Es ist ein Aufruf und keine Beschimpfung, wenn ich hier über Doppelhaushälften in stadtnahen Neubaugebieten schreibe und, zugegeben, auch spotte.
Empörte Kommentare (womöglich von Leuten, die sich gerade ein „bezahlbares“ Eigenheim erworben haben) darf ich vorwegnehmen. Ich kenne sie bereits: „Nicht jeder hat das Glück, ein Rittergut…“; „Sie schmähen das wohlverdiente Glück der Kleinen Leute!“; „Vom hohen Roß herab läßt sich gut…“ usw. Geschenkt!
Um es offen & ehrlich und gleichsam als Triggerwarnung zu sagen: Ja, in diesem Text wird der Eindruck entstehen, ich hielte Eigentümer einer solchen Wohneinheit für irgendwie kleingeistig oder zumindest in einem Bereich ihrer vielfältigen Persönlichkeit für etwas eingeschränkt. Kommen Sie! Hier wird ausgeteilt, hier wird eingesteckt. So sportlich sollten wir sein! Auch, wenn Reihenhausbesitzerbashing genuin ein linkes Vorrecht ist.
Meine Kollegin Caroline Sommerfeld hat mir gerade über eine Wanderung mit ihrem jüngsten Sohn geschrieben, die nur halbschön verlief. Sie führte nämlich vorbei an endlosen kaninchenstallgleichen Neubauten. Sie schickte mir dazu folgenden Link. Noch deutlich mehr Aufrufe hat das Lied von Pete Seeger mit dieser Untermalung.
(Gedichtet wurde der Hit übrigens von Malvina Reynolds,1900–1978, die ein Kind von ungarisch-russischen sozialistischen Juden war – falls das etwas zur Sache tut.) Achtung, das heitere Liedchen verläßt dann ungern den Gehörgang.
Es geht in diesem Folk-Hit um kleine (Wohn-)Schachteln „am Hang“, die alle gleich ausschauen: Eins ist zwar grün, das andere rosa oder blau – aber sie sind alle austauschbar.
Was auch für ihre Bewohner gilt:
Sie besuchten alle die Universität // wo man sie in Schachteln packte // mit dem gleichen Resultat.
Ob sie nun zu Ärzten wurden oder zu Anwälten oder Geschäftsmännern: Sie leben ein verwechselbares Einheitsleben: Golf spielen, nette Kinder zeugen, die dann wiederum: Geschäfte machen, ausschauen wie alle anderen, ein kleines grünes, blaues oder gelbes Haus erwerben – „and they all look the same“.
Heute sagt man zu solchen Leuten abfällig „NPC“. Das heißt „Non-player-character“ und meint eine Figur, die in einem Videospiel (und übertragen: im echten Leben) eigentlich nichts zu sagen hat; die bloß Staffage ist; Otto Normal und Lieschen Müller. Sie halten durch ihre biedere Bravheit den Staat und seine Institutionen irgendwie aufrecht, aber sie bewirken nichts. Sie schwimmen mit dem Schwarm und niemals gegen den Strom. Sie gehen mit der Mode, sie sind habituell medioker.
Als Konservativer hätte man zeitenlang gegen eine solche Lebenseinstellung nichts einzuwenden gehabt. Jahrhundertelang haben genau diese Leute, die “Mittelmäßigen” ohne Entfaltungsspielraum, auch im Schnitt irgendwie vernünftig gelebt. Oder gewohnt.
Ja, es gab immer Armut und Prekariat, und viele lebten mehr schlecht als recht – insofern wohnen wir alle heute in privilegierten Zeiten.
„Wohnst Du noch oder lebst Du schon?“ ging ein Werbeclaim von IKEA (übrigens von 2002 – für alle, die vergessen haben, wie alt sie schon sind), vor dem man sich eigentlich schütteln mußte. Gerade IKEA mit dieser konfektionierten One-World-Ware! Gerade dieser Duz-Verein machte wieder einen auf Lebensphilosophie! “Finde Deins!”
Aber genau diese Werbungsspur zieht ja, gestern wie heute. Nämlich die: „Sei mal ganz individualistisch. Mach Dein Ding.“ Das Resultat dieser Devise ist so viel- wie einfältig. In der Sehnsucht nach einem Eigenheim samt Gärtchen drückt es sich besonders häufig aus.
Jede, wirklich jede einzelne Groß‑, Mittel- oder Kleinstadt in Deutschland kennt das Ergebnis: „Individuelle“ Häuser von der Stange. Kaninchenställe eigentlich. 90- 160 qm Wohnfläche. Kleiner Rasen anbei. Kann man wahlweise mit Thuja, Buche oder (südlich von Fulda/Bonn/Zwickau) mit Kirschlorbeer einrahmen. Man kann eine einfallsreiche Mülltonnenumrandung schaffen und jahreszeitlichen Schmuck (am Fenster, im Vorgarten) anbringen. Man kann mit kleinem oder großem Trampolin zum Ausdruck bringen, wie sehr man den Bewegungsdrang der 1,4 eigenen Kinder wertschätzt. Man kann statt ubiquitärem weißem Plastikstuhl für den Sommer hochwertigere Tropenholzteile wählen, um sich (leicht) zu unterscheiden.
Man muß all dies nicht als Spießerattitüde belästern. Man darf aber doch staunen. Darüber, wo das Herz schlägt. Wie es ausschaut, wenn Wünsche wahr werden.
Ich liebe es übrigens, durch Neubaugebiete zu spazieren. Es ist wie eine Romanlektüre. Ein melancholischer Roman. Ich mag die Leute und ihr kleines Glück wirklich. Gemeinsam mit meinen Kindern ist es ein beliebter Zeitvertreib: Noten zu verteilen für Häuser. Oft gebe ich eine Vier plus , wo die Jüngste zur Zwei tendiert, weil sie dieses unergründbare Faible für saubere Rasenkanten hat. Ich habe nichts gegen die Bewohner von Vier-plus-Häusern. Ich bilde mir dennoch ein, daß ich mit solchen Gängen eine Augenschule für meine Nachgeborenen abhalte.
Ich empfehle gern den Podcast „Indubio“, der aus dem liberalkonservatien Netzwerk der Achse der Guten erblüht. Ich höre fast jede Folge. Anders als wir ist man dort auf Werbung und Sponsoring angewiesen, was das Lesen (Reklame, Reklame, Reklame!) mehr noch als das Hören erschwert.
Eine aktuelle Folge von „Indubio“ (es geht hier grosso modo um „unser Milieu“) hat ein Hersteller von Tiny Houses finanziert. Man sollte sich diese (ökozertifizierte) Seite unbedingt anschauen. Wie gesagt: Keine Widerrede von mir, wo Leute – privat oder unternehmerisch- ihr Ding drehen. Ich gönne es.
Ich überlege mir jedoch: Einen verschiebbaren (dürftigen, gesichts- wie geschichtslosen) Bungalow mit 48 qm Wohnfläche im Sauerland zu 106. 000 €? Mein Heim, mein Schloß? Auf so enggecaseltem Raum? Da sollte es doch Besseres geben!
Ich rate jedem, sich möglichst standortunabhängig zu machen. Das ist viel einfacher, als man denkt. Es braucht – scheint mir – einen gewissen Ruck.
Ich möchte abermals daran erinnern, daß wir unser (wunderbar erhaltenes) Rittergut anno 2002 für sage und schreibe 11.500 € erworben haben. Was auch daran lag, daß wir enorm verkehrsungünstig liegen, daß das Anwesen für Privatpersonen eigentlich überdimensioniert war, daß nur wenige so wohnen wollen und daß man einen Renovierungsaufwand sah, wo wir keinen sehen.
Solche Preise gibt es heute kaum noch. Wir mußten damals natürlich handwerklich viel investieren. Zu einem Teil (ich kann Lehmputz, kann mit Trennschleifern jeglicher Couleur umgehen; Kubitschek kann bohren, Zäunebauen und einfache Dacharbeiten verrichten ) haben wir das selbst erledigt, zum anderen Teil gab es gottlob Fördertöpfe. Irgendwann (man muß Geduld haben & sparsam sein!) verfügten wir auch über Knete, um Leute zu beschäftigen.
Ich plädiere dafür, daß Altbausanierungen weit mehr subventioniert werden als bislang. Laßt die Leute in guter, alter Substanz leben. Verschont uns mit Neubauten und Augenkrebs! Macht es den Leuten leichter, in geschichtsträchtige Gemäuer zu investieren! Nicht nur in Mitteldeutschland gibt es Tausende davon! Laßt sie blühen, bitte!
Das Geld ist ja da (ich sage nur: 100 Milliarden…); man muß es nur gescheit verteilen. Grüne Regierung: hallo?
Leider ist das gute alte Lied des Lieddichters Burkhard Ihme – „Besser, schneller, billiger“ – online nicht kostenfrei abrufbar. Es geht darin um einen Mörder, der entdeckt hat, was die perfekte Art des Um-die-Ecke-Bringens ist: Nämlich der moderne Wohnungsbau, die „Klötze aus Beton“. Der Rest erledige sich (suizidal) von selbst.
Willy Lomann (Tod eines Handlungsreisenden) und die neurotische Hausfrau lassen grüßen. Es gibt sie auch heute, die verzweifelten Existenzen, in ihren abgezirkelten Wohneinheiten. Der überanstrengte Neubauwohnungsvater und die adäquate- mutter sind keine Romanerfindungen. Hört auf, Eure Thujas zu gießen. Kein Vogel will darin nisten, keine Spinne ihr Netz weben.
Es gibt tausend Gründe, nicht in „little boxes“ zu enden. Die Angebote “im Osten” sind ff. Hier sind ein paar, hier noch einer oder hier.
Karl Otto
Tja wenn das alles so einfach wäre. Wer in einer Großstad arbeitet ist auf eine Wohnung oder ein Haus am Stadtrand angewiesen. Altbauten sind schön, aber es gibt davon leider nicht mehr allzu viele im Lande nach den Bombennächten. Die Zentren vieler deutscher Städte aus den 50er und 60er Jahren sind oft ausgesprochen deprimierend.