Kritik der Woche (27): Malinowskis Kronprinz

Der Historiker Stephan Malinowski hat den Deutschen Sachbuchpreis 2022 gewonnen, und zwar für ein Werk über Die Hohenzollern und die Nazis.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Sezes­si­on hat die­ses Werk bereits im Dezem­ber-Heft des ver­gan­ge­nen Jah­res als Par­tei­nah­me in einem Streit ein­ge­ord­net, der um das ent­eig­ne­te Erbe der Hohen­zol­lern tobt.

– – –

Als Hit­ler am 30. Juni 1934 neben sei­nen par­tei­in­ter­nen Kon­kur­ren­ten auch sei­ne kon­ser­va­ti­ven Kri­ti­ker zum Abschuß frei­gab, ver­säum­te er eines nicht:dem ehe­mals regie­ren­den Haus der Hohen­zol­lern einen Warn­schuß zu ver­pas­sen. Kron­prinz Wil­helm (1882–1951) selbst hielt sich nicht in Pots­dam auf, son­dern hat­te sich an einen unbe­kann­ten Ort nach Schle­si­en bege­ben. Für sei­nen Bru­der August Wil­helm, der von allen Hohen­zol­lern die NS-Bewe­gung am bedin­gungs­lo­ses­ten unter­stützt hat­te, ging es eben­falls glimpf­lich ab. Göring stell­te ihn unter Hausarrest.

Wen es ungleich schwe­rer traf, war der Bera­ter und Stabs­chef des Kron­prin­zen, Lou­is Müld­ner von Müln­heim. Er kam zwar mit dem Leben davon, wur­de aber nach sei­ner Ver­haf­tung am 1. Juli für drei Wochen im Gefäng­nis ein­ge­sperrt und miß­han­delt. Sowohl der Kai­ser als auch der Kron­prinz waren davon über­zeugt, daß dies eine War­nung an ihre Adres­se war.

Wie ist es ange­sichts die­ser Umstän­de, zu denen auch die Ermor­dung des Ex-Kanz­lers Kurt von Schlei­cher gehört, zu bewer­ten, wenn Wil­helm dem „Füh­rer“ am 15. Juli sei­ne „vor­be­halt­lo­sen Treue … für alle Zukunft“ ver­si­cher­te? Han­del­te es sich um das Schrei­ben eines Pri­vat­man­nes, der nur für sich selbst ver­ant­wort­lich war, wäre „cha­rak­ter­los“ ver­mut­lich das nahe­lie­gen­de Urteil.

Der gegen­wär­ti­gen Debat­te um den Kron­prin­zen liegt jedoch die Annah­me zu Grun­de, daß wir es bei ihm nicht mit einem Pri­vat­mann zu tun hat­ten, son­dern mit einer Sym­bol­fi­gur der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts. Der Kron­prinz ver­zich­te­te zwar am 1. Dezem­ber 1918 „auf alle Rech­te an der Kro­ne Preu­ßen und an der Kai­ser­kro­ne“ und war damit de fac­to ein Pri­vat­mann, er spiel­te aber vor allem in den Jah­ren zwi­schen 1930 und 1934 eine poli­ti­sche Rol­le, um deren Bewer­tung heu­te hef­tig gestrit­ten wird.

Die Hef­tig­keit des Streits hat sei­ne Ursa­che nicht nur in den für Deutsch­land so ent­schei­den­den Jah­ren, son­dern auch in einem ganz hand­fes­ten Inter­es­sen­kon­flikt zwi­schen dem Haus Hohen­zol­lern und den Län­dern Bran­den­burg und Berlin.

Dabei geht es um das Eigen­tum der Hohen­zol­lern, das nach 1945 von den sowje­ti­schen Besat­zern ent­eig­net wur­de. Die­se Ent­eig­nun­gen waren, im Gegen­satz zu denen aus DDR-Zei­ten, von Ent­schä­di­gungs­re­ge­lun­gen nach 1990 aus­ge­nom­men. Daher schei­ter­te ein ers­ter Ver­such auf Rück­erstat­tung, den die Hohen­zol­lern 1991 unternahmen.

1994 wur­de das Aus­gleichs­leis­tungs­ge­setz erlas­sen, das in bestimm­ten Fäl­len Aus­gleichs­zah­lun­gen und die Rück­ga­be beweg­li­cher Güter vor­sah. Seit­dem fan­den infor­mel­le Ver­hand­lun­gen zwi­schen dem heu­ti­gen Chef des Hau­ses, Georg Fried­rich von Preu­ßen, und den Län­dern Bran­den­burg und Ber­lin sowie dem Bund statt. Kon­kret geht es um zahl­rei­che Kunst­schät­ze, die sich heu­te in öffent­li­chen Muse­en befinden.

Da man sich, im Gegen­satz bei­spiels­wei­se zum Haus Wet­tin, das mit dem Land Sach­sen einen ent­spre­chen­den Ver­trag schloß, in dem gesetz­lich vor­ge­se­hen Zeit­raum nicht eini­gen konn­te, began­nen 2014 die juris­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen. Von beson­de­rer Bedeu­tung ist dabei eine Bestim­mung des Aus­gleichs­leis­tungs­ge­set­zes, nach dem kei­ne Ansprü­che hat, wer dem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Sys­tem „erheb­li­chen Vor­schub“ geleis­tet hat.

Um die­se Fra­ge beant­wor­ten zu kön­nen, sind Juris­ten auf die Exper­ti­se von His­to­ri­kern ange­wie­sen. Bei­de Par­tei­en gaben daher ent­spre­chen­de Gut­ach­ten in Auf­trag, die jeweils das gewünsch­te Ergeb­nis zuta­ge för­der­ten, ohne daß ein wis­sen­schaft­li­cher Kon­sens dar­über her­ge­stellt wer­den konn­te, ob Wil­helm als damals Ver­ant­wort­li­cher des Hau­ses in Deutsch­land (der Kai­ser blieb im Exil) dem NS erheb­li­chen Vor­schub geleis­tet hatte.

Da alle Ver­öf­fent­li­chun­gen zum Kron­prin­zen von die­ser die Frei­heit des His­to­ri­kers in ein Kor­sett von „Ja oder Nein“ zwän­gen­den Fra­ge­stel­lung bestimmt sind, ist Miß­trau­en ange­bracht. Immer­hin hat die Debat­te aber dazu geführt, daß zumin­dest wis­sen­schaft­li­che Bau­stei­ne für eine ent­spre­chen­den Ansprü­chen genü­gen­de Bio­gra­phie zuta­ge geför­dert wur­den. Merk­wür­dig bleibt, daß in den bei­den wich­tigs­ten Neu­erschei­nun­gen zwar in jeder Zei­le zu spü­ren ist, daß es dar­um geht, Be- oder Ent­las­ten­des über den Kron­prin­zen zusam­men­zu­tra­gen, aber mit kei­nem Wort die Fra­ge ange­gan­gen wird, was unter „erheb­li­chem Vor­schub“ eigent­lich zu ver­ste­hen sei.

Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt hat­te 2015, als es um die erfolg­lo­se Kla­ge der Erben von Alfred Hugen­berg, Minis­ter im ers­ten Kabi­nett Hit­lers, auf Ent­schä­di­gung ging, mit einem Defi­ni­ti­ons­ver­such die Unsi­cher­heit eher noch ver­grö­ßert. Dem­nach war ein

erheb­li­ches Vor­schub­leis­ten … bereits in der Pha­se der Errich­tung des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Sys­tems mög­lich und nicht erst nach des­sen Etablierung.

Es müs­sen mit Ziel­ge­rich­tet­heit und „einer gewis­sen Ste­tig­keit Hand­lun­gen vor­ge­nom­men“ wor­den sein, die

dazu geeig­net waren, die Bedin­gun­gen für die Errich­tung, die Ent­wick­lung oder die Aus­brei­tung des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Sys­tems zu ver­bes­sern oder Wider­stand zu unter­drü­cken, und dies auch zum Ergeb­nis hatten.

Der Nut­zen für das NS-Regime „darf nicht nur ganz unbe­deu­tend gewe­sen sein“.

Betrach­tet man die bei­den Bücher von Lothar Macht­an (Der Kron­prinz und die Nazis. Hohen­zol­lerns blin­der Fleck, Ber­lin: Dun­cker & Hum­blot 2021, 300 Sei­ten, 29.90 Euro) und Ste­phan Mali­now­ski (Die Hohen­zol­lern und die Nazis. Geschich­te einer Kol­la­bo­ra­ti­on, Ber­lin: Ull­stein 2021, 752 Sei­ten, 35 Euro) unter die­sem Aspekt, so ver­ra­ten schon die Unter­ti­tel zu wel­chem Schluß die Autoren kommen.

Mali­now­ski betrach­tet den Kron­prin­zen als her­aus­ra­gen­des Bei­spiel der Kol­la­bo­ra­ti­on der Eli­ten mit der NS-Bewe­gung, die ohne die­se Unter­stüt­zung nie so leicht hät­te zur Macht gelan­gen kön­nen. Wil­helm ist ihm der per­so­ni­fi­zier­te Anti­re­pu­bli­ka­ner, der sich 1933 am Ziel wähnte.

Macht­an hin­ge­gen sieht in dem Kron­prin­zen eine über­schätz­te Figur, die zwar mora­li­schen Ansprü­chen nicht genü­ge, deren eigent­li­cher Sün­den­fall aber auf die Zeit nach 1933 zu datie­ren sei, als der Macht­lo­se mein­te, sich Hit­ler anbie­dern zu müs­sen. Als die Wei­chen noch nicht gestellt waren, hing der Kron­prinz noch der nai­ven Über­zeu­gung an, die Mon­ar­chie restau­rie­ren zu kön­nen, wozu er Koali­tio­nen mit allen mög­li­chen Prot­ago­nis­ten prüfte.

Wäh­rend Macht­an sich in sei­ner Dar­stel­lung auf die ent­schei­den­den Jah­re 1930–1934 kon­zen­triert, brei­tet Mali­now­ski die Lebens­ge­schich­te des Kron­prin­zen seit dem Ende des Ers­ten Welt­krie­ges mit vie­ler­lei Details vor dem Leser aus. Bis 1923 leb­te die­ser, getrennt von Gat­tin und Kin­dern, im hol­län­di­schen Exil, auf der Insel Wier­in­gen, wo er sich vor allem mit der Auf­ar­bei­tung der Erleb­nis­se aus der End­pha­se des Welt­kriegs beschäf­tig­te, die 1922 von Karl Ros­ner als „Erin­ne­run­gen“ her­aus­ge­ge­ben wurden.

Sonst frön­te er sei­nen Hob­bys, wozu auch die oft kol­por­tier­te Nei­gung zu außer­ehe­li­chen Ver­hält­nis­sen gehör­te, und knüpf­te Kon­tak­te, die ihm schließ­lich die Rück­kehr nach Deutsch­land ermög­lich­ten, wo er schließ­lich vor allem die Schlös­ser Ceci­li­en­hof (Pots­dam) und Oels (Schle­si­en) bewohn­te. Schon damals gab es erreg­te Aus­ein­an­der­set­zun­gen dar­über, ob die „Fürs­ten“ ent­eig­net wer­den sollten.

Mali­now­skis Pro­blem liegt vor allem dar­in, daß er aus die­sen Schil­de­run­gen kaum Nek­tar für sei­ne The­se sau­gen kann, außer der wenig über­ra­schen­den Tat­sa­che, daß aus dem Kron­prin­zen kein Demo­krat gewor­den war und er sich auf ver­schie­de­nen Wegen dar­um bemüh­te, sei­ne Besitz­an­sprü­che zu wah­ren. Um das dün­ne Brett etwas zu ver­stär­ken, legt Mali­now­ski beson­de­ren Wert auf die media­le Wahr­neh­mung des Kron­prin­zen im Aus­land, die für sich genom­men natür­lich gar nichts beweist.

Macht­an hält sich lie­ber an die öffent­li­chen und pri­va­ten Doku­men­te, die der Kron­prinz hin­ter­las­sen hat. Die­se sind vor allem für die Jah­re zwi­schen 1930 und 1934 eini­ger­ma­ßen ver­wir­rend, denn Wil­helm sah mit dem Auf­stieg der Natio­nal­so­zia­lis­ten und dem Aus­weg der Prä­si­di­al­ka­bi­net­te eine Mög­lich­keit, sich gegen den Wil­len sei­nes Vaters als über­par­tei­li­che Instanz ins Spiel zu bringen.

So ver­wun­dert es wenig, daß er zu allen Betei­lig­ten enge Bezie­hun­gen zu knüp­fen ver­such­te. Da eine Lösung ohne Hit­ler kaum mehr­heits­fä­hig war, kon­zen­trier­ten sich die Bemü­hun­gen schließ­lich auf die­sen (zumal ihm Hin­den­burg in gegen­sei­ti­ger Abnei­gung ver­bun­den war).

Der Wahl­auf­ruf, den Wil­helm im April 1932 für Hit­ler bei der Reichs­prä­si­den­ten­wahl ver­öf­fent­lich­te, gilt daher für die Beur­tei­lung sei­nes Han­dels als zen­tra­les Doku­ment, über des­sen Wirk­sam­keit hin­ge­gen kaum Einig­keit zu erzie­len sein wird. Daß sich der Kron­prinz zwei Jah­re spä­ter dafür rühm­te, Hit­ler zwei Mil­lio­nen Stim­men gebracht zu haben, ver­bucht Mali­now­ski für sich. Macht­an ver­weist auf eine ande­re Stel­le des­sel­ben Schrei­bens, in der es heißt, daß sich der „Füh­rer“ dem Ein­fluß der Sozia­lis­ten ent­zie­hen müs­se und eine Restau­ra­ti­on der Mon­ar­chie zustan­den brin­gen solle.

Das Fazit kann eigent­lich nur lau­ten, daß man selbst einer peri­phe­ren Gestalt wie dem Kron­prin­zen mit juris­ti­schen Kate­go­rien nicht gerecht wer­den kann. Ihn zu einem Naiv­ling zu ver­klei­nern oder zu einer his­to­ri­schen Nega­tiv­grö­ße auf­zu­bla­sen, zeigt nur, wie gern sich His­to­ri­ker zum Lauf­bur­schen über­ge­ord­ne­ter Inter­es­sen, sei es der „kri­ti­schen“ Öffent­lich­keit oder den Hohen­zol­lern selbst, machen lassen.

Hin­zu kommt, daß die Kate­go­rie „erheb­li­cher Vor­schub“ so wachs­weich ist, daß damit einer tota­li­tä­ren Fort­set­zung der Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung Tür und Tor geöff­net wird. Galt der oben erwähn­te Hugen­berg nach sei­nen Ent­na­zi­fi­zie­rungs­ver­fah­ren unmit­tel­bar nach 1945 als „ent­las­tet“, sehen das die Gerich­te heu­te ganz anders. Der his­to­ri­schen „Wahr­heit“ ist man damit aber nicht näher gekommen.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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Kommentare (13)

Laurenz

1. Juni 2022 06:49

(1)

EL macht sich hier viel Arbeit, da stellt sich mir die Frage, sind die Hohenzollern das wert? Viele Bürger aus den Ostgebieten oder deren Nachkommen schauten bei Entschädigungen in die Röhre. Das betrifft nicht nur Deutschland, sondern ganz Osteuropa. Einer meiner Großonkel, aus dem Westen stammend, bekam, als seinerzeitiger Kommunist, für Seinen KZ-Aufenthalt nichts. Der letzte maßgebliche Hohenzoller mit Hirn war der 100-Tage-Kaiser, der leider zu früh verstarb. Wie sich dies heute verhält, weiß ich nicht, spielt aber keine Rolle mehr. Die Hohenzollern gehören nachwievor nicht zum verarmten Adel.

Was tatsächlich ein Thema für die Debatte darstellt, ist die angesprochene Rechtslage, oder besser die Exekution des angewandten Rechts bezüglich der Unterstützung des Nationalsozialismus. Ich behaupte mal stumpf, in Hoffnung auf RMH, Gracchus & Niekisch, daß das hier angewandte deutsche Recht gegen die Menschenrechte verstößt.

kikl

1. Juni 2022 07:10

Über die wachsweichen Begriffe sollte sich niemand wundern. Je unpräziser die Sprache desto größer die Willkür und Macht der Richter. Aus Machtgier hat die Justiz eine Vorliebe für das Ungefähre entwickelt.

"...totalitären Fortsetzung der Vergangenheitsbewältigung..."

Das ist treffend gesagt. Totalitär ist die "Vergangenheitsbewältigung", weil sie nur eine Meinung zulässt. Jeder, der widerspricht wird gesellschaftlich oder strafrechtlich sanktioniert. Dahinter steckt der totalitäre Wunsch das Denken der Menschen zu diktieren.

Aber es handelt sich gar nicht um eine "Bewältigung". Genau das Gegenteil ist intendiert. Bewältigen heißt, mit etwas Schwierigem fertigwerden. Fertigwerden ist aber verboten, denn ein "Schlussstrich" darf niemals gezogen werden.

Letztlich soll die Vergangenheit als klaffende und eiternde Wunde auf ewig offengehalten werden. Wann immer es "hilfreich" ist, wird der Finger in die Wunde gelegt.

Laurenz

1. Juni 2022 07:11

(2)

Wenn man sich desweiteren anschaut, wer alles die Nationalsozialisten unterstützt hat, so waren die mächtigsten Unterstützer die Kirchen, welche bis heute, entgegen dem GG, noch Entschädigung für die Säkularisierung Bonapartes erhalten. Ohne das/die gekaufte Schweigen/Zustimmung der Kirchen, wäre Hitler nie an die Macht gekommen. CDU/CSU, SPD & FDP haben hunderte ehemaliger, mittlerweile verstorbener, NSDAP-Mitglieder in ihren Reihen. Demnach dürften deren Parteistiftungen keinen Cent sehen. Auch das Steuergeld für erhaltene Stimmen wird hier fragwürdig, vor allem in Anbetracht dessen, daß unser Nazi-Kirchenrecht immer noch in Kraft ist.  

Diese juristische Bigotterie in Deutschland ist schon richtig ekelhaft.

RMH

1. Juni 2022 07:28

Wenn ein Adeliger an einen Bürgerlichen  „vorbehaltlosen Treue … für alle Zukunft" schreibt, dann ist gedanklich stets das Götz-Zitat im Übrigen L.m.a.A. zwingend dazu zu denken. Um zu solch banalen Schlüssen zu kommen, sollte man - statt nur in Archiven sich eine Staublunge zu holen - aber auch einmal die Gunst gewährt bekommen haben, in einem hohen Hause das Fingerchen beim Halten der Teetasse abspreizen zu dürfen. Dass das blasierte Adelspack gerupft wurde, mag manchem, dem Neid noch etwas bedeutet, eine gewisse Genugtuung bringen. Ehrlicher wäre es von diesem unseren besten aller möglichen Deutschländer gewesen, auf solch Ns- Gesinnungsjurisprudenz-pudding-Formulierungen wie "erheblichen Vorschub zu leisten" zu verzichten und stattdessen zu sagen, lieber Adel, ihr hattet dieses Land und sein Volk über Jahrhunderte zur Beute, jetzt sind wir parteilich konstituierte und inkorporierte Demokraten an der Reihe. Eure Anschaffungen verhökern wir aber nicht, nein, wir stellen sie mit museumspädagogischer Einordnung dem Plebs zur Schau. Und wahrer Adel wäre es, sich nicht noch mit dem Pöbel darüber vor so etwas wie Gerichten zu streiten sondern zu sagen, hier habt ihr noch mehr, geht duch drum balgen, Pack ... (Nu da machd doch eiern Drägg alleene! F. August III).

Nemo Obligatur

1. Juni 2022 07:41

Ob die Hohenzollern den Nazis erheblichen Vorschub geleistet haben oder nicht, ist, wie EL zurecht feststellt, irrelevant. Die Geschichte hat ihr Urteil längst gesprochen. Für die Hohenzollern wird sich in Deutschland keine Hand mehr heben, ob sie nun ein paar Immobilien und ihren Nippes zurückerhalten oder nicht. Für den Alten Fritz sind die Preußen durchs Feuer gegangen. Von ihm haben noch seine Nachfolger gezehrt.

Niekisch

1. Juni 2022 18:25

"Als Hitler am 30. Juni 1934 neben seinen parteiinternen Konkurrenten auch seine konservativen Kritiker zum Abschuß freigab.."

Seine Liste enthielt m.W. 7 Personen.

Maiordomus

1. Juni 2022 18:40

Dieser Gesichtspunkt der deutschen Geschichte um 1933 wurde bis anhin meines Erachtens unterschätzt. Es gab damals doch noch einen respektablen, wenn auch kaum mehrheitsfährigen Anteil Monarchisten. Noch Reinhold Schneider, der sich 1930 als entschiedener Hitlergegner artikulierte, hat Kontakt mit dem deutschen Kronprinzen, der ihm noch im Herbst 1933 die Perspektive einer Restauration der Monarchie in Aussicht stellte, wozu Hitler, dem die langfristige Substanz abgesprochen wurde (was wohl nicht falsch war) eine Übergangslösung darstelle. Schneider wählte damals übrigens die "Papen-Partei". Die Desillusionierung erfolgte, wie bei bedeutenden, aber längst nicht allen Rechtskonservativen, 1934.  

RMH

2. Juni 2022 07:33

An den aktuellen öffentlichen Diskussionen ist immer wieder interessant, wie heutige Maßstäbe an vergangene Zeiten gesetzt werden. Selbst die Demokraten in der Weimarer Republik würden vermutlich nicht so recht zu unsere heutigen, besten aller Welten, der FDGO passen. Der machtlos werdende Adel sympathisierte (Angesichts des Schicksals des russ. Zaren auch nachvollziehbar) durchaus mit faschistischen Bewegungen. In Italien hat Mussolini vorgemacht, wie man den König hält und gleichzeitig das Sagen hat. Franco sah sich immer nur als Platzhalter für einen spanischen König, was dann ja auch so geschah. Dem englischen König Eduard VIII werden auch entsprechende Sympathien nachgesagt und die Gerüchte brodeln bis heute - zum Glück gab es Wallis Simpson, wegen der er dann abdankte. Insofern: Man muss kein großer Historiker sein, um Motive deutscher Adeliger zu erkennen, auf die Karte Hitler zu setzen. Aber der plausible Verdacht alleine genügt normalerweise für ein "Urteil" nicht - zudem: Die deutschen Nazis waren keine Royalisten, es waren Sozialisten mit Führerprinzip. Tag von Potsdam hin oder her. Und ich vermute schwer, dass der deutsche Adel das recht schnell realisiert hat (nachdem Krieg sowieso ;) ).

KlausD.

2. Juni 2022 09:15

@Nemo Obligatur  1. Juni 2022 07:41

"Für die Hohenzollern wird sich in Deutschland keine Hand mehr heben ..."

Für ihre kulturellen Hinterlassenschaften aber schon. Diese werden gepflegt von der Stiftung preußischer Kulturbesitz sowie von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg.

https://www.spsg.de/startseite/

Letztere ist jetzt mit einigen Exponaten aufgenommen in die ZDF Doku Geheimnis der Bilder.

https://geheimnis-der-bilder.zdf.de/

Maiordomus

2. Juni 2022 14:13

@Niekisch. Am Ende waren es 1934 gewiss mehr als 7 kritische Rechte; Leopold Ziegler, in enger Verbindung mit Edgar Julius Jung, mit dem näher zu befassen sich sehr lohnt, floh im Sommer 1934 nach Kreuzlingen zu Binswanger, wo er dann mit einem meiner bedeutendsten Lehrer, Emil Staiger, in Kontakt trat. 

 

Zu den Hohenzollern-Hatern, die zwar jeweils den Alten Fritz ausgenommen haben. Es lohnt sich, den Roman "Der Vater" von Jochen Klepper zu lesen; auch das im Winter 1932/33 geschriebene Buch "Die Hohenzollern" von Reinhold Schneider. Noch imposant auf youtube die Bilder von der Beisetzung von Wilhelm II. mit dem greisen Husarengeneral Mackensen auf dem Bild und der gespenstisch kühlen Erscheinung von Arthur Seyss-Inquart, leicht hinkend,  als höchstem offiziellen Vertreter des damaligen Systems, war ja der quasi Statthalter der Niederlande, mit dem Herzog Alba nur bedingt vergleichbar. Schneider beschrieb Wilhelm II. u.a. in seiner  Autobiographie "Verhüllter Tag" (1954). kritisch, aber nicht ohne Respekt. 

Volksdeutscher

2. Juni 2022 14:59

- "Von besonderer Bedeutung ist dabei eine Bestimmung des Ausgleichsleistungsgesetzes, nach dem keine Ansprüche hat, wer dem nationalsozialistischen System „erheblichen Vorschub“ geleistet hat."

Auslandsdeutsche, unter ihnen auch die Angehörigen deutscher Streitkräfte, wurden in ihren Geburtsländern enteignet, mußten Haus, Hof und alles, was dazu gehörte, ohne Entschädigung zurücklassen. In der BRD bekamen sie vom Ausgleichsamt eine finanzielle Entschädigung. Diese erhielten sie auch dann, wenn sie Angehörige der Wehrmacht und der Waffen-SS waren. Soldaten leisten bekanntlich dem jeweiligen System, dem sie dienen, erheblichen Vorschub, ohne sie kann man keinen Krieg führen. Unsere Soldaten leisteten erheblichen Vorschub dem Nationalsozialismus, allen voran die Soldaten der Waffen-SS und die meisten Volksdeutschen wurden durch den Deutschen Volksbund für die Waffen-SS angeworben (besonders in den letzten Kriegsjahren). Seit wann gilt die obige Bestimmung? Wie konnten volksdeutsche, aber auch reichsdeutsche Armeeangehörige finanzielle Entschädigung bekommen, wenn sie faktisch erheblichen Vorschub für den Nationalsozialismus geleistet hatten? Müßte es nicht auch für den deutschen Adel dasselbe Recht gelten, das für die enteigneten und entschädigten Angehörigen der deutschen Strietkräfte galt?

 

Niekisch

2. Juni 2022 18:49

"Am Ende waren es 1934 gewiss mehr als 7 kritische Rechte; Leopold Ziegler, in enger Verbindung mit Edgar Julius Jung, mit dem näher zu befassen sich sehr lohnt,..."

@ Maiordomus 2.6. 14:13: Völlig richtig, werter Meister, es waren viel mehr Opfer. Der chaotische Ablauf der Tötungsaktion zeigt, wie berechtigt die Angst Hitlers war, schon 1934 die Kontrolle über sein anarchisches Regierungssystem zu verlieren. 

Alleine schon Jungs "Herrschaft der Minderwertigen" erweist einen bemerkenswertenMenschen. 

"Müßte es nicht auch für den deutschen Adel dasselbe Recht gelten..?"

@ Volksdeutscher 2.6. 14:59: Schon in den 20iger Jahren des 20. Jahrhunderts war der Parasitismus des Adels - von Ausnahmen abgesehen- ein absoluter Anachronismus. 

Volksdeutscher

2. Juni 2022 21:10

@Niekisch - "Schon in den 20iger Jahren des 20. Jahrhunderts war der Parasitismus des Adels - von Ausnahmen abgesehen- ein absoluter Anachronismus."

Aber das heranzuziehen wäre vollkommen verfehlt, denn im vorliegenden Fall geht es um eine juristische Angelegenheit, der man unmöglich beikommen kann, indem man in Berufung auf jenen Parasitismus Unrecht walten läßt. Entweder gibt es Gleichheit vor dem Gesetz, oder es ist eine Farce.

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