Johannes Schweikle: Grobe Nähte. Roman einer deutschen Stadt

Johannes Schweikle, Jahrgang 1960, evangelischer Theologe mit namensmäßig eindeutiger Herkunft, hat einen thematisch überaus aktuellen Roman geschrieben.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Er han­delt von selbst­ge­rech­ten Lin­ken, iden­ti­tä­ren Zuschrei­bun­gen und dem mitt­ler­wei­le berühm­ten »Riß«, der durch Freun­des­krei­se und Paar­be­zie­hun­gen geht. Die Hand­lung spielt in Mün­chen – da, wo die vie­len »Nazibau­ten« immer noch ste­hen (mal nach­den­ken drü­ber). Berich­tet wird – nicht immer per­so­nal – aus der Per­spek­ti­ve drei­er Prot­ago­nis­ten, deren Lebens­fä­den sich zufäl­lig kreu­zen. Zum einen wäre das Bene­dikt, der tie­fes Blech pro­fes­sio­nell bespielt. Tuba, Sou­sa­phon etc. – eine pro­fes­sio­nel­le Orches­ter­kar­rie­re stün­de ihm offen. Er schwankt noch. Eigent­lich tritt er sehr gern mit sei­ner coo­len Kom­bo Brass­Xpress auf, die das tra­di­tio­nel­le Bläser­œuvre gewagt durch­bricht. Bene­dikt schwankt ohne­hin. Sei­ne Freun­din Anna-Lena geht völ­lig in der Beschäf­ti­gung mit Geflüch­te­ten auf. Es kommt zur »Bezie­hungs­kri­se«, weil Bene­dikt – eigent­lich ein welt­of­fe­ner, tole­ran­ter, guter etc. Mensch – gele­gent­lich Zwei­fel äußert, ob die­se Men­schen wirk­lich alle aus äußers­ter Not nach Deutsch­land kom­men. Die bei­den geben ein ech­tes Kli­schee­pär­chen, das sicher tat­säch­lich in hun­dert­fa­cher Aus­füh­rung existiert!

Zwei­tens haben wir Kor­bi­ni­an Moser, in lei­ten­der Posi­ti­on für die »wich­tigs­te Zei­tung Bay­erns« tätig. Mit eini­gem Auf­wand wird hier bedeut­sam ver­schwie­melt, daß es sich dabei um die Süd­deut­sche han­deln soll. Moser, arri­vier­ter Patch­work­fa­mi­li­en­va­ter, gibt hier mit sei­ner Gat­tin, der etwas weni­ger pro­mi­nen­ten Foto­gra­fin Eva, den Bobo. Auch sie sind bei Schweik­le papier­ne Gestal­ten, gleich­sam am Reiß­brett ent­wor­fen: Die bei­den »Krea­ti­ven« prei­sen die multi­kulturelle Idee so lan­ge und so vehe­ment, bis sie ihnen kon­kret auf die Pel­le rückt. Das geschieht hier mehr­fach: ein­mal in Form einer Flücht­lings­un­ter­kunft, die in Kin­der­gar­ten­nä­he ein­ge­rich­tet wer­den soll. Dane­ben wird eine Kunst­aus­stel­lung besucht, in der das Leid der Flücht­lings­frau­en kom­mer­zi­ell aus­ge­schlach­tet und somit per­ver­tiert wird. Außer­dem geht es um eine redak­tio­nell unter­drück­te Repor­ta­ge. Hier wird der Roman kurz ernst­haft bri­sant: Eine ange­hen­de Jour­na­lis­tin soll­te für Mosers Blatt über Flücht­lings­schleu­ser berich­ten, die es gut mei­nen und aus Idea­lis­mus handeln.

Nur: Der por­trä­tier­te phil­an­thro­pe Schleu­ser ist, wie die jun­ge Frau her­aus­fin­det, ein Schwu­ler, der die Not sei­ner Schütz­lin­ge zum sexu­el­len Lust­ge­winn miß­braucht. Mist! Kor­bi­ni­an Moser rast: »War­um meint die Prak­ti­kan­tin, ihre gute Geschich­te kaputt­re­cher­chie­ren zu müssen?«

Die drit­te Per­spek­ti­ve faßt Vic­tor Akbu­ni­ke ins Auge. Der Mann aus Nige­ria ist Stür­mer bei Bava­ria Mün­chen. (Wer die Anspie­lung auf einen tat­säch­lich exis­tie­ren­den Ver­ein ver­stan­den hat, darf sich auf die Schul­ter klop­fen.) Der schwar­ze Held wird geliebt, solan­ge er erfolg­reich kickt. Natür­lich sind die Schlag­zei­len schon da arg »ras­sis­tisch«: »Die Natur hat ihn zum Tor­jä­ger bestimmt«, »Die Maschi­ne mit den Kil­ler­fü­ßen«, titeln die Blät­ter. Schweik­le läßt nach sol­chen Aus­sa­gen gern sei­ne Kapi­tel enden. Es ist, als wol­le er sagen: »Denkt mal nach, bevor ihr umblät­tert. Merkt ihr was?«

Zum Fahr­plan des Romans paßt es, daß Akbu­ni­ke nicht nur sport­lich nach­läßt, son­dern zudem gegen Regeln der poli­ti­schen Kor­rekt­heit ver­stößt. Er äußert sich unein­deu­tig über Homo­se­xu­el­le, er fährt einen exal­tier­ten Por­sche, er erklärt öffent­lich, in Deutsch­land kei­nen Ras­sis­mus erlebt zu haben. So geht es nicht! Es gibt Ärger. An allen Fron­ten übrigens.

Autor Schweik­le woll­te sicht­bar einen »aus­ge­wo­ge­nen« Roman schrei­ben, der das heu­te rele­van­te »Einer­seits« eben­so beleuch­tet wie das »Ande­rer­seits«. Er hat über­se­hen, daß ein Roman kein Debat­tier­club ist, wo man Papp­ka­me­ra­den belie­big pla­zie­ren kann, um sie dann als irgend­wie tra­gi­sche Figu­ren zu nutzen.

Was sind nun die titel­ge­ben­den »Gro­ben Näh­te«? Man könn­te mit etwas Mühe aller­lei asso­zi­ie­ren: nur flüch­tig Ange­schnei­der­tes; ein Pro­vi­so­ri­um; etwas, das nicht lan­ge hal­ten wird. Bei Schweik­le aller­dings lesen wir einen poe­tisch schei­tern­den Ver­such: Beschrie­ben wer­den die »strah­lend wei­ßen Wol­ken« über Mün­chen, die nicht das »fri­sche Blau« ver­schmie­ren, »in dem sogar die brei­ten Stra­ßen freund­lich wir­ken. Kei­ner kann sagen, ob die­se gro­ben Näh­te die guten Vier­tel unse­rer Stadt mit den ande­ren ver­bin­den. Oder ob es Trenn­li­ni­en sind.« Die Poeto­logie die­ses flott durch­zu­le­sen­den Romans ist damit in ein Wort zu gie­ßen: Bedeutungshuberei.

Es bleibt noch, fol­gen­de ängst­li­che Vor­be­mer­kung des Autors fest­zu­hal­ten: »In die­sem Buch tre­ten fik­ti­ve Figu­ren auf [äußerst unge­wöhn­lich für einen Roman, der sich wirk­lich aus­ge­dacht liest; EK]. Sie stel­len Wider­sprü­che dar und soll­ten des­halb weder von links denun­ziert noch von rechts ver­ein­nahmt werden.«

Daß der Ver­lag kein Rezen­si­ons­exem­plar an die­se Zeit­schrift sen­den woll­te, paßt zu die­ser Angst. Hin­ten gip­felt der Roman in Por­no­sze­nen, die ver­mut­lich selbst Lieb­ha­bern die­ses Gen­res als pein­lich miß­lun­gen erschei­nen dürf­ten. Die Bot­schaft dahin­ter: So geht Deutsch­land mit sei­nen Alten­pfle­ge­rin­nen um; sie müs­sen sich ver­kau­fen, um auf einen grü­nen Zweig zu kom­men! Welch ein erbar­mungs­wür­di­ger Auf­schrei. Sicher gut gemeint, das Gan­ze – aber mäßig gemacht.

Johan­nes Schweik­le: Gro­be Näh­te. Roman einer deut­schen Stadt, Stutt­gart: Krö­ner 2021. 239 S., 22 €

 

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Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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