Wir sehen hier ein schrilles Wesen. Es hat Frauenbrüste und langes, dunkles Haar. Dabei blaue Haut. Es tobt mit aufgerissenen Augen und Mund. Es ist vierarmig und grell illuminiert. Die eine Rechte schwingt einen Säbel, die andere macht eine herausfordernde Kampfesgeste. Passend dazu steht das Wesen breitbeinig im Ausfallschritt: Kommt! Kommt mir nur! Links hält die Figur einen abgeschlagenen Männerschädel mit schlaffen Lidern und ohnmächtig herausgestreckter Zunge. Die andere Linke fängt in einer Schale das triefende Blut auf, offensichtlich nutzlos, denn der Lebenssaft läuft bereits über. Männerschädel schmücken als Kette den Hals des Wesens, eroberte Arme samt Händen ihren Hüftgürtel. Wir ahnen, daß es die Gliedmaßen von Männern sind, alles andere wäre unlogisch. Unter dem mit Ringen geschmückten linken Fuß der Furie liegt ein weißer Mann (ihr eigener Gatte Shiva, wie wir recherchieren können), er hat offenkundig ausgehaucht. Neben der – ebenfalls goldverzierten – rechten Fessel sehen wir die blutigen Überreste eines schwarzen Mannes.
Hier geht es sichtbar nicht um einen defensiven Akt der Selbstbehauptung. Bei dieser indischen Göttin geht es um nichts weniger als um die totale Vernichtung. Die wütende, tobende Kali kennt keine Gefangenen. Der preisgekrönte (Wiener Kunstausstellung 1873) indische Maler Raja Ravi Varma (1848 – 1906) hat dieses provokante Bild verfertigt. Nun dient es als Buchcover. Das ist auf eine Weise vielsagend.
Wer in den sozialen Medien »blutrünstige Inhalte« abbildet, muß, gemäß den Richtlinien, normalerweise gehen. Allerdings nur gelegentlich. Eine als seriös, keinesfalls als extrem feministisch geltende Journalistin, Anna Schneider (vormals NZZ, neuerdings Die Welt), wurde auf Twitter gerade »gegangen«, weil sie als sogenanntes Profilbild den Ausschnitt eines Caravaggio-Gemäldes nutzte: die Enthauptung des Holofernes. Das ist eine blutrünstige Szene: In äußerster Not und in Sorge um ihr Volk nimmt Judith dem assyrischen Belagerer Holofernes das Leben. Abendländische Kunst, von Twitter getilgt mit Rücksicht auf sogenannte Sitten. Das hier (und übrigens medial allüberall) veröffentlichte Romancover ist drei‑, vier‑, eher zwanzigmal blutrünstiger. Es stieß bislang auf keine Kritik. Vermutlich gibt es eine Art »Folkloreschutz« – was im Grunde bereits ein streitbarer Tatbestand wäre. Ich meine: Wäre hier und heute jenseits irgendwelcher dunklen Räume ein Buchumschlag denkbar, auf dem, sagen wir, ein Muskelmann auf einer Frau herumtrampelt und zugleich mit x abgeschlagenen Frauenköpfen triumphiert? Eine rhetorische Frage. Wäre es natürlich nicht.
Die Autorin, die sich hier auf Kali beruft, die indische Göttin des Todes und Verkörperung des Zorns, heißt Mithu Sanyal. Frau Sanyal, 1971 als Tochter eines indischen Vaters in Düsseldorf geboren, ist ein Lieblingskind des bundesdeutschen Feuilletons. Sie ist feste Mitarbeiterin des WDR, schreibt zudem Auftragsarbeiten für die taz, die Junge Welt und die Bundeszentrale für politische Bildung. Im zwangsgebührenfinanzierten Rundfunk wird ihre Stimme häufig als Expertin für sogenannte Geschlechterfragen zugeschaltet. Es ist, zugegeben, eine angenehme Stimme, heiter und daseinsgelassen – wodurch sie sich vom aufgeregten Sound ihrer feministischen Kolleginnen und Freundinnen im Geiste durchaus abhebt. Sanyal hat über die Kulturgeschichte des weiblichen Genitals promoviert und mit ihrem Buch Vulva (2009) Achtungserfolge erzielt. Frau Sanyals tabuloses wie anstrengendes Buch Vergewaltigung – Aspekte eines Verbrechens war sogar eine meiner sezessionistischen Weihnachtsempfehlungen anno 2016. Mir gefiel, wie sie hier gleichsam gegen den Strich dachte, indem sie die Schreckenstat entmystifizierte. Sprich: behutsam von althergebrachten Wertungen befreite. Nun, in ihrem ersten Roman, dessen Cover hier zur Behandlung ansteht, nimmt Frau Sanyal eine Re-Mystifizierung vor. Das ist sehr, sehr schräg.
In dieser Geschichte geht es um die Studentin Nivedita (ihr titelgebender »Identitti«-Blog handelt neben Identitätsfragen tatsächlich von »Titten«; Nivedita ist sexuell sehr ansprechbar, Sex ist neben Race ihr zweitliebstes Thema) und ihre prominente »indische« Professorin Saraswati. Frau Prof. Saraswati ist mindestens so furios wie die Göttin Kali. Sie pflegt Allüren, gegen die Camille Paglias Widerborstigkeit ein Klacks ist. Sie, Professorin für Postcolonial Studies an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität, wird von ihren »Student*innen« geradezu angebetet.
Ihr jüngster Text, White Guilt. Warum niemand weiß sein will, hat international für Furore gesorgt. Es ist ihr Verdienst, daß »Nicht-Weißsein cool« geworden ist. Nun kommt heraus: Die akademische Göttin heißt in Wahrheit Sarah Vera Thielmann, ist weiß und hat Wurzeln in Karlsruhe. Ein Skandal! Dabei hatte sie sich ihre Transrace-Performance durchaus was kosten lassen: Hormone, Operationen. Für Sarah Vera war es der logische und einzige Ausweg, um der »weißen Schuld« zu entkommen: ganz und gar Person of Color zu werden. Ihre Freunde goutieren das letztlich. Sie ist den finalen Schritt gegangen, den ein schuldbewußter weißer Mensch gehen kann. Ihre Gegner nennen es Betrug: Als nun »Braune« (darf man so nicht sagen, da rassistisch) erhebt sie sich immer noch über alle Schwarzen, die anders als Saraswati »keine Möglichkeit zum Passing hatten«, sprich, zum Switchen in eine andere Race. Es wäre witzig, wenn es witzig gemeint wäre und diese dekonstruktivistischen Albereien als solche satirisch entblößt würden. Nur: Frau Sanyal meint es bitterernst. Sie hat eine Literaturliste beigefügt: von Decolonising the Mind bis zu Unlearning Imperialism und White Privilege ist alles darunter, was das rassismusfixierte und zugleich Race-leugnende Herz begehrt.
Kalis Furor ist deshalb bedeutsam, weil Frau Sanyal enorme Reichweite hat. Dieses Romandebüt wurde, soweit zu sehen ist, auf sämtlichen Sendeplätzen des staatsnahen Großfeuilletons nicht bloß vorgestellt, sondern gefeiert. Zusätzlich hat sie für ihren »frivolen« Roman im Vorfeld viele »diverse« Stimmen (unter anderem von Ijoma Mangold, Sibel Schick, dem Staatsfunk-Redakteur René Aguigah, Hengameh Yaghoobifarah, anderen prominenten Kulturlinken wie Kübra Gümüsay und Fatma Aydemir; aber auch von Nichtlinken wie Lars Weisbrod und Arne Hoffmann) eingeholt, die sie direkt im Geschehen verwertet. Das ist geschickt eingebaut in die Romanhandlung. Der Roman endet mit einem realen Ereignis, dem »rechten Terroranschlag von Hanau«. Frau Sanyal äußert beklommen, daß ihre Fiktion mit einer »derartigen Attacke« enden »mußte«. Denn, ganz persönlich: »Ich habe keine Angst auf die Straße zu gehen, natürlich nicht, aber wenn ich nachts allein an einem Mann vorbeigehe, dann ist mein erster Gedanke: Ist das ein Nazi?« Das Schweigen über diese »bundesrepublikanische Wirklichkeit« sei eine »nicht akzeptable Leerstelle«. Ah. In diesem Land stehen sogenannte Mixed-race-Personen verschwiegenerweise vor einer lebensbedrohenden Gefahr.
Bitte: Sagt es nicht Kali weiter.