Pál Telekis historische Tat

von Jörg Seidel

PDF der Druckfassung aus Sezession 101/ April 2021

Viel­leicht kann man Geschich­te mit einem beweg­li­chen Kno­ten ver­glei­chen, der sich anhand des Zeit­strahls fort­be­wegt, in sich ver­schie­de­ne Strän­ge ver­eint und immer neue auf­nimmt, aber auch jeder­zeit geöff­net wer­den kann. Jeder his­to­ri­sche Augen­blick ver­eint dia­lek­tisch alle drei Ele­men­te – Ver­stri­ckung, Bewe­gung, Lösung – in sich, aber es gibt Zeit­punk­te, in denen ein Ele­ment für das Auge des his­to­ri­schen Betrach­ters domi­nant und sicht­bar wird. Dort kann man viel über Geschich­te ler­nen, über den Kai­ros und die Fol­gen, wenn er ver­paßt wird, aber selbst­ver­ständ­lich auch über die Unmög­lich­keit, Geschich­te im je eige­nen Sin­ne erfolg­reich schrei­ben zu können.

Als Graf Pál Tele­ki sich am frü­hen Mor­gen des 3. April 1941 eine Kugel in den Kopf schoß, da war so ein Moment, an dem vor­he­ri­ge Ereig­nis­se kata­stro­phisch zusam­men­lie­fen und sich im sel­ben Augen­blick neue Wege bahn­ten, an dem His­to­rie in eine ande­re Bahn gezwängt wurde.

Wie alle Minis­ter­prä­si­den­ten Ungarns unter Miklós Hor­thys Reichs­ver­we­ser­schaft, die von 1921 bis 1944 dau­er­te, war Tele­ki ein kom­ple­xer und wider­sprüch­li­cher Cha­rak­ter, aber auch ein Staats­mann von Rang. Er reprä­sen­tier­te – eben­so wie Hor­thy selbst – in einer poli­tisch hoch­vo­la­ti­len Zeit eine Form des dog­ma­ti­schen Kon­ser­va­tis­mus, der von einem schein­bar anti­quier­ten Ehr­be­griff getra­gen wur­de und exakt des­we­gen ein Sta­bi­li­täts­ele­ment in die ver­wirr­te und unüber­sicht­li­che poli­ti­sche Land­schaft einführte.

Schon Anfang der 1920er Jah­re hat­te er, ein Mit­un­ter­zeich­ner des Tria­non-Ver­tra­ges, »ein ver­ant­wor­tungs­vol­ler Voll­blut­po­li­ti­ker«, das Amt inne, und sei­ne Regie­rungs­zeit stand einer­seits für die Been­di­gung des »wei­ßen Ter­rors«, der als eine Reak­ti­on auf den »roten Ter­ror«, auf die Beset­zung gro­ßer Tei­le Ungarns durch Rumä­ni­en und vor allem auf die tief emp­fun­de­ne Krän­kung aller Ungarn nach den emi­nen­ten ter­ri­to­ria­len und Bevöl­ke­rungs­ver­lus­ten durch den soge­nann­ten Frie­dens­ver­trag von Tria­non zu ver­ste­hen ist. Ande­rer­seits stand sie aber auch für das ers­te von drei »Juden­ge­set­zen« (wesent­lich ein Nume­rus-clau­sus-Gesetz), die letzt­lich – auch gegen den Wil­len Hor­thys – zur Depor­ta­ti­on Hun­dert­tau­sen­der unga­ri­scher Juden nach Ausch­witz führ­ten. Davon frei­lich konn­te Tele­ki noch nichts ahnen.

Er war ein Staats­mann alter Schu­le mit hohem Ethos und einer aus­ge­feil­ten staats­phi­lo­so­phi­schen Vor­stel­lung, ein Wis­sen­schaft­ler von Rang und ein Mit­be­grün­der der Pfad­fin­der-Bewe­gung. Sein stra­te­gi­sches Haupt­ziel war – wie übri­gens bei allen sei­nen Nach­fol­gern und Vor­gän­gern, nur mit unter­schied­li­chen Mit­teln – die Revi­si­on des Tria­non-Ver­tra­ges, also die Rück­erlan­gung des unga­ri­schen Ter­ri­to­ri­ums, das nun zu den Anrai­ner­staa­ten gehör­te. Ungarn hat­te durch den Ver­trag über 70 Pro­zent sei­nes Ter­ri­to­ri­ums und fast 60 Pro­zent sei­ner Bevöl­ke­rung ver­lo­ren, wor­un­ter fünf Mil­lio­nen eth­ni­sche Ungarn waren. Ungarn wur­de zudem von den Sie­ger­mäch­ten wäh­rend der Pari­ser Ver­hand­lun­gen gede­mü­tigt, da man ihm jeg­li­ches Mit­spra­che­recht ver­wehr­te und das Land vor voll­ende­te Tat­sa­chen stellte.

Tele­ki mach­te sich aller­dings für eine fried­li­che, diplo­ma­ti­sche und orga­ni­sche Revi­si­on stark, und das unter­schied ihn von vie­len anderen.

Sei­ne zwei­te Amts­zeit stand unter deut­lich schwie­ri­ge­ren Vor­zei­chen. Als er sein Amt erneut antrat, hat­te Deutsch­land gera­de Polen über­rannt, die Beset­zung der Tsche­chei war bereits Geschich­te und brach­te Ungarn durch den ers­ten Wie­ner Schieds­spruch die Rück­erobe­rung ver­lo­re­ner slo­wa­ki­scher Gebie­te sowie der Kar­pa­ten­ukrai­ne. Sei­ne drei Vor­gän­ger im Amt – Göm­bös, Dará­nyi und Imré­dy – waren radi­ka­le­re Rech­te, die die Annä­he­rung an Deutsch­land und den Natio­nal­so­zia­lis­mus gesucht hat­ten und damit in einem gewis­sen Wider­spruch zum Reichs­ver­we­ser stan­den, der sie frei­lich gewäh­ren ließ.

Tele­ki soll­te nun ein Gegen­ge­wicht schaf­fen – ihm stand außen­po­li­tisch der schwie­ri­ge Balan­ce­akt bevor, sich von Deutsch­land und von den Alli­ier­ten fern­zu­hal­ten, ohne sich distan­zie­ren zu müs­sen, dabei selbst eine mili­tä­ri­sche Macht auf­zu­bau­en, aber den­noch neu­tral zu blei­ben. Innen­po­li­tisch galt es, die immer mehr erstar­ken­de radi­ka­le Rech­te im Zaum zu halten.

Ungarn pro­fi­tier­te nicht unbe­deu­tend von Hit­ler­deutsch­land. Nach schwe­ren Jah­ren der Rezes­si­on, der Arbeits­lo­sig­keit, des Elends und der Armut boom­te die Wirt­schaft nun, und dafür war ganz wesent­lich der deut­sche Hun­ger nach Agrar­pro­duk­ten und Roh­stof­fen ver­ant­wort­lich. Wei­te Tei­le der Gesell­schaft, vor allem das Mili­tär, waren äußerst deutsch­land­freund­lich, und die Ungarn­deut­schen ent­deck­ten plötz­lich ihren eige­nen Natio­na­lis­mus und stell­ten Forderungen.

Den­noch waren Tele­ki und Hor­thy sich dar­in einig, daß Deutsch­land einen gro­ßen Krieg gegen die Alli­ier­ten lang­fris­tig nicht gewin­nen kön­ne, also dür­fe man die Fäden gen Wes­ten nicht abschnei­den. Ja, sie sahen sogar bereits die Gefahr, daß die Nie­der­la­ge Deutsch­lands Ungarn unter den Macht­be­reich der Sowjet­uni­on brin­gen könn­te, und das war für bei­de Anti­kommunisten die schreck­lichs­te Vorstellung.

Immer wie­der ver­such­te Hit­ler mit Zucker­brot und Peit­sche, die Ungarn gefü­gig zu machen, doch lan­ge wider­stan­den sie. Als er via Rib­ben­trop den Durch­marsch deut­scher Trup­pen erbat, um Polen von der Süd­flan­ke angrei­fen zu kön­nen, da lehn­te die unga­ri­sche Regie­rung auch gegen den star­ken Druck der inne­ren Oppo­si­ti­on, die in einem Anschluß an Deutsch­land die bes­te Gele­gen­heit sah, die »tau­send­jäh­ri­gen Gren­zen Ungarns wie­der­her­zu­stel­len«, ab – mehr noch, sie öff­ne­te die gemein­sa­me Gren­ze für Flücht­lin­ge und ret­te­te so hun­dert­tau­send Polen das Leben.

Doch mit den wach­sen­den Erfol­gen Deutsch­lands und der über­ra­schen­den Leich­tig­keit, mit der es sei­ne Geg­ner besieg­te, wur­de die innen­po­li­ti­sche Lage immer schwie­ri­ger, wur­den die deutsch­land­freund­li­chen Rechts­extre­men poli­tisch immer stär­ker. Auch Hor­thy begann zu wan­ken. Wie ein Fels in der Bran­dung beharr­te Tele­ki auf der Not­wen­dig­keit, einen Zick­zack­kurs zu fah­ren und den Kon­takt zu den West­mäch­ten nicht abrei­ßen zu lassen.

Als die Sowjet­uni­on im Som­mer 1940 Gebiets­for­de­run­gen an Rumä­ni­en stell­te, spitz­te sich die Lage erneut zu. Was soll­te mit den Ungarn in Rumä­ni­en pas­sie­ren? Das Mili­tär zeig­te star­ke Gelüs­te, direkt ein­zu­mar­schie­ren und Sie­ben­bür­gen zu beset­zen. Das wäre der akti­ve Ein­tritt in den Krieg gewe­sen, den man ver­hin­dern wollte.

Tele­ki und Hor­thy gelang es, die Ach­sen­mäch­te zu einem Schieds­spruch zu bewe­gen, um die Lage zu beru­hi­gen. Der »zwei­te Wie­ner Schieds­spruch« sprach Ungarn wei­te Tei­le – aber nicht alle – des unga­risch besie­del­ten Sie­ben­bür­gens zu, ent­schärf­te momen­tan die Lage, schuf aber eine ver­stärk­te Abhän­gig­keit von Deutsch­land und ließ zudem einen bedeu­ten­den Teil des ehe­ma­li­gen unga­ri­schen Ter­ri­to­ri­ums zurück. Die Freu­de dar­über war daher zwiespältig.

Tele­ki emp­fand es als per­sön­li­che Nie­der­la­ge, vor allem sah er sei­ne Auto­ri­tät durch das Mili­tär unter­gra­ben. Er erbat weni­ge Tage dar­auf sei­nen Rück­tritt, wur­de von Hor­thy durch Ver­spre­chun­gen aber zum Durch­hal­ten animiert.

Daß Ungarn sich im Novem­ber des Jah­res dem Drei­mäch­te­pakt anschloß, wird man durch­aus als Dank für die Rea­li­sie­rung der Gebiets­an­sprü­che wer­ten kön­nen. Gleich­zei­tig ver­stärk­te Tele­ki sei­ne diplo­ma­ti­sche Arbeit mit Eng­land. Er woll­te die West­mäch­te davon über­zeu­gen, daß Ungarn kei­ne Mario­net­te Deutsch­lands sei, und weil kein Gerin­ge­rer als Chur­chill im Unter­haus erklär­te: »Ich per­sön­lich war nie damit ein­ver­stan­den, wie man Ungarn nach dem letz­ten Krieg behan­delt hat«, und daß man ter­ri­to­ria­len Ver­än­de­run­gen gegen­über, sofern sie im Inter­es­se der Völ­ker stün­den, offen sei, da fühl­te sich Tele­ki in sei­ner Poli­tik bestärkt.

Nun sah er sei­ne Auf­ga­be dar­in, das Bild Ungarns im Wes­ten zu ver­bes­sern, und fand in der Annä­he­rung an den süd­li­chen Nach­barn Jugo­sla­wi­en das pas­sen­de Mit­tel. Mit­te Dezem­ber wur­de ein Pakt für »anhal­ten­den Frie­den und ewi­ge Freund­schaft« geschlos­sen. Tele­kis Posi­ti­on schien gestärkt: Unter sei­ner Füh­rung waren bedeu­ten­de Tei­le des durch Tria­non ver­lo­re­nen Gebie­tes wie­der Teil des Rei­ches, er konn­te noch immer die fak­ti­sche Neu­tra­li­tät Ungarns bewah­ren, und es war ihm gelun­gen, ins­be­son­de­re Eng­land von der Satis­fak­ti­ons­fä­hig­keit Ungarns zu über­zeu­gen, was eine Über­le­bens­ga­ran­tie für die Nach­kriegs­zeit war.

Allein, die »ewi­ge Freund­schaft« mit Jugo­sla­wi­en hielt nur drei Mona­te. Nach der Erklä­rung der jugo­sla­wi­schen Regie­rung, dem Anti­kom­in­tern­pakt bei­tre­ten zu wol­len, wur­de sie am 25. März von west­lich ori­en­tier­ten Mili­tärs gestürzt. Hit­ler ent­schied sich dar­auf­hin, Jugo­sla­wi­en anzu­grei­fen, erbat von Buda­pest die Durch­marsch­ge­neh­mi­gung und ver­sprach den Ungarn im Gegen­zug den letz­ten gro­ßen Hap­pen zur Wie­der­her­stel­lung des eth­nisch geschlos­se­nen Ter­ri­to­ri­ums: die süd­li­che Batsch­ka und das Banat. Er deu­te­te sogar an, den alten See­zu­gang zur Adria wie­der­her­stel­len zu wol­len. Hor­thy, der eins­ti­ge Admi­ral, reagier­te begeis­tert. Ange­sichts der ver­lo­cken­den Beu­te schien er alle lebens­lan­gen Maxi­men ver­ges­sen zu haben. Das Mili­tär stand nahe­zu kom­plett hin­ter ihm.

Nur Tele­ki wider­sprach. Ihm schien es undenk­bar, »Leu­ten in den Rücken zu fal­len, denen wir ewi­ge Freund­schaft geschwo­ren haben«. Er sah vor allem die Ehre Ungarns beschmutzt und sah vor­aus, daß sich die­ser direk­te Ein­griff, das Ver­las­sen der Neu­tra­li­tät, ver­hee­rend auf die Nach­kriegs­zeit aus­wir­ken wür­de. Hor­thy wie­der­um argu­men­tier­te, daß es die Ver­trags­part­ner des »ewi­gen Frie­dens« nun nicht mehr gebe, und sah sich vor allem am Ziel sei­ner Wün­sche: zumin­dest der eth­ni­schen Wie­der­ver­ei­ni­gung mit den ver­lo­re­nen Lands­leu­ten. Immer­hin soll­te Ungarn damit wie­der auf eine Gesamt­flä­che von 172 000 Qua­drat­ki­lo­me­tern mit einer Gesamt­be­völ­ke­rung von 14,7 Mil­lio­nen Men­schen anwach­sen und die meis­ten eth­ni­schen Ungarn unter der Kro­ne ver­ei­nen. In har­ten Ver­hand­lun­gen konn­te Tele­ki noch ein paar Ver­zö­ge­run­gen und die Garan­tie durch­set­zen, daß die Mili­tär­ak­ti­on nur der Befrei­ung der eth­ni­schen Ungarn gel­te und kei­ne Gebiets­eroberungen beinhal­ten dürfe.

Noch ein­mal wand­te er sich – auch in Geheim­ver­hand­lun­gen – an Lon­don und ver­such­te das unga­ri­sche Dilem­ma zu erklä­ren. Er hin­ter­ließ dort sein poli­ti­sches Tes­ta­ment: »Die wich­tigs­te Auf­ga­be der unga­ri­schen Regie­rung in die­sem euro­päi­schen Krieg ist, die mili­tä­ri­sche, mate­ri­el­le und Volks­kraft bis zum Ende des Krie­ges zu kon­ser­vie­ren. Um jeden Preis muß von der Kon­flikt­be­tei­li­gung fern­ge­blie­ben wer­den. Der Aus­gang des Krie­ges ist zwei­fel­haft. Aber auf jeden Fall ist es für Ungarn wich­ti­ger, in der End­pe­ri­ode des euro­päi­schen Kon­flikts unver­sehrt zu sein. […] Das Land, unse­re Jugend, unse­re Armee dür­fen wir nur für uns selbst aufs Spiel set­zen und für nie­man­den anderen!«

Aber er wur­de kalt abge­wie­sen und dar­auf auf­merk­sam gemacht, daß die­ser Aggres­si­ons­akt und die direk­te Zusam­men­ar­beit mit Hit­ler­deutsch­land zwangs­läu­fig zum Krieg mit Eng­land und den USA füh­ren wür­den. Am Tag dar­auf setz­te sich Tele­ki die Pis­to­le an die Stirn. Zuvor hat­te er noch einen erschüt­tern­den Brief an Hor­thy geschrie­ben, der seit­her in kei­nem Geschichts­buch feh­len darf. Die­se Zei­len zei­gen, wie sich der Poli­tik­be­griff in den letz­ten acht Jahr­zehn­ten geän­dert hat, denn heut­zu­ta­ge ist es kaum noch vor­stell­bar, daß Poli­tik an das eige­ne Leben geknüpft wird, daß man aus einem Ehr­be­griff her­aus denkt und handelt.

Viel­leicht hat Tele­ki damit auch ver­sucht, eine aller­letz­te Trumpf­kar­te zu spie­len und Hor­thy zur Umkehr zu ver­an­las­sen. Dem­nach wäre sein Frei­tod eine letz­te wich­ti­ge Bot­schaft gewe­sen. So hat­te ihn wohl auch Sán­dor Márai emp­fun­den: »Pál Tele­ki. Er geht auf der Schan­ze spa­zie­ren, ein paar Tage vor sei­nem Selbst­mord. Ein Beam­ter beglei­tet ihn […] Ein paar Tage spä­ter erschoß er sich, und plötz­lich war er ent­setz­lich erwach­sen. Jede Ver­le­gen­heit war aus dem Gesicht gewi­chen. Er war wie jemand, der etwas begrif­fen und aus­ge­spro­chen hat­te.« Die­se Hoff­nung war frei­lich umsonst gewe­sen. Auch Hor­thy begriff spä­ter: »Mit Graf Tele­kis Tod ende­te auch die Zeit der unga­ri­schen Nonbelligeranza.«

An ande­rer Stel­le wie­der­um hat­te Tele­ki sei­ne Ehre durch­aus befleckt, ohne daß ihn das anschei­nend belas­tet hat­te. Wie Hor­thy selbst, wie unzäh­li­ge ande­re Ungarn, war er ein über­zeug­ter Anti­se­mit, ande­rer­seits setz­ten sie alle diplo­ma­ti­schen Tricks ein, um die Depor­ta­ti­on der unga­ri­schen Juden zu verhindern.

Unter sei­ner Füh­rung wur­den die ers­ten bei­den der drei ver­häng­nis­vol­len »Juden­ge­set­ze« ver­ab­schie­det. Regel­te das ers­te noch den Nume­rus clau­sus, der den unver­hält­nis­mä­ßig hohen Anteil an Juden unter der unga­ri­schen Intel­li­genz kor­ri­gie­ren soll­te und – neben­bei – zu einem bedeu­ten­den Brain drain führ­te, so schuf das zwei­te schon einen Über­gang zu akti­ven Ras­sen­ge­set­zen. Dort wur­de erst­mals ras­sisch argu­men­tiert. Der Nume­rus clau­sus wur­de noch ein­mal ver­schärft. In Wirt­schaft und Wis­sen­schaft durf­te der Anteil der Juden ihren Anteil in der Gesamt­be­völ­ke­rung nicht über­schrei­ten (sechs Pro­zent) – da die meis­ten jüdi­schen Bür­ger aber in Buda­pest leb­ten und dort also pro­zen­tu­al viel stär­ker ver­tre­ten waren, wur­de das gesell­schaft­li­che Leben der Stadt stark beein­flußt. Zwar wur­de die­ses Gesetz noch von Tele­kis Vor­gän­ger Béla Imré­dy aus­ge­ar­bei­tet, aber Tele­ki setz­te es ohne Ände­rung und offen­kun­dig ohne jeg­li­che Skru­pel um. Wo blieb hier die Ehre?

Tele­kis Tod schien sämt­li­che Anker zu lich­ten. In rascher Fol­ge waren alle sei­ne und auch Hor­thys stra­te­gi­schen Zie­le Maku­la­tur gewor­den, wur­den alle Befürch­tun­gen Rea­li­tät. Die Balan­ce-Poli­tik war kra­chend geschei­tert. Schon weni­ge Tage nach dem Ein­marsch in Jugo­sla­wi­en wur­den deut­sche Trup­pen in Ungarn bom­bar­diert. Nun wuß­ten die Ungarn, daß der Krieg sie ein­ge­holt hat­te. Die Geschich­te kam ins Rollen.

Frei­lich bleibt die Fra­ge, ob es über­haupt einen Weg gab, die Kata­stro­phe zu ver­hin­dern, so hypo­the­tisch wie aktu­ell. Selbst der dama­li­ge ame­ri­ka­ni­sche Bot­schaf­ter in Ungarn, John Flour­noy Mont­go­me­ry, kam nach dem Krieg zu der Ein­sicht: »Die Ungarn mögen jetzt den­ken, ihre Füh­rer hät­ten Feh­ler began­gen, was sie sicher auch getan haben, aber mei­nes Erach­tens wäre das Ergeb­nis – wel­che Poli­tik auch immer zu einem frü­he­ren Zeit­punkt ver­folgt wor­den wäre – genau gleich gewe­sen.« Zu stark war der Ein­fluß des mäch­ti­gen Deutsch­land und zu gering waren die Mög­lich­kei­ten der Ungarn, zu groß zeig­te sich der Spa­gat zwi­schen Rea­lis­mus (die mas­si­ve deut­sche Über­le­gen­heit) und Stra­te­gie (Sieg der West­mäch­te). Allein in der Fra­ge der Ehre hät­te man sich unter­schei­den können.

Tele­kis Nach­fol­ger im Amt such­ten noch grö­ße­re Nähe zu Deutsch­land. In László Bár­d­os­sys kur­ze Amts­zeit fie­len die Kriegs­er­klä­rung an Eng­land und die USA, der Kriegs­ein­tritt gegen die Sowjet­uni­on und damit die Ent­sen­dung der 2. Armee – fast 300 000 Mann – an die Ost­front, wo sie fast voll­stän­dig auf­ge­rie­ben wur­de. In Novi Sad mach­ten sich unga­ri­sche Trup­pen eines Mas­sa­kers und Pogroms an Juden und Ser­ben schul­dig und befleck­ten die wei­ße Wes­te. Als die Nie­der­la­ge Deutsch­lands schon längst gewiß war, über­nah­men rechts­ra­di­ka­le Poli­ti­ker die Macht, gip­felnd in den Pfeil­kreuz­lern. Tele­kis und Hor­thys Alp­träu­me hat­ten sich alle materialisiert.

Der ver­zwei­fel­te Schuß am Mor­gen des 3. April 1941 hat­te den schon längst locke­ren Geschichts­kno­ten end­gül­tig gelöst.

 

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