Ayaan Hirsi Ali: Beute

von Sophie Liebnitz -- Bei seinem Erscheinen in den USA löste Beute einen wütenden Angriff der New York Times aus,

der auch den Naivs­ten klar­ge­macht haben müß­te, daß weder eine kras­se Ver­fol­gungs­bio­gra­phie noch die rich­ti­ge Haut­far­be die­je­ni­ge vor Atta­cken des woken Mobs schüt­zen, die unlieb­sa­me Wahr­hei­ten aus­zu­spre­chen wagt.

Hir­si und ihr Recher­che­team muß­ten fest­stel­len, daß es äußerst müh­se­lig war, über­haupt belast­ba­re Daten zu fin­den. »Kri­mi­nal­sta­tis­ti­ken, Gerichts‑, Poli­zei- und Regie­rungs­be­rich­te, aka­de­mi­sche Quel­len – kei­ne davon lie­fert ein belast­ba­res Bild.« Die­ser Befund ist noch weit­aus gra­vie­ren­der als das wohl­be­kann­te Ver­schwei­gen oder Her­un­ter­spie­len in den Medi­en, denn er zeigt, daß die Fehl­ent­wick­lung auf insti­tu­tio­nel­ler Ebe­ne beginnt. Lücken­haf­te Sta­tis­ti­ken, beschö­ni­gen­de Poli­ti­ker­aus­sa­gen und ideo­lo­gi­sier­te aka­de­mi­sche Arbei­ten ver­deut­li­chen, was die mit ent­leer­ten huma­nis­ti­schen Kli­schees han­tie­ren­de Öffent­lich­keit nicht wahr­ha­ben will: Das Men­ta­li­täts­pro­blem des durch­schnitt­li­chen West­lers (näm­lich der Unwil­le, sich und sei­ne Kul­tur, nicht zu reden von sei­ner Eth­nie, zu schät­zen und ent­spre­chend zu ver­tei­di­gen) geht dem Einwanderungs‑, Islamisierungs‑, und Gewalt­pro­blem vor­aus und hat es erst her­vor­ge­bracht – also genau das, was die Rech­te seit Jah­ren konstatiert.

Durch sorg­fäl­ti­gen Ver­gleich von Daten, die auf ganz unter­schied­li­cher Basis erho­ben wur­den, gelangt die Autorin zu dem »Anscheins­be­weis«, daß »der Anstieg der Zuwan­de­rung nach Euro­pa um das Jahr 2015 zu einer erheb­li­chen Zunah­me der sexu­el­len Gewalt in den Län­dern [führ­te], die die größ­te Zahl von Migran­ten auf­nah­men.« Die Ein­zel­fäl­le von sexu­el­ler Gewalt bie­ten ein bedrü­cken­des Pan­ora­ma, auch wenn dem Leser die Mus­ter satt­sam bekannt sind. Ein­drück­li­cher als die Gewalt­schil­de­run­gen ist ein mit ver­steck­ter Kame­ra auf­ge­nom­me­ner Dia­log in einem Pari­ser Vor­ort im Dépar­te­ment Sei­ne-Saint-Denis. Zwei Frau­en wur­den mit der Bemer­kung »Dies ist ein Ort für Män­ner« dar­an gehin­dert, ein Café zu betre­ten. Man erklär­te: »Sie sind nicht in Paris. Die Men­ta­li­tät ist anders. Sie ist wie in der Hei­mat.« Mehr muß man über die­se Art der Raum­nah­me nicht wis­sen. Beson­ders schmerz­haft ist der Dia­log, wenn man sich erin­nert, daß Saint-Denis die ers­te goti­sche Kathe­dra­le Frank­reichs samt Grab­le­ge der fran­zö­si­schen Köni­ge beher­bergt. Heu­te ist das Vier­tel um die Kathe­dra­le isla­mi­siert und ein Brenn­punkt der Kriminalität.

Die Stig­ma­ti­sie­rung euro­päi­scher Frau­en als Huren ist ein Neben­ef­fekt isla­mi­sier­ter Räu­me. Rech­te, die mit der Isla­mi­sie­rung sym­pa­thi­sie­ren, weil sie in ihr das klei­ne­re Übel gegen­über dem Libe­ra­lis­mus sehen, soll­ten dar­über nach­den­ken, was das für ihre Müt­ter, Schwes­tern, und Frau­en nach sich zieht und ob radi­ka­le Geschlechter­segregation mit dem gern beschwo­re­nen euro­päi­schen Erbe ver­ein­bar ist. (Nein, und zwar auch mit dem vor­auf­klä­re­ri­schen nicht!)

Die Stra­te­gien, mit denen das polit­kor­rek­te Jus­te Milieu mas­si­ve Pro­ble­me im Zusam­men­hang mit Ein­wan­de­rung aus mus­li­mi­schen Län­dern zu erken­nen ver­mei­det, sam­melt Hir­si in einem »Das Lehr­buch des Nicht­wahr­ha­ben­wol­lens« über­schrie­be­nen Kapi­tel. Als Opfer der Can­cel Cul­tu­re erschei­nen dort übri­gens auch Thi­lo Sar­ra­zin, Uwe Tell­kamp und Hamed Abdel Samad, deut­sche Fäl­le, die Krei­se bis in die USA (wo Hir­si nun lebt) gezo­gen haben. Sie stellt klar, daß das Ver­sa­gen der Inte­gra­ti­on nicht auf eine angeb­lich omni­prä­sen­te »Isla­mo­pho­bie« zurück­ge­führt wer­den kann, sei­en frü­he­re Ein­wan­de­rer­grup­pen doch mit »weit schlim­me­rer Feind­se­lig­keit der Auf­nah­me­ge­sell­schaft kon­fron­tiert« gewe­sen. Der Ver­gleich mit den erfolg­rei­chen viet­na­me­si­schen Zuwan­de­rern zeigt, daß auch die gän­gi­gen Argu­men­te wie schlech­te Sprach­kennt­nis­se oder Trau­ma­ti­sie­rung nicht tra­gen, da es sich um Pro­ble­me han­delt, mit denen die­se Grup­pen genau­so zu kämp­fen hatten.

Was sind ihre Lösungs­vor­schlä­ge? So schät­zens­wert die Fair­neß ihrer Beweis­wür­di­gung ist, so wenig kön­nen die­se befrie­di­gen. Es ist rich­tig, daß das chao­ti­sche euro­päi­sche Asyl­recht geän­dert wer­den muß, aber die Ände­run­gen, die sie vor­schlägt, lau­fen schlicht auf die Erleich­te­rung von Wirt­schafts­mi­gra­ti­on für leis­tungs­fä­hi­ge Bewer­ber hin­aus. Die For­de­rung, die Push-Fak­to­ren zu ver­rin­gern, bedeu­tet im Klar­text, wei­te­re Mil­li­ar­den ohne Gegen­leis­tung und Garan­tien in außer­eu­ro­päi­schen Län­dern zu ver­sen­ken. Die »Sta­bi­li­sie­rung der mus­li­mi­schen Welt« ist, anders als sie behaup­tet, kei­ne Auf­ga­be der EU-Mit­glieds­staa­ten, schon gar nicht, wenn es um mili­tä­ri­sche Inter­ven­tio­nen geht.

Als jemand, der selbst aus bedrü­cken­den Ver­hält­nis­sen geflo­hen ist, optiert sie erwart­bar nicht für Remi­gra­ti­on. Trotz einer bemer­kens­wert unag­gres­si­ven Hal­tung zu »rechts­po­pu­lis­ti­schen« Par­tei­en fehlt ihr jeg­li­ches Ver­ständ­nis für den Wunsch nach dem Selbst­er­halt euro­päi­scher ­Eth­ni­en oder von Eth­ni­en über­haupt. Das The­ma kommt in dem Buch nicht vor. Inso­fern ist Beu­te ein typi­sches Pro­dukt uni­ver­sa­lis­tisch-glo­ba­lis­ti­scher Denk­mus­ter und sehr ame­ri­ka­nisch: Unbe­rührt von den kata­stro­pha­len Mißer­fol­gen des US-Inter­ven­tio­nis­mus in mus­li­mi­schen Län­dern, for­dert Hir­si die wei­te­re, auch mili­tä­ri­sche, Ver­brei­tung libe­ra­lis­ti­scher Heils­leh­ren. Denkt man an Afgha­ni­stan, Syri­en und den Irak, kann man nur sagen: Viel Ver­gnü­gen! Und drin­gend hof­fen, daß sich Euro­pa der­ar­ti­gen Offen­si­ven verweigert.

Aya­an Hir­si Ali: Beu­te. War­um mus­li­mi­sche Ein­wan­de­rung west­li­che Frau­en­rech­te bedroht, Mün­chen: C. Ber­tels­mann 2021. 425 S., 22 €

 

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