Nun sorgt auch noch eine Studie für neue Diskussionen innerhalb der Mosaik-Linken und ihrer Wahlpartei Die Linke.
Überschrieben ist sie mit dem Titel »Eine Partei mit Zukunft: Die Linke«. Mario Candeias, Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung, analysiert darin das aktuelle Wählerpotential.
Zur Erinnerung: Die Linke ist nur im Bundestag, weil sie drei Direktmandate in Leipzig (1 x) und Berlin (2 x) erzielen konnte. Obwohl sie im Bundesschnitt unter fünf Prozent blieb, konnte sie dank der Direktmandatssonderregelung in Fraktionsstärke einziehen. Danach folgten Wahlschlappen im Saarland, in Schleswig-Holstein und zuletzt in Nordrhein-Westfalen.
Parallel erschütterte eine »Me-Too«-Kampagne die selbsternannte »feministische« Partei. Der Ukraine-Konflikt warf die parteiintern heikle NATO-Frage auf. Und im Juni wählt man einen neuen Bundesvorstand, wobei bereits jetzt Giftpfeil um Giftpfeil zwischen den mitunter heftig verfeindeten Strömungen ausgetauscht wird. Kurz gesagt: Die Zeiten könnten wahrlich besser sein.
Candeias wertet inmitten dieser akuten Notlage der Linken repräsentative Befragungen aus. Aus rechter Sicht sind einige der Analysen schon allein deshalb von Interesse, weil sich das realexistierende Wählermilieu von AfD und Linkspartei in weiten Teilen Deutschlands ähnelt, in manchen Regionen sogar überschneidet.
Tatsächlich können sich immer noch etwa 18 Prozent der Bundesdeutschen vorstellen, Die Linke zu wählen – fast ein Fünftel also. Bemerkenswert hierbei, daß dieses Wählerpotential nicht nur, wie man voreilig annehmen könnte, in den urbanen Räumen wie eben Berlin und Leipzig zu verorten ist. Die potentiellen Wähler leben auch in Orten mit 5 000 bis 20 000 Einwohnern (klassische AfD-Gebiete).
Wenig überraschend:
Ihr höchstes Potenzial hat DIE LINKE weiter bei Haushalten mit niedrigem Einkommen: Bei Haushalten mit Nettomonatseinkommen von bis zu 1.500 Euro sind es 22 Prozent und bei solchen mit Einkommen von bis zu 2.500 Euro 24 Prozent.
Bei höheren Haushaltseinkommen wählen linksorientierte Klientel erfahrungsgemäß eher die Grünen. Von dort können es sich immerhin 35 Prozent vorstellen, Linkspartei zu wählen. Ein Umstand, der angesichts des Linkskurses der Grünen und des grünen Kurses der Linken nur unterstreicht, wie sich beide Parteien auf wesentlichen Feldern angleichen: Die ökolinke bzw. klimalinke Linie kann jedoch einstweilen durch die Grünen weitaus erfolgreicher und massenmedial besser vermittelt vertreten werden.
Hervorzuheben ist hier auch, daß 18 Prozent bisheriger Nichtwähler und immer noch 12 Prozent der AfD-Wähler potentielle Linkswähler sind. Es darf meinerseits gemutmaßt werden, daß sich dies in der Personalie Sahra Wagenknecht verkörpert, deren »linkskonservatives« Programm gewisse Links-Rechts-Wählerwanderungen evozieren könnte.
Da aber ihr bevorzugter Kandidat, der Leipziger Sören Pellmann, kaum Chancen hat, zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt zu werden, ist die Gefahr äußerst gering, daß sich die Linkspartei stärker am Wagenknecht-Kurs ausrichten wird.
Im Gegenteil: Mit Pellmanns Scheitern dürfte final verbucht werden, daß ein linkspopularer Kurs der Marke Lafontaine–Wagenknecht–Dagdelen–Pellmann in der parteilinken Basis auf maximal ein Drittel der Delegiertenstimmen wird bauen können.
Obschon somit die klima- und lifestylelinke Transformation der Linkspartei weiter geht, sind die Themen in ihrer Wählerschaft durchaus andere als CO2 und LGBTQ+-Fetische:
Insbesondere die Beseitigung des Pflegenotstands sticht mit einer Zustimmung von 43 Prozent hervor (bei den 40- bis 49-Jährigen sogar 70 %), etwas weniger Zustimmung erhält die Forderung «Krankenhäuser nur noch gemeinnützig führen» (31 %; in Gemeinden mit bis zu 5.000 Einwohner*innen: 59 %).
Darüber hinaus ist der Wunsch nach einer Senkung der Mieten (39 %) von großer Bedeutung ebenso wie die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs (39 %; übrigens gleich hoch über alle Siedlungsgrößen, mit 48 % etwas stärker vertreten in kleinen Orten mit einer Bevölkerung zwischen 5.000 und 20.000) sowie eine garantierte Mindestsicherung in Höhe von 1.200 Euro pro Monat (36 %).
Bei aller berechtigten Skepsis gegenüber den Linkspartei-eigenen Klischee-Themen wie »Kampf gegen rechts« und LGBTQ-Kult sieht man hier, daß es der wahllinken Klientel durchaus um klassische Fragen sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit geht, die keineswegs als ideologische Schrullen abgetan werden können.
In Sachen Klimawandel trägt Candeias etwas Naheliegender zusammen:
Die Forderung «Klimawandel aufhalten» liegt bei Befragten, die in urbanen Regionen mit über 100.000 Einwohner*innen wohnen (52 %) oder in Ortschaften mit unter 5.000 Einwohner*innen (49 %), hoch im Kurs, weniger in Klein- und Mittelstädten (hier betragen die Zustimmungswerte nur 25 bzw. 27 %).
Diese Differenz liegt wohl auch daran, daß sich Menschen in kleineren Orten andere Sorgen ums Pendeln und bezahlbare Spritpreise machen dürften als Bewohner urbaner Räume mit ÖPNV-Rundumversorgung. Auch in der linken Klientel schlägt damit die an Bedeutung zunehmende Dichotomie Zentrum vs. Peripherie (Stadt vs. Land) zu.
Die Befragung macht deutlich, daß sich ein Großteil der Linkswähler keineswegs in dogmatisch-linksradikalen Verblendungszusammenhängen bewegt.
Ein Zitat aus der offenen Befragung fasst es folgendermaßen zusammen: DIE LINKE stehe für «eine gerechte Verteilung von Steuern, Einführung einer Reichensteuer, die Schere zwischen Arm und Reich verkleinern und bezahlbaren Wohnraum schaffen». Andere gaben an, DIE LINKE wählen zu wollen, weil sie der Meinung sind, «dass wir zu viel Wirtschaftsnähe in Deutschland haben».
Man kann diese Positionen ernst nehmen oder nicht, ihnen zustimmen oder nicht – bemerkenswert bleibt, daß diese sozialen Fragen auch im AfD-Wählersegment den letzten empirischen Erhebungen zufolge eine ähnlich starke Rolle spielen (bis auf die Reichensteuer, von der ich im AfD-Kontext jedenfalls nirgends las).
Ebenfalls an die AfD erinnert das Problemfeld der internen Zerrissenheit.
Immer wieder wird der Zustand der Partei kritisiert, der gegen eine Wahl sprechen würde. Häufig äußern die Befragten Zweifel, ob sie beim nächsten Mal wieder DIE LINKE wählen werden, weil die LINKEN «so zerstritten sind». «Zeigt sich die Partei wieder organisierter, könnte ich mir vorstellen, sie wieder zu wählen.» Auch andere gaben an, sie schwankten noch. «[DIE LINKE] habe gute Ansätze, aber es scheitert immer an der Umsetzung – und die innere Zerstrittenheit geht gar nicht.»
Die gute Nachricht bleibt an dieser Stelle nicht, daß die AfD im Gegensatz zur Linken dieses Problem eingehegt hätte, sondern lediglich, daß die Linkspartei keine Anzeichen sendet, daß ihr Bundesparteitag an dieser Zerstrittenheit etwas Substantielles ändern wird können.
Ad acta legen sollte die AfD nicht nur die internen Leaks und Anfeindungen, sondern auch, hinsichtlich ihrer linken Konkurrenz, die längst unnütze und wirkungslose SED-Keule. Tatsächlich ist das auch für Nichtwähler kaum ein Grund, die Linke nicht zu wählen – da schlagen andere Themen durch:
Kaum eine Rolle scheint bei der Entscheidung für eine (Nicht-)Wahl der LINKEN ihre Geschichte und Herkunft als Nachfolgepartei der PDS bzw. SED zu spielen: Nur einmal wurde angegeben, «wegen der DDR und der Mauer» die Partei nicht wählen zu wollen.
Einmal, das ist nicht viel.
Bemerkenswert ist hingegen die annähernde Kongruenz, was Ost-West-Wahrnehmungen der Links- und AfD-Wählerschaft anbelangt:
Diejenigen, für die eine Wahl der LINKEN infrage kommt, sehen die größten Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland immer noch beim Gefälle von Renten, Einkommen und Vermögen (69 %) sowie bei der Wirtschaftskraft (63 %).
Hier unterscheiden sich die Wahrnehmungen in Ost und West: Das Gefälle bei Renten, Einkommen und Vermögen erleben 94 Prozent der Befragten aus dem Osten als (sehr) stark (im Westen sind es lediglich 61 %).
Aus AfD-Sicht wird es daher von Bedeutung sein, daß die Linkspartei bei ihrem auch ideologischen Verwestlichungskurs bleibt und nicht auf die (Pellmann-Wagenknecht-)Idee kommt, das altbewährte Ost-Image für das 21. Jahrhundert fit zu machen. Das würde der AfD in ihren Hochburgen, in den neuen Bundesländern also, flächendeckend schaden und wäre wohl eine wirksamere Waffe im Kampf gegen rechts als jedes Milliardenprogramm für vermeintliche »Demokratieförderung«.
Die Linke ist also noch nicht am Ende, wenn 18 Prozent der Bundesdeutschen weiterhin erwägen, sie zu wählen. Indes:
Die Ausschöpfung dieses Potenzials gelingt bisher nicht. Damit dies möglich wird, müssen zunächst die parteiinternen Probleme gelöst, das heißt vor allem die unproduktiven harten internen Auseinandersetzungen beendet und befriedet werden. Nur so können Ausstrahlungskraft und Glaubwürdigkeit gemeinsam zurückgewonnen werden,
womit das Fazit von Mario Candeias verdächtig nach ähnlich gearteten AfD-Verhältnissen klingt.
Die AfD muss, jenseits der internen Richtungskämpfe und der Neuwahl des Bundesvorstandes, überlegen, wie sie ihr Wählerpotential erweitert. Aus diesem Grund ist der Niedergang der Linken und ihre entsprechenden konstanten Verluste ins Nichtwählersegment (weniger zu Grünen und SPD!) besonders zu beobachten.
Nicht, weil man eine »rechte Linkspartei« oder eine »patriotische Linkspartei« sein soll, sondern weil die Interessen der enttäuschten Linkswähler oftmals auch die Interessen der enttäuschten AfD-Wähler darstellen, die wiederum oftmals vorher Nichtwähler gewesen sind.
Geht die Linkspartei auf ihrem Parteitag personell und konzeptionell weiter in Richtung »sozialökologische« und urbane Linke, nähert sie sich also weiter grünen Klimaideologen und woken Thesen an, wie es – Stand jetzt – ja durchaus realistisch scheint, wird sie weitere (Protest-)Wähler, die an sozialen Fragen (Rente, Reich-Arm-Schere, gerechte Löhne, Gesundheitsvorsorge usw.) und nicht an sektiererischen Ideologien interessiert sind, verprellen.
Ob diese dann konsterniert ins Nichtwählerlager abdriften oder von einer authentisch sozialen und patriotischen Alternative aufgefangen werden, liegt im Verantwortungsbereich der AfD.
In Ostdeutschland gelang es bereits in einigen Regionen, der Linkspartei ihre Kümmererrolle samt Interessenvertretung der Ostdeutschen abspenstig zu machen – gelänge dies auch noch auf dem Feld sozialer Daseinsvorsorge und sozialer Sicherheit, würde die Linkspartei unwiderruflich auf ihr ideologisches Kernprogramm gestutzt werden.
Das aber reicht mittelfristig nicht mehr für den Bundestag aus, wo doch die Grünen dieses Kernprogramm ebenfalls »bespielen« und dabei auch noch durch die Massenmedien als »sexy«, »smart« und »zukunftstauglich« geframt werden.
Der Parteitagsmonat Juni, der vor uns liegt, wird damit links wie rechts der neuen Ampel-Mitte entscheidende Weichenstellungen mit sich bringen.
kikl
Die Frage ist allerdings, wo das größte Wählerpotential für die AFD ist. Bei den Wählern der Linkspartei?
Ich vermute, dass das größte Potential bei der Partei der Nichtwähler liegt. Sie scheinen überwiegend von dem bestehenden Parteienkartell enttäuscht zu sein.
Dann muss man vor allem eine Strategie finden, um das Malus der staatlichen Verfolgung durch den Verfassungsschutz abzustreifen. Für viele Bürger handelt es sich bei dieser Einschätzung um ein Urteil durch eine anerkannte Autorität und ist damit glaubhaft.
Um das Meinungsklima zu ändern, bedarf es vor allem des Aufbaus einer mächtigen Gegenöffentlichkeit. Aber das Thema ist hier vermutlich ausgelutscht, weil schon sehr häufig thematisiert.