Nach dem Ausscheiden aus dem Landtag in Schleswig-Holstein waren die Befürchtungen groß, daß sich ein möglicher Dominoeffekt auch auf die gestrige Wahl in Nordrhein-Westfalen ausweiten könnte. Dieser Totalkatastrophe ist die AfD im bevölkerungsreichsten Bundesland noch einmal knapp entkommen, wenngleich sich der Verlusttrend seit der Hamburg-Wahl 2020 fortgesetzt hat.
So verlor die AfD 2% im Vergleich zu ihrem Ergebnis von 2017. In absoluten Zahlen sieht die Niederlage jedoch noch weitaus dramatischer aus. 2/3 der Gesamtwählerschaft kehrten der AfD diesmal den Rücken, die sie 2017 noch gewählt haben. Die Partei verlor über 230.000 Wähler. Knapp 160.000 und damit fast 70% sind zurück in das Nichtwählerlager geflossen.
Bei der historisch niedrigsten Wahlbeteiligung einer Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen von nur 55% mussten jedoch alle Parteien, bis auf die Grünen, deutliche Verluste hinnehmen. Bei der AfD sind diese Wanderungen jedoch am stärksten zu beobachten und auch am folgenreichsten. Dies verdeutlicht einmal mehr, daß die signifikanten Protestwahleffekte zwischen 2016 – 2017, die die exklusiven Erfolgsmomente der Partei getragen haben, nun immer stärker zerbröseln und fragmentieren.
Der permanente Mobilisierungsrausch im Nichtwählerlager ist erschöpft und auf eine Statik von 5–7% im Westen festgefahren. Dieser Kern ist jedoch zu brüchig, als daß er echte Etablierungschancen in den westdeutschen Parlamenten eröffnen würde. Die Abhängigkeit von den Zuwächsen aus dem Nichtwählerlager bei den letzten Wahlen erwies sich in Nordrhein-Westfalen als Achillesferse, die jetzt sehr empfindlich getroffen wurde.
Ein Blick in die Geschichte der Versuche rechtsoppositioneller Kräfte zeigt schon bei den Republikanern die Aufwärtsbewegungen in Zeiten von polarisierten gesellschaftlichen Debatten in der Migrationspolitik. Wenn es die etablierten „Mitte-Parteien“ jedoch schaffen, den Protest zu absorbieren und Lösungskompetenz zu simulieren, ging dies häufig auch mit Stimmenverlusten bei den Rechtsparteien einher, so etwa 1993 mit dem Asylkompromiß der Bundesregierung geschehen, der anschließend eine entscheidende Wegmarke für den Weg in die Bedeutungslosigkeit der Republikaner gewesen sein dürfte.
Nun haben die Altparteien im Gegensatz zu damals vor 30 Jahren heute keine rechteren Positionen bezogen, sondern die frontale Kampfstellung verschärft. Doch das Migrationsthema hat seine emotionalisierende und mobilisierende Dynamik verloren. Die Eröffnung neuer Krisenherde wie Corona oder der Ukraine-Krieg konnte die Partei nicht für sich nutzen und betreibt eine orientierungslose Kommunikationsstrategie zwischen kaum anschlussfähiger Maximalpositionen und verzweifeltem Gleichschritt mit dem Mainstream.
Somit bleibt die Migrationskritik das existenzerhaltende Bindemittel, welches auch die Wahrnehmungsschwelle bei den eigenen Wählern aufrechterhält. 93% der AfD-Wähler geben an, daß sie mit der AfD insbesondere die Begrenzung von Ausländern und Flüchtlingen identifizieren. Erst dahinter und mit deutlichem Abstand folgen die gegenwärtigen Krisenthemen der letzten zwei Jahre.
Das heißt: Selbst das Profil der AfD als Protestpartei ist im Westen aktuell nur auf ein Thema beschränkt. Es fehlen feste Milieustrukturen, gesellschaftliche Verankerungen, kommunale Sichtbarkeit und authentisches und kompetentes Personal.
Ein Beispiel, inwieweit die traditionelle Partei- und Milieubindung die konventionellen Rationalitätsmodelle der Wahlentscheidungstheorie schlägt, zeigt ein Blick auf die wichtigsten Themen der Wähler. 19% der Gesamtwählerschaft geben an, daß die Preissteigerungen für sie das wichtigste Thema bei ihrer Wahlentscheidung gewesen sei.
Besonders ausgeprägt war dieser Aspekt vor allem in der AfD- und FDP-Wählerschaft. Die beiden Parteien also, die mit den schwächsten Ergebnissen in den NRW Landtag eingezogen sind. Angemerkt sei jedoch auch, daß sich die Ergebnisse bei den wichtigsten Themen zwischen der Forschungsgruppe Wahlen (ZDF) und Infratest DIMAP (ARD) hier überraschend deutlich unterscheiden.
Dort wo sich die SPD immer noch auf ihr Gewerkschaftsmilieu, die CDU auf die ländlichen und konfessionellen Sozialstrukturen und die Grünen auf die urbanen Kleinbürger und intellektuellen Eliten und studentischen Milieus bauen können, fehlt der AfD ein derartig verlässlicher soziodemographischer Block.
Es gibt aktuell keinen dezidiert „rechten“ moralischen Kompass, keine Vision einer konservativen Zukunftsgesellschaft. Nicht einmal eine klare Verständigung über einen kommunikativen Konsens der Zielgruppenadressierung, geschweige denn möglicher Erweiterungspotentiale. Diese Schwerpunkte der Parteiidentität muss die AfD dringend für sich selbst beantworten. Dies ist die Voraussetzung, um aus der zyklischen Auf- und Abwärtstendenz der Protestwahl herauszukommen.
Wählergeografie
Blickt man auf die einzelnen Wahlkreise und Gemeinden, zeigen sich die AfD-Verluste dieser Wahl als flächendeckendes Problem. Lediglich in wenigen ländlichen Regionen im Süden und Norden konnte die Partei Prozente dazugewinnen. Im Ruhrpott bleibt die AfD eine feste Größe und kann dort ihre stärksten landesweiten Ergebnisse aufweisen. Zugleich liegen hier jedoch auch die größten Verluste. In der Hochburg Gelsenkirchen verliert die Partei 4,1% und in den Nachbargemeinden Gladbeck, Essen und Bottrop liegen die Verluste ebenfalls knapp über 4%. Die Region war 2017 noch eines der wenigen urbanen AfD-Aushängeschilder im gesamten Westen. Hier hat sich das Profil der Arbeiterpartei geschärft, welches seinen Gültigkeitsanspruch auch im Westen demonstrieren konnte.
Bei derartigen Verlusten wird klar, daß die Basis dieser Verankerung unter den Arbeitern zwar noch vorhanden ist, aber auch einige Potentialbarrieren aufweist. Nach wie vor dominiert die SPD-Wählerschaft im Ruhrpott und kann hier auch ihre größeren Verluste in der Peripherie etwas abfedern. Nirgendwo anders dürfte die SPD eine derart treue Wählerschaft haben wie im Pott. Die Verluste der SPD sind bei dieser Wahl jedoch wesentlich stärker in Richtung des totalen ideologischen AfD-Antagonisten, den Grünen, gewandert.
Ebenfalls kann man die Hypothese aufstellen, daß die Arbeiterschaft im Ruhrpott bereits stark migrantisch geprägt ist und sich somit für die AfD nicht nur eine ökonomische, sondern auch identitätspolitische Mobilisierungsherausforderung stellt.
Schließlich zeigen auch die arbeitsweltlichen Transformationsprozesse, daß die urbanen Räume weitgehend von Dienstleistungssektoren bestimmt werden, während die AfD-Wählerschaft vordergründig bei Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe größere Zustimmung erfährt.
Der Kartenvergleich zwischen Regionen mit hohem Anteil an Wirtschaftsbetrieben im verarbeitenden Gewerbe und Stimmenzuwächsen für die AfD zeigt zumindest eine gewisse Korrelation, die auch schon in früheren Studien bestätigt wurde.
Auch die Landtagswahl in NRW hat in der AfD mal wieder den Interpretationsstreit über die Wählerklientel der Arbeiter eröffnet. Die Zahlen sprechen zunächst einmal eine deutliche Sprache: überdurchschnittlicher Anteil der Arbeiter im Vergleich zu anderen Berufsgruppen (17%); stärkste wirtschaftliche Unzufriedenheit im Vergleich zu anderen Parteien und eine erhöhte Kompetenzwahrnehmung in den sozialen Themen Gerechtigkeit und Arbeitsplätze. Die Arbeiter sind also unmißverständlich das Fundament der Wähler der Partei.
Diese Befunde bestätigen sich bei jeder Wahl in West- wie Ostdeutschland. In der Wahlforschung ist jedoch umstritten, ob die AfD von Arbeitern gewählt wird, weil die Partei ihre ökonomischen Interessen am besten vertreten würde, oder ob die Migrationskritik nicht einen wesentlich ausschlaggebenderen Grund darstellt, da die Arbeitermilieus mit den Einwanderern im Konkurrenzdruck um Löhne, Arbeitsplätze und bezahlbaren Wohnraum stehen.
Verschiedene Studienautoren wie Holger Lengfeld, Klaus Dörre, das SINUS Institut oder Bergmann und Diermeier haben herausgearbeitet, daß die Wahlentscheidung für die AfD weniger aus ökonomischen Gründen erfolgt und stattdessen der kulturelle-antiglobalistische Impuls eine wesentlich größere Rolle spielt. Demnach hat sich in der Forschung auch der deutlich umfassendere Begriff der „Modernisierungsverlierer“ etabliert, der die kulturelle und ökonomische Dimension vereinen soll.
In allen Studien wird zwar deutlich, daß die Wahlwahrscheinlichkeit für die AfD in den unteren wirtschaftlichen Statuslagen signifikant steigt, aber zugleich noch weitere ethische und psychologische Einstellungsfaktoren hinzukommen müssen, die schließlich als hinreichende Bedingung fungieren.
In der abschließenden Klärung dieser Frage werden die Exit Polls am Wahlabend als Datenquellen nicht mehr ausreichen. Hier bräuchte es einen analytischen Mix aus eigenen Befragungen sowie der Sichtung und Bewertung der bestehenden Studienlage. Ich habe mit dem Feldzug-Blog hierzu schon einige zu untersuchende Aspekte skizziert.
Altersstruktur und AfD-Jugendarbeit
Die AfD Nordrhein-Westfalen hat bei dieser Wahl eine der wahrscheinlich jüngsten Landeslisten in der Parteigeschichte aufgestellt. Gleich vier Vertreter der Jungen Alternative werden im kommenden Düsseldorfer Landtag vertreten sein. Dieser Ansatz war selbstverständlich auch mit der Hoffnung verbunden, neue Wählerschichten in jüngeren Altersklassen zu erschließen und junge Polittalente aufzubauen. Dies ist allerdings nicht gelungen. Insbesondere in der Altersspanne zwischen 25–34 Jahren mussten die stärksten Stimmenverluste verzeichnet werden.
Wenn die AfD in der Jugendarbeit neue Schwerpunkte setzen will, muss dies natürlich auch mit einer erhöhten Verantwortungsträgerschaft der jungen Leute verbunden sein. Innerhalb weniger Monate lassen sich junge Kandidaten nicht aufbauen. Dies muss als langfristige organisatorische und logistische Herausforderung betrachtet werden.
Ukraine-Krieg und Personaldebatten
In der AfD wird einen Tag nach der NRW-Wahl vermutlich jedem in Erinnerung gerufen worden sein, daß in knapp einem Monat einer der wichtigsten Parteitage in der Geschichte der AfD ansteht. Kurz nach Schließung der Wahllokale begannen schon die verschiedenen Interpretationen und fast schon obligatorischen Schuldzuweisungen für die zehnte Wahlniederlage in Folge. Primär richten sich die Attacken wieder einmal gegen den Parteisprecher Tino Chrupalla und die Ostverbände, die mit ihrem Image und Auftreten die Wähler im Westen vergraulen würden. Konkrete empirische Belege für diese These werden von den Initiatoren nicht geliefert.
Stattdessen stützt man sich auf der argumentativen Hilfskrücke, daß die Positionierung der Partei in der Ukraine-Frage für die Verluste verantwortlich sei. Insbesondere die Ostverbände seien mit ihrer Appeasement Politik gegenüber Russland schuld daran, daß die AfD als fünfte Kolonne Putins betrachtet wird. Hierzu ist zunächst einmal festzuhalten, daß auch in NRW das Ukraine Thema nur eine geringe bis durchschnittliche Rolle spielte und deutlich von den ökonomischen Folgen im Bereich Energieversorgung und Preissteigerungen übertroffen wurde.
Eine INSA Umfrage vor wenigen Wochen bestätigte mit einer relativen Mehrheit die AfD-Position in ihrem „Nein zu Waffenlieferungen“. Die überwiegende Mehrheit der Befürworter von Waffenlieferungen und einer noch schärferen Sanktionspolitik gegen Russland befinden sich in der Wählerschaft der Grünen und der SPD und damit allein schon aufgrund diametraler Werte- und Einstellungsmuster kaum im Mobilisierungsspektrum der AfD. Auch die Einstellungen der Kernwählerschaft scheinen sich mit jenen der AfD zu decken. Zusätzlich baut die Argumentation von „Putins Marionetten“ auf einem Strohmann auf.
Die AfD hat bspw. in der Bundestagsfraktion mehrheitlich Beschlüsse gefaßt, die den russischen Angriffskrieg klar verurteilen, aber dennoch vor der Ausweitung des Konflikts und den wirtschaftlichen Folgen gewarnt wurde.
Daß es einige Ausreißer in der Partei gab, ist nicht abzustreiten. Doch als AfD-Politiker sollte man zwischen medialen Zerrbildern sowie Fremdzuschreibungen und den realen fachpolitischen Positionierungen und Mehrheitsbeschlüssen in den Fraktionen und der Bundespartei unterscheiden können.
Als Anlaß für interne Personaldebatten hat der Ukraine-Konflikt demoskopisch eindeutig zu viele Blindflecken. Der Beginn der Verlustserie liegt auch zeitlich weit hinter der russischen Invasion. Aber dies bietet manchen offensichtlich erst recht Gelegenheit für eindimensionale Betrachtungen und unterkomplexe Analysen.
Fest steht, daß der Machtkampf in der AfD nach der NRW-Wahl in vollem Gange ist und eine ernsthafte kritische Reflexion für die Ursachen der Wahlverluste und die Lage der Partei derzeit nicht zu erkennen ist. Für künftige Wahlerfolge reichen Spekulationen, Anekdoten und Thesen allein nicht aus. Wer Wahlen gewinnen will, muss zunächst einmal die Wähler verstehen und einschätzen können. An diesem Punkt hat die AfD noch einige Hausaufgaben zu erledigen.
Gelddrucker
Nach wie vor gilt, wenn nicht endlich eine breit angelegte Aufklärungskampagne über den Bevölkerungsaustausch erfolgt, wird die AfD weiter herumdümpeln.
Das Alleinstellungsmerkmal, nämlich die einzige Partei zu sein, die eine weitere Islamisierung des Landes zu verhindern in der Lage ist, sollte klar herausgestellt werden. Die Grünen machen erfolgreich Panik mit dem Klimwandel. Wieso machen wir keine Panik mit diesem Szenario, das für die meisten Deutschen nachweislich ein Gruselszenario ist?
Die AfD ist die Lösung für ein Problem, dessen sich der Großteil der Deutschen nicht bewusst ist.
Irgendwelche blödsinnigen Vorwürfe zu "Rassismus" sind mit stichhaltigen Argumenten zu kontern (Völkerrecht, Umkehr der Situation, z.B: "Was wäre denn Europäer woanders in großen Mengen siedeln, wären die Einheimischen Rassisten, wenn sie den Untergang ihrer Gesellschaften nicht wollen).
Ebenfalls von höchster Wichtigkeit: Sich als Partei für das Volk geben, nicht die Partei der Großkonzerne und Global Player. Ständig höre ich Kritik aus dem Volk, dass wieder ein lokales Geschäft zugemacht hat und überall Ketten aufmachen. Wieso werden solche Themen nicht aufgegriffen? Die Facebookseite der AfD ist ein Armutszeugnis. Viel Geblubber an den realen Problemen vorbei, da wäre soviel mehr möglich.