Mitte Mai 2021 wurde der Slogan »Vaccine Saves« (»Impfstoff rettet«) auf die 30 Meter hohe »Christus, der Erlöser«-Statue in Rio de Janeiro projiziert. Initiator war eine »zivilgesellschaftliche Bewegung« namens »Unidos Pela Vacina« (»Vereint durch die Impfung«). Im Januar waren die beiden ersten Brasilianer, eine Krankenschwester und eine achtzigjährige Frau, zu Füßen der Monumentalstatue geimpft worden. Für diesen hochsymbolischen Akt mußten die Impfdosen wie heilige Ampullen per Hubschrauber an den Schauplatz geflogen werden.
Der Trend der religiösen Verklärung der COVID-19-Impfung ist nun schon seit geraumer Zeit im Gange. Ein Titelbild des Stern vom Dezember 2020 zeigte die Heiligen Drei Könige, wie sie dem Christuskind ein Vakzinfläschchen von Pfizer-Biontech überreichen: »Impfen – Ein Akt der Nächstenliebe«. Evangelisch.de, ein Portal der EKD, verbreitete ein Motivationsbildchen, das ein schwarze Frau im Kittel beim Präparieren von Impfdosen zeigt, Text: »Unser #Gebet für heute: Gott, wir hoffen alle auf einen Impfstoff gegen Corona. Laß uns nicht egoistisch werden, wenn er da ist! Amen.« In Büren (Ostwestfalen) wurde ein Automat gesichtet, der den Innenraum einer Kirche auf Knopfdruck in ein blaues Neonlicht taucht, während eine bemüht optimistische Männerstimme, untermalt von »Meditationsmusik«, verkündet: »Endlich Licht am Ende Tunnels! Wie eine Erlösung wurde im Dezember 2020 die Nachricht aufgenommen, daß ein Impfstoff gegen COVID-19 entwickelt war. Impfstoffe stärken das Immunsystem unseres Körpers gegen den Einfluß schädlicher Viren. Es ist wichtig, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen.« Dem folgt eine zeitgemäße Litanei: »Impfe mich Gott mit dem Serum des Urvertrauens […]. Impfe mich Gott mit Tapferkeit und Courage, damit ich der Ausrottung der Lebensräume widerspreche«.
Lokale Skurrilitäten wie diese haben »ganz oben« in der Kirchenhierarchie ihre Entsprechungen. Ebenfalls im Dezember 2020 sprach die Glaubenskongregation eine Impfempfehlung an die Gläubigen aus. Es gebe dazu zwar »keine moralische Pflicht«, aber das schlechte Gewissen wurde natürlich trotzdem mobilisiert. Papst Franziskus ermahnte seine Herde, keine »selbstzerstörerische Verweigerungshaltung« einzunehmen: »Du spielst mit deiner Gesundheit, du spielst mit deinem Leben, aber du spielst auch mit dem Leben anderer.« Diesen Aufruf wiederholte er via Twitter am Weltgesundheitstag 2021: »Nur gemeinsam können wir eine gerechtere und gesündere Welt aufbauen. Wir alle sind aufgerufen, die Pandemie zu bekämpfen. In diesem Kampf stellen die Impfstoffe ein wesentliches Instrument dar.«
Wohin der Hase läuft, zeigte auch die Internationale Vatikan-Konferenz vom 6. bis 8. Mai mit dem Titel »Exploring the Mind, Body and Soul – Unite to Prevent & Unite to Cure«. Diese sollte laut Eigendarstellung »die weltweit führenden Ärzte, Wissenschaftler, religiösen Würdenträger, Ethiker, Patientenvertreter, politischen Entscheidungsträger, Philanthropen und Influencer« zusammenbringen und eine Debatte »über die neuesten Durchbrüche in der Medizin« sowie »über die anthropologischen Folgen und kulturellen Auswirkungen des technologischen Fortschritts« ermöglichen.
Beworben wurde die virtuelle Konferenz mit einer Grafik, die zwei Arme von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe zeigt, deren in Latexhandschuhe eingepackte Hände die Gesten Gottes und Adams aus dem Sixtinischen Deckenfresko von Michelangelo nachahmen. Gott wird hier durch einen menschlichen Mediziner oder Biotechniker ersetzt, der Krankheit, Schmerz und Tod aus der Welt zu schaffen verspricht. Neben dem Päpstlichen Rat für die Kultur firmierte die in New York ansässige Cura Foundation, die sich vorrangig im Gen‑, Zell- und Immuntherapiegeschäft engagiert, als Veranstalter. An diesem Eliten-Symposium nahmen auch führende Protagonisten des Pandemie-Regimes wie Pfizer-Chef Albert Bourla und der US-amerikanische »Corona-Zar« Anthony Fauci teil. All dies sollte die letzten Zweifel ausräumen, daß der Vatikan, ein Kunde von Pfizer-Biontech, vollständig in das Programm des »Great Reset« eingebunden ist.
Innerhalb der Kirche gibt es nur wenige, die diese Agenda offen beim Namen nennen und verwerfen. Der prominenteste unter ihnen ist Erzbischof Carlo Maria Viganò, der in der Folge als Verbreiter von »Verschwörungsmythen« denunziert wurde. Seinen Aufruf »Veritas liberabit vos« vom Mai 2020, der vor dem Versuch warnt, mit Hilfe der Coronaviruskrise eine »Weltregierung« zu schaffen, »die sich jeder Kontrolle entzieht«, haben indes etliche Kardinäle, Bischöfe und Laien aus aller Welt unterzeichnet. »Corona« hat auch die Kirche gespalten, und dies auf multiple Weise. Selbst der hochangesehene Traditionalist Roberto de Mattei artikulierte mit Blick auf Viganò sein Mißfallen, daß sich »Bischöfe auf dem Feld der gesundheitlichen Maßnahmen äußern, die von den Regierungen ergriffen wurden, da dies ihr Fachgebiet überschreitet, was ja ein theologisches oder moralisches ist«. Mattei scheint immer noch zu glauben, daß die Maßnahmen irgend etwas mit »Gesundheit« zu tun haben oder auf medizinischer Autorität beruhen.
Mit dem Wissen um die globalistische Komplizenschaft des Vatikans im Hinterkopf könnte man das surreale Bild des menschenleeren Petersplatzes, auf dem ein einsamer Papst Franziskus am Karfreitag abend 2020 unter einer Beleuchtungsbrücke für das Ende der Epidemie betete, als besonders effektvolle Inszenierung deuten, die suggerieren sollte, daß hier etwas äußerst Dramatisches geschehen sei. Die Straßen Roms und Jerusalems waren Ostern 2020 gespenstisch still, während die Gottesdienste der Welt vor leeren Kirchenbänken zelebriert und auf Bildschirme übertragen wurden, vor denen die Gläubigen knieten. Manche argumentierten, daß ein Vatikan-Lockdown nichts Neues sei, weil Papst Alexander VII. ähnliches schon im Jahr 1656 angewiesen habe, als in Rom die Pest wütete.
In der Tat kam es in der Geschichte immer wieder vor, daß Messen und Prozessionen aufgrund von Seuchengefahr untersagt und ausgesetzt wurden. Allen Katastrophenmeldungen zum Trotz war jedoch schon im Frühjahr 2020 abzusehen, daß COVID-19 nicht annähernd mit der Spanischen Grippe oder gar der Pest vergleichbar sei, was Ausmaß und Gefährlichkeit der Krankheit betrifft. Gerade der historische Vergleich zeigt die krasse Unangemessenheit der ergriffenen Maßnahmen. Die vorwiegend medial und politisch erzeugte Krise hat eine ungeheure Manipulierbarkeit der Gesellschaft sichtbar gemacht, die auf einer offenbar sehr leicht zu aktivierenden Todesfurcht beruht.
Die Kirchen hätten gerade hier einhaken müssen, durch mäßigendes Eingreifen in die Angstmanipulation und durch die Stärkung des Gottvertrauens. Gleichzeitig hätten sie die Menschen ermahnen können, ihr geistiges Verhältnis zu ihrer Sterblichkeit und zu den letzten Dingen zu überprüfen. Aber wahrscheinlich hätte man sie dann des Obskurantismus und des Unterlaufens lebensrettender Maßnahmen bezichtigt. »Corona war und ist der Ernstfall für das Verhältnis von Glaube und Vernunft«, schrieb Paul Wuthe (Katholische Presseagentur Österreich) und schwärmte von dem vorbildlichen Verhalten des Papstes: »Der Papst alleine betend und segnend auf dem Petersplatz, die bewußte Zurücknahme seiner Person und der öffentlich zur Schau gestellte Verzicht auf reale Gemeinschaft und Nähe waren eine lebensrettende Botschaft.«
Roberto de Mattei hingegen sah etwas anderes: »Die Aussetzung der religiösen Zeremonien auf der ganzen Welt, die vom Coronavirus betroffen ist, scheint ein symbolischer, aber realer Ausdruck einer beispiellosen Situation zu sein, in der die Göttliche Vorsehung den Hirten das Volk entzieht, das sie im Stich gelassen haben. Ein Schleier scheint sich gelüftet zu haben: Es ist die Stunde der Leere, der Herde ohne ihre Hirten.«
Es hat sich aber auch eine andere Art der kirchlichen Leere offenbart, und dies nicht zum erstenmal. Um ihre »Systemrelevanz« zu behaupten, übernehmen die Kirchen bereitwillig die jeweils angesagten politischen Großerzählungen, begleiten sie mit Glockenläuten und schmücken sie mit pastoraler Rhetorik. Sie fürchten stets, die Gunst des Staates oder der Presse zu verlieren. Die Stilisierung von Flüchtlingen zu Passionsfiguren entspringt derselben Mentalität wie die Erhöhung von Impfstoffen zu Quasi-Sakramenten. Hier stellt sich regelmäßig die Frage, woran die Kirchenvertreter eigentlich wirklich glauben.
Gleichzeitig hat sich in der Gesellschaft eine Art Hygienereligion mit zwangsneurotischen Zügen herausgebildet. Regeln wie Masken tragen, Hände desinfizieren, Abstand halten und so weiter gerinnen zu magischen Abwehrritualen, halten das Pandemie-Theater am Köcheln und dienen als Instrument sozialer und politischer Kontrolle. Die Impfstoffe sollen den einzelnen von der Sünde der Virusinfektiosität erlösen und in einen pharmazeutischen Gnadenstand erheben, der immer neu aufgefrischt werden muß. Die Ungeimpften erscheinen als Unreine oder Ungetaufte, die Impfverweigerer als Sünder, die sich dem Heiligen Geist der Immunisierung verweigern. Die liturgische Symbolik ist jedoch eine empfindliche Sache, deren Sinn schon durch kleine Veränderungen verzerrt oder gar pervertiert werden kann. Wo enden hier Vernunft und Vorsicht, wo beginnen Verfälschung und Usurpation?
Mitte Mai 2021: In Österreich sind Gemeinde- und Chorgesang verboten, die Gläubigen müssen sowohl in geschlossenen Räumen als auch im Freien FFP2-Masken tragen und einen Mindestabstand von zwei Metern einhalten. Die Weihwasserbecken sind leer, während an ihrer Stelle Desinfektionsspender bereitstehen. Ästhetisch und theologisch besonders problematisch ist die »Maskenpflicht«, die von manchen als geradezu satanisch empfunden wird. Der »Mund-Nasen-Schutz« erscheint ihnen als äußeres Zeichen, daß man sich der Herrschaft der Lüge unterworfen hat, und sie haben generell den Eindruck, daß sich mit den Pandemieregeln ein blasphemischer Kult in die Kirchen eingeschlichen hat. Auf die Dauer ist es theologisch gewiß untragbar, die Gläubigen mit verhülltem Antlitz vor Gott und die Gemeinde treten zu lassen. Problematisch wäre es auch, dauerhaft die Mundkommunion oder den Orthodoxen das Küssen der Ikonen zu untersagen.
Angesichts dieser Eingriffe ist es wenig überraschend, daß der stärkste Aberwille gegen die Maßnahmen von traditionalistischer Seite kommt. Aber selbst in diesem Spektrum gibt es starke Meinungsverschiedenheiten. Einzelne allzu energische Priester, die die Maßnahmen gänzlich verweigern und ihre Gemeinden dazu auffordern, es ihnen gleichzutun, werden scharf zurückgepfiffen. Kirchenpolitische Erwägungen spielen hier ebenso eine Rolle wie rein pragmatische: Am Ende ist es die vordringliche Aufgabe des Priesters, die Sakramente zu spenden, auch wenn er Einschränkungen, Polizeikontrollen und Denunzianten erdulden muß. Er muß auch in Rechnung stellen, daß sich viele Gemeindemitglieder tatsächlich vor einer Ansteckung fürchten. Obwohl die Piusbruderschaft in manchen Städten die einzige zuverlässige Anlaufstelle für diejenigen ist, die eine halbwegs »normale« und würdige Messe feiern wollen, kommt es auch in diesem Rahmen zu Übererfüllungen.
Berichtet wird von einem Fall, in dem nicht nur die Hygienemaßnahmen extra rigoros kontrolliert und in der Predigt Gläubige gerügt wurden, die die COVID-Impfung für sündhaft halten, sondern es wurde auch die Ermahnung ausgesprochen, die Merkel-Regierung als gottgewollte Obrigkeit anzuerkennen und ihr entsprechend zu gehorchen. Damit unterschied sich dieser Pfarrer aus der Piusbruderschaft kaum vom Mainstream der Kirchenvertreter, die das Narrativ des Staates nachbeten und sich häufig durch vorauseilenden Gehorsam auszeichnen.
Dabei ist die Angst vor politischen Repressionen insgesamt wohl größer als die Angst vor dem Virus selbst. Gläubige Christen, die den Regierungsmaßnahmen kritisch gegenüberstehen, können hingegen nicht mit der Rückendeckung der Kirche rechnen. Als eine Kundgebung in Wien von den Veranstaltern als »Wallfahrt« angekündigt wurde, um das vom Innenministerium verhängte Demonstrationsverbot zu umgehen, war das nicht nur eine Finte, da gläubige Christen unter den Maßnahmen- und Impfgegnern stark vertreten sind.
Die Erzdiözese Wien unter Kardinal Schönborn, der ebenfalls der Ansicht ist, daß es »keinen Weg aus der Pandemie gibt als die möglichst breite Impfung der ganzen Bevölkerung«, schlug sich trotzdem vollständig auf die Seite der Regierung und warnte vor einem »Mißbrauch der Religionsfreiheit«. Mit einer Amtskirche, die alle ihre Schäfchen vertritt, statt an der Seite von Staat und Medien Bürgerkriegspartei zu spielen, darf man wohl nicht mehr rechnen. Von vereinzelten Wortmeldungen abgesehen, gab es auch kaum Kritik an den Kollateralschäden der Lockdowns und anderer Anordnungen, obwohl die christliche Nächstenliebe hier reichlich Gelegenheit gehabt hätte, ihr Gewissen sprechen zu lassen. Lieber ermahnte man zum stillen Dulden: Zur Jahreswende 2020 / 21 riefen österreichische Bischöfe zum Gebet einer »Corona-Novene« auf, die folgenden »Meditationstext« enthielt: »Angesichts der Pandemie, die immer noch nicht besiegt ist, widersagen wir der Versuchung, Schuldige zu benennen und uns auf das Versagen von Menschen und Institutionen zu fixieren.«
Im Zuge der Krise haben die Vertreter der Kirchen ihren Opportunismus und ihre politische Abhängigkeit entblößt. Innerhalb der katholischen Kirche zögern selbst kritische Köpfe, hieraus Konsequenzen zu ziehen, zum Teil aus einem eingefleischten Staats‑, Ordnungs‑, Autoritäts- und Gehorsamsdenken heraus, das mit einer kleinen Hebelbewegung zu antikatholischen Zwecken mobilisiert werden kann. Der französische Soziologe und Theologe Jacques Ellul konstatierte bereits 1988, daß die politischen Institutionen ausgehöhlt seien und vor allem »den Interessen einer politischen Klasse und einem fast unendlichen Machtzuwachs« dienten. Übriggeblieben sei ein »Nichts«, das »zunehmend aggressiv, totalitär und allgegenwärtig« sei. Wer als Gläubiger dieses wachsende Nichts wahrnimmt und seinem Zugriff entfliehen will, findet häufig auch in den Kirchen kein Refugium mehr.