Mit einem merkwürdig beklommenen Gefühl der Unwirklichkeit starrte ich auf eine blutüberströmte Gestalt mit lose am Körper herabhängenden und seltsam abgeknicktem Bein, die unaufhörlich ein heiseres »Zu Hilfe!« hervorstieß, als ob ihr der jähe Tod noch an der Kehle säße. (…) Was war das nur? Der Krieg hatte seine Krallen gezeigt und die gemütliche Maske abgeworfen.
Ein Granateneinschlag im Sammlungsort Orainville des Füsilierregiments 73 läßt Ernst Jünger die Illusionen über den Krieg verlieren. Bereits auf der dritten Seite von In Stahlgewittern stellt sich mit dem an Jünger vorbeigetragenen verstümmelten Körper der Realismus des »kalten Beobachtens« ein, der für seine Kriegsschilderungen charakteristisch werden sollte. Keine undifferenzierte Hurra-Stimmung, sondern die Erkenntnis über die eigentümliche Naturgewalt des Krieges.
Eine ähnliche Ernüchterung, die die Realität des Ersten Weltkrieges abzubilden suchte, läßt sich auch auf britischer Seite feststellen, wenn der englische Lyriker Robert Nichols in seinem Gedicht The Assault schreibt:
Deafness, Numbness. The loudening tornado.
Bullets. Mud. Stumbeling and skating.
My voice’s strangled shout:
»Steady pace, boys!«
The still light: gladness.
»Look, sir. Look out!«
Ha! Ha! Bunched Figures waiting.
Revolver levelled: quick!
Flick! Flick!
Red as blood.
Germans, Germans.
Good! Oh, good!Cool madness.
Die Begeisterung ist einem gedämpften Wahnsinn gewichen; die Verklärung ertrinkt in den wassergefüllten Granattrichtern des Niemandslandes der Schützengräben an der Somme und in Verdun. Dabei muß die Erkenntnis über die Schrecken des (modernen) Krieges und seine zerstörerische Gewalt keineswegs in einen weltfremden Pazifismus führen.
Vielmehr mahnt sie uns davor, daß Krieg nur als das allerletzte Mittel der Politik eingesetzt werden sollte, daß man mit ihm nicht leichtfertig hantiert. Außerdem ringt sie uns Respekt vor denjenigen ab, die im Krieg die Waffen halten. Wer verstanden hat, was Krieg für alle darin Verwickelten bedeutet, der wird sich in Zurückhaltung üben, und sofern er nicht Teil des Krieges ist, mit »kühler Scham« bedeckt halten.
Krieg ist kein (Computer-)Spiel, keine Popcorn-Hollywood-Empowerment-Story, an dessen Ende die Avengers mal wieder den Tag gerettet haben, indem sie das »Gute«, also den US-Liberalismus, gegen düstere Horden verteidigten.
Doch betrachtet man die Wortmeldungen der westlichen Journaille, der Meinungsmacher und des Kommentariats seit dem 24. Februar, dem Zeitpunkt als Rußland die Ukraine angriff, könnte man meinen, daß sich in Europas Osten eine derartige »Empowerment Story« zuträgt.
Es setzt sich nahtlos das fort, was vorangegangene Krisen bereits zeigten: Man suhlt sich in der Gewißheit, auf der »richtigen« Seite der Geschichte zu stehen und perpetuiert linksliberale Erzählungen zur Stabilisierung der bundesrepublikanischen Parallelwelt (der erste Krieg seit 1945 in Europa, Frauen als wesentliche Leidtragende des Krieges usw.).
Anstatt der gebotenen Zurückhaltung dominiert eine entrückte Verklärung des Krieges in der Ukraine, die auf eine verquere Art und Weise an die Jubelstimmung von 1914 erinnert; nur unter den Vorzeichen des 21. Jahrhunderts.
Doch während man in den 1. Weltkrieg in der Annahme hineinstolperte, daß er noch unter ähnlichen Rahmenbedingungen wie beispielsweise der Deutsch-Französische Krieg von 1870 bis 1871 ausgetragen werden würde, und, von der technischen Entwicklung überholt, in einer industrialisierten Knochenmühle erwachte, hat der Westen heute jeden Bezug zum Krieg verloren. Er kapselt sich von seinen Realitäten geradezu ab bzw. ist nicht mehr dazu in der Lage, diese zu ertragen (siehe beispielsweise der öffentliche Umgang mit Vietnam in den USA oder mit Afghanistan-Veteranen der Bundeswehr in der Bundesrepublik).
Diese vollkommene Entfremdung vom Krieg führt dann unter anderem zu solchen Phänomenen, daß man die (russischen) Kampfhandlungen in der Ukraine nur noch als Kriegsverbrechen zu kategorisieren weiß. Ohne Frage spielt dabei propagandistisches Kalkül eine wichtige Rolle, dennoch ist es auffällig, daß so mancher aufgebrachte Kommentar im Blätterwald selbst in gewöhnlichen Kampfhandlungen Kriegsverbrechen erkennen möchte.
Zeitgleich erhöht diese Naivität die propagandistische Anfälligkeit, da sie beste Voraussetzungen schafft, das absolute Böse in den Feind zu projizieren und mit Hilfe moralischer Aufladung die Konfliktbereitschaft der westlichen Bevölkerung zu erhöhen: Beispielsweise kann man so das Unterlassen der Einrichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine zu einer indirekten Beteiligung am Völkermord aufbauen, um den Westen zu einer Intervention für die »Menschlichkeit« zu bringen.
Möchte man Berichten, die im Netz zirkulieren, Glauben schenken, dann scheinen aber selbst Freiwillige mit Einsatzerfahrung im Irak- oder Afghanistankrieg von der Intensität der Kampfhandlungen in der Ukraine überrascht worden zu sein. Nach einem russischen Angriff auf einen Truppenübungsplatz nahe Lemberg, auf dem internationale Freiwillige für ihren Einsatz zur Unterstützung der ukrainischen Truppen vorbereitet wurden, kursierten Videos und schriftliche Stellungnahmen von sichtlich geschockten und desillusionierten Söldnern.
Vor allem pro-russische Kommentatoren spöttelten diesbezüglich, daß es eben etwas anderes sei, militärtechnisch haushoch überlegen von vergleichsweise sicheren Basislagern aus und mit einer unangefochtenen Lufthoheit auf »Ziegenhirten« in Afghanistan zu schießen, als in einem Kampf zu stecken, der mit modernem militärischem Material auf relativer Augenhöhe und auf konventionelle Weise geführt wird.
Demzufolge scheint der Krieg in der Ukraine ebenjenen Schrecken zu verkörpern, mit dem Jünger und Nichols in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs konfrontiert gewesen sind; einem Schrecken, den wir uns als friedensverwöhnte Westeuropäer nicht ausmalen können, und der allem Anschein nach auch manchem krisengebietserfahrenen westlichen Söldner die Lust am Kampf genommen hat.
Umso befremdlicher geraten unter diesem Eindruck Beiträge wie »Sind wir bereit, einen Atomkrieg zu führen?«, »My view is basically that nuclear war is worth risking for some things, like keeping as much of Europe free« oder »Deshalb müssen die Nato-Mitglieder JETZT handeln. Sie müssen JETZT ihre Truppen und Waffen dahin bewegen, wo unsere Werte und unsere Zukunft NOCH verteidigt werden«, die mal flugs von der Couch im wohlig warm beheizten Wohnzimmer in die Tasten gehauen werden.
Ob dieselben übermotivierten, aufgeplusterten Stimmen dann, wenn ihre großmäulig vorgebrachten Forderungen in die Tat umgesetzt werden sollten, noch bereit dazu wären, das ultimative Opfer zu bringen, das der ukrainische Historiker und Jungeuropa-Autor Mykola Krawtschenko nordwestlich von Kiew erbrachte, als er am 16. März bei Butcha fiel, darf bezweifelt werden.
Wohl noch nie in unserer westeuropäischen Geschichte lag der Krieg derart außerhalb unseres Erfahrungshorizonts wie heute. Und wohl noch nie in unserer westeuropäischen Geschichte haben wir ihn, synthetisiert aus der Massendynamik in den Sozialen Medien, derart infantil hochstilisiert wie heute.
»Das war der Vorteil in der Kubakrise. Es gab kein Twitter«, konstatierte der Journalist Frank Lübberding treffend.
Die letzte deutsche Generation, die vom Krieg noch zu berichten weiß, stirbt langsam aus. Spuren verschwinden, Schicksale verblassen und mit ihnen die verlorene Heimat im Osten.
Christiane Hoffmann, vormals Spiegel und mittlerweile Erste Stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, versucht das Verblassen noch etwas hinauszuzögern, indem sie sich entlang der Erinnerungen ihres Vaters auf den Weg macht. 550 Kilometer läuft sie von Rosenthal (Rózyna) in Niederschlesien gen Westen, auf der Route, die ihr damals 9jähriger Vater auf der Flucht vor der Roten Armee nahm.
Eine besondere Wanderung, die sie in Alles, was wir nicht erinnern. Zu Fuß auf dem Fluchtweg meines Vaters schriftlich festhält.
»Ihr Buch überführt die Erinnerung an Flucht und Vertreibung ins 21. Jahrhundert«, beschriebt der Verlag Hoffmanns familienhistorischen Reisebericht, »und mahnt an die Schrecken des Krieges, es verschränkt die Familiengeschichte mit der Historie, Zeitzeugenberichte mit Begegnungen auf ihrem Weg. Doch es ist vor allem ein sehr persönliches Buch, geschrieben in einer literarischen Sprache, eine Suche nach dem Vater und seiner Geschichte, nach dem, was er verdrängte, um zu überleben.«
Sezession-Literaturredakteurin Ellen Kositza empfiehlt es wärmstens:
Alles, was wir nicht erinnern. Zu Fuß auf dem Fluchtweg meines Vaters können Sie direkt hier, bei Antaios, dem größten konservativen Versandbuchhandel bestellen.
Das Twitter-Konto von Antaios-Autor Manfred Kleine-Hartlage wurde gesperrt. Zum zweiten Mal, denn nachdem es durch eine erfolgreiche juristische Intervention wieder entsperrt worden war, hing Twitter Hartlage erneut das Schloß vor:
Seit Donnerstag ist mein Twitter-Account @korrektheiten, auf dem ich regelmäßig Artikel aus alternativen Medien verlinke, gesperrt. WIEDER gesperrt. Und wieder ist es ein Artikel aus Science Files über Covid-19-Impfungen und deren Wirkungen, der ohne nähere Begründung als Vorwand herhalten durfte.
Dabei war es erst ein paar Tage her, dass Twitter nach einer Abmahnung meines Anwalts den Account wieder freischalten musste, den es aufgrund eines ganz ähnlichen Artikels Anfang Februar gesperrt hatte.
Hartlage will es auch diesmal nicht auf sich beruhen lassen und gedenkt nicht, vor der Zensur des Konzerns einzuknicken. Mit der Unterstützung des vom Bürgernetzwerk Ein Prozent ins Leben gerufenen Solifonds möchte er gegen Twitter erneut juristisch vorgehen.
Der Solifonds hat Hartlage beim ersten Mal geholfen und natürlich sind wir auch jetzt an Bord. Helft mit und lasst uns Twitter eins auswischen!
Überweisen Sie direkt oder digital hier:
Kontoinhaber: Ein Prozent e.V.
IBAN: DE97 8505 0300 0221 2132 60
BIC: OSDDDE81XXX
Kennwort: Kleine-Hartlage
Allnichts
Das ist mir genau wie beim letzten Mal zu einseitig. Die Verklärung des Krieges, die Erklärung, für die gute Sache und damit auf der richtigen Seite zu stehen, die allgemeine Verteufelung des Gegners, die konkrete Anschuldigung, der Gegner würde Kriegsverbrechen begehen - das findet sich alles auf der russischen Seite genauso, das ist wohl auch einfach Teil des Krieges, jedes Krieges, sonst ginge niemand hin.
Leider habe ich bei Jonas Schicks Beiträgen zum Ukraine-Krieg den unangenehmen Eindruck, er würde hauptsächlich dafür genutzt, gegen die eigenen Gegner zu argumentieren.