Sieht man von dem ein oder anderen technik- und fortschrittsgläubigen Zirkel ab, so hat sich in den Industrie- und Konsumgesellschaften westlicher Provenienz zweifelsohne die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Natur in der Krise steckt.
Die einstmals omnipräsente Vorstellung, die natürlichen Rahmenbedingungen menschlicher Gesellschaften regulierten sich selbst zu einem harmonischen Gesamtgefüge, ist obsolet. Der Mensch soll Abhilfe schaffen, nach gängiger Auffassung mit noch mehr und besserer Technik. Daß die Dinge womöglich etwas komplizierter sind, zeigen die Arbeiten des Umwelthistorikers und Universalgelehrten Rolf Peter Sieferle, die sich im wesentlichen um die »komplexe Wechselwirkung zwischen menschlichen Kulturen und deren natürlicher Umwelt« drehen und damit auch den Wandel ihrer unterschiedlichen geistesgeschichtlichen Konzeptionen von »Natur« vor dem Hintergrund der spezifischen Nutzung natürlicher Ressourcen in den Fokus nehmen. Das umfaßt wiederum die Fragen, wann Umweltkrisen in der Geschichte wahrgenommen wurden und wie »mit solchen Vorstellungen einer Umweltkrise umgegangen wurde«.
Im Landtverlag sind vor kurzem zwei sehr lesenswerte neue Bände der Sieferle-Werkausgabe erschienen, die im Fall von Die Krise der menschlichen Natur – Zur Geschichte eines Konzepts /Bevölkerungswachstum und Naturhaushalt – Studien zur Naturtheorie der klassischen Ökonomie (Band 7) diese Vorstellungen einer Umweltkrise expliziter und im Fall von Der unterirdische Wald – Energiekrise und Industrielle Revolution (Band 8) impliziter zum Thema haben.
Der unterirdische Wald (1982 erstmals erschienen) stellt eine der wichtigsten akademischen Publikationen Sieferles dar. Die »Pionierstudie«, wie sie der Sinologe und Weggefährte Sieferles, Raimund Th. Kolb, in seinem Nachwort treffend bezeichnet, betrat insofern Neuland, als sie den innovativen Ansatz des US-amerikanischen Soziologen Fred Cottrell – der davon ausgeht, daß ein gewisser Energiefluß notwendig ist, um bestimmte soziale System aufrechtzuerhalten, und darüber hinaus sozialen Wandel erklären kann – aufgreift und anhand des fossilen Brennstoffs Kohle diesen sozialmetabolischen Zusammenhang am Prozeß der Industriellen Revolution demonstriert. Sieferle legte mit dieser profunden Studie einen der wesentlichen Grundsteine dafür, daß sich die Umweltgeschichte in Deutschland als akademische Subdisziplin zumindest in der Nische etablieren konnte.
Im Unterirdischen Wald kommt er aus der energetischen Perspektive bereits zu dem Schluß, der auch für seine späteren Arbeiten von übergeordneter Bedeutung ist: »Mit der Entwicklung des Kapitalismus und des Industriesystems entsteht demgegenüber eine Gesellschaftsform, die auf permanentem ökonomischen Wachstum beruht und deshalb notwendigerweise auf permanenten beschleunigten sozialen, kulturellen und politischen Wandel orientiert ist.
Sofern sie gleichgewichtig ist, beruht dieses Gleichgewicht auf einem dynamischen Prozeß: dem Durchfluß großer und in der Regel wachsender Mengen an Energie und Rohstoffen.« (Band 8, S. 71) Das hat weitreichende ökologische Folgen: »Im Industriesystem […] werden Handlungen mit sehr großer Reichweite vorgenommen, ohne daß man auch nur ansatzweise wüßte, zu welchen Effekten sich ihre Folgewirkungen summieren und aggregieren können.« (Ebd., S. 71) Ökonomie, Soziales und Ökologie verschmelzen so zu einem ineinander verwobenen Gebilde, während der Treibstoff für ihre Unrast zuerst über das feste »Schwarze Gold« der Kohle und später über das flüssige »Schwarze Gold« des Öls bereitgestellt wird: »Ohne Kohle wären die europäischen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts Agrargesellschaften geblieben […].« (Ebd., S. 74)
Sieferle schafft über seine dichte Beschreibung, mit der Kohle als Dreh- und Angelpunkt der Analyse, einen einzigartigen Erklärungsansatz für den gesellschaftlichen Sonderweg Europas ab dem 18. Jahrhundert, den er unter anderem auf den Druck durch (energetische) Holzknappheit, Bevölkerungswachstum und die speziellen geographischen Voraussetzungen Englands zurückführt. Doch derweil mit der flächendeckenden Nutzung von Kohle das liberale »Maximierungsprinzip« seine Durchsetzung erfährt und dauerhafter »Fortschritt« zur gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit avanciert, werden zugleich die Bedrohung der natürlichen Grundlagen menschlichen Lebens und die Endlichkeit der fossilen Ressourcen, die den neugewonnenen Wohlstand sowie die geopolitische Dominanz Europas nähren, greifbar.
Der englische Ökonom William Stanley Jevons sah bereits Mitte des 19. Jahrhunderts, daß sich nicht nur das Einpendeln auf einem stationären Zustand, sondern eine Kontraktion, also ein gravierender Rückgang, abzeichnete. Die zum damaligen Zeitpunkt dominante Vorstellung einer harmonisch eingerichteten und unerschöpflichen Natur wurde mit der exponentiellen Steigerung des Kohleverbrauchs immer unplausibler: »Die harmonische Ordnung der selbstregulierten Gleichgewichte von Wert und Preis hatte in der Energiefrage einen empfindlichen Stoß erlitten, wodurch das liberale Prinzip selbst […] in Frage gestellt war.« (Band 8, S. 344 f.)
Dieser Wahrnehmungsverschiebung von einem harmonischen Gleichgewicht zu einer Krise der Natur, die gleichzeitig auch eine Krise des Liberalismus darstellt, sowie ihren gesellschaftlichen Folgen widmete sich Sieferle sodann in seinen beiden Studien Die Krise der menschlichen Natur (1989) und Bevölkerungswachstum und Naturhaushalt (1990), die der Landtverlag stringenterweise in einem Band vereint hat. Während sich erstere auf die Darstellung der »Diskussion um zivilisationsbedingte Beeinträchtigungen der menschlichen Natur um die Wende« zum 20. Jahrhundert konzentriert und so detailliert damalige »sozialdarwinistische« und rassezentrierte Positionen herausarbeitet, setzt letztere den Fokus auf die »Diskussion um die drohende Überbevölkerung zu Beginn des 19. Jahrhunderts« – Thomas Robert Malthus und die von ihm postulierte Subsistenzgrenze stehen hier im Mittelpunkt. Speziell aus einer ökologischen Perspektive ist Bevölkerungswachstum und Naturhaushalt eine lohnende Lektüre.
Was beide Studien wieder zusammenführt, ist Sieferles Fazit eines fundamentalen Zerfalls des sinnstiftenden Zentrums der »westlichen« Gesellschaften: »Nach dem Zusammenbruch der natürlichen Teleologie, der sich seit dem 19. Jahrhundert abzeichnete und im 20. Jahrhundert schließlich vollzogen hat, ist der Menschheit ein weiteres Stück metaphysischer Sicherheit abhanden gekommen. Nachdem der Gedanke einer göttlichen Providenz ebenso ridikülisiert wurde wie die Fortschrittsmythen des 19. Jahrhunderts und […] die sozialistische Planwirtschaft, blieb die marktwirtschaftliche Ökonomie scheinbar die letzte Bastion des Glaubens an eine natürliche, harmonische und gleichgewichtige Ordnung. Die Umweltkrise hat auch diesem Glauben heftige Schläge versetzt, die ihn stark ins Wanken brachten. Es gibt kein harmonisches Gleichgewicht von ›Natur‹ und ›Ökonomie‹ mehr […].« (Band 7, S. 646) Indes wird sowohl am Unterirdischen Wald als auch an den beiden Studien von 1989 und 1990 deutlich, daß Sieferle kein in der Wolle gefärbter Rechter war bzw. sein publizistisches Werk erst mit dem Epochenwechsel 1994 einen politischen, anti-universalistischen Zungenschlag erhielt. Gleichwohl sind alle analytischen Stränge vorhanden, die seine Wendung in den 1990ern nur folgerichtig erscheinen lassen.
Der Sieferle des Epochenwechsels ist nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis stringenter Schlüsse aus seinen vorangegangenen Analysen. Man muß Sieferle daher lesen, wie es der französische Vordenker der »Nouvelle Droite«, Alain de Benoist, fortwährend propagiert: aus rechter Sicht und mit dem Willen, Aspekte seiner Analysen für die rechte Weltanschauung fruchtbar zu machen. Das gilt in besonderem Maße für seine frühen Arbeiten. Diesbezügliche Hinweise sucht man in den Nachworten der beiden Bände leider vergebens.
Zwar weiß beispielsweise Karlheinz Weißmann in seinem Nachwort Sieferles Studien in gewohnter Weise kenntnisreich entlang des von Sieferle aufgespannten, ideengeschichtlichen Bogens zu reflektieren, doch die speziell in Bevölkerungswachstum und Naturhaushalt enthaltenen Implikationen für eine konservative Ökologie sowie die zahlreichen Ansatzpunkte für eine Liberalismuskritik, die sich auch in den beiden anderen Studien finden lassen, bleiben ungenutzt. Die notwendige Aufgabe, Sieferle von rechts zu lesen, ist also noch zu erledigen. Gerade deswegen sei die Lektüre der beiden Bände jedem ans Herz gelegt, dem es um die Grundlagen rechten Denkens geht.