Im Windschatten des Krieges in der Ukraine und der Corona-Krise ist selbst manchem politisch Interessierten in Vergessenheit geraten, daß innerhalb der kommenden zwei Monate gleich drei Landtagswahlen stattfinden. Im Saarland wird sogar schon am kommenden Sonntag gewählt. Im Mai folgen schließlich Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.
Die Wahl im letztgenannten Bundesland wird aufgrund seiner Einwohnerstärke auch gern als die “kleine Bundestagswahl“ bezeichnet. Im September findet das Wahljahr 2022 schließlich seinen Abschluß mit den Landtagswahlen in Niedersachsen. Während die letzten beiden Jahre vor allem durch die starke Verankerung der AfD im Osten geprägt war, steht die Partei im Westen jetzt vor völlig anderen Herausforderungen:
Die Maximalziele liegen in der Verbesserung der vorherigen Landtagswahlergebnisse (ohne dabei konkrete Zahlen zu nennen). Mindestens gilt es jedoch unter Beweis zu stellen, daß die AfD in nahezu allen Landesparlamenten (Bayern, Hessen und Bremen wählen erst nächstes Jahr) den Wiedereinzug schafft.
Spätestens nach dem ernüchternden Bundestagswahlergebnis hat es die AfD-Führung jedoch nicht vermocht, kampagnenfähige Dynamiken und echte Aufbruchssignale in die Partei zu tragen. Inhaltlich wirkt die Partei in der Öffentlichkeit abgeschlagen. Der Abgang von Jörg Meuthen bewirkte nicht die erhoffte Erlösung, sondern verschob die parteiinternen Konflikte lediglich auf andere Ebenen.
Auch vor und nach dem Verfahren gegen den Verfassungsschutz vermied die Partei deutliche Aussagen und Positionierungen zum Inhalt des Verfahrens. Ein signifikanter Mitgliederschwund ist laut Stimmen aus den Kreis- und Landesverbänden jedoch noch nicht vernehmbar. Die Partei wirkt in Bezug auf die Verfassungsschutzproblematik gelassen aber gleichzeitig auch ermüdet.
Spiegelbild dieser Trägheit sind vor allem die Kampagnen zu den Landtagswahlen im Westen der Republik. Im Saarland ist die Partei im Wahlkampf kaum präsent. Durch interne Streitigkeiten wurde es versäumt, mit einer eigenen Liste anzutreten. Nur über ein komplexes Wahlkreisverfahren, ähnlich wie in Baden-Württemberg, kann die Partei auf einen Einzug hoffen.
In Schleswig-Holstein wirkt die Kampagne origineller und Köpfe und Spitzenkandidaten werden auf den Plakaten besser präsentiert. Echte Wahlkampfakzente wurden dort jedoch noch nicht gesetzt.
Die Kampagnenvorstellungen, Listenwahlen und Positionierungen erfolgten in allen Landesverbänden relativ spät. Die Partei spielt ihr eingefleischtes Programm ab, welches der Vorstellung folgt, daß der Wahlkampf immer erst sechs Wochen vor dem Wahltermin in die heiße Phase geht und zuvor auf Sparflamme gefahren werden kann. Der saarländische Landesverband hat bspw. erst vor ca. fünf Wochen einen eigenen YouTube-Kanal aufgezogen.
Dabei zeigen vergangene Studien und Analysen, daß die Wahlentscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten der AfD meist schon weit vor dem Wahltermin feststeht. Nur wenige Wähler entscheiden sich kurzfristig für die Partei. Eine antizyklische Strategie, die auch solchen Fakten Rechnung trägt, ist in den aktuell laufenden Kampagnen jedoch nicht zu erkennen.
Am interessantesten dürfte der Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen werden. Mit einer recht jungen Liste und gleich drei Kandidaten der Jungen Alternative unter den ersten zwölf Listenplätzen geht der Landesverband neue Wege und wird im Falle des Wiedereinzugs eine deutlich verjüngte Fraktion aufbieten können.
Ähnliche Öffnungstendenzen für die Parteijugend konnten auch schon zur Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern beobachtet werden. Möglicherweise hat man jetzt erkannt, daß die Partei hinsichtlich der Altersverteilung ihrer Wählerschaft im Mittelbau die stärksten Ergebnisse erzielt und an den Rändern bei den ganz Jungen und ganz Alten am schlechtesten abschneidet.
Am ehesten scheint sich das Mobilisierungspotential jedoch in den jüngeren Altersklassen zu zeigen, während die Ü60-Generation in ihrer alt-bundesrepublikanischen SPD und CDU-Wahl eingebunkert ist. Erste Landesverbände scheinen jetzt erkannt zu haben, daß vor allem junge Wählergruppen auch eine entsprechende personelle Repräsentation über die Kandidaturen brauchen.
Legt man die Ergebnisse aller vergangenen Landtagswahlergebnisse und die aktuellen Umfragen nebeneinander, so schneidet die AfD in Umfragen im Durchschnitt um 1,4% schlechter ab als zu ihren letzten Ergebnissen. Die stärksten Abweichungen zwischen altem Wahlergebnis und aktueller Umfrage zeigen sich in Hessen und Brandenburg.
Die derzeit schlechtesten Umfrageergebnisse werden in Hamburg (5%), Schleswig-Holstein (5,5%) und in Nordrhein-Westfalen (5,7%) verzeichnet. Ausgerechnet in den beiden letzteren Bundesländern wird jedoch in zwei Monaten gewählt. Das alles muss noch kein Grund für hektischen Alarmismus sein. Aber es demonstriert doch eine gewisse Impotenz in der AfD.
Auch die INSA-Wahlkreiskarte zeigt, daß selbst die zu Beginn des Jahres noch blau eingefärbten Wahlkreise im Osten inzwischen wieder von der CDU dominiert werden. Natürlich erreicht die Partei im Osten immer noch solide zweistellige Umfragewerte. Doch vor Verlusten und Stagnation ist die Partei auch hier nicht geschützt.
Dies mag auch mit der bundespolitischen Situation zusammenhängen. So hat es die Partei in den zwei Jahren Corona-Krise nicht geschafft, sich ein Alleinstellungsmerkmal als Freiheitspartei und Lockdown-Kritiker aufzubauen, was auch von den Wählern so wahrgenommen wird. Diesen Part hat die FDP übernommen. Beim Ukraine Thema herrscht ein gesellschaftlicher Konsens, der auch emotional bei den Wählern so stark gefestigt ist, dass es schwer fallen dürfte, ein etwas nüchterneres Narrativ zum Ukraine-Konflikt zu platzieren.
Generell scheint sich auch der Höhenflug der SPD in vielen Bundesländern wieder entzaubert zu haben, während sich die CDU unter Friedrich Merz langsam wieder rehabilitiert. Noch vor wenigen Wochen galt es als sicher, daß die SPD in Nordrhein-Westfalen den Ministerpräsidentenposten zurückerobern würde. Inzwischen sitzt die CDU jedoch wieder auf einem komfortablen Vorsprung von 5%.
Bei den wichtigsten Themenschwerpunkten und Problemen in den jeweiligen Bundesländern ist das Hauptmobilisierungsthema der AfD, die Migration, auf die hinteren Ränge verschoben worden oder sogar gänzlich aus der Liste geflogen. Für andere Themen fehlen jedoch einfach die fachpolitisch anerkannten und medial präsenten Experten und intellektuellen Zentren in der Partei, die die Kernprofile der Partei inhaltlich stärker in die Breite ziehen könnten.
Bei den Kompetenzwerten zu Themen wie Wirtschaft, Arbeitsplätze oder Corona kommt die Partei nie über 2% hinaus. In der Bildungspolitik trauen der AfD sogar nur 0% eine politische Lösungskompetenz zu.
Die Kampagne in NRW zeigt darüber hinaus auch eine gewisse Mutlosigkeit. Die Großplakate wirken gestalterisch zwar ansprechend und erscheinen in der visuellen Funktionalität absolut solide. Doch die Slogans und Begriffe wirken dann doch etwas zahnlos und erinnern an eine Wohlfühlkampagne.
Die Balance zwischen angriffslustigem und gewitztem Offensivwahlkampf und einer behäbigen und defensiven Agitation wurde spätestens zur letzten Bundestagswahlkampagne zugunsten letztgenannter Taktik verschoben. Das oppositionelle und widerständige Potential scheint an einigen Stellen tatsächlich ausgereizt zu sein, doch mit beliebigem und anschlussfähigem Wohlfühlwahlkampf fehlt es in einer Zeit umfassender politischer Krisenherde an konkreten Abgrenzungs- und Alleinstellungsmerkmalen. 2017 war man hier zwar optisch und visuell deutlich schwächer, aber inhaltlich etwas kreativer und einfallsreicher in den Slogans und der Aufmachung.
Das werbetechnische Paradigma von „Deutschland. Aber normal“ wurde stilistisch und inhaltlich auch in die diesjährigen Landtagswahlkampagnen übernommen. Ob dadurch die Enttabuisierung und Normalisierung der AfD gelingt, werden erst noch einige Feldversuche zeigen müssen.
Im letzten Jahr haben wir schließlich auch gesehen, daß eine Kampagne wie in Sachsen-Anhalt, die auf kantige Widerstandsrhetorik und Fundamentalopposition setzt, ebenfalls an ihre Grenzen stößt. Weder die kommunikative Ost- noch West-Rezeptur scheint die aktuellen Stagnationsprobleme der Partei aufzulösen.
Fazit:
Die diesjährigen AfD-Wahlkämpfe werden zäh. Größere Mobilisierungspotentiale, die über die eigene Kernwählerschaft hinausgehen könnten, sind für die Partei derzeit nicht angezeigt. Die Stimmungsbilder zu den aktuellen Themen weisen zwischen den Wählern der Altparteien und der AfD eine immer höhere Polarität aus.
Die Spannungsfelder sind also da und die AfD wird in ihrer Hauptzielgruppe nach wie vor als Gegenpart und oppositionelle Kraft zum Mainstream wahrgenommen. Seit nunmehr zwei Jahren fällt es der Partei jedoch schwer, neue Wählerräume und Potentiale zu erschließen, sodass es wohl voraussichtlich auch im Westen auf das Ziel der Konsolidierung und Ressourcenerhaltung über arbeitsfähige Landtagsfraktionen hinausläuft.
Ein mögliches Aufbruchssignal könnte im Sommer geläutet werden, wenn es auf dem Bundesparteitag zur Reorganisation der Partei mit dazugehörigen Vorstandswahlen kommt.
RMH
"Durch interne Streitigkeiten wurde es versäumt,"
Das ewige Problem der AfD! Das AfDler Lust am Streiten haben, ist prinzipiell gut - nur sollten sie ihre Streitlust auf die anderen Parteien fokussieren und nicht auf die eigenen Reihen. In Bayern sind aktuell wieder 2 Mitglieder der Landtagsfraktion ausgetreten, darunter einer der Vorsitzenden der Fraktion. Jetzt hat die Fraktion statt 22 nur noch 16 Mitglieder. 27% Mitgliederschwund in der Fraktion - unglaublich.
Im Saarland wird es ein erstes Warnsignal geben, so viel scheint klar zu sein. Aktuell, also im Jahr 2022, können in den anstehenden Landtagswahlen nur die gusseisernen Stammwähler die AfD über die 5% Hürde hieven, aber bestimmt nicht mehr groß die Inhalte noch die Personen.
Das VS-Verdikt wirkt schwerer, als man es sich vorstellen mag, ebenso die planmäßige Schikane gegen AfD- Mitglieder, insbesondere derer im öffentlichen Dienst, einschließlich Beamte. Die konsequente Ausgrenzung der AfD - regelmäßig abgesegnet durch höchste Gerichte - trägt Früchte, was man emotionslos zur Kenntnis nehmen muss. Die letzten Schlupflöcher werden konsequent zu gemacht.