Seit zweiundzwanzig Jahren gehört es zu den Aufgaben des Instituts für Staatspolitik (IfS), Akademien für junge Hörer zu veranstalten, und zwar themengebunden, gekoppelt an eines der Schwerpunkthefte der hauseigenen Zeitschrift Sezession, auf akademischem Niveau.
Im Rahmen dieser Akademien werden Leitlinien für ein medial und politisch ebenso unwahrscheinliches wie interessantes, jedenfalls kaum faßbares Denkmilieu vorgezeichnet. Unwahrscheinlich ist es, weil es gegen die mediale Verteufelung rechten Denkens, gegen den massiven kriminalisierenden Druck der Verfassungsschutzbehörden, gegen das Denunziations- und Abwürgungsklima in Schulen und Universitäten, kurzum: trotz eines viel einfacher zu beschreitenden, mittig-linken Weges durch diese Republik entstanden ist.
Jeder Teilnehmer, jeder Schüler und Student müßte erzählen, warum er hier ist und nicht dort, wo alles unauffällig, leicht, mit der Fließrichtung läuft, oft konsequenzlos, oft als bloße Gesinnung, während vor den Türen unserer Vortragsräume Antifa-Fotografen als Journalisten getarnt ihre Bilder schießen, um zu markieren, zu archivieren, anonym zu veröffentlichen zu einem einzigen Zweck: die andere Meinung, das andere Wissen, die andere Auffassung von den Dingen und ihren Zusammenhängen zu tilgen.
Diese Umstände, diese Keimvorgänge auf schlechtem Boden machen unser Denken per se interessant. Wie ist so etwas möglich, woher kommt so etwas trotz alledem, was ist daran neu und anders und statthaft? Das waren die (teils ehrlich und sogar vorbehaltslos formulierten) Fragen der ersten Journalisten, die sich für unsere Arbeit interessierten. Unter dem Druck des Rudels und den Trainingseinheiten im Umgang mit der Schere im Kopf veränderten sich die Fragen: Warum wird so etwas nicht unterbunden? Wie kann man das verhindern?
Die besten Texte und Sendungen, die über uns erschienen, die also auch das Phänomen der Akademien zu fassen versuchten, umschrieben das schwer Faßbare einer Denk- und Haltungsrichtung, die das nüchterne Mohler- und Kaltenbrunner-Wort, die schlichte Feststellung Gehlens zu widerlegen versuchte, aber nicht zu widerlegen vermochte und nicht zu widerlegen vermag, zum Glück nicht zu widerlegen vermag: Die Rechte, so sie sich ernst nimmt, kann keine geschlossene Theorie haben, sondern Annäherungsbegriffe, die durch Erfahrung gedeckt sind.
So ist es. Die Rechte hat keinen Zugang zu Überstülpungen. Sie sprengt vielmehr selbst das Einengende einer solchen Theorie sofort dadurch, daß sie sich der All-Gemeinheit (Mohler) verweigert, sich den ausufernd lebendigen Phänomenen zu- und vom Prokrustesbett und seinen abgehackten oder aus den Gelenken gerissenen Gliedmaßen mit Schaudern abwendet – im besten Falle also eine Denkanstrengung auf sich nimmt, die auf die Selbstgewißheit des Theorie-Jargons und seiner zurechtgestanzten Puzzleteile verzichtet.
Das muß begriffen werden, gründlich, denn es steckt zugleich etwas Befreiendes und Bindendes darin, sich auf nicht feststellbare Weise vom Leben an sich verwirren zu lassen. Aus dieser Verwirrung, Verunsicherung, Verzauberung und Vergeblichkeit heraus gewinnen Errungenschaften wie Ort, Standpunkt, Absicherung, Umgebung und Stabilität erst ihre volle Bedeutung.
Das alles muß ausgeführt werden, dazu werden Bilder dienen, scharf gestellt, zu den Rändern hin verschwimmend, also entsprechend einer rechten Weltwahrnehmung.
Vorerst (und im Bezug auf die noch nicht weit zurückliegende Frühjahrsakademie) nur noch dies: Das “unwiderlegbare Erfüllungsglück” (ein Gehlen-Wort) jeder theoretischen Gesamtablage, jedes perfektionierten Jargons rührt daraus, daß es durch Einübung und Scharfsinn zu gewinnen sei – am Ende also immer ein wenig zu günstig, letztlich sogar herbeigetrickst und zu sehr in der Nähe vernutzbarer politischer Parolen und mit der argen Tendenz zur Bedienbarkeit eines Legobaukastens.
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Als im August 2000 die erste Sommerakademie des IfS stattfand (Thema: “Krisen”), waren die vier jüngsten Referenten der diesjährigen Frühjahrsakademie (8.–10. April, Thema: “Der Mensch”) sieben, zehn, elf und zwölf Jahre alt – zweimal Grundschule und zweimal gymnasiale Unterstufe also.
Erik Ahrens, Lorenz Bien, Jonas Schick und Martin Sellner trugen vor zu den Themen Biopolitik, Depressive Hedonie, Massengesellschaft und Transhumanismus. Erik Lehnert und ich hörten also einer anderen, der nächsten Generation zu, die zum Glück nachgerückt ist und durch Entwurf und Umsetzung eigener Projekte zeigt, daß die Vorbereitung abgeschlossen ist. Beispiele:
Jonas Schick ist Autor der Sezession und hat vor zwei Jahren die ökologische Zeitschrift Die Kehre ins Leben gerufen – eine notwendige Ergänzung des in den vergangenen Jahren überhaupt stark aufgefächerten Angebots von rechts. Erik Ahrens ist Mitgründer des online-Magazins “Konflikt” und der “GegenUni”, die ebenfalls online agiert und in Dozenten- und Hörerschaft Überschneidungen zu unseren Autoren und Lesern aufweist.
Martin Sellner, über dessen Wirken kein Wort notwendig ist, beendet derzeit ein Buchmanuskript für unseren Verlag, Erik Ahrens ist zur Hälfte fertig, Lorenz Bien sitzt an seinem ersten Bändchen für unsere Reihe Kaplaken. Sie alle zeichnet etwas aus, das im Zeitalter des barrierefreien Publizierens im Internet viel zu oft nicht mehr akzeptiert wird von jüngeren Autoren: Gegenlektüre, Lektorat, Kritik, ein Gespräch über den Text, das Verwerfen von Passagen. Es geht um die Einsicht, daß man umbauen, umschreiben, umgestalten müsse, wenn die Erfahrung das verlangt.
Dirsch und v. Waldstein, Lehnert und andere: Das waren die erfahrenen Referenten, inhaltlich jeder eine sichere Bank. In solchen Vorträgen steckt kein Risiko mehr, sich zu verheben oder etwas nachzuplaudern, das klug daherkommt, aber den kühlen Wind außerhalb geschlossener Räume nicht verkraftet. Wir hörten über Scheler und Plessner, über Spengler und Lorenz, Weber und Graeber, über die Truman-Show und Adorno und immer wieder über Gehlen.
Und dann sieht man, wie Ahrens auf jede Frage Hinweise geben kann und auch die englischsprachige Literatur parat hat, wie Sellner den religiös aufgeladenen Transhumanismus an Nietzsches Denkfigur des Übermenschen abgleicht und Schick das noch nicht sehr alte, für jeden ökologischen Ansatz grundlegende Problemdreieck aus Masse Mensch, technischer Welt und bedarfsgewecktem Konsum beschreibt und über den Machbarkeitsansatz problematisiert.
So hat man sich das vorgestellt, so hat man das in Gesprächen und Rückfragen vorbereitet, so wirken die Ernsthaftigkeit und die Verknüpfung von Vortrag, Beitrag, institutioneller Kooperation: Eine Akademie ist auch ein Szenetreffen, ein geschützter Raum, in dem aufgeatmet, ausgebreitet, geäußert werden kann, auch; aber vor allem wird ernsthaft gedacht und gefragt und geantwortet.
(Zum Szenetreff noch eines: Zwei Teilnehmer mußten die Akademie verlassen, nachdem sie am Freitagabend ihren mangelnden Respekt vor unserer Arbeit und unseren Maßstäben in Sachen Anstand und Verantwortung zur Schau getragen hatten. Das ging Ratzfatz und war so kompromißlos und deutlich, daß die Tischnachbarn darüber erschraken. Auch das ist ja ein Kennzeichen der Gegenwart: wenig Erfahrung mit Konsequenz, Führung und Härte.)
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Was unterschied diese Frühjahrsakademie von der im vergangenen September, die mich ratlos und unzufrieden gestimmt hatte? Neben dem geglückten Generationenmix unter den Referenten zunächst dies: Die Hörerschaft setzte sich anders zusammen – weniger virtuelle Haltungsprofis diesmal, weniger Lebensgefühl-Clique, mehr Wissen, mehr Notizen, mehr thematisches Interesse, das sich unter anderem an den vielen Fragen und Nebenbeiträgen bemerkbar machte, die wir im Anschluß an die Vorträge zuließen.
Zweitens: der ständige Begleitton einer Verhaltensoption für den Einzelnen angesichts einer durch mächtige Feinderzählungen formierten und von verlogener Stabilität umstellten Gesellschaft. Auch ein durch Parteien, Zivilgesellschaft und Superunternehmen gekaperter Staat ist ja zunächst ein stabiles Gehäuse, und das, was man eigentlich unter einem gedeihlich ausgerichteten Staat verstehen sollte, schimmert als Lack und verblendet auch auf unserer Seite jene, die klug, aber unsicher sind.
Der Ruf nach dem Staat, diesem Staat, der uns etwas versprochen habe, es aber nicht einzulösen bereit sei, war im Verlauf der Frühjahrsakademie kaum zu hören. Das war interessant zu beobachten: wie es uns natürlich eigentlich zustünde, aber wie die Einforderung zugleich die Abhängigkeit vergrößere, die Infantilisierung durch abstrakte Fürsorge, durch einen Anspruch auf so etwas wie Taschengeld in der Höhe von Monatslöhnen, auf Alltagsorganisation und die staatlich organisierte Stabilisierung der einmal getroffenen Berufs- und Lebensentscheidung.
Aber könnte es nicht sein, daß das, was an widerständigem Potential geweckt werden muß, nur dadurch geweckt werden kann, daß wir uns, besser: daß ich mich von einem “wir” verabschiede, das entweder ständig falsch wählt oder seinen Lebensvollzug von seinem Lebensgerede (und das meint: seinem Weltanschauungsschwall) geschickt entkoppelt?
Wir oder ich? Ich – nicht abstrakt, nicht grundsätzlich, aber jetzt eben, im Rückzug oder in der Abschottung, in der Aufwiegelung oder in der Sicherheit des Schweigens, pathetisch oder sehr, sehr nüchtern. – Das war das Subthema unter dem Thema “Der Mensch”, das war die Frage nach dem, was Gehlen gemeint haben könnte, als er seine Schrift über Die Seele im technischen Zeitalter mit dem berühmten Satz schloß: “Eine Persönlichkeit: das ist eine Institution in einem Fall.”
Bleibt ein Drittes: Die Kooperation mit dem Konflikt-Magazin und der GegenUni ließ sich gut an, wir werden sie fortsetzen. Und nun noch ein bißchen Getrommel: Fast alle Vorträge der Akademie können Sie nach und nach auf youtube im Mitschnitt sehen: Sie finden hier zum Kanal Schnellroda.
Niekisch
Der im Video erwähnte "Ganzheitsbiologe" und Lehrer Gehlens, Hans Driesch, verdient einen kleinen Hinweis auf sein Werk. Mich haben die Aussagen beeindruckt, Lebendiges müsse von Grund auf "es selbst" sein. Die Setzung der Organanlagen sowie die Ausgestaltung der Organe selbst seien einseitig oder wechselseitig voneinander abhängig...Alle Gestaltungsglieder hingen innerhalb der typischen Ganzheit voneinander ab, und die Ganzheit scheine sich durch sich selber in harmonischem Gleichgewicht zu erhalten, ja dieses Gleichgewicht im Fortschritt der Entwicklung aus sich selber immer wieder herzustellen....Das organismisch Lebendige stehe vor uns als ein sich kraft seiner selbst aus sich selbst Herauserzeugendes ( s. Amtmann, Rolf, Die Ganzheit in der europäischen Philosophie, Grabert 1992, S. 330 f.)
Wie kann da der Mensch ein "Mängelwesen" i.S. Gehlens sein, wo doch Mangelhaftigkeit "Gebrauchsuntauglichkeit" für das Leben bedeutet?
Vielleicht wurde die Frage zur Akademie diskutiert.