Jeder, der die Bewegungen im Grenzbereich zwischen AfD und CDU in den vergangenen Jahren verfolgt hat, weiß, daß Otte öffentlichkeitswirksam pendelte. Er ist nach wie vor CDU-Mitglied und war als solches an führender Stelle in der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung tätig.
Er verließ diese Stiftung, weil er deren Vorsitzende, Erika Steinbach, an der Seite Jörg Meuthens weiß und dessen Kurs der parteiinternen Abgrenzung und Spaltung für grundsätzlich falsch hält. Er begründete seinen Austritt mit den Worten, daß sich die Partei leider mit sich selbst beschäftige und nicht mit den drängenden Sachfragen.
Wenig später kandidierte Otte für den Vorsitz der WerteUnion innerhalb der CDU – einer wenige tausend Mitglieder umfassende Gruppe, deren Ziel es ist, die CDU auf einen Wesenskern zurückzuführen, den sie einmal besessen haben soll. Er wurde gewählt, und seine Wahl führte zu medienwirksamen Austritten aus der WerteUnion – ein Vorgang, der lehrreich für alle war, die in dieser Splittergruppe den koalitionsbereiten Brückenkopf der AfD in der Union sahen.
Otte läßt seit seiner Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten den Vorsitz der WerteUnion ruhen. Außerdem wird ein Parteiausschlußverfahren gegen ihn angestrebt. Seine Kandidatur war und ist auf allen Kanälen Meldung, außerdem wird sie in allen Zeitung prominent kommentiert.
Hat die AfD also alles richtig gemacht? Ja, in dreifacher Hinsicht:
1. Die AfD hat ihre medial zugeschriebene Rolle als unberührbarer Buhmann durch diesen Coup unterlaufen. Aus welchen Gründen genau die Medien die aussichtslose Kandidatur Ottes zu einem Leitthema machten, ist nicht klar. Vielleicht steckt dahinter die offen ausgesprochene Vereinbarung einer lückenlosen Ausgrenzung der AfD: keine Zusammenarbeit, keine Normalität im Umgang, keine Einbindung in die demokratische Mechanik des Parteienstaats. Wer diese Hygieneregeln nicht einhält, wird abgefangen, öffentlich belehrt und zuletzt als unbelehrbar verstoßen.
Sicherlich spielt auch die Unsicherheit im Umgang mit dem neuen Unionsvorsitzenden Friedrich Merz eine Rolle: Wie wird er sich und seine Partei positionieren, jetzt, wenn die CDU auf kaum absehbare Zeit in der Opposition sein wird und die fehlenden Stimmen kaum dort zurückholen kann, wo Grüne, SPD und FDP einander das Wählerpotential zuspielen, sozusagen immer wieder als Alternative zueinander, aber dennoch innerhalb der regierenden Mehrheit?
Vor diesem Hintergrund kam und kommt es den anderen “demokratischen Parteien” zupaß, Merz in puncto Otte festzunageln und an die Hygienevorschriften zu erinnern.
2. Die AfD hat ihren Wählern an einem konkreten Beispiel gezeigt, daß man keinerlei Hoffnung auf eine Merz-CDU setzen dürfe. Auch unter der Führung eines Mannes, der als Merkels Opfer, als hagerer, großer Grübler und als harter Wirtschaftsmann für viele, auch AfD-nahe Konservative akzeptabel zu sein scheint, wird die CDU keinen halben Schritt auf die AfD zu machen.
Prominentes Opfer dieser Desillusionierung ist Vera Lengsfeld. Sie setzte als CDU-Mitglied allen Ernstes große Hoffnungen in eine WerteUnion, die in zwei Richtungen nachgerade historisch zu wirken habe: in die CDU hinein als Lordsiegelbewahrerin einer guten CDU, die “der Hauptgrund für das Erfolgsmodell Bundesrepublik Deutschland” (Lengsfeld) gewesen sei; in die AfD hinein als externer Kämpfer an der Seite Meuthens im Kampf gegen die vorrückenden Netzwerke um Höcke.
Beides habe nun einen herben Rückschlag erlitten, schreibt Lengsfeld in einem Beitrag über “Das Zerstörungswerk des Max Otte” – Zeilen, die an Blindheit für die Rolle der CDU im Umbau Deutschlands kaum zu übertreffen sein dürften.
3. Wenn Chrupalla und Höcke für den CDU-Mann Otte votierten, Meuthen aber dagegen, wurzelt letzterer in der Luft. Er wird untergraben oder überbrückt, jedenfalls umgangen, ist also überflüssig, wenn es darum geht, das Überraschende zu tun und die Kampfzone zu erweitern.
Es hätte, dies zuletzt, auch ganz andere Möglichkeiten gegeben, auf die Farce der wie stets abgekarteten Wahl des Bundespräsidenten zu reagieren – immerhin wird die AfD mit rund 150 Wahlberechtigten in der Bundesversammlung vertreten sein. Vielleicht hätte man einen authentischen Kandidaten aus den eigenen Reihen präsentieren können. Das aber wäre den Medien keine Meldung wert gewesen. Und eine Aktion am Wahlabend selbst? Die Gratwanderung zwischen beleidigter Leberwurst und Guerilla-Marketing ist mehr als schwierig.
Ottes Nominierung bedeutet auch, daß man den entscheidenden Schritt gemacht hat. Jetzt rutschen andere aus.
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tearjerker
Ist die Union denn jetzt geschwächt, weil dort gewisse Sympathien für die Partei „rechts“ von der Werte-Union unterstellt werden könnten, oder ist sie gestärkt, weil die Folge der Zusammenbruch der Werte-Union und ein weiterer Linksrutsch sein könnte, der die Union wieder mehrheitsfähig macht?