Aber: Sie ist falsch, und darauf hinzuweisen und eine andere, stimmigere Verwandtschaft zu benennen, dürfte das maßgebliche Motiv des vorliegenden Werkes von Lothar Fritze sein. Der emeritierte Professor und Totalitarismusforscher zeigt anhand des Vergleichs von NS und Marxismus auf, daß auch der Universalismus und sein individualistischer Ausgangspunkt zu ziemlich ähnlichen Erscheinungen geführt haben, wie die, welche allein als bewältigungsbedürftig angesehen werden.
Kommunistisches und NS-Denken ist von einem übereinstimmenden Politikverständnis geprägt. Dabei sind Prinzipien und Institutionen einer guten politischen Ordnung irrelevant. Es kommt auf soziale „Gesetzmäßigkeiten“ an, die aus der menschlichen Bedürfnisstruktur abgeleitet werden und die es politisch durchzusetzen gilt, wobei dies unvermeidbar gewalttätig zu geschehen hat.
Dies ist die Grundlage der massiven Politkriminalität beider „Zwillingsbrüder“, die nicht darauf zurückzuführen ist, daß etwa der NS eine andere Moral befürwortet hätte. Vielmehr ist hierbei die Ebene der Rechtfertigung maßgebend, die sich dabei auf sehr fragwürdige Theorieansätze mit abwegigen äußerst präventiven Gefahrenabwägungen bezieht, so daß den Tätern zentral die Verletzung kognitiver Pflichten zum Vorwurf zu machen ist: Sie hätten die Abwegigkeit ihrer Theorien und Annahmen erkennen müssen.
Hinsichtlich des Marxismus legt dies der Verfasser in einer objektiven (und eher zu verständnisvollen) Weise dar. Er arbeitet den utopischen Grundcharakter heraus, der mit ziemlich apodiktischen Annahmen operiert und dabei auf dialektische Geschichtsgesetze baut, die zwingend zum erkannten Heilszustand führen.
Dabei besteht die Faszination des kommunistischen Denkens weiterhin, das letztlich auf die weltweite Gleichstellung aller Menschen abzielt und sich konkret schon in der Hinnahme massiver illegaler Masseneinwanderung zum Ausdruck bringt. Die Gegenposition hierzu wird „nazifiziert“. Zutreffend kennzeichnet Fritze die weiterhin politisch maßgeblichen grundlegenden Gegenpole als „universalistisch“ versus „partikularistisch“; man gerät jedoch in eine Schieflage, wenn das Eintreten für den Nationalstaat auch noch mit dem VS-Unwort „kollektivistisch“ gekennzeichnet wird, so als wäre der Befürworter einer Mehrzahl von Privatunternehmen Kollektivist und der Befürworter eines einheitlichen Staatsunternehmens Individualist.
Auch die Darlegung der inhaltlichen Unterschiede von National- und Internationalsozialismus, die wesentlich im Universalismus des Marxismus und im Antiuniversalismus der NS-Ideologie besteht, erscheint etwas verkürzt. Während beim Marxismus Klassen agieren, die eine soziale Grundlage haben, agieren beim NS Rassen mit biologischer Grundlage.
Die Ausrottung von Rassen ließe sich dann theoretisch schlüssig begründen, die von Klassen jedoch nicht, so daß zwar der NS in Übereinstimmung mit seiner Ideologie agiert hätte, der Kommunismus mit dem Terror eines Stalin aber nicht in Übereinstimmung mit der Theorie von Marx. Hierbei verkennt der Verfasser die Transformierbarkeit der verglichenen Ideologien und die Tatsache, daß der „Faschismus“ eine Antwort auf die Unzulänglichkeiten der marxistischen Lehre darstellte.
Der Revisionismustreit hatte eben nicht nur zur Aufspaltung von SPD und KPD geführt, sondern auch zu Lehren von Josef Reimer („pangermanische Sozialdemokratie“), der annahm, so etwas Anspruchvolles wie Sozialismus könne nur von der germanischen Rasse verwirklicht werden. Problem war etwa, biologische und gesellschaftliche Evolution in eine einheitliche Theorie zu fassen. Die Klassenkampftheorie von Marx läßt sich auf eine Rassenkampftheorie zurückführen und Engels kennt „reaktionäre Völker“, „Völkerabfälle“, die im Zuge der Weltrevolution fortschrittsgemäß untergehen.
Die Gesamtbewältigung der Sozialismen ist zu begrüßen – die Begründung des politischen Partikularismus ist davon unabhängig.
– – –
Lothar Fritze: Kommunismus und Nationalsozialismus. Antipoden und Zwillingsbrüder, Neuruppin 2022, 366 Seiten, 22 € – hier bestellen
quarz
Wie schon an anderer Stelle erwähnt, scheint mir die Gegenüberstellung von Universalismus und Partikularismus eine falsche Dichotomie zu sein. Nicht der Universalimus führt zu einer fatalen Erosion spezifischer Kulturen und deren Auflösung in einem weltweiten Konfetti-Einheitsbrei, sondern der Irrglaube, dass die weltweite Umsetzung universal gültiger Normen in unserer Verantwortung liegt.
Wir sind nicht für alle Menschen im gleichen Maß verantwortlich. Für unsere Kinder mehr als für die Kinder unseres Nachbarn. Für unsere Verwandten und Freunde mehr als für Fremde, für Angehörige unserer Kultur (mit denen wir - auch wenn wir sie nicht persönlich kennen - ein gemeinsames soziales Daseinsprojekt betreiben) mehr als für Angehörige anderer Kulturen.
In Bezug auf diejenigen, für die wir Veranwortung tragen, sind wir in der Pflicht, aber daraus folgt nicht, dass wir spezifischen, eigenen Normen zu folgen haben. Die Norm des Kehrens kann universal sein, auch wenn jeder vor seiner Tür zu kehren hat.