Bergen des Herzens) -, sondern die Geborgenheit einer Gemeinschaft. Daher ist es bereit (und vielfältig erpress- und manipulierbar dazu) zu tun, was ihm dieses Gemeinschaftsgefühl vermittelt (auch wenn diese Gemeinschaft rein imaginär bleibt, und es dies vielleicht sogar durchschaut). Wenn ich mir die Impfpropaganda vor Augen halte, wurde zwar mit Freiheit geworben, aber es war die Freiheit, wieder an der "Gemeinschaft" teilnehmen, deine Oma wieder umarmen, mit anderen feiern zu dürfen. Die Impfung wurde förmlich zum konstituierenden  Gemeinschaftsakt erhoben; wer ungeimpft, muss künftig draußen bleiben. 

Gracchus

5. Januar 2022 07:29

III.

Ich kann mir vorstellen, dass vielen der Gehorsam (gegenüber den Pandemieregeln) ein Wärmegefühl gibt - wie schön, ich gehöre dazu! - : "Gehorsam schafft Geborgenheit" (Max Goldt). Es hat sich auch deutlich gezeigt, dass viele - quasi existentialistisch auf sich zurückgeworfen und von der Komplexität des modernen Lebens überfordert - eben nicht frei, nicht eigenverantwortlich entscheiden, sondern möglichst harten Regeln folgen wollten. Mit der Mündigkeit scheint es also nicht so weit her. Offenbar hat man semantisch-ideologisch über seinen Verhältnissen gelebt. Ein erster Schritt wäre, sich dies bewusst zu machen - und zu rufen: Ja, wir wollen die Diktatur!

Franz Bettinger

5. Januar 2022 08:19

@Gracchus, Impfung als Initiations-Ritual? Bis zum Impf-Jahr 2021 fürchtete ich Impfungen generell nicht (außer als Initiation bzw. als Übung zu einer Gehorsamspflicht). Habe ja selbst früher Patienten mit klassischen Mitteln geimpft; ohne Angst, weil ich unser Immunsystem allen potentiellen Störenfrieden gegenüber für überlegen hielt. Auf SiN hatte ich etwa so argumentiert: ‚Mit der Impfung wird unser Körper aller historischer Erfahrung nach fertig. Sie ist wirkungslos, aber vermutlich unschädlich.‘ ff
Meine Einschätzung hat sich geändert. Mittlerweile glaube ich: Diese Impfung ist schädlich, sehr sogar.

Slentz

5. Januar 2022 08:55

"Unsereins will wissen: Schimmert da wirklich etwas?" Das ist die Frage, die sich ja immer wieder stellt. Ist das was man hier und dort sieht ein "Immerhin" oder längst der eingepreiste Nonkonformismus.

"Etwas zur Kenntlichkeit entstellen." - Das setzt voraus, dass es noch eine genügende Substanz im Menschen gibt, sodass ihm bewusst ist, wie dieses Etwas eigentlich sein und aussehen müsste. Bei wem diese Substanz fehlt, dem kann die Grenzübertretung, der Tabubruch, die Schikane nicht mehr kenntlich werde. Sie ist ihm innerlich längst logischer Schritt geworden.

drieu

5. Januar 2022 09:14

Vor einiger Zeit lief auf ARTE der Film "iHuman", der sich mit künstlicher Intelligenz und ihren Chancen und Risiken auseinandersetzte. Die darin zitierten Wissenschaftler machten kein Hel daraus, daß es bspw. möglich ist, die sexuelle Neigung oder die Wahrscheinlichkeit einer kriminellen Handlung mithilfe einer rechnerbasierten Physiognomik vorherzusagen. Man darf sich keine Illusionen machen, daß diese Dinge unterbleiben, denn der Mensch macht, was machbar ist.
Eins wird bei diesen Vorhersagen jedoch ausgeblendet und ist letztlich meine einzige Hoffnung: der immense Energiebedarf dieser Technik. Woher der Strom kommen soll, ist unklar. Einer der Forscher im Film träumt dann auch von einem vollkommen mit Solarzellen zugepflasterten Planeten...

Waldgaenger aus Schwaben

5. Januar 2022 09:40

Übersatt habe ich diese Dystopien. Ich warte immer noch auf die große, rechte Utopie. Oder gibt die schon?

Bei einigen Kommentatoren und Stammautoren (einer fängt mit B an und endet mit mann) kann ich erahnen, wie ihre Utopie aussähe. Das wäre für mich aber eine weitere Dystopie.

imwerk

5. Januar 2022 10:16

@ Waldgaenger aus Schwaben (!)

Für andere ist dieser Stammautor, der mit B anfängt und mit mann endet, einer der lesenswertesten Beiträger hier. Keine freundliche Unterhaltungslektüre, sicherlich. Kein Eso-Geschwurbel, Gott sei Dank. (Ostdeutscher) Realismus, keine Erweckungsgeläut.

Niekisch

5. Januar 2022 10:54

"Übersatt habe ich diese Dystopien. Ich warte immer noch auf die große, rechte Utopie. Oder gibt die schon?"

@ Waldgaenger aus Schwaben 9:40:

Das Ausweichen auf Dystopien, gegenwärtige Bedrohungen in die Zukuft weiterzumalen, ist Ausdruck der großen Angst, wegen mit utopischen Eigengewächsen in der Vergangenheit durchlebter oder damals bewältigter Bedrohungen heute in Haftung genommen zu werden, werden sie in den Schmelztiegel gegeben. 

Martin Sellner hat mir wohl deswegen gerade den Zutatenlöffel mit bloßen Fragen  2x aus der Hand geschlagen. Er mag übersehen haben, daß neue "rechte" Utopien durchaus auch Elemente alter Utopien enthalten können, ja in der jetzigen Lage sogar müssen, 

Die "große rechte Utopie" existiert, sie wird aber ganz offensichtlich für mit dem Konservativen nicht kompatibel erachtet.

Heinrich Loewe

5. Januar 2022 11:00

@Bettinger

Sicher, über die Definition von AI kann man streiten. Algorithmen haben kein Bewußtsein. Trotzdem läßt einem vieles von dem, was jetzt schon in der Pipeline ist -oder Realität- das Blut in den Adern gefrieren.

Die Chinesen haben AI jetzt schon in der „Strafverfolgung“: https://www.dailymail.co.uk/news/article-10346933/China-develops-AI-prosecutor-press-charges-97-accuracy.html

Neuralink will 2022 anfangen, Chips ins menschliche Gehirn zu implantieren; natürlich ganz altruistisch als Prothese bei neurologischen Schäden: https://observer.com/2021/12/neuralink-brain-chip-human-test-2022-elon-musk-interview/

Selbst die Türken haben im Militär jetzt schon AI-gesteuerte Drohnen-Schwärme, im Bergkarabach-Konflikt erstmals eingesetzt.

Der ganze Komplex ist, im Gegensatz zu Atom-, Bio- und Chemiewaffen global ohne jegliche Regulierung.

Was wir tun können ist, dieses Thema durch Verbreitung von Information überhaupt erstmal ins öffentliche Bewußtsein zu holen. Ich sehe im Deutschsprachigen da fast nichts.

Vielleicht kommt bei der sezession ja nach der weihnachtlichen „Verpuppung“ was ganz Neues…Lichtmesz wäre auch für das Thema Transhumanismus prädestiniert. Wenns an finanziellen Ressourcen scheitern sollte, dem kann man sicher abhelfen.

RMH

5. Januar 2022 11:06

Bei Eggers denke ich - wie vermutlich einige - zunächst erst einmal an den Kurt. Aber der Dave ist ja US-Amerikaner und kann nach Wiki-Eintrag nichts mit dem Kurt zu tun haben (puh - Glück gehabt).

Die Besprechung weckt Interesse. Aktuell gibt es beim Freundlichen Großmedienhaus im "Prime" Format for Members die Matrix Trilogie "for free" (eigentlich war nur der erste Teil bahnbrechend - der Rest: Gähn!).

Den leichten Widerwillen gegen Dystopien von W.a.S. teile ich mittlerweile (weil ich meine eigenen Ahnungen nicht auch noch bestätigt oder verstärkt haben möchte). Habe aber vor einigen Jahren aufgrund der Besprechung von G.K. das Buch "Schimmernder Dunst über Coby County" von Leif Randt mit Gewinn gelesen. Dachte bislang immer, dass die "Zukunft" so eine einlullende, rund schleifende shiny happy people Variante in gewissen Bereichen wird. Aktuell zeigt der Eingriffs- und Maßnahmestaat aber seine Fratze und das social credit System bahnt sich den Weg. Evtl. sind dann damit aber die Mehrheit der Philister endlich "happy" und können ihre WoMo Urlaube wieder planen (Achtung! Freihändige Entleerung der Chemo-Toilette im Gulli führt zur Versagung der Reservierung des Wunsch-Campingplatzes auf den Lofoten - Wir sehen Alles!).

zeitschnur

5. Januar 2022 11:13

"Selbstbemitleidung" als Gegensatz zur "Neigung, sich nichts vorzumachen"? 

Selbstbemitleidung hat etwas mit einer Haltung zu tun: Uns wird etwas unrechtmäßigerweise genommen und wir dürfen uns nicht mal wehren oder ganz platt Wir sind Opfer von dieser oder jener Intrige/Feindseligkeit/Agenda, rechts vor allem: Wenn wir jetzt nicht die Nobremse ziehen, gibt es kein deutsches Volk mehr, wobei letzteres stark ethnisch und festgefroren auf eine bestimmte historische Gestalt verstanden wird. Natürlich zeigen nicht alle Rechten diese Haltung, aber doch viele, sie ist zentral v.a. für die IB mit ihrer Wir sind die letzte Generation-Attitüde.

Die Neigung, sich nichts vorzumachen konstatiert Dinge nüchtern. Und auf die Nüchternheit und innere Distanz kommt es an. Die vermisse ich bei Rechten ebenso wie eigentlich bei einem großen Teil meiner Mitbürger. Wir haben gelernt, das Freund-Feind-Denken in ein Täter-Opfer-Konstrukt umzuschmelzen und sind je nach Bedarf Täter oder Opfer oder Anwälte der Opfer.

Sommerfeld/Barkhoffs Buch ist großartig, weil es aus diesen Schützengräben völlig aussteigt, sie überschreitet und einen ganz anderen, einen Adlerblick wagt, der nicht greint: Wenn ich das nicht erfüllt bekommen, dann sterbe ich lieber ... und gerade dadurch überhaupt erst todesmutig wird.

Laurenz

5. Januar 2022 11:32

Man könnte dem Artikel entgegenhalten, daß es auch Stalin in 30 Jahren nicht schaffte, die Vergangenheit totzuschlagen, obwohl er es radikal versuchte. Stalin war vielleicht auch zu weich. Er ließ zu viele Kirchen stehen, auch einen Khanspalast der Tartaren auf der Krim. Und nach 70 Jahren Bolschewismus hatten die ehemaligen Sowjetbürger nichts besseres zu tun, als sich wieder dem Virus der Ostkirche hinzugeben, also der antiken Version stalinistischer Diktatur zu frönen.

Am besten zeigt sich dies immer in Matthäus 10.34 ff. Es ist derselbe Mechanismus, den @Gracchus in Seinen guten Beiträgen beschreibt. Extrem gruselig...

Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen! Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. 35 Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; 36 und die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde sein. 37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert. 38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert. 39 Wer das Leben findet, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es finden.

zeitschnur

5. Januar 2022 11:38

Warum beschleicht mich dieses Gefühl des Überdrusses angesichts solcher Romane? Ich werde langsam alt, denke ich. Der Mensch bleibt der Mensch, daran ändern auch Smartphone Apps nicht wirklich was ...
Auch die Gefahren sind die alten Gefahren. Bloß weil sie getuned im doppelten Tempo fahren können, sind sie ja nix Neues. Es hängt zum Hals heraus: HG Wells, EM Forster haben auch schon solche Stories geschrieben, und das ist bald 150 Jahre her. Im Westen nichts Neues.
Ich sage Ihnen voraus, dass all diese Menschen, die gechipt und entwurmt U-bahn fahren, den Nacken überm Smartphone gebeugt und in ihren orangenen Sklavenklamotten, nach dem Untergang der Smart Global City wieder auf der Erde aufschlagen werden, Feuer machen wie Ur-Opa und das Smartphone schneller vergessen werden als ihre erste Liebe ...

Mit der Neuzeit brach dieses Genre der utopisch/dystopischen Romane an, immer wieder versuchten Kräfte, das zu realisieren. Herauskam jedesmal nichts - außer Leid, Zerstörung, Reflexion aufs Wesentliche bei wenigen, um so schöpferischere menschliche Kräfte und eine neue Ära der Gnade.

Es ist Gott, der den Tag setzt, an dem das neue Äon beginnt und die Gnade gibt, das Ende im Offenbarwerden der Unordnung dennoch in Entfaltung der Ordnungen zu erreichen. Die Macht- und Kontrollspiele der Pseudomessiasse und Technokraten sind Zeichen des alten Äons, egal wie ausgefuchst sie daherkommen. Wir sollen sie nicht fürchten, denn sie werden die Seele nicht töten können.

Gustav

5. Januar 2022 11:40

1.

Der große Irrtum der Freiheitskämpfer bestand schon immer darin, zu glauben, dass die große Mehrheit der Menschen in Freiheit und Selbstbestimmung leben möchte. Nein, die Mehrheit ist für Sicherheit und Geborgenheit und möchte gern in einem großen Kollektiv leben, in einer Horde, die Sicherheit gibt, und mit starken Führern, die sie an der Hand nehmen und ihnen die Verantwortung für ihr eigenes Leben abnehmen. Linke und rechte Kollektivisten wollen die Gemeinschaft, die Klasse, die Nation als stramm geführtes Kollektiv, das für sie sorgt, sie beschützt und brutal jeden vernichtet, der ihnen dabei in die Quere kommt. Lieber in einem Gefängnis mit drei garantierten warmen Mahlzeiten leben, wenn man dann auch noch Sonderrechte für brave Dienste als Denunziant oder für besonders devotes Verhalten bekommt, dann ist die Masse zufrieden, und die Schlimmsten werden zu Blockwarten und Wärtern. Sklaven träumen nicht davon, frei zu werden, sondern davon, Sklavenhalter zu werden. Die Individualisten aus der Mitte, die Selbstverantwortlichen, die bereit sind, Opfer zu bringen um allen, die das gar nicht wollen, die Freiheit zu bringen, werden dafür von den Kollektivisten aller Farben angegriffen und bis aufs Blut gehasst.

Gustav

5. Januar 2022 11:41

2.

Die Masse begreift es nicht. Die Masse will es auch nicht begreifen. Sie akzeptiert die Kollektivregeln und die Macht der Kollektivführer, solange sie in ihrer Herde geborgen sind. Die Minderheit der ausflockenden Unzufriedenen ist das, wie Elmar Brok seinen eigenen dissidenten Parteifreunden ausrichtete, Krebsgeschwür, das herausgeschnitten gehört. Nicht umsonst der gleiche Duktus wie bei Nazis und Kommunisten, den Hardcore-Kollektivverehrern. Der Individualist ist der Einzelgänger, der Feind des Kollektivs, der Feind jeden Kollektivs. Wir kämpfen entweder nur für unsere eigene Freiheit und haben eine Chance, eine Nische zu finden, oder wir kämpfen für die Freiheit aller, aber dann dürfen wir nicht verwundert sein, wenn uns der Hass aller verfolgt. Der Firnis der Zivilisation liegt sehr dünn über der Affenhorde.

Laurenz

5. Januar 2022 11:54

@Gracchus (1)

Technik erzeugt nur Schein. Wenn ARTE Dokus über zukünftige bemannte Mars-Missionen produziert, ist dies reine Science-Fiction, aber man tut so, also sei das schon ausgemachte Sache. Aktuell weiß keiner, wie wir den niedrigen Erdorbit verlassen können, ohne zu verrecken. Riesige Datenmengen sind auch für staatliche Kontrolle schwierig verständlich. Im Fall Hoeneß hatte die Staatsanwaltschaft keinen Bock, 70k Belege von Hoeneß' Zockerei durchzuarbeiten. Wir sind doch arg limitierte Wesen.

Das, was Sie in Ihren Beiträgen ansprechen, ist quasi die Welt Carlos Castanedas. Castaneda lehnt Mitleid ab, weil es für Ihn grundsätzlich projiziertes Selbstmitleid darstellt. Deswegen können Menschen, denen die Menschen nicht egal sind, auch nichts für andere Menschen tun. In Heilberufen ist das am besten zu beobachten. Pfleger, Ärzte, Schwestern, die Mitleid empfinden, gehen am Mitleid kaputt. Nur Menschen, denen Menschen egal sind, können tatsächlich produktiv heilen, weil sie nie in die Gefahr kommen, mitzuleiden & in Selbstmitleid zu zerfließen.

Laurenz

5. Januar 2022 12:13

@Gracchus (2)

Castaneda beschreibt das Selbstmitleid, bzw. die Selbstreflexion, das Ego als nicht menschlich. Er besagt, der Verstand funktioniert ähnlich einem Radio, als Empfänger, der von außen Gesendetes aufnimmt. Das sei der Grund, warum man ab & an den inneren Dialog, der im Grunde gar kein innerer Dialog ist, abschalten sollte, wie das zB buddhistische Mönche tun. Mir fällt das extrem schwer. Ich schaffe es nachwievor nicht länger als 15-20 Sekunden.

Im politischen Sinne ist die Lehre Castanedas, die eigentlich Rechten entsprechen müßte, auch Autoren mit B am Anfang & mann am Ende, nicht praktikabel. Denn die meisten Bürger sind, im Sinne Castanedas, mit Selbstmitleid verseucht, deswegen sind ja jenseitige Religionen nach historischer Gewaltanwendung so erfolgreich. Denen kann man nicht mit Selbstdisziplin & Härte beikommen. Die Nazis (er)fanden deswegen einen äußeren Feind, um den inneren zu bekämpfen. 

Frank Herbert ist deswegen so spannend, weil der Konflikt Mensch gegen Rechner, bereits vorbei ist.

@Zeitschnur

Ich stimme Ihnen zu, aber sind Dystopien nicht bloß abgeschwächte Androhungen von Dauer-Apokalypsen? Oder sowas wie Höllen für Arme im Diesseits?

Gotlandfahrer

5. Januar 2022 12:25

Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch:

Romane wie Every sind geistvoll, schreiben aber, so wie ich es verstanden habe, nur Entwicklungen fort. Trendprolongation. Das sagt uns noch lange nicht, wie es kommen wird oder was jetzt zu tun ist.  Doch Trends laufen nicht ewig fort.  Und wir befinden uns an einem kritischen Punkt, an dem wir mitentscheiden können, wie es weitergeht. Was solche Geschichten übersehen, ist, dass der von den „Systembetreibern“ angestrebte Zustand eigener (!) Nutzenoptimierung durch Schaffung immer weiterer Abhängigkeiten der bewirtschafteten, mithin „benutzten Benutzer“, innere Notwendigkeiten eines sich aufschwingenden exponentiellen „Dorthinwachsens“ schafft.  Immer schneller, immer weiter.  Gates & Co. müssen versuchen, was sie versuchen.  Dies überdehnt irgendwann die Anpassungsgeschwindigkeit der Benutzten, die, so verblödet sie im Einzelnen sein mögen, nicht alle ihre Bedürfnisse gleichzeitig im Sinne der neuen Anforderungen aufgeben können.  Irgendwann passiert zu viel gleichzeitig.

Irgendwann ist jetzt.

Ironischerweise entbirgt uns das System selbst Mittel zur Selbsthilfe. Insofern wiederhole ich meine Behauptung aus vorigem Strang: „Macht Euch die Technik Untertan“ ist möglich (siehe Telegram), die Unterwerfung ist nicht vollendet.  Sie ist abwendbar, wenn wir die abschütteln, die daran mitarbeiten.  Aus dem Wald ab auf die Straße!

Maiordomus

5. Januar 2022 12:35

Danke für Zusammenfassung der Romane von Dave Eggers, deren Lektüre ich über die Weihnachtstage Stifters Briefe mit Aufzeichnungen über Cholera und Brechruhr vorgezogen habe; Stifter u. seine Frau verhielten sich damals in hygienischer Hinsicht äusserst vorsichtig, verliessen Linz in Richtung Abgeschiedenheit eines Bergdorfs. Verwiesen habe ich hier schon mal auf mehrbändiges Standardwerk v. Olaf Briese betr. die Angst vor der Cholera (2003); in Sachen Kombination reale Seuche u. Massenwahn bei Bekämpfung lehrreich; @Zeitschnur. "Beweise" in Romanform für biolog. u. gesellschaftliche Distopie hat einst Zola mit seiner Reihe über die Fam Rougeon-Maquard anzustellen versucht, was mich vor 50 Jahren ähnlich anwiderte sie Sie heute Dave Eggers.. Als Dystopiker bleiben Orwell und Huxley wohl allein auf weiter Flur; 2009 noch interessant Roman meines Kollegen L.H. "Die Seuche", Diogenes-Taschenbuch 2009. @Kubitschek: Gemäss Heidegger sind "Holzwege" nun mal "Wege, die im Unbegangenen enden", also nicht negativ konnotiert; einer der lesenwertesten Titel des Messkirchers trägt diesen "Titel". War mal für mich Aufgabe einer Gastvorlesung.  

Maiordomus

5. Januar 2022 12:51

@Gustav. Bei aller Anerkennung über das, was Sie schreiben über "die Masse", von der sich neulich nicht zum Vergnügen aller  @Bosselmann abgegrenzt hat, mahne ich ein Wort des Psychologen J. Bodamer an, aus "Der Mann von heute", zu noch guten Zeiten des Herder-Verlages erschienen: "Zur Masse gehört heute jeder." Gilt  für uns Männer, siehe sexuelle Versuchbarkeit und Versuchbarkeit durch Technik. In die Tiefe deuten Ihre Ausführungen über den Widerwillen gegen das Risiko der Freiheit, was nebst dem zwar versuchbaren Gottfried Benn (empfehlenswert Briefe, v. Kositza, prima besprochen u. bestellbar) am eindrücklichsten Dostojewskij mit seiner Legende v. "Grossinquisitor" auf nur wenigen Seiten auf Papier gebracht hat: "Knechte uns, aber macht uns satt", wozu sich das Bedürfnis nach Wundern und Unterhaltung gesellt. Esther Vilar ergänzte es mit ihrem Meisterdrama "Antrittsrede der amerikanischen Päpstin", womit Sie Dostojewskij sowie den Überdruss der "Masse" gegenüber dem Gebrauch der Freiheit grandios auf den sozusagen neuesten Stand gebracht hat. Über Vilar hat Alex Baur v. der Weltwoche lesenswerte Biographie veröffentlicht. 

zeitschnur

5. Januar 2022 12:51

@ Gracchus

Und doch beschreibt Barkhoff den Zustand der gesellschaftlichen Kälte als notwendigen Schritt zur Ichwerdung der Einzelseele.

Und daher, @ Gustav kann man die Masse auch nicht festfrieren auf ihren Zustand solcher, die es eh nie begreifen können und wollen. Können tut jeder, wollen vielleicht noch nicht. Noch nicht. Es ist eher eine Frage, ob man den Moment des Zuspät dabei verpasst, sich zulange gewunden und feige verborgen hat.

Nemo Obligatur

5. Januar 2022 13:08

Der besprochene Roman liegt schon lesebereit auf meinem Stapel noch durchzuarbeitender Bücher. Freue mich auf die Lektüre. Ein Science-Fiction muss ja nicht absolut treffsicher sein. Es genügt, wenn er ein entscheidende Weichenstellungen vorhersieht.

Geschichte ist kontingent. Was also haben wir den fiktiven Kunden der Every-Unternehmen anzubieten? Der Roman "1984" wurde am Beginn der goldenen Ära der Staatsgläubigkeit geschrieben. Heute leben wir in der Epoche des ausklingenden Neoliberalismus; dazu die voranschreitende Technik. Wird die Welt immer lebenswerter, immer schöner durch Wirtschaft und Technik, wie uns die Apostel der Wind- und Solarenergie ebenso wie ihre atomaren Vorredner predigen? Oder gibt es Grenzen des Wohlstands, gesetzt durch Rohstoffe und Boden? Und was folgt daraus? Zu Einsicht und Selbstbeschränkung ist der Mensch wohl nicht fähig, ihm müssen seine Grenzen seit jeher von aussen gesetzt werden. Es ist nicht zu erwarten, dass ein gewinnorientierter Megakonzern so etwas tun wird.

Gotlandfahrer

5. Januar 2022 13:46

@ Laurenz

Bin nicht bibelfest genug und im Grunde zu agnostisch veranlagt um einen exegetischen Diskurs zu führen, jedoch mit klarem Willen beseelt, so zu leben, als ob es einem Gott, dem ich freiwillig diente, gefallen könnte, aber Ihre Gleichsetzung von Stalin und der Ostkirche, gestützt durch die zitierte Bibelstelle, ist - so würde es ein Woker ausdrücken - "befremdlich". 

"Das Schwert als Symbol des Streites ist also nicht der Zweck, sondern eine unausweichliche Konsequenz Seines ersten Kommens."

Abgesehen davon gibt's ja eh das Alte Testament, was also spricht gegen ein Schwert dann und wann?

Dies ließ sich noch leicht per Knopfdruck dazu finden, aber die Transferleistung, den Unterschied zwischen einem Massenmörder, der irdisches Heil verspricht und Terror liefert, und einer Kirche, die die Menschenwürde dadurch entfalten hilft (mit allen Mißbrauchsrisiken), sich trotz irdischer Not als angenommener Teil des Ganzen verstehen zu können um dadurch aufrechter handeln zu können, die müssten Sie selbst erbringen.

Eo

5. Januar 2022 13:58

@Franz Bettinger    5. Januar 2022 01:34

 

Der große Widersacher denkt
von seiner Grundstruktur her parasitisch. Er holt sich die Energie aus Abbauprozessen, indem er größere Strukturen zersetzt und knackt und daraus Energien abzieht und umleitet.

Und daher rührt dann auch
die systematische Falschetikettierung, um daraus ein erfolgreiches Konzept zu machen.

 

Ein gebuertiger Hesse

5. Januar 2022 14:42

Prächtige Kommentare hier, zuvorderst von Gustav, Niekisch und Zeitschnur - Sie stoßen Plattentektonisches im Kopf an. Das ist SiN at its best.

Bergamr

5. Januar 2022 15:12

Selbstbemitleidung? Ja, in dieses Fahrwasser kann man sehr leicht geraten in heutiger Zeit. Aber ich denke nicht, daß diese Einstellung die Intention dieser Buchbesprechung ist. Wohl eher trifft es die Neigung, sich nichts vorzumachen.

Da wir in diesen Zeiten geradezu überrannt werden von Entwicklungen und Tatsachen, die wir uns vor 10 Jahren noch nicht einmal vorstellen konnten, ist die nüchterne Bilanz, die schonungslose Inventur das korrekte Werkzeug.

Die Zukunftsvision eines allmächtigen Konzerns, der sich profitorientiert durch die Intimitäten jedes einzelnen Menschen wühlt, liegt als logische Folge auf der Hand. Und die Bereitwilligkeit der meisten, hierbei mitzutun und freiwillig die eigenen Geheimnisse preiszugeben, ist klar ersichtlich. Der Vergleich mit den Schildern 'Verbietet uns endlich etwas' paßt genau. Die Mehrheit ist durch langes Training via Amazon, Facebook, Twitter et al. schon lange darauf vorbereitet. Die Sehnsucht, algorithmisch gesteuert ein 'Gutes Leben' zu leben, ist vorhanden und wartet nur darauf, umfassend zum Einsatz zu kommen.

Der schwierige Teil ist der Gegenentwurf. Das Absetzen und Untertauchen ist nur dem Einzelnen möglich, und das wahrscheinlich auch nicht mehr sehr lange und wahrscheinlich immer beschwerlicher. Was kann aber einer größeren Gruppe, einer Teilgruppe eines Volkes, hier angeboten werden? Kann eine Sezession gelingen?

Imagine

5. Januar 2022 15:22

1/2

Selbstbemitleidung geht immer von der Prämisse aus, dass einem eigentlich ein „besseres Leben“ zustehen würde. Es basiert auf einer Neurose, die immer mit Hybris vergesellschaftet ist. Die Erscheinungsformen sind vielfältig.

Selbstbemitleidung findet sich im Feminismus und in der Öko- und Klimabewegung. Und selbstverständlich auch im neurechten Milieu.

Typische Reaktionsformen sind romantische Realitätsflucht und Neo-Biedermeier.

Die Realitätsflucht bringt ein Spießertum hervor, durchaus mit Varianten. So wie es heute die Links- und die Rechtsspießer gibt.

Die 68er Bewegung war voller Hoffnung auf eine baldige Revolution, welche der gesamtgesellschaftlichen Vernunft zum Sieg verhelfen würde und den Beginn einer menschlichen Menschheit eröffnen würde.

Doch in den 70ern war die totale Niederlage irgendwann nicht mehr zu verdrängen.

Die ehemalige 68er Bewegung wurde zu einer gebrochenen Generation voller Realitätsflüchtlinge, Opportunisten und Konvertiten. In der Nachfolge entstand eine No-future-Generation.

Den gescheiterten 68er-Revolutionären war bewusst, dass sie ihren Nachkommen keine menschwürdige Zukunft eröffnen können, sondern dass der gesellschaftliche Prozess in Richtung kultureller Niedergang und Dystopie geht. Daher wollten sie angesichts dieser Entwicklung keine Kinder in diese Welt setzen, weil sie diesen ein Leben in einer kranken und pervertierten Gesellschaft nicht zumuten wollten.

Monika

5. Januar 2022 15:23

Zwischen der Lektüre von  „Vernichten“ ( Houellebecq) , „Scheitern der Republik“ ( Kleine-Hartlage) und „Volksauferstehung“ ( Barkhoff/Sommerfeld) hoffe ich auf Gedankendurchbrüche, die wirklich konstruktiv sind. Ich bin da sehr anspruchsvoll und denke seit fast 30 Jahren über den rechten thinkTank  immer und immer wieder: Da wäre noch  mehr drin. Aber die Hoffnung  stirbt bekanntlich zuletzt.

Und hackt mir nicht so  auf HB rum. Sein disruptiver letzter Beitrag gibt immerhin zu Denken.

Zur Angst vor  postmodernen  Dystopien gibt es durchaus Gegenansätze. Etwa bei Alfred North Whitehead, seines Zeichens Mathematiker und ( !) Philosoph. Über sein Denken schreibt Michael Hanpe: 

Es gibt keinen Grund zu glauben, dass die technisch-wissenschaftliche und auf wirtschaftlichen Reichtum ausgerichtete Zivilisation ein Endzweck der Geschichte ist und dass sie nicht wieder durch eine Kultur abgelöst werden wird, in der das Heilige der Religion oder Ehre oder irgendein anderes Ideal dem des Reichtums übergeordnet ist.“

 Das ist jetzt keine Rechtfertigung für Rot-Grünes Desaster :))

 

Imagine

5. Januar 2022 15:24

2/2

Viele meiner damaligen Mitstreiter und Freunde haben aus diesem Grund keine Kinder. Ein etwas jüngerer Freund hat sich aus diesem Grund sogar Mitte der 70-er Jahre im Alter von 25 Jahren sterilisieren lassen.

In den 70er Jahren entwickelte sich zudem in der Jugend eine große suizidale Strömung, jene der Heroinkonsumenten, die sich selbstverachtend „Junkies“ nannten.

Auch als Reaktion auf die gescheiterte 1848-er Revolution entstanden damals romantische Deutschtümelei und Biedermeier, die kollektive Suizidalität drückte sich dann 1914 in Kriegsbegeisterung und den Drang zum Fronteinsatz aus.

Freud interpretierte dies als „Todestrieb“.

Heute ist klar, dass die Entwicklung in den kapitalistischen Gesellschaften in Richtung Transhumanismus geht. Es ist erklärtes Ziel der Herrschenden.

Eine menschenwürdige Gesellschaft werden unsere Nachfahren daher hier nicht vorfinden, allerhöchstens vielleicht in China und den mit ihm verbündeten Staaten, wenn dort die angestrebte Entwicklung zu einem humanistischen Sozialismus gelingt.

Warum es der „demokratische Sozialismus“ notwendig ist sowie warum und wie er zu einem Sozialisten geworden ist, erklärt Helmut Schmidt im Gespräch mit Günter Gaus aus dem Jahr 1966 (https://youtu.be/x2xL0ZFaSFc).

 

heinrichbrueck

5. Januar 2022 15:42

@ Laurenz
Sie zitieren eine Freiheitsrede aus dem Neuen Testament. Die alten Germanen hatten auch Schwerter. 
-
Der Kreis ist rund. Der Kreis will nicht begreifen, daß er rund ist. 
Gott setzt den Tag.
Der Mensch, der Mensch, der Mensch, blablabla... In Asien gibt es auch Menschen. Wo bleibt der eigene Kulturkreis? Die spirituelle Sichtbarkeit ist schon ethnisch begründet, und wer diese Mentalität aufgibt, wird es nicht auf Gott schieben können. Konkret zu sagen wäre, was mit Mensch gemeint ist. Es gibt große Mentalitätsunterschiede. Sprachgefühl ein weiterer wichtiger Unterschied. Vom Ethnos nicht zu trennen. Kein Ausländer erreicht die Tiefe des inneren Bezirks. Die Verhunzung der Sprache, Genderdreck und Kolonisatorensprache, ein babylonisches Gefängnisgewirr ohne Völker, der Freiheit beraubt. Kann die Freiheit verboten werden? Die innere Natur kann zunichtegemacht werden, die herrschende Agenda vermittelt nichts anderes. Deutlich formulierte Erkenntnis, anstatt der vagen Bestätigung undefinierter Interpretationen. 

Herold

5. Januar 2022 15:58

Eggers Romane - Circle habe ich gelesen u. gesehen, Every noch nicht - sind die Vision einer cybertechnologisierten Zukunft mit zentraler Ordnung, quasi die Weiße-Vorstadt-Version wo man sich gegenseitig downvotet, Plastikkörper und Katzen zeigt und Leute stalkt.

William Gibsons (frühen) Romane sind eine Vision einer cybertechnologisierten Zukunft ohne zentrale Ordnung, in der mächtige Firmenkonglomerate (Zaibatsus) hard power ausüben können, insb. in dem sie sich Terroristen und Freelancern im eigentlichen Sinne bedienen.

Ich wäre da eher bei Gibson, als bei Eggers, denn der Stern der Metas und Alphabets sinkt bereits, beide leben von Online-Werbung und beide haben keine hard power. Hyundai hat kürzlich Boston Robotics gekauft - da ist welche. Wer mehr darüber lesen will: Neben Neuromancer von Gibson auf jeden Fall Snow Crash u. vielleicht auch noch Cryptonomicon von Neal Stephenson.

Ich verweise auch gerne auf die britische Serie Black Mirror, insb. die Folge Nosedive (Abgestürzt) der 2. Staffel, die das Thema (freiwilligen) Social Credit als Thema hat. Aber die Serie ist ingesamt sehr interessant (genial z.B. Hated in the Nation / Von allen gehasst).

Maiordomus

5. Januar 2022 16:30

@Heinrich Brück. "Sprachgefühl ist ein weiterer wichtiger Unterschied. Vom Ethnos nicht zu trennen. Kein Ausländer erreicht die Tiefe des inneren Bezirks." Der erste Satz scheint mir wichtig, der zweite steht vielfach in bedeutendem Zusammenhang damit. Der dritte Satz ist längst falsifiziert. Seit 60 Jahren kenne ich die Bündner Surselva, also den Bereich des Rätoromanischen als für Ihre Fragen besonders forschungskompatible Region sehr genau, habe darüber, z.B. über den Ahorn v. Trun, wo 1324 der graue Bund geschworen wurde, publiziert u. volkskundliche Exkursionen dorthin geleitet. Meine allerbeste noch lebende Gewährsperson ist eine mittlerweile über 100jährige Frau von Breil/Brigels, die vor 80 Jahren als ethnisch Fremde dorthin heiratete, Mutter wurde; Sprache voll verinnerlicht und in Sachen Chrestomathie die einheimische Überlieferung, auch das religiöse Brauchtum, die politische Mentalität unübertrefflich repräsentiert, Ihre These @hb ist nicht haltbar. 

zeitschnur

5. Januar 2022 16:31

@ Maiordomus & @ GK

@Kubitschek: Gemäss Heidegger sind "Holzwege" nun mal "Wege, die im Unbegangenen enden", also nicht negativ konnotiert; einer der lesenwertesten Titel des Messkirchers trägt diesen "Titel". (Zitat MD)

Kann es sein, dass es dem Leser des Barkhoff/Sommerfeld-Buches hier um die Versuchung aufseiten der Rechten zum Verweilen auf dem Holzweg ging, also etwa der KR oder Carl Schmitt speziell, zum Epigonalen etc.? Barkhoff benennt GKs Gespräch mit den Toten in Reminiszenz zu Christian Semler (S. 90), aber es muss zurück ins Leben hier und jetzt, dieses Gespräch. Und da kann einem schon oft eine große Ratlosigkeit auffallen ... und eine Art Devotionalien-Markt. Der Holzweg war ein Wirtschaftsweg, aber er ist keiner mehr, das dürfte wohl die Quintessenz des Satzes des Lesers sein. Geht es da noch weiter, oder muss man das, was man sucht, an einer anderen Stelle zu einem Weg ausbauen?

Das Unbegangene ist das Interessante, und das haben die beiden Autoren gewagt und das macht das Buch als Anregung, als großen Impuls so lesenswert!

zeitschnur

5. Januar 2022 16:40

@ Laurenz

Ich stimme Ihnen zu, aber sind Dystopien nicht bloß abgeschwächte Androhungen von Dauer-Apokalypsen? Oder sowas wie Höllen für Arme im Diesseits?

Würde ich nicht sagen. Apokalypsen sind eben gerade keine Bannungen in einem Höllenzustand, sondern dem Wortsinn nach Entschleierungen, oft als Offenbarung übersetzt. Was bisher nicht sichtbar war oder nur verschwommen, tritt zutage. Sie beruhen auf einem Prozess des Zutagetretens eines Mysteriums, stellen einen Läuterungskampf dar.

Eine Dystopie lässt eine perverse Anti-Ordnung zur gebannten Realität werden, aus der es kein Entrinnen mehr zu geben scheint. Es wird hier nichts entschleiert. In aller Regel geschieht eine Reduktion und Verarmung, eine Ver-schleierung.

Die Hölle wiederum ähnelt landläufig verstanden tatsächlich der Dystopie, ist allerdings in der Schrift kein fassbarer Begriff, eher eine kirchliche Tradition, die aber wiederum auch nicht einheitlich ist. Sie ist kein Ort, an dem nan leben könnte, soviel steht fest. Jesu Verweis auf das Gehinnomtal beschreibt eher den Ort des Todes und der endgültigen seelischen Vernichtung.

MARCEL

5. Januar 2022 16:58

Ähnliches schrieb  Jevgenij Samjatin 1920 in seiner Dystopie "Wir" und ein schönes Beispiel für Nudging ante litteram auch in "Die Brücke am Kwai". Der prinzipienfeste britische Oberst hat eine Achillesferse - sein Ehrgeiz und seine Disziplin, die nutzt die japanische Lagerleitung clever aus.

Auch Alexandre Kojève ging in seiner Hegel-Interpretation schon früh vom Ende der Geschichte aus, da es keine Kriege mehr geben würde (bzw. könne!) und Revolutionen einzig in eine universelle Stabilisierung nach US-amerikanischem Vorbild (heute: chinesischem Vorbild) einmündeten. 

Vielleicht ist es das, worum es in Circle etc. geht und wogegen wir ankämpfen: der Geschichte ein Ende machen.

Was aber beendet man damit alles?

Maiordomus

5. Januar 2022 17:02

@betr. Romane v. Dave Eggers. Um es klar zu machen: Originallektüren über frühere Pandemien, und seien es nur die präzisen Beschreibungen v. Adalbert Stifter in seinen Briefen, bleiben wertvoller als Romane. Für Pest, Syphilis u.a. ist Frankreichs wohl bester Kulturhistoriker Fernand Braudel grundlegend, u.a. "Die Geschichte der Zivilisation 15. bis 18. Jahrhundert" (deutsch: Kindler 1971, 700 Seiten), nicht zu unterschätzen die Syphilisschriften von Paracelsus ab 1529, ausserdem ist seine Darstellung des Veitstanzes als "chorea imitativa" lehrreich für den ansteckenden Charakter nicht nur von Krankheiten, sondern auch von Massnahmen dagegen. @imagine. die Debatten der 68er um das Kinderhaben richteten sich damals nicht zuletzt gegen die Enzyclica Humanae vitae v. Papat Paul VI., die als reaktionäre Provokation empfunden wurde. Papst Franciscus hat gestern wieder Öl ins Feuer geworfen mit Bemerkung, dass heute Hunde und Katzen bei uns ein emotionaler Kinder-Ersatz seien, was zwar wohl nicht direkt als falsch zu bezeichnen ist. 

Maiordomus

5. Januar 2022 17:27

@Zeitschnur. Wir hatten 2021 das mit wenig Auseinandersetzung verbundene Dante-Jahr. Die "Hölle" der Commedia, später Divina Commedia genannt, wurde von Nietzsche u. Schopenhauer wie wenige Texte der Weltliteratur ernst genommen. Es lohnt sich auch, die höchst intellektuellen Auffassungen von Meister Eckhart über die Hölle kennenzulernen. Unsere Witzfiguren-Vorstellungen lenken davon ab, dass "Hölle" ein äusserst ernsthaftes Thema darstellt; noch faszinierend waren für mich vor Ort die 1965 in München ausgestellten Illustrationen von Salvador Dali zu Dantes Hauptwerk, so das Porträt eines Logikers als Teufel. Von den Bereichen des "Jenseits" scheint mir die "Hölle" zumal phänomenologisch am lehrreichsten dokumentiert. Dass etwa 5 v. 6 Päpsten in der Hölle schmoren, widerlegt die vulgärkatholische Vorstellung, die Hölle sei hauptsächlich für Ketzer vorgesehen. Im Zusammenhang mit Papst Johannes XXII. (der später Eckhart verurteilte) wird die südfranzösische Stadt Cahors als Hochburg der Sodomiter (Homosexuelle) charakterisiert; Hölle u. Fegefeuer enthalten insofern interessante Nachrichten auch über die historisch reale Welt.

Niekisch

5. Januar 2022 17:51

Aufbauend zum Ganzen für uns alle:

W a r t e t   n u r  !

Weil ich so ganz vorzüglich blitze,

Glaubt Ihr, dass ich nicht donnern könnt!

Ihr irrt Euch sehr, denn ich besitze

Gleichfalls fürs Donnern ein Talent.

 

Es wird sich grausenhaft bewähren,

Wenn einst erscheint der rechte Tag;

Dann sollt Ihr meine Stimme hören,

Das Donnerwort, den Wetterschlag.

 

Gar manche Eiche wird zersplittern

An jenem Tag der wilde Sturm,

Gar mancher Palast wird erzittern

Und stürzen mancher Kirchenturm! 

( Heinrich Harry Heine )

Die Eiche steht hier synonym für das Börsenparkett, Palast und Kirchenturm für die 3 Billionen-Zentrale von Apple und Co.

Laurenz

5. Januar 2022 17:57

@Zeitschnur @L.

"Apokalypsen sind eben gerade keine Bannungen in einem Höllenzustand, sondern dem Wortsinn nach Entschleierungen, oft als Offenbarung übersetzt."

Ja das weiß, man nennt es zB auch die Offenbarung des Johannes, meint aber die Apokalypse. Die Begriffsbedeutung hat sich aber seit damals geändert. Im Grunde meint die Apokalypse im heutigen Sinne einen zwangsläufigen Zusammenbruch des bisher Existenten, und für das Bisherige, eben ein desaströses apokalyptisches Enden. Es ist nicht viel anderes als das, was mit "Great Reset" gemeint ist. Nur das dieser aus unserer Sicht der Dinge willkürlich stattfinden soll, während die Planer für ihre Existenz es als zwangsläufig betrachten. Und Dystopien verstehe ich so, daß dieser Zustand des Zusammenbruchs auf Raten ein permanenter werden soll.

@Gotlandfahrer & HeinrichBrück

Meine Antworten an Sie wurden nicht als adäquat erachtet.

Maiordomus

5. Januar 2022 21:17

Wäre noch gespannt, @imagine, was Sie unter "Neo-Biedermeier" verstehen.

Der Begriff kam erst nach der so benannten Epoche auf und war abwertend gemeint. Literarisch hat es noch zu tun mit dem nachklassischen Grillparzer, Droste, Stifter; weniger mit dem jungen Marx als deren Zeitgenosse, über dessen Forderung, gewisse Fragestellungen nicht zuzulassen, vgl. Voegelin, Die neue Wissenschaft der Politik, ich als Student bei Prof. Kux ein erstes Seminar betr. K.M, "Die revolutionäre Konfession" mitgmeacht habe; ehrlich gesagt beschränken sich aber meine Marx-Kenntnisse als Systemkritik auf meinen ehem. Lehrer Prof. I.M. Bochenski, der als bester polnischer Kenner des Marxismus-Leninismus und Logik-Historiker sich auf logische Absurditäten beim Dialektischen und Historischen Materialismus kaprizierte, z.B. das Ei als Negation des Huhnes und dergleichen, was unter dem Niveau der Araber des 12. Jahrhunderts eingeschätzt wurde. Die Geschichtsphilosophie v. Marx/Engels hat zu meiner Studienzeit der am 31. Dez. 95 gewordene Prof. Hermann Lübbe überzeugender als Popper mit "Geschichtsbegriff u. Geschichtsinteresse" auf Null gebracht,. Ich war damals aber doch beeindruckt vom Engels-Zitat zur Apokalypse: "Am Ende wird sein ein Brand und ein Schutt, doch die Materie wird sich neu organisieren." Hamdulillah! 

Kurativ

5. Januar 2022 21:22

Sehr geehrter Herr Gracchus, 

"Sommerfeld/Barkhoff kommen zu dem Ergebnis, dass die herkömmlichen Wärmequellen, wie Familie, in modernen Gesellschaften wegfallen, mehr und mehr"

Ich glaube, die Menschen wollen das gar nicht.

"Wonach das atomisierte Individuum tendenziell lechzt, ist eben nicht Freiheit [...] sondern die Geborgenheit einer Gemeinschaft"

So ist es. Und langsam erkennen die Menschen, von wo die Vereinzelung herkommt. 

Gracchus

5. Januar 2022 21:39

@Laurenz, zeitschnur

Klar, wenn man eine Dystopie am eigenen Leibe miterlebt, hat man nicht noch Lust, so was zu lesen.

Der innerste Kreis der Hölle, wo Satan sitzt, ist bei Dante übrigens eiskalt. Ich weiss, dass Barkhoff diese soziale Kälteperiode für ein notwendiges Zwischenstadium hält. Und was meinen Sie? (Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, dass man bemüht ist, künstliche Wärmesurrogate zu schaffen, um den Kälteschock abzumildern.)

M. E. bringen Barkhoff/Sommerfeld eine gewissermassen progressive Note ins Spiel - im Unterschied zu zwae nicht allen, vielen Rechten, die nur Verfallsgeschichten erzählen.

@Laurenz

Was Sie in Anlehnung an Castaneda zum Mitleid schreiben, erinnert an Schopenhauer, der darauf seine Ethik aufgebaut hat. Menschen in Heilberufen sind womöglich irgendwann auch abgehärtet. Sicher darf man sich von dem Patienten nicht emotional vereinnahmen lassen. 

Gracchus

5. Januar 2022 21:48

@Monika

Der geschätzte und natürlich weiterhin geschätzte Herr Bosselmann hat sich gestern schon ein starkes Stück geleistet. Getoppt wird dies allerdings von Sascha Lobo, der in seiner aktuellen Kolumne ("Denkpest") - wieder mal - hemmungslos  projiziert. 

Maiordomus

5. Januar 2022 22:00

@Gracchus. Was der Fanatiker und wirklich authentische Hasser Sascha Lobo im Spiegel als "Denkpest" absondert, hat mit den Ausführungen von Herrn Bosselmann nichts und wirklich gar nichts zu tun. Ihm dies zu unterstellen, ist meines Erachtens Lagerdenken, gemäss welchem jede Abweichung mit absurder Identifizierung mit dem Gegner gleichgesetzt wird.  

Gustav Grambauer

5. Januar 2022 22:10

Bei den Anmerkungen zu Barkhoff / Sommerfeld zeigt sich, wer die große Bahn (mit)zieht und wer in solchen Wassern kläglich absäuft, auch wenn mit viel Brimborium, im eindrucksvollsten Badekostüm und mit den höchsten Schwimmedaillen um den Hals hängend. Blasen quellen an die Wasseroberfläche.

Im Hinblick auf manche wäre dieser Briefwechsel auch ein prima Lackmustest auf humanistische Bildung respektive auf lediglich humanistische Bildungsfassade. Selbst die Habilitierung in Philosophie plus Klassischer Philologie plus Theologie plus Kulturgeschichte wäre lediglich als philiströs zu bezeichnen, wenn man damit keinen Zugang zu den Gedankenführungen in diesem Briefwechsel fände.

"Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot!
Auf, bade, Schüler, unverdrossen.
Die ird`sche Brust im Morgenrot!"

Wenn ich grad bei J. W. G. bin: 

"Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen, ...
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen."

In dem Fall, für die, die am Fehlen Mohlerscher Monumentalität leiden: et voilà!

- G. G.

Carsten Lucke

5. Januar 2022 22:25

@ Gracchus

Sascha Lobo (allein der Name ekelt mich) im Zusammenhang bzw Vergleich mit Heino Bosselmann zu nennen, gehört zu den peinlichsten Entgleisungen, die ich bisher hier vorfinden durfte.

Franz Bettinger

5. Januar 2022 23:13

@Marcel: Ihre letzten 3 Zeilen sind Gold wert: "Vielleicht ist es das, worum es (dem deep state) geht und wogegen wir kämpfen: der Geschichte ein Ende machen. Was aber beendet man damit alles?!“ Touché!

@Zeitschnur: Danke für die schönen Definitionen: Dystopie (perverse Ordnung, Anti-Ordnung, Hölle, Verschleierung) und Apokalypse (Entschleierung, Läuterungskampf).

Ich glaube, heute steckt eine andere Person hinter @Imagine als noch vor 1 Jahr. Der alte Linke Soziologe wurde abgelöst. 

Franz Bettinger

5. Januar 2022 23:20

@Gotlandfahrer schreibt "Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch: (Schwab’s Great Reset) ... schreibt nur eine Entwicklung fort. Das sagt uns noch nicht, wie's kommen wird. Trends laufen nicht ewig, und wir befinden uns an einem kritischen Punkt, an dem wir mitentscheiden können, wie es weitergeht."

Die 60-er Hippies stoppten einen Trend, zunächst nur für sich. Sie kapselten sich ganz bewusst ab von den Tretmühlen der Ellbogen-Gesellschaft und der Welt des Konsums. Blumenkinder und Lang-Haarige zogen zusammen, bildeten Kommunen und praktizierten, eine freie Liebe. Sie lebten zurückgezogen in Wüsteneien oder in Bolinas, nördlich von San Franzisko, wo sie die Hinweisschilder zu ihrem Dorf abmontierten. (Das ist heute noch so.) Mit Songs für love & freedom träumten in eine andere Richtung, lebten ein anderes Leben. Sie provozierten erst und beeinflussten allmählich mit ihrer Ästhetik und ihrem konsequenten Starrsinn eine ganze Gesellschaft - und tun es heute noch. Mindestens einer von ihnen bekam einen Nobelpreis.

Könnte es wieder so kommen? Dass sich Gesellschaftsteile in wesentlichen Aspekten absondern. Dass sie kein Internet mehr nutzen, ja nicht einmal mehr Handys. Ich hoffe darauf (selbst wenn ich selbst vielleicht nicht dazugehören werde). Warum? Weil der Kern des Menschlichen verloren geht, wenn wir uns selbst an die Leine legen. Wie, das sei ein Holzweg? Nun, das Unbegangene ist das Interessante, und wo wäre die Welt ohne Abenteurer?

RMH

6. Januar 2022 09:29

Ich sehe hier keinen echten, personenbezogenen Bosselmann - Lobo Vergleich durch @Gracchus. Beide kann man auch gar nicht vergleichen. Lobo ist bezahlter Spin Doctor und Campaign Manager (vermutlich auch irgendwo "speaker" oder auf Konferenzen der "keynote speaker" - wichtig, wichtig, wichtig), der mal mit Zuckerbrot lockt (es sei an seine moralin-süß-sauere Werbung "Warum soll ich mich impfen lassen" vom 17.11.21 erinnert) und jetzt eben die Peitsche raus holt, die aber letztlich nur in seiner eigenen Echokammer in der Luft knallt - bezahltes Goaßlschnalzen vor geneigtem Publikum.

Bosselmann hingegen ist ein echter freier Autor mit eigener Meinung (der hoffentlich aber auch dafür ab und an etwas bezahlt bekommt) - auch wenn sein letzter Text geradezu dazu auffordert, ihn zum Abbau seines Ekels zur Konfrontationstherapie durch Teilnahme an einer "Demo" zu bewegen :)

Unterm Strich: Wir wissen doch alle, wo welche Kirchen im Dorf sind und sollten sie dort lassen.

Götz Kubitschek

6. Januar 2022 10:02

badeschluß, dank.

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