Sie waren entweder längst aus dem Stadtbild verschwunden oder nur noch als Ruine vorhanden. Claus‑M. Wolfschlag und Daniel Hoffmann haben mit „Und altes Leben blüht aus den Ruinen“ ein Buch vorgelegt, das sich mit eben dieser “Rekonstruktion in Architektur und Kunst seit 1990” (so der Untertitel) befaßt. Die Autoren des reich bebilderten Bandes bezeichnen diese drei Jahrzehnte als Rekonstruktionsbewegung und teilen ihre Geschichte in drei Phasen ein.
Die erste Phase setzte unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein und stand dafür, die Trümmer nicht wegzuräumen, sondern aus ihnen wieder die alten Gebäude entstehen zu lassen. Danach folgten Wirtschaftswunder und Fortschrittsglauben, die sich vor allem in modernistischer Architektur niederschlugen, der so manche noch zu rettende Ruine weichen mußte. Dieser Drang bekam Ende der 1970er Jahre einen Dämpfer, als die zweite Phase der Rekonstruktionsbewegung dafür sorgte, vor allem Fassaden und Grundrisse historischer Gebäude zu rekonstruieren, so daß wenigstens die alte Struktur, die als menschlicher empfunden wurde, als was danach kam, wieder zum Vorschein kam. Die dritte Phase, um die es im Buch geht, begann nach der Wiedervereinigung und hält bis heute an. Auch wenn einem dabei sofort die Vorzeigeprojekte in den neuen Bundesländern einfallen, in denen es die Mangelwirtschaft glücklicherweise nicht vermochte, die historische Bausubstanz durch Neubauten zu ersetzen, gibt es auch in Westdeutschland eine unglaubliche Fülle an Projekten, die unter den Begriff der Rekonstruktion zusammengefaßt werden können.
Diese unterscheidet sich von der jedem Gebäude irgendwann einmal zukommenden Renovierung und Sanierung durch den Erhaltungszustand des Gebäudes. Durch Gewalteinwirkung (Krieg oder Brand) oder langsamen Verfall ist von dem ursprünglichen Gebäude nur noch eine Ruine, meistens aber nur noch Gebäudeteile, vorhanden. Bei einer Ruine spricht man von Wiederaufbau, ist dagegen kaum noch etwas vorhanden, so handelt es sich um eine Rekonstruktion, was soviel bedeutet wie das Nachbilden oder Wiederherstellen eines ursprünglichen Zustandes. Hierunter fallen auch Teilrekonstruktionen, wie z.B. die Fassade oder ein Dach. Unter der kritischen Rekonstruktion versteht man das Wiedererschaffen des Baukörpers ohne die Details, sie konzentriert sich auf die Abmessung von Straßen und Gebäuden, die dort einmal standen.
Vier Kapitel des Buches sind Städten gewidmet, in denen die Rekonstruktionsbewegung ganz besonders erfolgreich war. Für die beiden preußischen Städte Berlin und Potsdam ist das erstaunlich, weil hier neben den, immer angeführten, finanziellen Bedenken, vor allem auch geschichtspolitische Debatten geführt werden mußten. Immer schwingt bei Rekonstruktionsvorhaben der Verdacht mit, daß das zu Rekonstruierende nicht nur aus ästhetischen, sondern auch aus anderen Gründen geschätzt wird. Die Repräsentation des Preußentums in diesen Gebäuden ist vielen ein Dorn im Auge, vor allem solchen, die Zugang zu den Meinungsverstärkern haben. Es sind dieselben, die schon in den 1950er Jahren der Meinung waren, daß die Zerstörung der deutschen Städte eine gerechte Strafe sei, der man nicht durch Wiederaufbau entgehen dürfe. Dennoch sind in Berlin und Potsdam eine Vielzahl, nicht zuletzt durch private Initiativen, von Rekonstruktionen historischer Gebäude entstanden, u.a. das Stadtschloß in Potsdam, in dem heute der Landtag Brandenburg seinen Sitz hat. Um die Garnisionkirche wird bis heute gestritten, nicht nur aus geschichtspolitischen Gründen, sondern auch weil ein DDR-Bau, der auf dem Areal errichtet wurde, unter Denkmalschutz steht. Paradebeispiel für die Rekonstruktionsbewegung ist natürlich Dresden, wo nach der Frauenkirche der ganze alte Markt wenigstens kritisch rekonstruiert wurde.
Frankfurt am Main ist die vierte Stadt, der das Buch ein eigenes Kapitel widmet. Dort sind im Kernbereich der Altstadt ganze Straßenzüge rekonstruiert worden, was u.a. dem glücklichen Umstand zu verdanken war, daß das Technische Rathaus bereits nach einer Generation wieder marode war, so daß nach Abriß wieder Platz für die ursprüngliche Bebauung vorhanden war. In Frankfurt setzte man sich mit diesem Anliegen auch nicht dem Verdacht aus, an militaristische Traditionen anknüpfen zu wollen. Einer der Autoren, Claus Wolfschlag, hat am Anfang des Weges, der sich von 2005 bis zur Fertigstellung 2019 hinzog, mit einem Gutachten Pate gestanden. Voraussetzung für den Erfolg war die Begeisterung des Bürgertums für den Wiederaufbau, der sich die Parteien irgendwann nicht mehr verschließen konnten.
In den weiteren Kapiteln, die nach Gebäudetypen untergliedert sind, findet sich für jeden Leser etwas Verblüffendes, weil man entweder das Haus bereits gesehen hat und es für original hielt, oder weil die Geschichte dahinter so unglaublich ist, daß die Rekonstruktion wie ein Wunder wirkt. Das Braunschweiger Schloß war komplett abgeräumt und steht heute fast am alten Platz, das Rathaus von Halberstadt hat nicht nur seine Fassade, sondern auch seine Ratslaube zurück, in Pirna wurde in einer Baulücke das Kernsche Haus wiedererrichtet. Besonders beeindruckend ist der Wiederaufbau des Altvaterturms, der ursprünglich auf dem höchsten Berg Mährens stand und dort verfiel und 1959 abgetragen wurde. Den sudetendeutschen Vertriebenen gelang es nach 25jähriger Sammel- und Werbetätigkeit, eine Rekonstruktion dieses Turms auf dem thüringischen Wetzstein zu errichten.
Auch wenn das Buch eine solche Fülle an Beispielen präsentiert, daß man den Eindruck haben könnte, man hätte es bei der Rekonstruktionsbewegung mit einer grundsätzlichen Tendenz der Zeit zu tun, so belehrt einen doch der Gang durch so manche Innenstadt eines Besseren.
Bis heute werden historische Gebäude abgerissen, um Platz zu schaffen für meist minderwertige Nachfolgebauten, die für den Moment eine bessere Rendite versprechen. Mit der Rekonstruktion alter Gebäude allein ist es daher nicht getan. Notwendig wäre, daß die zeitgenössische Architektur von sich aus wieder einer Baukultur folgt, die nicht die Funktion, sondern den Menschen in den Mittelpunkt ihres Schaffens stellt.
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Claus‑M. Wolfschlag/Daniel Hoffmann: „Und altes Leben blüht aus den Ruinen“. Rekonstruktion in Architektur und Kunst seit 1990, Graz: Ares-Verlag 2021, 221 Seiten, 29.90 Euro – hier bestellen.
Umlautkombinat
> Paradebeispiel für die Rekonstruktionsbewegung ist natürlich Dresden, wo nach der Frauenkirche der ganze alte Markt wenigstens kritisch rekonstruiert wurde.
der der "Neumarkt" und derartig steril ist, dass ich keinen Dresdner kenne, der ihn in dieser Form besonders moegen wuerde.