Sezession hat dieses Werk bereits im Dezember-Heft des vergangenen Jahres als Parteinahme in einem Streit eingeordnet, der um das enteignete Erbe der Hohenzollern tobt.
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Als Hitler am 30. Juni 1934 neben seinen parteiinternen Konkurrenten auch seine konservativen Kritiker zum Abschuß freigab, versäumte er eines nicht:dem ehemals regierenden Haus der Hohenzollern einen Warnschuß zu verpassen. Kronprinz Wilhelm (1882–1951) selbst hielt sich nicht in Potsdam auf, sondern hatte sich an einen unbekannten Ort nach Schlesien begeben. Für seinen Bruder August Wilhelm, der von allen Hohenzollern die NS-Bewegung am bedingungslosesten unterstützt hatte, ging es ebenfalls glimpflich ab. Göring stellte ihn unter Hausarrest.
Wen es ungleich schwerer traf, war der Berater und Stabschef des Kronprinzen, Louis Müldner von Mülnheim. Er kam zwar mit dem Leben davon, wurde aber nach seiner Verhaftung am 1. Juli für drei Wochen im Gefängnis eingesperrt und mißhandelt. Sowohl der Kaiser als auch der Kronprinz waren davon überzeugt, daß dies eine Warnung an ihre Adresse war.
Wie ist es angesichts dieser Umstände, zu denen auch die Ermordung des Ex-Kanzlers Kurt von Schleicher gehört, zu bewerten, wenn Wilhelm dem „Führer“ am 15. Juli seine „vorbehaltlosen Treue … für alle Zukunft“ versicherte? Handelte es sich um das Schreiben eines Privatmannes, der nur für sich selbst verantwortlich war, wäre „charakterlos“ vermutlich das naheliegende Urteil.
Der gegenwärtigen Debatte um den Kronprinzen liegt jedoch die Annahme zu Grunde, daß wir es bei ihm nicht mit einem Privatmann zu tun hatten, sondern mit einer Symbolfigur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Kronprinz verzichtete zwar am 1. Dezember 1918 „auf alle Rechte an der Krone Preußen und an der Kaiserkrone“ und war damit de facto ein Privatmann, er spielte aber vor allem in den Jahren zwischen 1930 und 1934 eine politische Rolle, um deren Bewertung heute heftig gestritten wird.
Die Heftigkeit des Streits hat seine Ursache nicht nur in den für Deutschland so entscheidenden Jahren, sondern auch in einem ganz handfesten Interessenkonflikt zwischen dem Haus Hohenzollern und den Ländern Brandenburg und Berlin.
Dabei geht es um das Eigentum der Hohenzollern, das nach 1945 von den sowjetischen Besatzern enteignet wurde. Diese Enteignungen waren, im Gegensatz zu denen aus DDR-Zeiten, von Entschädigungsregelungen nach 1990 ausgenommen. Daher scheiterte ein erster Versuch auf Rückerstattung, den die Hohenzollern 1991 unternahmen.
1994 wurde das Ausgleichsleistungsgesetz erlassen, das in bestimmten Fällen Ausgleichszahlungen und die Rückgabe beweglicher Güter vorsah. Seitdem fanden informelle Verhandlungen zwischen dem heutigen Chef des Hauses, Georg Friedrich von Preußen, und den Ländern Brandenburg und Berlin sowie dem Bund statt. Konkret geht es um zahlreiche Kunstschätze, die sich heute in öffentlichen Museen befinden.
Da man sich, im Gegensatz beispielsweise zum Haus Wettin, das mit dem Land Sachsen einen entsprechenden Vertrag schloß, in dem gesetzlich vorgesehen Zeitraum nicht einigen konnte, begannen 2014 die juristischen Auseinandersetzungen. Von besonderer Bedeutung ist dabei eine Bestimmung des Ausgleichsleistungsgesetzes, nach dem keine Ansprüche hat, wer dem nationalsozialistischen System „erheblichen Vorschub“ geleistet hat.
Um diese Frage beantworten zu können, sind Juristen auf die Expertise von Historikern angewiesen. Beide Parteien gaben daher entsprechende Gutachten in Auftrag, die jeweils das gewünschte Ergebnis zutage förderten, ohne daß ein wissenschaftlicher Konsens darüber hergestellt werden konnte, ob Wilhelm als damals Verantwortlicher des Hauses in Deutschland (der Kaiser blieb im Exil) dem NS erheblichen Vorschub geleistet hatte.
Da alle Veröffentlichungen zum Kronprinzen von dieser die Freiheit des Historikers in ein Korsett von „Ja oder Nein“ zwängenden Fragestellung bestimmt sind, ist Mißtrauen angebracht. Immerhin hat die Debatte aber dazu geführt, daß zumindest wissenschaftliche Bausteine für eine entsprechenden Ansprüchen genügende Biographie zutage gefördert wurden. Merkwürdig bleibt, daß in den beiden wichtigsten Neuerscheinungen zwar in jeder Zeile zu spüren ist, daß es darum geht, Be- oder Entlastendes über den Kronprinzen zusammenzutragen, aber mit keinem Wort die Frage angegangen wird, was unter „erheblichem Vorschub“ eigentlich zu verstehen sei.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2015, als es um die erfolglose Klage der Erben von Alfred Hugenberg, Minister im ersten Kabinett Hitlers, auf Entschädigung ging, mit einem Definitionsversuch die Unsicherheit eher noch vergrößert. Demnach war ein
erhebliches Vorschubleisten … bereits in der Phase der Errichtung des nationalsozialistischen Systems möglich und nicht erst nach dessen Etablierung.
Es müssen mit Zielgerichtetheit und „einer gewissen Stetigkeit Handlungen vorgenommen“ worden sein, die
dazu geeignet waren, die Bedingungen für die Errichtung, die Entwicklung oder die Ausbreitung des nationalsozialistischen Systems zu verbessern oder Widerstand zu unterdrücken, und dies auch zum Ergebnis hatten.
Der Nutzen für das NS-Regime „darf nicht nur ganz unbedeutend gewesen sein“.
Betrachtet man die beiden Bücher von Lothar Machtan (Der Kronprinz und die Nazis. Hohenzollerns blinder Fleck, Berlin: Duncker & Humblot 2021, 300 Seiten, 29.90 Euro) und Stephan Malinowski (Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration, Berlin: Ullstein 2021, 752 Seiten, 35 Euro) unter diesem Aspekt, so verraten schon die Untertitel zu welchem Schluß die Autoren kommen.
Malinowski betrachtet den Kronprinzen als herausragendes Beispiel der Kollaboration der Eliten mit der NS-Bewegung, die ohne diese Unterstützung nie so leicht hätte zur Macht gelangen können. Wilhelm ist ihm der personifizierte Antirepublikaner, der sich 1933 am Ziel wähnte.
Machtan hingegen sieht in dem Kronprinzen eine überschätzte Figur, die zwar moralischen Ansprüchen nicht genüge, deren eigentlicher Sündenfall aber auf die Zeit nach 1933 zu datieren sei, als der Machtlose meinte, sich Hitler anbiedern zu müssen. Als die Weichen noch nicht gestellt waren, hing der Kronprinz noch der naiven Überzeugung an, die Monarchie restaurieren zu können, wozu er Koalitionen mit allen möglichen Protagonisten prüfte.
Während Machtan sich in seiner Darstellung auf die entscheidenden Jahre 1930–1934 konzentriert, breitet Malinowski die Lebensgeschichte des Kronprinzen seit dem Ende des Ersten Weltkrieges mit vielerlei Details vor dem Leser aus. Bis 1923 lebte dieser, getrennt von Gattin und Kindern, im holländischen Exil, auf der Insel Wieringen, wo er sich vor allem mit der Aufarbeitung der Erlebnisse aus der Endphase des Weltkriegs beschäftigte, die 1922 von Karl Rosner als „Erinnerungen“ herausgegeben wurden.
Sonst frönte er seinen Hobbys, wozu auch die oft kolportierte Neigung zu außerehelichen Verhältnissen gehörte, und knüpfte Kontakte, die ihm schließlich die Rückkehr nach Deutschland ermöglichten, wo er schließlich vor allem die Schlösser Cecilienhof (Potsdam) und Oels (Schlesien) bewohnte. Schon damals gab es erregte Auseinandersetzungen darüber, ob die „Fürsten“ enteignet werden sollten.
Malinowskis Problem liegt vor allem darin, daß er aus diesen Schilderungen kaum Nektar für seine These saugen kann, außer der wenig überraschenden Tatsache, daß aus dem Kronprinzen kein Demokrat geworden war und er sich auf verschiedenen Wegen darum bemühte, seine Besitzansprüche zu wahren. Um das dünne Brett etwas zu verstärken, legt Malinowski besonderen Wert auf die mediale Wahrnehmung des Kronprinzen im Ausland, die für sich genommen natürlich gar nichts beweist.
Machtan hält sich lieber an die öffentlichen und privaten Dokumente, die der Kronprinz hinterlassen hat. Diese sind vor allem für die Jahre zwischen 1930 und 1934 einigermaßen verwirrend, denn Wilhelm sah mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten und dem Ausweg der Präsidialkabinette eine Möglichkeit, sich gegen den Willen seines Vaters als überparteiliche Instanz ins Spiel zu bringen.
So verwundert es wenig, daß er zu allen Beteiligten enge Beziehungen zu knüpfen versuchte. Da eine Lösung ohne Hitler kaum mehrheitsfähig war, konzentrierten sich die Bemühungen schließlich auf diesen (zumal ihm Hindenburg in gegenseitiger Abneigung verbunden war).
Der Wahlaufruf, den Wilhelm im April 1932 für Hitler bei der Reichspräsidentenwahl veröffentlichte, gilt daher für die Beurteilung seines Handels als zentrales Dokument, über dessen Wirksamkeit hingegen kaum Einigkeit zu erzielen sein wird. Daß sich der Kronprinz zwei Jahre später dafür rühmte, Hitler zwei Millionen Stimmen gebracht zu haben, verbucht Malinowski für sich. Machtan verweist auf eine andere Stelle desselben Schreibens, in der es heißt, daß sich der „Führer“ dem Einfluß der Sozialisten entziehen müsse und eine Restauration der Monarchie zustanden bringen solle.
Das Fazit kann eigentlich nur lauten, daß man selbst einer peripheren Gestalt wie dem Kronprinzen mit juristischen Kategorien nicht gerecht werden kann. Ihn zu einem Naivling zu verkleinern oder zu einer historischen Negativgröße aufzublasen, zeigt nur, wie gern sich Historiker zum Laufburschen übergeordneter Interessen, sei es der „kritischen“ Öffentlichkeit oder den Hohenzollern selbst, machen lassen.
Hinzu kommt, daß die Kategorie „erheblicher Vorschub“ so wachsweich ist, daß damit einer totalitären Fortsetzung der Vergangenheitsbewältigung Tür und Tor geöffnet wird. Galt der oben erwähnte Hugenberg nach seinen Entnazifizierungsverfahren unmittelbar nach 1945 als „entlastet“, sehen das die Gerichte heute ganz anders. Der historischen „Wahrheit“ ist man damit aber nicht näher gekommen.
Laurenz
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EL macht sich hier viel Arbeit, da stellt sich mir die Frage, sind die Hohenzollern das wert? Viele Bürger aus den Ostgebieten oder deren Nachkommen schauten bei Entschädigungen in die Röhre. Das betrifft nicht nur Deutschland, sondern ganz Osteuropa. Einer meiner Großonkel, aus dem Westen stammend, bekam, als seinerzeitiger Kommunist, für Seinen KZ-Aufenthalt nichts. Der letzte maßgebliche Hohenzoller mit Hirn war der 100-Tage-Kaiser, der leider zu früh verstarb. Wie sich dies heute verhält, weiß ich nicht, spielt aber keine Rolle mehr. Die Hohenzollern gehören nachwievor nicht zum verarmten Adel.
Was tatsächlich ein Thema für die Debatte darstellt, ist die angesprochene Rechtslage, oder besser die Exekution des angewandten Rechts bezüglich der Unterstützung des Nationalsozialismus. Ich behaupte mal stumpf, in Hoffnung auf RMH, Gracchus & Niekisch, daß das hier angewandte deutsche Recht gegen die Menschenrechte verstößt.