Mathias Schafmeister: Selbstdeutung des Mitläufers Gerhard Nebel

Gerhard Nebel (1903 – 1974) hat als streitlustiger Publizist in den Jahren zwischen der Kapitulation und der Gründung der Bundesrepublik eine wichtige Rolle gespielt.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Das lag vor allem dar­an, daß er als unbe­las­tet galt und sich so als Sprach­rohr der kon­ser­va­ti­ven Intel­lek­tu­el­len betä­ti­gen konn­te, die von den Alli­ier­ten mit Publi­ka­ti­ons­ver­bo­ten belegt wor­den waren. Nebel ist damals vor allem als Gefolgs­mann Ernst Jün­gers auf­ge­tre­ten, als der er bis heu­te gilt. Dage­gen ist sein mehr als zwan­zig Bücher umfas­sen­des zeit­kri­ti­sches Werk, das er bis zu sei­nem Tod ver­faß­te, weit­ge­hend ver­ges­sen. Bemü­hun­gen, die auf sei­ne Wie­der­ent­de­ckung abziel­ten, schei­ter­ten. Inso­fern ist es beacht­lich, daß Mathi­as Schaf­meis­ter, der als Archi­var tätig ist, ihm eine der­art umfang­rei­che Dis­ser­ta­ti­on gewid­met hat, in der er vor allem die vor 1945 geleg­ten Grund­la­gen von Nebels kurz­zei­ti­gem Ruhm auf ihre Halt­bar­keit abklopft.

Nebel, der als Voll­wai­se bei sei­nem Bru­der auf­wuchs, ver­such­te nach dem Stu­di­um im Höhe­ren Schul­dienst unter­zu­kom­men, was Anfang der 1930er Jah­re auf­grund der wirt­schaft­li­chen Situa­ti­on äußerst schwie­rig war. Erschwe­rend kamen bei Nebel sei­ne cha­rak­ter­li­che Dis­po­si­ti­on hin­zu, die sich in intel­lek­tu­el­ler Über­heb­lich­keit und unge­hemm­ter Streit­lust äußer­te, und sei­ne Unbe­darft­heit in Bezie­hungs­din­gen, die ihn mora­lisch frag­wür­dig erschei­nen ließ, sowie schließ­lich sei­ne kurz­zei­ti­ge Mit­glied­schaft in der SPD, die nach 1933 nicht för­der­lich war (wenn­gleich ihm dar­aus kei­ne Kon­se­quen­zen erwuch­sen). Zwei Auf­ent­hal­te in Afri­ka unter­stri­chen den Ein­druck, daß es Nebel mit dem Schul­dienst nicht son­der­lich ernst war. 1937 nahm sich Nebel den Rat eines Schul­di­rek­tors zu Her­zen und trat in die NSDAP ein. Sei­ne weni­gen Publi­ka­tio­nen in der NS-Zeit stan­den in der kul­tur­kri­ti­schen Tra­di­ti­on Ernst Jün­gers. Als Autor sta­gnier­te er. 1941 erlös­te ihn die Ein­be­ru­fung zur Luft­waf­fe aus die­ser miß­li­chen Lage. Er dien­te in Frank­reich und Ita­li­en, wo er in Gefan­gen­schaft geriet, aus der er nach weni­gen Mona­ten ent­las­sen wur­de. Zwi­schen 1947 und 1950 erschie­nen sie­ben Bücher aus sei­ner Feder, u. a. die Kriegs­ta­ge­bü­cher, 1950 ging er für eini­ge Jah­re wie­der in den Schuldienst.

Schaf­meis­ter wid­met sich vor allem den Kriegs­ta­ge­bü­chern, weil er zei­gen will, daß Nebel sich dar­in im nach­hin­ein zum wider­stän­di­gen Geist sti­li­siert hat, wäh­rend er in den ori­gi­na­len Auf­zeich­nun­gen nur wenig Distanz zum Gesche­hen erken­nen läßt. In mühe­vol­ler Klein­ar­beit hat er dazu die gedruck­ten Tage­bü­cher mit den über­lie­fer­ten Vor­la­gen ver­gli­chen. Das Ergeb­nis fällt für Nebel nicht über­mä­ßig schmei­chel­haft aus, weil er sich in der gedruck­ten Fas­sung wesent­lich schlau­er gibt, als er damals war, vie­le Refle­xio­nen im nach­hin­ein ergänzt hat und so den Ein­druck erwe­cken konn­te, immer eine »soli­tä­re Posi­ti­on« bezo­gen zu haben.

Für Schaf­meis­ter setzt Nebel damit fort, was er im Ent­na­zi­fi­zie­rungs­pro­zeß begon­nen hat­te, das Fri­sie­ren sei­ner Ver­gan­gen­heit. Aus der Ver­set­zung aus Paris wur­de erst die Ver­ban­nung auf eine Kanal­in­sel, dann Straf­ar­beit in den Stein­brü­chen. Als Anlaß gab Nebel sei­nen 1941 erschie­ne­nen Auf­satz »Auf dem Flie­ger­horst an«, der als Lächer­lich­ma­chung der Luft­waf­fe ver­stan­den wor­den sein soll. Auch wenn es kei­nen ursäch­li­chen Zusam­men­hang zwi­schen Text und Ver­set­zung gibt, geht Schaf­meis­ter in sei­nem Bemü­hen, Nebel als Auf­schnei­der daste­hen zu las­sen, etwas weit, wenn er dem Auf­satz jeden Wider­spruchs­geist abspricht und damit ein Grund­pro­blem sei­ner Arbeit offen­bart. Schaf­meis­ter urteilt kon­se­quent aus der Posi­ti­on des Bun­des­bür­gers des 21. Jahr­hun­derts, der sei­ner Groß­vä­ter­ge­nera­ti­on genüß­lich ihre Feh­ler auf­zählt, ohne dabei zu beden­ken, daß es Situa­tio­nen gibt, in der eine Not­lü­ge das Über­le­ben sichern kann. Nach­dem Nebel bei der Gefan­gen­nah­me als Beruf »Stu­di­en­as­ses­sor« ange­ge­ben hat­te, was zu ver­schärf­tem Arrest führ­te, weil die Ame­ri­ka­ner hin­ter die­ser Bezeich­nung einen NS-Amts­trä­ger ver­mu­te­ten, war er in die­ser Hin­sicht geheilt.

Mathi­as Schaf­meis­ter: »Ich leh­ne es ab, sei­ne Unta­ten auf mich zu neh­men«. Selbst­deu­tung und Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung des intel­lek­tu­el­len Mit­läu­fers Ger­hard Nebel (1933 – 1951), Frank­furt a. M.: Cam­pus Ver­lag 2020. 714 S., 64 €

 

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Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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