Mal keine Polyamorie, kein Non-Binär, kein Vegan-Frutarisch, kein Leiden unter postkolonialer Matrix und keine »Intersektionaliät« – sondern ein Hoch auf das Normale!
Cora Stephan, diese umtriebige Publizistin (*1951), die bis in die späte Jugend selbst eine Linke war und dann schrittweise so weit konvertierte, daß ihre Kritiker sie sogar der Neuen Rechten zuordnen, dürfte – derart geläutert – die Richtige sein, das eigentlich so wenig sexy Konzept des »Normalen« zu attraktivieren. Normal ist, was keiner Erklärung bedarf; was sich bewährt hat. Was normal sei, so die promovierte Politikwissenschaftlerin, habe generell weder Vorzug noch Nachteil: »Am entspanntesten dürfte eine Gesellschaft sein, in der sich die Mehrheit darüber einig ist, was als normal durchgeht, was man akzeptiert und was man gerade noch tolerabel findet.«
Ja! Frau Stephan dekliniert die propagierte, tönerne »neue Normalität«, die freilich keine ist, anhand folgender Großerzählungen kritisch durch. Das wäre: der Krieg der Geschlechter (Darf man noch Hausfrau sein wollen? Ist Männlichkeit »toxisch«?), der längst umstrittene Begriff Heimat (Stephan: »Ob es das allgegenwärtige Schuldgefühl ist, das die Deutschen zum Volk der offenen Herzen und offenen Taschen macht?«), die Utopie der multikulturellen Gesellschaft und der omnipotente Betroffenheitskult (niemand dürfe heute aus reinen Nüchternheitserwägungen das »Spiel mit der Angst« stören).
Cora Stephan hatte sich 2011 (Angela Merkel. Ein Irrtum) vom Glauben an die Kanzlerin verabschiedet. Fortgeschrittene Leser zuckten darob mit der Augenbraue. Dieses Buch nun ist eine hervorragende Gabe für Späterwachte, die anno 2021 langsam merken, daß vielleicht doch etwas faul sein könnte im Staate Deutschland. Cora Stephan schreibt dabei nicht wie eine, die jäh aus tiefem Schlaf erwacht ist und nun aufgeregt merkt, was »da eigentlich« los ist. Sie argumentiert lässig, nachsichtig, spöttisch kopfschüttelnd. Ihren Grundton könnte man, zugeneigt, grundliberal, kritisch: tantenhaft nennen. Motto: Ich bin ja eigentlich total offen für dies und jenes, aber das geht doch dann echt zu weit! Für Leser, die das Tagesgeschehen seit je hellwach verfolgen, rennt die Autorin hier Dutzende sperrangelweite Türen ein. Die meisten identitätspolitischen oder anderweitig moralistischen Ausfälle, die sie hier Revue passieren läßt, hat man längst rezipiert. Nicht alle: Daß die grüne, lesbische Transfrau Maike Pfuderer von ihrem Parteigenossen Boris Palmer sträflich »misgegendert« wurde, indem er ihren »Deadname« (also den damals im Geburtsregister eingetragenen Namen) Reinhard (den »Maike« selbst öffentlich gemacht hatte) »outete« – das war dann doch neu. Kurz: Ein Lehrstück für Leute im Prozeß des Umdenkens, Schmökerware für fortgeschrittene Selbstdenker.
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Cora Stephan: Lob des Normalen. Vom Glück des Bewährten, München: Finanzbuch 2021. 238 S., 16,99 €
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