Das lag vor allem daran, daß er als unbelastet galt und sich so als Sprachrohr der konservativen Intellektuellen betätigen konnte, die von den Alliierten mit Publikationsverboten belegt worden waren. Nebel ist damals vor allem als Gefolgsmann Ernst Jüngers aufgetreten, als der er bis heute gilt. Dagegen ist sein mehr als zwanzig Bücher umfassendes zeitkritisches Werk, das er bis zu seinem Tod verfaßte, weitgehend vergessen. Bemühungen, die auf seine Wiederentdeckung abzielten, scheiterten. Insofern ist es beachtlich, daß Mathias Schafmeister, der als Archivar tätig ist, ihm eine derart umfangreiche Dissertation gewidmet hat, in der er vor allem die vor 1945 gelegten Grundlagen von Nebels kurzzeitigem Ruhm auf ihre Haltbarkeit abklopft.
Nebel, der als Vollwaise bei seinem Bruder aufwuchs, versuchte nach dem Studium im Höheren Schuldienst unterzukommen, was Anfang der 1930er Jahre aufgrund der wirtschaftlichen Situation äußerst schwierig war. Erschwerend kamen bei Nebel seine charakterliche Disposition hinzu, die sich in intellektueller Überheblichkeit und ungehemmter Streitlust äußerte, und seine Unbedarftheit in Beziehungsdingen, die ihn moralisch fragwürdig erscheinen ließ, sowie schließlich seine kurzzeitige Mitgliedschaft in der SPD, die nach 1933 nicht förderlich war (wenngleich ihm daraus keine Konsequenzen erwuchsen). Zwei Aufenthalte in Afrika unterstrichen den Eindruck, daß es Nebel mit dem Schuldienst nicht sonderlich ernst war. 1937 nahm sich Nebel den Rat eines Schuldirektors zu Herzen und trat in die NSDAP ein. Seine wenigen Publikationen in der NS-Zeit standen in der kulturkritischen Tradition Ernst Jüngers. Als Autor stagnierte er. 1941 erlöste ihn die Einberufung zur Luftwaffe aus dieser mißlichen Lage. Er diente in Frankreich und Italien, wo er in Gefangenschaft geriet, aus der er nach wenigen Monaten entlassen wurde. Zwischen 1947 und 1950 erschienen sieben Bücher aus seiner Feder, u. a. die Kriegstagebücher, 1950 ging er für einige Jahre wieder in den Schuldienst.
Schafmeister widmet sich vor allem den Kriegstagebüchern, weil er zeigen will, daß Nebel sich darin im nachhinein zum widerständigen Geist stilisiert hat, während er in den originalen Aufzeichnungen nur wenig Distanz zum Geschehen erkennen läßt. In mühevoller Kleinarbeit hat er dazu die gedruckten Tagebücher mit den überlieferten Vorlagen verglichen. Das Ergebnis fällt für Nebel nicht übermäßig schmeichelhaft aus, weil er sich in der gedruckten Fassung wesentlich schlauer gibt, als er damals war, viele Reflexionen im nachhinein ergänzt hat und so den Eindruck erwecken konnte, immer eine »solitäre Position« bezogen zu haben.
Für Schafmeister setzt Nebel damit fort, was er im Entnazifizierungsprozeß begonnen hatte, das Frisieren seiner Vergangenheit. Aus der Versetzung aus Paris wurde erst die Verbannung auf eine Kanalinsel, dann Strafarbeit in den Steinbrüchen. Als Anlaß gab Nebel seinen 1941 erschienenen Aufsatz »Auf dem Fliegerhorst an«, der als Lächerlichmachung der Luftwaffe verstanden worden sein soll. Auch wenn es keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Text und Versetzung gibt, geht Schafmeister in seinem Bemühen, Nebel als Aufschneider dastehen zu lassen, etwas weit, wenn er dem Aufsatz jeden Widerspruchsgeist abspricht und damit ein Grundproblem seiner Arbeit offenbart. Schafmeister urteilt konsequent aus der Position des Bundesbürgers des 21. Jahrhunderts, der seiner Großvätergeneration genüßlich ihre Fehler aufzählt, ohne dabei zu bedenken, daß es Situationen gibt, in der eine Notlüge das Überleben sichern kann. Nachdem Nebel bei der Gefangennahme als Beruf »Studienassessor« angegeben hatte, was zu verschärftem Arrest führte, weil die Amerikaner hinter dieser Bezeichnung einen NS-Amtsträger vermuteten, war er in dieser Hinsicht geheilt.
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Mathias Schafmeister: »Ich lehne es ab, seine Untaten auf mich zu nehmen«. Selbstdeutung und Vergangenheitsbewältigung des intellektuellen Mitläufers Gerhard Nebel (1933 – 1951), Frankfurt a. M.: Campus Verlag 2020. 714 S., 64 €
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