Natürlich sind nun militärische Expertisen auf einmal wieder angesagt; doch schon die Ernennung eines Impf-Generals im letzten Jahr deutete an, daß die Zivilisten mit ihrem Latein am Ende seien. In der Folge zeigte sich dann allerdings, was jeder, der selbst einmal in Stäben gedient hatte, sowieso schon wußte: Die Generalität ist politisch völlig auf Linie, Widerspruch gibt es nur, wenn es darum geht, die Verantwortung für den desaströsen Zustand der Truppe zwischen Politik und Militär hin- und herzuschieben.
Ein ganz ähnliches Bild ergibt sich im Hinblick auf die Äußerungen der Generalität im Hinblick auf den Ukraine-Krieg. Selbst die Pensionäre unter ihnen stoßen in das Horn der Ampel-Koalition und sähen es am liebsten, wenn Deutschland Kriegspartei würde. Das wäre jedenfalls die Konsequenz, wenn man sich die martialischen Töne zu Herzen nähme und das Geschäft der USA betriebe.
Was dabei aus dem Blick gerät, ist nicht nur die Tatsache, daß eine Eskalation dieses Konflikts von Deutschland in keiner adäquaten Weise beantwortet werden kann und ein Eingreifen der USA nicht verhindert, daß Mitteleuropa zum Schlachtfeld wird.
Wer hier klarer sieht als seine Kameraden, ist der ebenfalls pensionierte Brigadegeneral Erich Vad, der sich vor einigen Tagen damit zitieren ließ, daß die geforderten schweren Waffen (also vor allem Kampfpanzer, Panzerhaubitzen und Kampfflugzeuge) potentiell ein „Weg in den dritten Weltkrieg“ seien. Weiter sagte Vad:
Wir machen im Moment sehr viel Kriegsrhetorik – aus guter gesinnungsethischer Absicht. Aber der Weg in die Hölle ist bekanntlich immer mit guten Vorsätzen gepflastert. Wir müssen den laufenden Krieg zwischen Russland und der Ukraine vom Ende her denken. Wenn wir den Dritten Weltkrieg nicht wollen, müssen wir früher oder später aus dieser militärischen Eskalationslogik raus und Verhandlungen aufnehmen.
Dafür sieht er mittlerweile gute Chancen, weil beide Seiten die Gelegenheit haben, gesichtswahrend aus dem Krieg herauszukommen. Die Ukraine hätte mit der Schlacht um Kiew bewiesen, daß sie in der Lage sei, ihr Territorium zu verteidigen. Die Russen könnten auf ihre Landgewinne im Osten und an der Schwarzmeerküste verweisen. Friedensverhandlungen seien für „beide Seiten besser, als sich weiter im Sumpf eines langen Krieges mit ungewissem Ausgang ziehen zu lassen“.
Voraussetzung dafür sei allerdings auch, daß man den Russen aus ihrer geopolitischen Zwangslange keinen Vorwurf mache, und die „erschütternden“ Bilder aus der Ukraine nicht dazu benutze, Putin das Menschsein abzusprechen: „Im Krieg werden Unschuldige getötet. So ist der Krieg.“ Das sei im Irakkrieg nicht anders gewesen, als Hunderttausende von zivilen Opfern zu beklagen gewesen seien.
Es ist klar, daß sich Vad für diese Äußerungen vom notorisch undiplomatischen ukrainischen Botschafter als „Putinversteher forever“ beschimpfen lassen mußte. Im Hintergrund spielt die Tatsache eine Rolle, daß Vad zwischen 2007 und 2013 der militärische Berater von Angela Merkel war und insofern für die heute als zu milde angesehene deutsche Rußlandpolitik mitverantwortlich gemacht wird.
Überraschend kommen die heutigen Äußerungen von Vad also nicht, insbesondere dann nicht, wenn man sich seine politikwissenschaftliche Arbeit Strategie und Sicherheitspolitik. Perspektiven im Werk von Carl Schmitt anschaut, mit der der damalige Oberstleutnant 1996 promoviert wurde. In einer Rezension des Deutschland-Magazin aus dem April 1998 hieß es:
Wir leben in einer Zeit weltweiter sicherheitspolitischer Umbrüche, ethnischer und hegemonialer Konflikte sowie neu entstehender internationaler Kräftekonstellationen. Ein zunächst nur vage erkennbarer Begriff globaler Sicherheitspolitik und Strategie nimmt deutliche Konturen an. In dieser weitgehend unnormierten Übergangslage am Ende des 20. Jahrhunderts eröffnen die geopolitischen und strategischen Perspektiven des 1985 verstorbenen Staats- und Völkerrechtlers Carl Schmitt neue Möglichkeiten des Verstehens einer sich wandelnden Welt.
Bislang unveröffentlichte Materialien aus dem Spätwerk Carl Schmitts wurden dazu herangezogen:
Im Zentrum stehen dabei eine Bewertung der aktuellen sicherheitspolitischen Lage, eine Auswertung des inneren Zusammenhangs von Politik und der Projektion militärischer Macht in Theorie und Praxis, die Analyse von zu erwartenden Veränderungen der Herrschafts- und Raumordnungen im internationalen System sowie die Frage nach der Begrenzbarkeit von Gewalt unter den Bedingungen unserer Zeit. Der Autor zeigt im Ergebnis das kritische Potential geopolitischer, technologischer und strategischer Entwicklungen auf und zieht Konsequenzen für deutsche Außen- und Sicherheitspolitik.
Der Blick in das Buch lohnt sich auch heute noch. Nicht nur wird deutlich, daß Vad sich mit den wichtigsten Schmittianern, u.a. Piet Tommissen und Helmut Quaritsch, ausgetauscht hat, sondern auch, daß er den Mut besaß, aus seiner an Carl Schmitt geschulten Analyse Konsequenzen für das politische Handeln abzuleiten. Als inhaltliche Merkmale des neuen Sicherheits- und Strategiebegriffs nannte Vad u.a. folgende (S. 110f):
- Weltweite Kontrolle und Einhegung der nuklearen Proliferation und militärischer Hochtechnologie,
- Vertiefung der deutsch-russischen und sicherheitspolitischen Kooperation, deutsch-amerikanischen
- Weiterentwicklung der NATO zu einer Atlantisch-Europäischen Union,
- Aufstellung europäischer Schnell-Eingreifverbände,
- Kontrolle der demographischen Entwicklung,
- Erweiterung des Krisenmanagements um nicht-militärische sicherheitspolitische Herausforderungen wie wirtschaftliche Instabilität, demographische Entwicklung und Ressourcensicherheit,
- Eindämmung konventioneller und nuklearer Regionalkriege,
- Kontrolle und Verhinderung von Migrationsbewegungen,
- Schaffung eines europäischen Sicherheitsrates im Rahmen der OSZE nach dem Vorbild der Vereinten Nationen.
Auf Seite 145 wird jede Weltfriedensprogrammatik mit Carl Schmitt abgelehnt:
Eine weitere Legitimation eigener Machtmittel ist darin zu sehen, daß es keine übergeordnete Macht, auch nicht in Form der Organisation der Vereinten Nationen gibt, die den Frieden verbürgen könnte. Daher ist es nach Carl Schmitt wichtig, der jeweiligen sicherheitspolitischen Gesamtlage entsprechende „neue Freundschaftslinien“ ohne „neue Kriminalisierungen“ zu definieren. Die universelle Ächtung der Anwendung militärischer Machtmittel hat Kriege und Gewaltanwendungen […] nicht eingeschränkt. Dagegen begrenzt die geographische Verortung des Konflikts durch lagegerechte „Freundschaftslinien“, d.h. genau definierte Interessen- und Einflußsphären, seine Eskalation.
Schließlich werden auf den Seiten 202 bis 205 die geopolitischen Interessenlagen der europäischen Führungsmächte sowie der raumfremden Mächte in Europa zusammengefaßt. Zu Rußland schreibt Vad:
Für Rußland kommt es heute darauf an, seinen Macht- und Einflußbereich durch kooperative Formen der Zusammenarbeit zu stabilisieren. Dabei spielt Westeuropa, insbesondere Deutschland, eine Schlüsselrolle. Während des Kalten Krieges war es ein wichtiges geostrategisches Ziel der Sowjetunion, den ‘cordon sanitaire’ seiner Satellitenstaaten zu erhalten und auszubauen. Heute wird Rußland einer machtpolitischen Einflußnahme raumfremder Mächte und Bündnisse auf seine früheren Republiken nicht zustimmen. Darüber hinaus würde eine sicherheitspolitische Zweifrontenlage gegenüber den USA und NATO-Europa sowie dem Fernen Osten mit China unmittelbar die Sicherheit Rußlands tangieren. Rußland bleibt auf absehbare Zeit der entscheidende Faktor in der Weiterentwicklung Osteuropas. Ein europäisches Sicherheitssystem ist ohne die Einbeziehung Rußlands und die Berücksichtigung seiner Interessenlage nicht herstellbar.
Zu Deutschland:
Deutschland muß an der Ausgestaltung der verteidigungspolitischen Fähigkeiten Europas ein fundamentales Interesse haben und sich hier stark machen, um die Einfluß- und Gestaltungsmöglichkeiten zu gewinnen, die seinem politischen und wirtschaftlichen Gewicht in der Welt entsprechen. Der Handlungsspielraum der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ist abhängig von der Geschichte Deutschlands seiner geographischen Zentrallage in Europa, seinen Interessen sowie den sicherheitspolitischen Absichten und Zielen anderer sicherheitspolitischer Akteure in Europa.
Dies alles sind Worte, die sich aus der heutigen Perspektive wie Nachrichten aus einer Vergangenheit ausnehmen, die offensichtlich doch besser war als die Gegenwart. Allerdings handelt es sich eben nur um Worte, die nicht verhindern konnte, daß sich die gegenteilige Auffassung von Außenpolitik durchgesetzt hat. Dafür ist nicht nur die neue Bundesregierung, sondern vor allem auch Angela Merkel verantwortlich.
Es stellt sich schließlich mit Carl Schmitt die Frage, was der Zugang zum Machthaber nützt, wenn sich damit kaum Einfluß auf die politischen Entscheidungen nehmen läßt. Auch Vad mußte sich den politischen Realitäten unterwerfen, ist aber immerhin jemand, der, im Gegensatz zu vielen seiner Kameraden, die politische Gleichschaltung nicht mitgemacht hat.
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Literaturempfehlungen:
Helmut Quaritsch: Positionen und Begriffe Carl Schmitts (eine der besten Einführungen in das Denken Schmitts);
Carl Schmitt: Der Nomos der Erde (Schmitts zentrale Schrift über eine multipolare Raumordnung);
Alain de Benoist: Carl Schmitt und der Krieg.
Volksdeutscher
1. Was der Herr General so von sich gibt, ist zum größten Teil Wunschdenken. Die Beurteilung der Lage Kiews ist falsch, da der Abzug russischer Streitkräfte von Kiew nur der Ablenkung diente: Mariupol ist zu etwa 98 Prozent unter russischer Kontrolle. Von Norden und Süden her wird vermutlich eine Offensive begonnen, um den Sack zuzuschnüren und die darin eingekreisten ukrainischen Streitkräfte aufzureiben, bzw. zum Aufgeben zu zwingen. Gestern las ich die Meldung, daß erneut über tausend ukrainische Soldaten sich ergeben haben. Russland wird es sein, das diesen Krieg beenden wird, indem es ihn zu Ende führt: um sein Gesicht zu wahren.