Er hat dem Gekränkten Mann ein Buch gewidmet. Weil: Man müsse doch sehen, daß diese Ultrafeministen deutlich über die Stränge schlügen!
Haberl lehnt beispielsweise das sprachliche Gendern ab. Diesbezügliche Umarbeitungen seiner Texte durch seine Redaktion duldet er aber dennoch. Er ist so beweglich, um nicht auszuschließen, daß er es in „zwei oder fünf Jahren“ selbst freiwillig tun würde, denn „am Ende passiert immer, was man sich lange nicht vorstellen konnte.“
Haberl, Jahrgang 1975 und aus einem „erz“bürgerlichen Haushalt (Bayrischer Wald) stammend, führt par excellence vor, wie sich das eigene/“eigene” Denken korrumpieren lassen kann. Was es aus einem macht, wenn man Jahre in großstädtischen Blasen des Feuilletons verbringt. Nämlich: Man schwimmt zwangsläufig irgendwie mit. Nolens volens.
Die häufigsten Worte in Haberls bedenkenreichem Buch lauten „ich“, „meiner“, „mir“, „mich“. Es ist ein eigenes, seit den 1990ern ungebrochen beliebtes Genre: das Befindlichkeitsbuch. Im Telegram-Verschwörungsgruppenton dürfte man eine solche Veröffentlichung als „betreutes Denken“ klassifizieren. Und daran wäre wenig falsch.
Wir sind mit dieser zeitgenössischen, betont skrupulös daherkommenden Schrift also wieder beim Subjektivismus angelangt. „Wie fühlt es sich an?“ Haberl plaudert sehr offen aus seinem eigenen Nähkästchen als domestizierter Mann. Es ist eine vertrauliche, nahbare Lektüre. Sie geht runter wie ein Schnellimbiß und liegt hernach nichtmal schwer im Magen.
In diesem Buch mit zehn Kapiteln (etwa: „Mein Leben als Mann“, „Böse Männer“, „Clowns und Helden“) geht es hübsch ambivalent zu. Motto: „Hier haben die Feministinnen natürlich recht… hier, hier, und hier auch – aber man muß doch sagen…“
Autor Haberl ist kriegsgestählt. Er mußte nämlich (ja, schwächere Seelen zucken hier zurecht zusammen) bereits zwei sogenannte Shitstorms (einmal wegen eines nicht ausschließlich günstigen Portraits über Frl. Stokowski, einmal über eben dieses neue Buch) über sich ergehen lassen. Er hat diese Stahlgewitter ausweislich eines Staatsfunkinterviews als grobe Pein empfunden.
Haberl bekennt mehrfach, daß er a) kein „Fan“ all jener Männer sei, die mit ihren je „dunklen Flecken“ dieser toxischen Männlichkeit anheimgefallen sind und die er hier dennoch behutsam in Schutz nimmt: Mehmet Scholl, Peer Steinbrück, Thomas Gottschalk, Harald Schmidt et al.
Man würde gern postlektürisch nachlesen, was diese Männer nochmal eigentlich genau angerichtet haben (vermutlich: „derbe“ Sprüche), aber es fehlt hier ein Personenverzeichnis. Erst recht distanziert Haberl sich ganz eindeutig, b) -, Ordnung muß sein; auch unter den Schlimmen gibt es Schlimmste – von: Adolf Hitler, Dschingis Khan, Björn Höcke und Donald Trump.
Der Autor gibt sich als “He-Man” und zugleich woker Zeitgenosse selbstkritisch und übt sich in Flagellantentum:
„ Meine Helden von damals sind die Lachnummern von heute: Clint Eastwood, Sylvester Stallone, Bruce Willis, unreife Ego-Maschinen, die auf andere eindreschen, um sich ein bisschen geiler vorkommen zu können.“
Das ist also das Niveau, auf dem wir uns bewegen. Wir behandeln hier, um es nochmals zu betonen, einen Autor des Süddeutsche-Zeitung-Magazins und einen „SPIEGEL-Bestseller-Autor.“
Autor Haberl findet sich (ich mag nicht sagen: er suhlt sich darin) in seiner Verteidigung der Weißen Männlichkeit ein bißchen heroisch und auf dem Außenposten. Aber er will sich eben auch glasklar abgrenzen. Unter anderem gegen Höckes „Nazi-Locke“, wenn Höcke eine Eloge auf die Wiedererringung der Männlichkeit hält.
Haberl:
Viele haben sich radikalisiert, beschimpfen Frauen auf der Straße, schicken Hassmails an Genderbeauftragte, stürmen das Kapitol in Washingston, D.C. oder heißen Björn Höcke, steigen aufs Podium, streichen sich eine widerspenstige Nazi-Locke aus der Stirn und rufen: „Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken, denn nur dann werden wir mannhaft.“
Haßmailschreiber, Frauenbeschimpfer, Höcke. Für Haberl gilt der alte Werbespruch: Einmal hin, alles drin. Gefangene: werden nicht gemacht!
Gelegentlich hält in diesem Buch ein therapeutischer Ton Einzug, und Haberl hält diesen Zwiespalt kaum aus – er ist ein weißer Mann, aber er kann doch nichts dafür! Wenn er als privilegierter weißer Mann „und nicht als Mensch“ [schluchz, EK] wahrgenommen wird:
„Es gibt Momente, in denen fühle ich mich so falsch verstanden, dass ich am liebsten schreien würde.“
Greinend prognostiziert der Autor, daß es „Jahrzehnte“ dauern werde,
“bis die erkämpften Rechte gelebte Wirklichkeit werden und sämtliche Vorurteile gegen Frauen und Minderheiten aus unseren Köpfen verschwunden sind. Neue Formen von Macht, Verantwortung und Liebe werden entstehen, die wir uns noch gar nicht…“
etc. ppp. Wir haben es bei diesem Autoren also mit einem gekränkten, mehrfach enttäuschten, pessimistisch-optimistischen Zeitgenossen zu tun. In den 1980er Jahren entsprach dieser Typus dem Liegeradfahrer. Unausgesprochener Leitspruch: „Ich weiß, daß ich euch nerve und daß ich peinlich erscheine, aber ich ziehe es durch, weil es mir irgendwie guttut. Guckt ihr nur: Ich halte es aus.“
Autor Tobias Haberl unternimmt einiges, um sich von dieser erbärmlichen Rolle abzuheben. Er behauptet, die durch den feministischen Lauf gekränkten Männer schlügen nun
„verbal und physisch um sich, inszenieren sich als Opfer und machen den Feminismus dafür verantwortlich, dass sie sich in der Gegenwart nicht mehr zurechtfinden.“
Haberl vermeidet es auf Buchlänge, die Ebenen zu unterscheiden. Er stellt den (aufgeklärten, feminisierten) Akademiker dem genuin „rechten“, misogynen, eher ungebildeten Troll gegenüber. Wie unredlich!
Natürlich „haßt“ er, als Aufgeklärter, die von ihm ausgemachten Träger der vergifteten Männlichkeit auch nicht. Nein, er suggeriert Mitleid:
„Was um Himmels willen habt ihr erlebt, dass ihr so geworden seid?“
Oft helfe ein “alter Schimanski-Tatort“,
“damit diese armen alten weißen Männer vergäßen, daß ihnen die Zeit davonrast, schon fühlen sie sich verstanden und geborgen.“
Dieses Bescheidwissen (Motto:„Ich bin ja selbst ein weißer halbalter Mann, ich kenne euer Gefühl, aber ich weiß, wie man es überwindet“) mag nur denjenigen überzeugen, der dafür prädestiniert ist. Man muß wohl dieses gewisse urbane, skrupulöse, beichtfertige, aber in Spuren doch aufmüpfige (Bayrischer Wald!) Temperament haben, um hier mitzufühlen.
Ganz klar erwirbt Haberl Pluspunkte auf den zahlreichen Buchseiten, wo er prägnant und genüßlich das moderne Weichei vorführt. Typen, die im Rollkoffer ihre Laptop-Tasche hinter sich herziehen, die ihre Fitneßwerte per Armbanduhr „tracken“ oder übermütige Textnachrichten durch ein Zwinkersiley abmildern. Er hat erkannt, daß jeglicher Spott auf weiße Männer folgenlos bleibt oder sogar zu Applaus führt.
“Die Abwertung älterer weißer Männer ist verinnerlichter Teil unserer Kultur, ja eine Art Freizeitbeschäftigung geworden, der man sich ohne schlechtes Gewissen hingeben kann, wenn man alle Netflixserien durchhat: empörtes Engagement ohne Empathie und Verantwortungsbewußtsein.”
Wahr auch:
„Männer sind sich weniger peinlich als Frauen“,
was an ein schier unergründliches Geheimnis rührt.
Tobias Haberl (der im Buch viermal erwähnt, wie klasse er Sophie Passmann (*1994) findet, was grundsätzlich in Ordnung geht, aber in dieser Masse ein wenig auffällig wirkt) will sich offenkundig nicht dieser peinlichen Klientel zurechnen. Er laboriert aber noch immer daran, daß eine
„Kollegin, die ich immer gemocht habe“
„demonstrativ “an ihm vorbeischaut, weil er irgendwannmal ein nicht ganz ungünstiges Porträt über einen NPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament verfaßt hat.
Das ist fraglos tragisch:
„Alter weißer Mann – man hört diese drei Worte und spürt, wie etwas in einem zerbricht“,
formuliert Haberl melodramatisch. Er schämt sich seiner Männertränen nicht. Bei Tristan und Isolde muß er stets weinen, bei der Homo-Story Brokeback Mountain auch, und zwar, wenn der eine Typ “am Ende über diese Postkarte streicht.”
Ja, ja, alles okay. Jeder darf heulen, wenn er muß; wir sind ja keine Barbaren.
Insofern ist dieses Buch über den „Gekränkten Mann“ – Anklage und Verteidigungsversuch zugleich – ein interessantes wie lesenswertes Zeugnis. So ticken diese Leute. Das sind ihre Befindlichkeiten, ihre Abwehrmechanismen und ihre Schwächen. Sie sind, vergeßt den Bayrischen Wald, keine Minderheit. Sie sind die Speerspitze des sogenannten Diskurses.
Wir sollten weniger „wir“ sagen, befand Professor Ivor Claire auf der letzten Schnellroda ‑Akademie. Es geht ja um uns als „ich“! Haberl nun sagt “ich” und meint “uns”.
Niemand muß sich aber gemeinmachen. Soviel Kraft sollte sein. Soviel Distanz zu sich selbst. Dann, weil man fest steht auf dem Eigenen, gibt es auch keine Kränkbarkeiten. Herr Haberl hat noch einen weiten Weg vor sich. Er hat sich vielfach verlaufen, er ist nicht unsympathisch, also wünschen wir ihm das Beste.
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Tobias Haberl: Der gekränkte Mann. Verteidigung eines Auslaufmodells, 257 Seiten, 22 € – hier bestellen.
Niekisch
Dieser Haberl: weder "Weich" noch "Ei" ?