Ist das nicht interessant? Vor kurzem hatte Christiane Hoffmann mit ihrer Reportage Alles, was wir nicht erinnern den Fluchtweg ihres Vaters aus Schlesien nachgezeichnet. Das großartige Buch war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Auch ich hatte es begeistert besprochen. Sind deutsche Flucht und Vertreibung also nun wieder Thema?
Betrachten wir es zunächst quantitativ. Hoffmanns (rein authentisches) Buch hat 132 „Kundenrezensionen“ auf amazon.de., meist (zurecht) positiv. Frau Abels kolportierte Story hat 6.800 fast ausschließlich stürmische Daumenhochs ebendort.
Betrachtet man nur diese Zahlen, könnte man denken: Frau Hoffmann (wenngleich ihr Buch wunderbar zugänglich lesbar ist) schreibt für eine irgendwie intellektuelle Elite – Frau Abel schreibt für´s Volk. Das stimmt sogar. Und sagt alles. Worüber? Wie Propaganda wirkt, wie gut unsere Leute – vulgo: die Deutschen – darin sind, ihr Gefühl zutraulich auf ein bestimmtes Gleis setzen zu lassen.
In diesem Erfolgshit, dem Debütroman einer Frau Abel (über die man wenig weiß), geht es zuvörderst um Thomas Monderath und seine vierundachtzigjährige Mutter Greta.
In welchen literarischen Gefilden wir uns befinden, wird mit den ersten Sätzen klar: Ein Glas CocaCola fällt um und besprenkelt braun den Nachrichtensprecher Thomas „Tom“ Monderath.
„In zwei Minuten sind wir live“ ruft der Aufnahmeleiter durch das Nachrichtenstudio.
Das sind so typische Erste-Sätze eingängiger Unterhaltungsliteratur. Bald stellt sich zweierlei heraus: Der Kölner Promi Thomas (abwechslungsweise „Tom“ oder „der Nachrichten-Junkie“) ist ein F***hengst, und seine (nach wie vor sehr schlagfertige) Mutter gleitet soeben in die Demenz.
Es entsteht ein Trubel wie gemalt und wie ihn sich auch Lieschen Müller hätte ausdenken können. Nur hätte sie ihn nicht so aalglatt und publikumswirksam formulieren können wie Frau Abel.
Im Detail: Greta Monderath, bislang hellwache, „gefühlt“ (also: gemäß ihrem eigenen Bewußtsein) westdeutsche Greisin, verfährt sich. Sie wollte ein Ziel in Köln ansteuern, landet aber in Aschaffenburg. Die Polizei fragt nach der Herkunft: „Preußisch Eylau“, sagt die Ostpreußin nach einiger Bedenkzeit.
Nun tun sich Scheunentore auf. Kapitelweise wechseln wir von der Gegenwart (2015) in Gretas Vergangenheit ab 1939.
Kurzfassung: Durch den aktuellen „Flüchtlings“-Zustrom öffnet sich Greta erstmals ihren eigenen Erlebnissen während ihrer Flucht aus Ostpreußen. Dadurch kann sie besonders großes Mitgefühl mit den heutigen Migranten empfinden, denn es sind ja ganz ähnliche Umstände! Auch ihre Erfahrungen damals waren schlimm. Einmal kamen sie bei einem deutschen Bauern unter, den sie als masturbierenden Voyeur ertappte.
Während dieser gedanklichen Rückblicke kommt Tom einem langehüteten Geheimnis der Mutter auf die Spur: Er ist kein Einzelkind. Seine Mutter hatte 1949 ein Kind mit einem GI gezeugt, das sie schließlich auf Druck der rassistischen deutschen Nachkriegsgesellschaft in ein Kinderheim geben mußte.
Die Leserin erfährt, was für ein großartiger Kerl dieser Befreier Robert gewesen ist: großzügig, klug, witzig, opferbereit, mutig, „gut ein Meter fünfundneunzig groß“ und „schwarz wie die Nacht“. Und er spricht total niedlich:
„Gooden Tag, FROY-lain. Eash schpreschen DOI-tsh.“
Ein Charmebolzen also, es lacht das Herz der Leserin. Und der Robert lernt total schnell die schwere Sprache, es ist so lustig:
„Der Flieder blüht schon.“ – „Der WHAT?“ – „Papperlapapp!“ – „Papperla WHAT?“
Oder
Ich habe neues Wort, sagt er. Er spitzte die Lippen. „Gluckspils.“ „GLÜÜÜckspilz!“, verbesserte ihn Greta in alter Gewohnheit und starrte atemlos auf seinen näher kommenden Mund.
Man liest hier VIELES in Großbuchstaben. Es ist eben eine Geschichte des ÜBERSCHWANGS! Die Greta hatte soviel Glück eigentlich gar nicht verdient. Als Kind war sie nämlich eine überzeugte Nationalsozialistin gewesen. Den Nachbarskindern hielt sie damals, mit elf oder zwölf, von einem Hocker aus Reden:
Die höchste Rasse ist die arische. Wahrrhaft grrroße Männer hat sie herrrvorrrgerrracht: Lutherrr, Kant, Karrrl der Grrroße, RRRichardWagner – und natürlich Adolf Hitlerrr.
Ja, ganz sicher. Und die Leserin neigt nachdenklich den Kopf; schlimm, schlimm. Über 70 Jahre später hat die nun alzheimerkranke Greta nichts von ihrem Temperament verloren:
„Tom!“, ruft sie, springt aus dem Rollstuhl, hetzt ihm mit wehendem Nachthemd entgegen und stolpert ihm in die Arme.
Ich darf verraten, daß es noch einige Probleme geben wird. Aber Greta wird natürlich ihre alte Liebe und die verlorene Tochter wiedersehen. Der Tom hat, wie sich herausstellt, noch mehr Halbgeschwister!
Tom, dem beim Gedanken an „Blondinen“ und andere schöne Frauen immer noch „die Eier wandern“ (interessantes Bild) wird sich endlich ernsthaft verlieben, nämlich in die vormalige Erektionsbremse Jenny, die sich gerade ein Kind von der Samenbank bestellt hat. Tom wird Angela Merkel aufgrund ihrer Grenzöffnung schätzen lernen, dabei
hätte ich einem eine reingehauen, wenn er mir vor einem halben Jahr gesagt hätte, dass ich Merkel einmal verteidige.
Überhaupt hat Autorin Abel sichtbar Gefallen an rüden Wendungen. „Verf***te Sch***e“, „verfluchte K***e“, „A*loch“ etc. werden hier ohne Sternchen geschrieben. Es gibt Drecksäue und geile Ärsche. Tom „pisst“ als Zeichen seiner Abscheu vor den „Nazis“ den Arno-Breker-Brunnen an, und Jung-Greta beißt einem (Weißen), der sie beim Tanzen küssen will, „mit voller Kraft in die Zunge.“
Ganz offenkundig: Dieses Zeug kommt an bei der bundesdeutschen Leserin. Als Leckermäulchen will sie den Kakao, durch den sie gezogen wurde, natürlich noch trinken – sonst wär´s ja umsonst gewesen.
Daß man in Aschaffenburg nicht Fränkisch spricht, sondern Südhessisch, ist das geringste Ärgernis an diesem Machwerk.
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Wer unbedingt mag, kann diesen „Band 1 der Gretchen-Reihe“ ja irgendwo bestellen: Sabine Abel: Stay away from Gretchen. Eine unmögliche Liebe. Dtv 2021, 528 S., 20 €.
RMH
... und in Band 2 wird dann Tante Erna beschrieben, die vom bösen Russen vergewaltigt wurde, dessen Kind auch in ein Heim gegeben hat, wo es ganz fies sozialistisch-pro-russisch erzogen wurde und daher bei den Querdenkern und Pegida mitmacht, bis - na, wir wollen doch nicht zu viel verraten;) . Onkel Friedrich, obwohl selber als Widerständler 45 im KZ, wurde wiederum von den bösen Russen direkt in den Donbas zur Zwangsarbeit verschleppt, blieb dann wegen einer Ukrainerin in Mariupol und sein dort geborener Enkel führt jetzt die örtliche Partisanengruppe gegen die Russen an. Cousine Lina hat beim Work and Travel in Australien den unterdrückten Aborigine Koa, dem - obwohl er so toll zeichnen kann - die Aufnahme an der Kunsthochschule verwehrt wurde, kennen gelernt und kämpft gegen voreingenommene deutsche Beamte bei den Behörden, um ihn endlich nach Deutschland zu holen, obwohl eine ProfessorIn an der Berliner Kunsthochschule die Mappe von Koa "überwältigend" findet und ihm gerne einen Platz in ihrer Meisterklasse anbieten will.
Herrlich! Wäre gerne mal Teil eines solchen Creativ- Writing- Teams - kann dann gerne auch den Namen Susanne Kain haben. Klischees dreschen kann befreien! Es fehlt im oben skizzierten Plot noch irgendwas mit LGBTQ ... hm, aber da fällt einem schon noch was ein :)